Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 87 I 371



87 I 371

61. Urteil vom 25. Oktober 1961 i.S. Weber A.-G. gegen Schurter A.-G. und
Obergericht des Kantons Luzern. Regeste

    Art. 87 OG: Nichtanfechtbarkeit des Zwischenentscheides, mit dem im
Sinne von § 272 luz. ZPO die Revision bewilligt wird.

Auszug aus den Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- Die staatsrechtliche Beschwerde richtet sich gegen das Urteil des
luzernischen Obergerichtes vom 10. August 1961, mit dem dieses ein Gesuch
der Beschwerdegegnerin vom 25. September 1958 um Revision eines Urteils des
Obergerichtes vom 12. Juni 1958 abgewiesen und ein weiteres Revisionsgesuch
vom 18. Februar 1961 bezüglich desselben Urteils als begründet erklärt hat.
Mit dem Urteil vom 12. Juni 1958 hatte es den Hauptanspruch und mehrere
Unteransprüche des Patentes Nr. 279'752 sowie Hauptanspruch und sämtliche
Unteransprüche des Patentes Nr. 286'654 als nichtig erklärt, dagegen das
Begehren um Nichtigerklärung des Unteranspruches Ziff. 10 des Patentes Nr.
279'752 im Sinne der Motive abgewiesen. In der Folge hat das Obergericht
mit Urteil vom 15. Januar 1959 das Patent Nr. 279'752 wegen Teilnichtigkeit
neu gefasst. Die Gutheissung des Revisionsgesuches vom 18.

    Februar 1961 wird zur Folge haben, dass das Obergericht in einem
neuen Verfahren das Urteil zu fällen hat (§ 274 Abs. 1 ZPO).

    Mit der staatsrechtlichen Beschwerde wird beantragt, den
Revisionsentscheid aufzuheben und das Revisionsgesuch abzuweisen, eventuell
die Sache zu neuer Entscheidung an das Obergericht zurückzuweisen. Es
wird die Rüge der Verletzung von Art. 4 BV erhoben.

Erwägung 2

    2.- Das angefochtene Urteil beendigt das Revisionsverfahren nicht,
sondern geht dem eigentlichen Revisionsprozess voran, in dem das
Obergericht ein neues Urteil über die Patentnichtigkeit zu fällen haben
wird, ist also ein Zwischenentscheid im Revisionsverfahren. Derartige
Zwischenentscheide einer letzten kantonalen Instanz sind mit
staatsrechtlicher Beschwerde wegen Verletzung von Art. 4 BV nur anfechtbar,
wenn sie für den Betroffenen einen nicht wiedergutzumachenden Nachteil
zur Folge haben (Art. 87 OG).

    Nachteil in diesem Sinne ist ein dem Beschwerdeführer erwachsender
Rechtsnachteil, der auch durch einen dem Beschwerdeführer
günstigen Endentscheid nicht mehr behoben werden könnte (BGE 79
I 46 Erw. 3 mit Zitaten, 153), wie denn Art. 88 OG ganz allgemein
zur Beschwerdelegitimation eine bloss tatsächlich nachteilige Folge
nicht genügen lässt. Darum liegt kein Zwischenentscheid im Sinne von
Art. 87 OG vor, wenn die Nichtanfechtbarkeit des Zwischenentscheides
bloss eine Verlängerung des Verfahrens zur Folge hat und dieser im
Anschluss an den später ergehenden Endentscheid zum Gegenstand einer
staatsrechtlichen Beschwerde gemacht werden kann (BGE 79 I 154). Dass
durch den Zwischenentscheid eine bisherige Rechtslage nicht bloss in Frage
gestellt, sondern vorderhand beseitigt wird, hat nicht unbedingt auch schon
einen nicht wiedergutzumachenden Rechtsnachteil zur Folge. Daher ist der
Zwischenentscheid nicht anfechtbar, mit dem der Gegenpartei im kantonalen
Verfahren Restitution gewährt, sie in ihre frühere Rechtsstellung für
das weitere Verfahren wieder eingesetzt wird, die durch Fristverwirkung
verloren gegangen war; erst aus dem Endurteil geht hervor, ob das Verfahren
für den Beschwerdeführer ungünstig oder günstig ausfällt und er daher
einen bleibenden Rechtsnachteil erleidet oder nicht (nicht veröffentlichte
Urteile vom 2.5.52 i.S. Simoness, 10.10.55 i.S. Ghale und vom 19.6.57 i.S.
Hänggi). Ein Rechtsnachteil, der später nicht mehr behoben werden könnte,
ist erst anzunehmen, wenn über eine bestimmte Rechtsfrage abschliessend
entschieden wird, wie beim Rückweisungsentscheid einer Kassationsinstanz,
wenn damit über die Zulässigkeit der Kassation befunden wird, oder
beim Rückweisungsentscheid, wenn mit der Beschwerde geltend gemacht
werden will, die kantonale Behörde habe ihm vorausgehend zu Unrecht ein
Wiedererwägungsgesuch als zulässig betrachtet (BGE 87 I 177 Erw. 2), d.h.
also, wenn eine Frage streitig ist, die später nicht mehr zur Diskussion
gestellt werden kann (nicht veröffentlichte Urteile vom 14.3.56 i.S. Nauer
und vom 16.11.60 i.S. Trillhaase).

    Der Nachteil, welcher der Beschwerdeführerin aus der Zulassung des
Revisionsverfahrens entsteht, liegt darin, dass sie vorläufig, bis zum
neuen Entscheid in der Sache, sich auf das Revisionsverfahren einzulassen
hat und dass für solange, als der Sachentscheid nicht ergangen ist,
nicht feststeht, ob das Patent Nr. 279'752 teilweise gültig ist,
eine Frage, die auf Grund des allenfalls zu revidierenden Urteils
feststand. Die Frage nach dem Rechtsbestand bleibt also bis dahin in
der Schwebe, und der Schwebezustand wird erst durch das neue Urteil
in der Sache behoben. Bis dahin ist über die Frage der Gültigkeit nicht
entschieden. Obsiegt die Beschwerdeführerin im neuen Sachurteil, so bleibt
es beim bisherigen Rechtszustand. Sie hat durch den Zwischenentscheid
keinen Rechtsnachteil erlitten. Unterliegt sie dagegen, so kann sie die
Zulässigkeit der Revision im Anschluss an das Endurteil, und allenfalls
zusammen mit diesem, zum Gegenstand einer staatsrechtlichen Beschwerde
machen. Die Verlängerung des Verfahrens, die sie hinzunehmen hat,
stellt für die Beschwerdeführerin nach ständiger Rechtsprechung keinen
Nachteil im Sinne von Art. 87 OG dar. Dass und welcher Rechtsnachteil
ihr aus der Nichtanfechtbarkeit des Zwischenentscheides entstehen könnte,
ist nicht ersichtlich. Dass vorläufig, bis zum neuen Sachurteil nicht
feststeht, ob das Patent in vollem Umfang zu Recht besteht, oder dass,
wie sie behauptet, "die Rechtslage der Petentin erneut dem Gutdünken von
Experten überliefert wird", ist kein rechtlicher Nachteil, verändert die
Rechtslage nicht anders, als es sonst bei Abnahme eines Beweismittels
der Fall wäre, das den Richter in die Lage setzen soll, den Anstand neu
entscheiden zu können. Es ist auch nicht behauptet, die Beschwerdeführerin
werde durch den Entscheid daran gehindert, über das Patent zu verfügen,
sodass dahingestellt bleiben kann, ob allenfalls darin ein rechtlicher
Nachteil gesehen werden könnte, oder darin, dass eine Verfügung über das
Patent nicht in gleicher Weise, zu gleichen Bedingungen möglich wäre,
wie wenn über dieses jetzt ein Revisionsverfahren nicht erginge.

Entscheid:

               Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Auf die Beschwerde wird nicht eingetreten