Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 87 I 365



87 I 365

60. Urteil vom 27. September 1961 i.S. Bank Haerry & Co AG gegen Lamprecht
und Rekursrichter für Schuldbetreibung und Konkurs des Kantonsgerichts
St. Gallen. Regeste

    Art. 87 OG.

    Entscheide über Begehren um provisorische Rechtsöffnung sind
Zwischenentscheide (Bestätigung der Rechtsprechung).

    Die Verweigerung der provisorischen Rechtsöffnung hat für den Gläubiger
kemen nicht wiedergutzumachenden Nachteil zur Folge.

Sachverhalt

    A.- Die Bank Haerry & Co AG leitete am 9. Dezember 1960 mit
Zahlungsbefehl Nr. 10'848 für den Betrag von Fr. 3877.65 nebst Zins
Betreibung ein gegen Ludwig Lamprecht in Wattwil und verlangte, als dieser
Recht vorschlug, gestützt auf einen Kaufvertrag (Abzahlungsgeschäft)
provisorische Rechtsöffnung. Diese wurde vom Bezirksgerichtspräsidenten von
Neutoggenburg durch Entscheid vom 14. Februar 1961 für Fr. 950.-- nebst 5%
Zins ab 9. Dezember 1960 erteilt, für den Mehrbetrag dagegen verweigert.
Einen hiegegen erhobenen Rekurs der Gläubigerin wies der Rekursrichter
für Schuldbetreibung und Konkurs des Kantonsgerichts St. Gallen am 16. Mai
1961 ab.

    B.- Gegen diesen Entscheid führt die Bank Haerry & Co AG
staatsrechtliche Beschwerde mit dem Antrag, ihn wegen Verletzung des Art. 4
BV (materielle und formelle Rechtsverweigerung) aufzuheben. Zur Begründung
der Zulässigkeit der Beschwerde wird auf die Kritik von Prof. H. HUBER an
den Urteilen BGE 79 I 44 und 152 verwiesen und geltend gemacht, dass das
ein Rechtsöffnungsverfahren abschliessende Urteil ein Endentscheid, nicht
ein Zwischenentscheid im Sinne des Art. 87 OG sei und die Verweigerung der
provisorischen Rechtsöffnung, sofern darin nur ein Zwischenentscheid liege,
für die Beschwerdeführerin einen nicht wiedergutzumachenden Nachteil im
Sinne von Art. 87 OG zur Folge habe.

    C.- Der Rekursrichter des Kantonsgerichts St. Gallen hat keine
Gegenbemerkungen eingereicht. Der Beschwerdegegner Ludwig Lamprecht
beantragt die Abweisung der Beschwerde, ohne sich über die Zulässigkeit
derselben näher auszusprechen.

Auszug aus den Erwägungen:

              Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Bis zum Jahre 1953 ist das Bundesgericht eingetreten
auf staatsrechtliche Beschwerden wegen Verletzung des Art. 4 BV
gegen letztinstanzliche Entscheide, durch welche die provisorische
Rechtsöffnung bewilligt oder verweigert wurde (vgl. BGE 78 I 56). Dann
hat es die Frage der Zulässigkeit solcher Beschwerden neu geprüft und
ist dabei zum Ergebnis gelangt, dass der in einem Zwischenverfahren der
Betreibung ergangene Entscheid über provisorische Rechtsöffnung einen
blossen Zwischenentscheid im Sinne von Art. 87 OG darstelle; ferner hat es
entschieden, die Erteilung der provisorischen Rechtsöffnung habe für den
Schuldner und ihre Verweigerung jedenfalls in der Regel für den Gläubiger
keinen nicht wiedergutzumachenden Nachteil im Sinne von Art. 87 OG zur
Folge (BGE 79 I 44 ff. und 152 ff.).

Erwägung 2

    2.- Diese Änderung der Rechtsprechung hat Prof. H. HUBER in einem
in SJZ 1954 S. 301 ff. erschienenen Aufsatz kritisiert. Eine nochmalige
Überprüfung der Frage rechtfertigt sich. Sie führt jedoch zu keinem
andern Ergebnis.

    a) Die einleitenden Ausführungen von Prof. HUBER (Ziff.  I) betreffen
im Grunde nur die Wünschbarkeit der staatsrechtlichen Beschwerde aus
Art. 4 BV gegen Entscheide über provisorische Rechtsöffnung und sind
daher von vorneherein nicht geeignet, die rechtliche Zulässigkeit dieser
Beschwerde darzutun.

    Das gilt vorab für das angebliche Rechtsschutzbedürfnis der
Beteiligten, das zudem nicht oder doch nicht mehr in dem von Prof. HUBER
behaupteten Umfange besteht, da heute in den meisten, wenn nicht in allen
Kantonen Rechtsmittel gegen Rechtsöffnungsentscheide unterer Instanzen zur
Verfügung stehen und daher ein krasser Fehlentscheid wie derjenige, den das
Bundesgericht in BGE 30 I 298 aufgehoben hat, nicht mehr vorkommen dürfte.
Man kann sich übrigens fragen, ob dem Rechtsschutzbedürfnis der Beteiligten
nicht besser gedient ist, wenn sie Streitigkeiten mit einem Streitwert von
Fr. 50.- und weniger, wie in den von Prof. HUBER angeführten Fällen (BGE
30 I 298, 75 I 1, 84 I 449), im Anschluss an den Rechtsöffnungsentscheid
direkt vor dem ordentlichen Richter austragen müssen und diesen Entscheid
nicht noch mit einer staatsrechtlichen Beschwerde anfechten können.

    Nicht stichhaltig ist ferner der Einwand, die Zulassung
der staatsrechtlichen Beschwerde rechtfertige sich, weil sie zu
einer wenigstens beschränkten Einheitlichkeit in der Anwendung der
Rechtsöffnungsvoraussetzungen in der ganzen Schweiz führe. Wenn der
Gesetzgeber davon abgesehen hat, durch Schaffung eines ordentlichen
bundesrechtlichen Rechtsmittels gegen Rechtsöffnungsentscheide für
die Rechtseinheit zu sorgen, ist es nicht Sache des Bundesgerichts,
diesem Mangel durch ausdehnende Auslegung der Voraussetzungen der
Willkürbeschwerde abzuhelfen. Diese Beschwerde ist übrigens ein
untaugliches Mittel für diesen Zweck, da sie nur zu beschränkter
Überprüfung führt, weshalb es denn auch auf dem Gebiet der provisorischen
Rechtsöffnung nur zu ganz vereinzelten grundsätzlichen Urteilen des
Bundesgerichts gekommen ist und sich eine nennenswerte Praxis nicht
bilden konnte.

    Offensichtlich fehl geht endlich der Einwand von Prof. HUBER,
seit der Praxisänderung sei die staatsrechtliche Beschwerde auch nicht
mehr gegeben, um Rechtsöffnungsentscheide aus andern Gründen als wegen
Willkür und Rechtsverweigerung anzufechten und um den Gerichtsstand zu
bestreiten. Die früher in der Praxis angenommene und nun in Art. 87 OG
enthaltene Beschränkung gilt ausdrücklich nur für Beschwerden aus Art. 4
BV, nicht für solche wegen Verletzung anderer verfassungsmässiger Rechte
oder wegen Verletzung von Konkordaten und Staatsverträgen (BGE 76 I 393
Erw. 3, 77 I 46 Erw. 1). Gerichtsstand der Rechtsöffnung aber ist nach
Bundesrecht der Betreibungsort (BGE 25 I 38), und es ist daher wegen
Verletzung dieser Zuständigkeitsnorm die staatsrechtliche Beschwerde nach
Art. 84 lit. d OG gegeben (BGE 76 I 47 Erw. 2).

    b) Die staatsrechtliche Beschwerde ist ein rein subsidiärer
Rechtsbehelf und nur zulässig, wenn kein anderes Rechtsmittel des
Bundesrechts offen steht (Art. 84 Abs. 2 OG) und wenn, von gewissen
Ausnahmen abgesehen, die kantonalen Rechtsmittel durchgeführt worden
sind (Art. 86 Abs. 2 OG). Wenn darüber hinaus die Anfechtung wegen
Verletzung des Art. 4 BV grundsätzlich auf Endentscheide beschränkt
wurde (Art. 87 OG), so geschah dies vor allem im Interesse eines
raschen Gangs des kantonalen Verfahrens, das durch die Anfechtbarkeit
jedes Zwischenentscheids unnötig verschleppt und verteuert würde
(vgl. GIACoMETTI, Verfassungsgerichtsbarkeit S. 102). Dieser
Gesichtspunkt darf nicht vernachlässigt werden und spricht für eine
einschränkende Auslegung der im Art. 87 OG enthaltenen Voraussetzungen
der staatsrechtlichen Beschwerde aus Art. 4 BV.

    aa) Da das Rechtsöffnungsverfahren ein Zwischenverfahren der
Schuldbetreibung ist, kann es, wie in BGE 79 I 45 Erw. 2 dargelegt,
auch nur zu einem Zwischenentscheid führen. Dieser Charakter kommt dem
Entscheid über provisorische Rechtsöffnung auch nach seinem Inhalt zu,
der auf bloss vorläufige Bewilligung oder Verweigerung der Vollstreckung
einer Geldforderung geht. Endgültig wird hierüber erst entschieden durch
das Ergebnis bzw. die Unterlassung der dem Schuldner bei Erteilung und
dem Gläubiger bei Verweigerung der provisorischen Rechtsöffnung zur
Verfügung stehenden Klagen, der Aberkennungsklage (Art. 83 Abs. 2 SchKG)
und der Forderungsklage (Art. 79 SchKG). Diese beschränkte Wirkung
lässt den Entscheid über die provisorische Rechtsöffnung als blossen
Zwischenentscheid im Sinne von Art. 87 OG erscheinen. Dem steht nicht
etwa entgegen, dass der Aberkennungswie der Forderungsprozess den Bestand
der streitigen Forderung, das Rechtsöffnungsverfahren dagegen nur ihre
(vorläufige) Vollstreckbarkeit zum Gegenstand hat; es genügt, dass in
jenen Prozessen auch über die Vollstreckbarkeit im Sinne der definitiven
Rechtsöffnung entschieden wird (vgl. für den Aberkennungsprozess BGE
79 II 282, für den Forderungsprozess BGE 64 III 78, 67 III 117, 75 III
45). Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts stellt die Bewilligung der
Nachlassstundung einen blossen Zwischenentscheid dar (nicht veröffentl.
Urteile vom 16. Dezember 1948 i.S. Morin-Bohnhôte, vom 13. Mai 1958 i.S.
Villa La Foresta SA und vom 16. Dezember 1959 i.S. Soldini) und ist der
Arrestschuldner nicht befugt, den Arrestbefehl mit staatsrechtlicher
Beschwerde aus Art. 4 BV anzufechten (nicht veröffentl. Urteile vom 27.
Januar 1954 i.S. Repal SA und vom 19. Mai 1954 i.S. Lamalex SA). Es ist
daher folgerichtig, auch den Entscheid über die provisorische Rechtsöffnung
als blossen Zwischenentscheid zu betrachten. Dies rechtfertigt sich umso
mehr, weil die staatsrechtliche Beschwerde die durch diesen Entscheid
geschaffene provisorische Rechtslage in keinem Falle beseitigt, sondern
nur zu einer Vertauschung der Parteirollen in dem stets möglichen
ordentlichen Prozess über den Bestand der Forderung und die definitive
Rechtsöffnung führen kann. Es besteht daher auch aus dem Gesichtspunkt
der Prozessökonomie kein Grund, zwischen das Rechtsöffnungsverfahren, das
grundsätzlich nur 5 Tage dauern soll (Art. 84 SchKG), und den ordentlichen
Prozess ein zeitraubendes und mit Kosten verbundenes staatsrechtliches
Beschwerdeverfahren einzuschalten, es sei denn, der Entscheid über
die provisorische Rechtsöffnung habe für den Betroffenen einen nicht
wiedergutzumachenden Nachteil im Sinne von Art. 87 OG zur Folge.

    bb) In BGE 79 I 46 Erw. 3 wurde dargelegt, weshalb die Erteilung der
provisorischen Rechtsöffnung für den Schuldner keinen solchen Nachteil
zur Folge hat. Ferner wurde in BGE 79 I 153 Erw. 2 ausgeführt, dass
die mit der Verweigerung der provisorischen Rechtsöffnung verbundene
Verlängerung des Verfahrens so wenig wie die Vertauschung der Parteirollen
im ordentlichen Prozess einen nicht wiedergutzumachenden Nachteil für
den Gläubiger zur Folge hat. Offen gelassen wurde die Frage, ob ein
solcher Nachteil allenfalls im Verlust der Sicherungsmittel liegen
könnte, die Art. 83 Abs. 2 SchKG dem Gläubiger im Falle der Erteilung
der provisorischen Rechtsöffnung zur Verfügung stellt. Die Frage ist zu
verneinen. Die dem Gläubiger aus diesem Verlust keineswegs mit Sicherheit,
sondern nur möglicherweise erwachsenden Nachteile sind blosse Folgen der
Verlängerung des Vollstreckungsverfahrens und fallen als solche nicht unter
den Begriff der nicht wiedergutzumachenden Nachteile (vgl. BIRCHMEIER,
Handbuch des OG S. 356 unter lit. d). Jeder Forderungsprozess gegen
einen schlechten Schuldner schiebt den Zugriff des Gläubigers auf das
schuldnerische Vermögen hinaus, doch kann deshalb nicht gesagt werden, dass
Zwischenentscheide, die diesen Prozess verlängern (z.B. Beweisbeschlüsse),
für den Gläubiger einen nicht wiedergutzumachenden Nachteil im Sinne
des Art. 87 OG zur Folge haben. Auch die mit der Bewilligung der
Nachlassstundung verbundene Verzögerung der Vollstreckung kann dem
Gläubiger schaden, stellt aber, wie das Bundesgericht in den oben unter
aa) erwähnten Urteilen entschieden hat, keinen nicht wiedergutzumachenden
Nachteil dar. Ein solcher liegt daher auch nicht im Verlust der dem
Gläubiger im Falle der Erteilung der provisorischen Rechtsöffnung nach
Art. 83 Abs. 1 SchKG zustehenden Sicherungsmittel.

Entscheid:

Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Auf die Beschwerde wird nicht eingetreten.