Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 87 I 362



87 I 362

59. Auszug aus dem Urteil vom 17. Mai 1961 i.S. Staub gegen
Gesundheitsbehörde Wetzikon und Regierungsrat des Kantons Zürich. Regeste

    Eigentumsgarantie, Art. 4 BV.

    Die Abwehr übermässiger Immissionen ist auch Sache des öffentlichen
Rechts. Polizeilicher Schutz vor Ruhestörung und Geruchsbelästigung.

Sachverhalt

                       Aus dem Tatbestand:

    Staub betreibt in Wetzikon eine Schweinemästerei, in der er zwischen
80 und 125 Tiere hält. Das Grundstück, worauf der Stall steht, grenzt
an eine Primarschulanlage; rund 50 m vom Stall entfernt wird ein neues
Gewerbeschulhaus erstellt. Im näheren Umkreis finden sich ferner ein
Kindergarten, das alte Gewerbeschulhaus, das Verwaltungsgebäude der
Gemeindewerke sowie mehrere Wohnhäuser.

    Nachdem sich verschiedene Nachbarn über Belästigung durch üble Gerüche
und durch Lärm beklagt hatten, ordnete die Gesundheitsbehörde Wetzikon
die Schliessung der Mästerei an. Der Regierungsrat des Kantons Zürich
hat auf Rekurs hin diese Verfügung dem Grundsatze nach geschützt; er hat
jedoch auf Zusehen hin das Halten von höchstens zehn Schweinen gestattet.

    Staub führt gegen diesen Entscheid staatsrechtliche Beschwerde
wegen Verletzung der Eigentumsgarantie sowie der Art. 4 (und 31) BV. Das
Bundesgericht weist die Beschwerde ab, soweit es darauf eintritt.

Auszug aus den Erwägungen:

                       Aus den Erwägungen:

    Der Beschwerdeführer bestreitet mit Recht nicht mehr, dass die Abwehr
der in Art. 684 ZGB untersagten übermässigen Immissionen nicht nur eine
Sache des Privatrechts (Art. 679, 928 ZGB), sondern grundsätzlich auch eine
solche des öffentlichen Rechts ist (vgl. BGE 53 I 401; HAAB, N. 56, 67 zu
Art. 641, N. 3 zu Art. 684 ZGB; OFTINGER, Lärmbekämpfung als Aufgabe des
Rechts, S. 42 ff.; ders., ZSR 79 S. 656 a ff. und JT 1960 S. 474 ff.). In
diesem Sinne tritt § 168 des zürcherischen EG ZGB ein. Als Polizeibehörde
amtet dabei der Gemeinderat (§ 74 des Gemeindegesetzes) oder eine besondere
gemeindliche Kommission mit selbständigen Verwaltungsbefugnissen (§
56 dieses Gesetzes), wie hier die Gesundheitsbehörde.

    Der Beschwerdeführer macht geltend, nach § 168 EG ZGB dürfe die
Polizeibehörde nur einschreiten, wenn ein öffentliches Interesse
beeinträchtigt sei, nicht dagegen schon dann, wenn ein Nachbar sich
verletzt fühle; im vorliegenden Fall stehe das öffentliche Interesse nicht
im Spiele, weshalb § 168 EG ZGB nicht Platz greife. Diese Einwendung
betrifft die Auslegung und Anwendung kantonalen Gesetzesrechts, welche
das Bundesgericht nur unter dem beschränkten Gesichtswinkel der Willkür
und der rechtsungleichen Behandlung überprüft (BGE 77 I 218; 78 I 428;
79 I 228; 82 I 106 Erw. 2, 162 b; 84 I 173 Erw. 2). Der Beschwerdeführer
erhebt in diesem Zusammenhang weder die eine noch die andere Rüge. Von
Willkür kann in der Tat nicht die Rede sein.

    Gemäss § 168 EG ZGB kann "jemand", den die Eigentumsüberschreitung
eines Grundeigentümers geschädigt hat oder mit Schaden bedroht, zunächst
den Schutz der Polizeibehörde anrufen. Nach dem Wortlaut dieser Bestimmung
hat jedermann, der durch übermässige Immissionen verletzt oder gefährdet
ist, und sei es auch nur ein einzelner Nachbar, grundsätzlich Anspruch
auf polizeiliche Hilfe. Das entspricht denn auch Sinn und Wesen des
polizeilichen Immissionenschutzes. Erste Aufgabe der Polizei ist die
Aufrechterhaltung der öffentlichen Ruhe und Ordnung. Zum Bestand der
öffentlichen Ordnung aber gehören auch die Rechte, die dem Einzelnen als
Glied der Gemeinschaft im gesellschaftlichen Zusammenleben gewährleistet
sind, wie insbesondere der Schutz vor von aussen kommenden Ruhestörungen
(vgl. BGE 53 I 401; FLEINER, Institutionen, 8. Aufl., S. 398 N. 35;
OFTINGER, Lärmbekämpfung, S. 43/44, 53/54; ZR 24 Nr. 49 Erw. 2 = SJZ 20
S. 328 Nr. 67). Richtig ist, dass der polizeiliche Immissionenschutz sich
mittelbar auch zugunsten des Eigentums der einzelnen Nachbarn auswirkt;
eigentlicher Gegenstand des Schutzes ist jedoch die öffentliche Ordnung
(HAAB, N. 57 zu Art. 641, N. 3 zu Art. 684 ZGB). Die Polizei kann deshalb
nicht mit dem Einwand, sie dürfe ihren Arm nicht der Wahrung blosser
Privatinteressen leihen, von der Bekämpfung der gegen das öffentliche
Interesse verstossenden übermässigen Immissionen abgehalten werden (vgl.
nicht veröffentlichtes Urteil vom 8. Oktober 1952 i.S. Röthlin, Erw. 2).

    Werden die Polizeibehörden durch Anzeige oder auf Grund eigener
Wahrnehmung auf eine Eigentumsüberschreitung aufmerksam, so haben sie
nach pflichtgemässem Ermessen zu entscheiden, ob unter den gegebenen
Umständen ihr Eingreifen um der Erhaltung der öffentlichen Ordnung
willen gerechtfertigt sei (Zbl 1914 S. 227, 1923 S. 61; BAUHOFER, Zbl
1918 S. 48). Im vorliegenden Fall traf das klarerweise zu, und zwar nicht
nur, weil sich verschiedene Nachbarn über Geruchs- und Lärmbelästigungen
beklagt hatten, sondern auch, weil sich im Umkreis von hundert Metern
zwei Schulen sowie ein Kindergarten befinden und ein weiteres Schulhaus
vor der Ausführung steht.