Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 87 I 318



87 I 318

53. Urteil vom 15. September 1961 i.S. Hirt gegen
Schweiz. Eidgenossenschaft. Regeste

    Besoldung des Bundesbeamten: Teilweise Anrechnung einer Rente der
SUVA im Falle, wo der Beamte trotz des Unfalls in der Lage ist, seine
bisherige oder eine andere mindestens gleichwertige Stelle uneingeschränkt
zu versehen. Verbindlichkeit der neuen Verordnungsvorschrift, welche die
Anrechnung vorsieht. Verletzung eines wohlerworbenen Rechts?

Sachverhalt

    A.- Der Kläger Erwin Hirt ist Bundesbeamter. Er steht als technischer
Gehilfe I (17. Besoldungsklasse) im Dienste der Kriegstechnischen
Abteilung.

    Am 23. August 1957 erlitt er einen Betriebsunfall. Durch eine Explosion
wurden der Daumen, der Zeig-, der Mittel- und der Goldfinger seiner rechten
Hand verstümmelt; ferner wurde sein linkes Trommelfell durchlöchert,
so dass ein Gehörverlust geringen Grades entstand.

    Der Kläger hatte vor dem Unfall in der Abteilung Zündkapsellaborierung
gearbeitet. Nach dem Unfall wurde er auf sein Verlangen versetzt. Er
befasst sich heute mit der Lehrlingsausbildung und der Terminkontrolle. Auf
diesem nicht tiefer eingereihten Posten ist er unbeschränkt verwendbar.

    Die SUVA richtet ihm infolge des Unfalls seit 1. Dezember 1957 eine
Invalidenrente aus. Die Rente beträgt seit 1. Dezember 1959 Fr. 2'698.90
im Jahr (35% des anrechenbaren Verdienstes).

    Am 25. Februar 1960 verfügte die Direktion der Eidg. Militärverwaltung
gestützt auf Art. 57 der neuen Beamtenordnung I (BO I) vom 10. November
1959, dass mit Wirkung ab 1. März 1960 von der Invalidenrente jährlich
Fr. 771.10 (monatlich Fr. 64.25) auf die Besoldung des Klägers anzurechnen
seien.

    Der Kläger widersetzte sich der Anrechnung, doch wurde sie vom Eidg.
Militärdepartement bestätigt.

    B.- Mit verwaltungsrechtlicher Klage vom 15. Februar 1961 beantragt
Erwin Hirt, die Schweizerische Eidgenossenschaft sei zu verurteilen,
ihm die seit 1. März 1960 von der Besoldung durch teilweise Anrechnung
der SUVA- Rente abgezogenen Beträge nachzuzahlen und in Zukunft die volle
gesetzliche Besoldung auszurichten.

    Die Eidgenossenschaft schliesst auf Abweisung der Klage.

Auszug aus den Erwägungen:

              Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Art. 57 der BO I vom 10. November 1959 (AS 1959 S. 1132)
bestimmt in

    Abs. 1: "Hat der Beamte Anspruch auf Leistungen der Militärversicherung
oder der SUVA oder auf Fürsorgeleistungen des Bundes gemäss Artikel 62,
so sind sie gemäss den Absätzen 2 bis 6 auf seine Besoldung anzurechnen."

    Abs. 2: "Ist der Beamte trotz des schädigenden Ereignisses, für
das er Leistungen nach Absatz 1 bezieht, nach wie vor in der Lage, seine
bisherige oder eine andere mindestens gleichwertige Stelle uneingeschränkt
zu versehen und übersteigt seine Invalidität nicht 15 Prozent, so werden
ihm diese Leistungen in keinem Fall auf die Besoldung angerechnet. Bei
einer Invalidität von mehr als 15 Prozent wird dem Beamten zusätzlich
die Hälfte desjenigen Betrages überlassen, welcher der Leistung für die
15 Prozent übersteigende Invalidität entspricht. In Ausnahmefällen kann,
wo ganz besondere Verhältnisse vorliegen, die Anrechnung der Leistungen
auf die Besoldung ermässigt oder erhöht werden."

    Abs. 3: "Ist der Beamte nicht in der Lage, das von ihm besetzte
oder ihm neu zugewiesene Amt uneingeschränkt zu versehen, so sind die
Leistungen nach Absatz 1 unter Berücksichtigung aller die Arbeitsfähigkeit
beeinträchtigenden Faktoren im Ausmass der Verminderung der Arbeitsleistung
auf die Besoldung anzurechnen. Die Anrechnung unterbleibt, soweit infolge
des schädigenden Ereignisses die Besoldung herabgesetzt wurde oder
Besoldungserhöhungen ausbleiben, die in sicherer Aussicht gestanden haben."

    Die gegenüber dem Kläger verfügte und von ihm angefochtene Anrechnung
beruht auf der Ordnung, die in den zwei ersten Sätzen des Abs. 2 getroffen
ist, und steht im Einklang mit ihr, was er nicht bestreitet. Ein Grund,
gemäss dem letzten Satz dieses Absatzes die Anrechnung zu ermässigen
oder zu erhöhen, liegt jedenfalls zur Zeit nicht vor. Allerdings scheint
nicht völlig ausgeschlossen zu sein, dass der Kläger infolge des Unfalles
in den Beförderungsmöglichkeiten beeinträchtigt ist. Die Frage, ob ihm
deswegen die Rente in einem weiteren Umfange zu belassen sei, braucht
aber heute nicht erörtert zu werden. Sie wird sich erst in zwei Jahren
stellen, sofern eine Beförderung des Klägers bis dahin ausgeblieben
sein wird. Sie wird dann gegebenenfalls von der Verwaltung geprüft
werden (Eingabe des Personalamts vom 21. Juli 1961, Ziff. 5). Unter
den gegenwärtig vorliegenden Umständen darf angenommen werden, dass die
verfügte Anrechnung mit Art. 57 Abs. 2 BO I übereinstimmt.

Erwägung 2

    2.- Der Kläger wendet jedoch ein, der zweite Absatz des Art. 57 BO I
sei unverbindlich, weil er über den Umfang der dem Bundesrat in Art. 45
Abs. 6 des eidgenössischen Beamtengesetzes (BtG) erteilten Ermächtigung
hinausgehe und ausserdem gegen das Gebot der Rechtsgleichheit verstosse.

    Das Bundesgericht ist nicht nur an das Beamtengesetz gebunden (Art. 113
Abs. 3, Art. 114 bis Abs. 3 BV), sondern auch an Art. 57 BO I, soweit
er sich im Rahmen der Ermächtigung hält, die das Gesetz dem Bundesrat
gibt. Das Gericht kann die Vorschriften des Art. 57 BO I nur daraufhin
überprüfen, ob sie über diesen Rahmen hinausgehen (BGE 84 I 144; 85 I
177, 292 Erw. 4; 84 IV 75 Erw. II 1). Daher hat es nicht zu untersuchen,
ob Art. 57 Abs. 2 BO I auch dann, wenn er im Rahmen der gesetzlichen
Ermächtigung bleibt, gegen den Grundsatz der Rechtsgleichheit verstosse,
wie der Kläger behauptet. Auf diese Rüge ist nicht einzutreten. Zulässig
und zu prüfen ist dagegen der Einwand des Klägers, Art. 57 Abs. 2 BO I
sei durch Art. 45 Abs. 6 BtG nicht gedeckt.

Erwägung 3

    3.- a) Art. 45 BtG bestimmte im ursprünglichen Abs. 5 (Fassung vom
30. Juni 1927, BS 1 S. 504):

    "Muss dem Beamten wegen körperlicher oder geistiger Gebrechen,
besonders bei Abnahme der Hör- oder Sehschärfe, des Farbensinnes oder
der Marschtüchtigkeit, eine andere Tätigkeit zugewiesen werden, so hat
er bis zum Ablaufe der Amtsdauer Anspruch auf die bisherige Besoldung,
es sei denn, dass er die Gebrechen absichtlich oder grobfahrlässig
herbeigeführt hat. Immer hin sind Leistungen der Militärversicherung oder
der Unfallversicherungsanstalt in Luzern auf die Besoldung anzurechnen."

    Der letzte Satz wurde in der Novelle vom 24. Juni 1949 wie folgt neu
gefasst (AS 1949 S. 1724):

    "Immerhin können Leistungen der Militärversicherung oder der
Unfallversicherungsanstalt in Luzern ganz oder teilweise auf die Besoldung
angerechnet werden".

    Weitere Bestimmungen über die Anrechnung solcher
Versicherungsleistungen auf die Besoldung waren in den ersten Fassungen
des BtG nicht enthalten.

    Unter der Herrschaft dieser gesetzlichen Ordnung erhob sich die Frage,
ob die Anrechnung derartiger Leistungen auch dann zulässig sei, wenn der
Beamte trotz des schädigenden Ereignisses seine bisherige oder eine ihm
neu zugewiesene, mindestens gleichwertige Stelle uneingeschränkt versehen
kann. Das Bundesgericht nahm zunächst an, dass nach der eidgenössischen
Beamtengesetzgebung der Beamte sich Leistungen der Militärversicherung
und der SUVA grundsätzlich in allen Fällen auf die Besoldung anrechnen
lassen müsse (BGE 62 I 42; 78 I 182). Später entschied es dagegen, dass er
mangels einer abweichenden ausdrücklichen Anordnung des Gesetzes solange
Anspruch auf ungekürzte Ausrichtung des Gehaltes habe, als er die Aufgabe,
für die er besoldet wird, voll erfüllt (BGE 83 I 65 Erw. 3).

    Dieses Urteil führte dazu, dass anlässlich einer neuen Revision des
BtG die Frage der Anrechenbarkeit von Leistungen der Militärversicherung
und der SUVA auf die Besoldung einer umfassenden Überprüfung unterzogen
wurde. Es wurde erwogen, diese Frage im Gesetze selbst eingehend zu
regeln. Indessen erwies sich dieser Gedanke als undurchführbar, wie die
Botschaft des Bundesrates vom 22. April 1958 ausführt: "Weil jedoch bei der
Anrechnung auf die verschiedenartigsten Zusammenhänge Rücksicht genommen
werden muss, die das Gesetz nicht in allen Einzelheiten ordnen kann, so
auf die Art der Schädigung und damit verbundene finanzielle Nachteile,
auf die tatsächliche Beeinträchtigung im Erwerb und nicht zuletzt auf das
Aufbringen der Versicherungsprämien, empfiehlt die paritätische Kommission,
die Angelegenheit auf dem Verordnungswege regeln zu lassen. Der Entwurf
beschränkt sich demzufolge darauf, dem Bundesrat den entsprechenden
Auftrag zu erteilen" (BBl 1958 I S. 856). Daher wurde vorgeschlagen,
in Art. 45 BtG folgende neue Bestimmungen aufzunehmen:

    Abs. 5: "Muss dem Beamten wegen körperlicher oder geistiger Gebrechen,
besonders bei Abnahme der Hör- oder Sehschärfe, des Farbensinnes oder der
Marschtüchtigkeit eine andere Tätigkeit zugewiesen werden, so hat er vom
Eintreten der Gebrechen an für die Dauer von zwei Jahren Anspruch auf die
bisherige Besoldung, es sei denn, er habe die Gebrechen absichtlich oder
grobfahrlässig herbeigeführt."

    Abs. 6: "Über die Frage, in welchen Fällen und in welchem Umfange
Leistungen der Militärversicherung oder der Unfallversicherungsanstalt in
Luzern ganz oder teilweise auf die Besoldung angerechnet werden können,
erlässt der Bundesrat die nötigen Ausführungsbestimmungen."

    Dieser Text wurde zum Gesetz erhoben (Fassung vom 3. Oktober 1958,
AS 1959 S. 35). Gestützt auf den neuen Abs. 6 hat der Bundesrat in Art. 57
der BO I vom 10. November 1959 Ausführungsbestimmungen erlassen.

    b) Zur Begründung des Einwandes, dass Art. 57 Abs. 2 der neuen BO I
gesetzwidrig sei, macht der Kläger geltend, die in den neuen Absätzen 5
und 6 des Art. 45 BtG getroffene Regelung sehe gleich wie das alte Gesetz
die Anrechnung nur für den Fall vor, wo der Beamte infolge des Unfalles
ausserstande ist, die bisherige oder eine mindestens gleichwertige Stelle
uneingeschränkt zu versehen, dagegen nicht auch für den Fall, wo er dazu
nach wie vor imstande ist; die neue gesetzliche Ordnung unterscheide
sich von der früheren nur darin, dass sie den Bundesrat ermächtige, "die
Fälle zu regeln, die bis anhin der Praxis zu ordnen überlassen blieben".
"Während nämlich früher das Gesetz bei verminderter Leistungsfähigkeit
des Beamten eine Anrechnung der Leistungen der SUVA durch die Verwaltung
vorschrieb, sollte dies nach neuem Recht ein für alle Mal der Bundesrat
tun. Abs. 6 (neu) ist nichts anderes als die Fortsetzung von Abs. 5
(neu), und hätte gerade so gut in einem einzigen Absatz durchgeschrieben
werden können."

    Diese Auffassung ist unhaltbar. Die neue gesetzliche Ordnung hat nach
ihrem Wortlaut, ihrer Systematik und ihrem Werdegang offensichtlich
nicht den Sinn, den ihr der Kläger beilegen möchte. Die Schaffung
eines besonderen Absatzes 6 in Art. 45 BtG ist gewollt. Dieser Absatz
ermächtigt den Bundesrat allgemein, Ausführungsbestimmungen über die
Frage zu erlassen, in welchen Fällen und in welchem Umfange Leistungen der
Militärversicherung oder der SUVA ganz oder teilweise auf die Besoldung
angerechnet werden können. Die Ermächtigung ist nicht auf den besonderen
Fall beschränkt, den der vorhergehende Absatz 5 erfasst. Durch die
letzte Revision des Art. 45 BtG sollte weder die alte Praxis (BGE 62
I 42; 78 I 182) noch die neue (BGE 83 I 65 Erw. 3) bestätigt, sondern
eine einwandfreie gesetzliche Grundlage für eine umfassende Ordnung der
Frage der Anrechenbarkeit der Leistungen der Militärversicherung und der
SUVA geschaffen werden. Die Revision wurde ja gerade dadurch ausgelöst,
dass im zuletzt zitierten Urteil des Bundesgerichtes entschieden wurde,
die Anrechnung sei mangels einer gesetzlichen Grundlage nicht zulässig,
wenn der Beamte - wie hier der Kläger - die Aufgabe, für die er besoldet
wird, trotz des Unfalles uneingeschränkt zu erfüllen vermag. Art. 45
Abs. 6 BtG ermächtigt den Bundesrat, die Frage der Anrechnung auch für
diesen Fall zu ordnen.

    Diese Bestimmung beschränkt sich in materieller Beziehung darauf,
grundsätzlich die Möglichkeit der (ganzen oder teilweisen) Anrechnung
von Leistungen der Militärversicherung und der SUVA auf die Besoldung
vorzusehen; sie überlässt es dem Bundesrat, die Voraussetzungen und
den Umfang der Anrechnung in Ausführungsbestimmungen im einzelnen zu
ordnen, gewährt ihm also einen weiten Spielraum. Es ist klar, dass die
in Art. 57 Abs. 2 der neuen BO I getroffene Ordnung sich im Rahmen dieser
weitgespannten Ermächtigung hält.

Erwägung 4

    4.- Sodann wendet der Kläger ein, es gehe nicht an, dass der
Rentenanspruch, den er noch unter der alten Ordnung erworben habe, durch
Anwendung des Art. 57 der BO I vom 10. November 1959 geschmälert werde.
Er weist in diesem Zusammenhang auf Art. 83 Abs. 2 dieser Verordnung hin,
welcher dem Art. 57 Rückwirkung auf den 1. Januar 1959 verleiht, während
die meisten anderen Bestimmungen der Verordnung erst am 1. Dezember 1959
in Kraft getreten sind.

    Ob diese Rückwirkung zulässig sei oder nicht, braucht jedoch im
vorliegenden Fall nicht geprüft zu werden, da Art. 57 der neuen BO I auf
den Kläger erst ab 1. März 1960 angewendet worden ist und die Verwaltung
auf eine Anrechnung seiner Rente auf die Besoldung für die frühere Zeit
verzichtet hat.

    Indessen will der Kläger offenbar geltend machen, er besitze
ein wohlerworbenes Recht auf ungeschmälerten Bezug der ihm unter
der alten Ordnung zugesprochenen Rente. Dieser Einwand ist jedoch
unbegründet. Gekürzt wird nicht die Rente des Klägers, sondern im Hinblick
darauf seine Besoldung. Auf die Garantie der wohlerworbenen Rechte des
Beamten könnte der Kläger sich nur dann berufen, wenn der Kürzung der
Besoldung eine bestimmte im Gesetz selbst enthaltene oder individuell
abgegebene Zusicherung entgegenstände. Eine solche Zusicherung wird
aber vom Kläger nicht behauptet und ist auch nicht ersichtlich. Sein
Besoldungsanspruch richtet sich daher ausschliesslich nach dem jeweiligen
Stande der Gesetzgebung (BGE 83 I 65 Erw. 2). Entscheidend ist mithin, ob
die beanstandete Anrechnung der SUVA-Rente auf die Besoldung des Klägers
der heute geltenden gesetzlichen Ordnung entspricht. Diese Frage ist,
wie oben dargetan wurde, zu bejahen.

Entscheid:

Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die Klage wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.