Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 87 I 254



87 I 254

43. Auszug aus dem Urteil vom 11. Oktober 1961 i.S. Steiner gegen
Gemeinderat von Beinwil a.S und Regierungsrat des Kantons Aargau. Regeste

    Art. 4 BV. Baubewilligung; willkürliche Auslegung kantonaler Natur-
und Heimatschutzvorschriften.

Sachverhalt

                       Aus dem Tatbestand:

    A.- § 1 der aargauischen Verordnung über den Schutz des Hallwilersees
und seiner Ufer vom 27. Juli 1956 (VO) erklärt den Hallwilersee und
seine Ufer als geschütztes Gebiet. Das Schutzgebiet umfasst nach § 2
die Seefläche als Wasserzone, einen Uferstreifen, der das Sumpfgebiet am
Ausfluss des Aabachs und die Umgebung des Schlosses Hallwil mit umfasst,
als Sperrzone und die Hänge westlich und östlich des Sees als allgemeine
Schutzzone. In der Wasserzone und in der Sperrzone sind Bauten jeder Art
untersagt (§§ 3 und 5). In der allgemeinen Schutzzone werden Neu- und
Umbauten sowie andere das Landschaftsbild verändernde Massnahmen gemäss
§ 6 Abs. 1 bewilligt, soweit dieses nicht verunstaltet oder erheblich
beeinträchtigt wird. § 6 Abs. 3 sah vor, dass Ferienhäuser nur in den als
Ferienhauszone ausgeschiedenen Teilen der Schutzzone errichtet werden
durften. Diese Bestimmung ist indes vom Regierungsrat auf Grund eines
Beschwerdeentscheids des Bundesgerichts mit Beschluss vom 20. März 1959
aufgehoben worden.

    B.- Otto Steiner ist Eigentümer der Parzelle Nr. 389 in der
"Kalberweid", Gemeinde Beinwil a.S. Dieses Grundstück liegt ungefähr 50
m vom Seeufer entfernt in der allgemeinen Schutzzone; es grenzt seewärts
an die Sperrzone. Als Bestandteil der allgemeinen Schutzzone darf es
nach § 6 Abs. 1 VO überbaut werden, sofern das Landschaftsbild dadurch
nicht verunstaltet oder erheblich beeinträchtigt wird. Steiner reichte am
23. Dezember 1960 ein Baugesuch für ein Ferienhaus ein, das er auf seiner
Parzelle erstellen möchte. Der Gemeinderat von Beinwil a.S. verweigerte die
Baubewilligung mit der Begründung, das vorgesehene Haus sei ein moderner
Bau, der sich im dort noch unberührten Landschaftsbild unschön ausnehmen
und das Ufer verschandeln würde.

    Steiner führte dagegen Beschwerde. Der Regierungsrat hat diese am
14. April 1961 abgewiesen. Er hat dabei in Erwägung gezogen, der geplante
Bau halte sich nach Grösse und architektonischer Gestaltung im Rahmen
dessen, was für ein Ferienhaus angehe. An sich liesse sich die Verweigerung
der Baubewilligung daher kaum rechtfertigen. Wie aber der unter Beiziehung
von Vertretern des Heimatschutzes und der Seeuferschutzkommission (§ 9 VO)
durchgeführte Augenschein ergeben habe, würde das geplante Ferienhaus,
einmal ausgeführt, die an dieser Stelle besonders reizvolle Uferlandschaft
empfindlich beeinträchtigen, ja eigentlich verunstalten. Das Ufergebiet sei
nördlich und südlich der Bauparzelle auf mehrere hundert Meter gänzlich
frei von Wohn- und Ferienhäusern; am Seeufer stünden zwar noch einige
Bootsbaracken, die jedoch in absehbarer Zeit beseitigt würden. Ein
an diesem Orte erstelltes Ferienhaus wäre als vereinzelter Baukörper
von allen Seiten weithin sichtbar; er würde störend in Erscheinung
treten und die fast unberührte natürliche Schönheit des Ufergebiets
beidseits der Bauparzelle arg verunstalten. Der Gemeinderat habe bei
seinem Entscheid auch die weiteren Auswirkungen einer Bewilligung des
gestellten Baugesuchs berücksichtigen dürfen. Die Befürchtung sei nicht
unbegründet, dass die Erteilung der Baubewilligung einer allgemeinen
Überbauung der noch unberührten Uferlandschaft rufen würde, die dann
aus Gründen der rechtsgleichen Behandlung nicht mehr unter Berufung auf
das bisherige Landschaftsbild oder die Notwendigkeit einer organischen,
auf die bestehende Überbauung Rücksicht nehmenden baulichen Entwicklung
verhindert werden könnte; dem das Landschaftsbild verschandelnden Streubau
wäre schwerlich noch Einhalt zu gebieten. Auch aus diesem Grunde sei der
Entscheid des Gemeinderats zu schützen. Entgegen den Einwendungen des
Beschwerdeführers dürfe daraus nicht gefolgert werden, die Überbauung der
allgemeinen Schutzzone solle im Widerspruch zur VO schlechthin verhindert
werden; der angefochtene Entscheid könne und wolle nicht mehr besagen,
als dass das vorgelegte Bauprojekt den Anforderungen des § 6 VO nicht
entspreche.

    C.- Steiner hat diesen Entscheid mit staatsrechtlicher Beschwerde
wegen Verletzung des Art. 4 BV (und der Eigentumsgarantie) angefochten.

Auszug aus den Erwägungen:

                       Aus den Erwägungen:

    Der Regierungsrat hat die nachgesuchte Baubewilligung unter Berufung
auf § 6 Abs. 1 VO verweigert. Nach dieser Bestimmung sind in der
allgemeinen Schutzzone Bauten zulässig, sofern sie das Landschaftsbild
nicht verunstalten oder erheblich beeinträchtigen.

    Der Regierungsrat räumt ein, dass gegen die Grösse und die
architektonische Gestaltung des geplanten Baus "kaum Wesentliches"
einzuwenden sei, weshalb sich die Verweigerung der Baubewilligung in
dieser Hinsicht kaum rechtfertigen lasse. Er begründet die Annahme,
dass das Bauvorhaben zu einer Verunstaltung der Landschaft führen
würde, nicht etwa damit, dass das Ausmass oder die Form der geplanten
Baute, die Durchbildung der einzelnen Bauteile oder das zur Verwendung
gelangende Material sich nicht in das bestehende Landschaftsbild einfügen
würden; er betrachtet dieses vielmehr als gefährdet, weil das geplante
Ferienhaus als einziges Gebäude in der bisher noch unüberbauten Umgebung
zum Blickfang würde und es demzufolge die gerade in ihrer Natürlichkeit
begründete Schönheit des Ufergebiets erheblich beeinträchtigen würde. Die
Gefahr für das Landschaftsbild wird somit nicht in der Ausgestaltung
des konkreten Bauvorhabens erblickt, sondern darin, dass in diesem
noch unüberbauten Gebiet überhaupt gebaut wird. Wenn der Regierungsrat
weiter in Erwägung zieht, dass im Falle der Bewilligung des streitigen
Baugesuchs aus Gründen der rechtsgleichen Behandlung auch auf den andern
Parzellen dieses Gebiets Bauten zugelassen werden müssten, was es um
der Verhinderung einer unschönen Streubauweise willen zu vermeiden
gelte, so zeigt das eindeutig, dass die Überbauung dieses Ufergebiets
schlechthin unterbunden werden soll. Der Regierungsrat bestreitet das
zwar und führt aus, die Ablehnung des Baugesuchs könne und wolle nicht
mehr besagen, als dass das vorgelegte Projekt den Anforderungen des §
6 VO nicht entspreche. Das trifft indes nicht zu, da sich die Gründe,
die den Regierungsrat leiteten, auch gegen die Ausführung jedes andern
Bauvorhabens auf der in Frage stehenden Parzelle richten. Wie auch immer
das eingereichte Projekt abgeändert würde, würde der Regierungsrat sich
diesem mit den Argumenten widersetzen können, die ihn im vorliegenden
Fall zur Verweigerung der Baubewilligung geführt haben.

    Der Beschwerdeführer macht demnach mit Recht geltend, dass der
angefochtene Entscheid im Ergebnis auf ein vollständiges Bauverbot
hinausläuft. Ein solches findet in der VO keine Grundlage. Sie spricht zwar
für die Wasserzone (§ 3) und für die Sperrzone (§ 5) ein Bauverbot aus;
in der allgemeinen Schutzzone lässt sie dagegen Bauten grundsätzlich
zu, es sei denn, diese würden das Landschaftsbild verunstalten oder
erheblich beeinträchtigen. Wäre der Regierungsrat beim Erlass der VO
der Auffassung gewesen, auf der in Frage stehenden Parzelle wirke sich
schlechthin jede Baute verunstaltend aus, so hätte er dieses Gebiet der
Sperrzone zuteilen müssen. Mit der Zuweisung zur allgemeinen Schutzzone
hat er dagegen zu erkennen gegeben, dass sich die Parzelle grundsätzlich
zur Überbauung eignet. Ist er nachträglich zur gegenteiligen Ansicht
gelangt, so hat er die Zoneneinteilung des Schutzgebiets in entsprechender
Weise zu revidieren. Solange er dies nicht tut und das Grundstück
des Beschwerdeführers der allgemeinen Schutzzone zugeteilt bleibt,
hat der Regierungsrat die bestehende Ordnung zu wahren und die in §
6 Abs. 1 VO eingeräumte Überbauungsmöglichkeit offen zu halten. Legt
er diese Bestimmung in einer Weise aus, die praktisch jede Überbauung
verhindert, so läuft das dem Wortlaut und dem Sinne des § 6 VO klar
zuwider. Der angefochtene Entscheid ist insofern willkürlich und damit
verfassungswidrig; er ist deshalb aufzuheben.