Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 87 I 211



87 I 211

34. Urteil vom 24. Mai 1961 i.S. Kesselring gegen Vormundschaftsbehörde
der Stadt Luzern und Regierungsrat des Kantons Luzern. Regeste

    Art. 88 OG: Fehlen der Legitimation der ausserehelichen Mutter,
die Anordnung einer Vormundschaft über ihr aussereheliches Kind mit
staatsrechtlicher Beschwerde anzufechten.

Auszug aus den Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- Die Beschwerde richtet sich gegen den Entscheid des Regierungsrates
vom 5. Dezember 1960, mit dem unter Bestätigung eines Beschlusses des
Stadtrates von Luzern als Vormundschaftsbehörde über das 1959 geborene
aussereheliche Kind Walter Kesselring eine Vormundschaft angeordnet wurde,
weil eine vormundschaftliche Kontrolle der Pflege und Erziehung des Kindes,
das sich bei der Mutter aufhalte, notwendig sei, diese nicht das Vertrauen
verdiene, das Voraussetzung für die Einräumung der elterlichen Gewalt
über das aussereheliche Kind sein müsse.

    Es wird beantragt, den Entscheid des Regierungsrates aufzuheben,
weil die Nichteinräumung der elterlichen Gewalt an die Beschwerdeführerin
willkürlich sei und das Verbot rechtsungleicher Behandlung verletze.

Erwägung 2

    2.- Die Vorschriften des Zivilgesetzbuches über das aussereheliche
Kindesverhältnis geben weder dem Vater noch der Mutter des ausserehelichen
Kindes einen Anspruch auf Zuweisung der elterlichen Gewalt. Für den Fall
der Unterstellung des Kindes unter die Gewalt eines der Eltern steht
zwar dem andern Teil ein Recht auf angemessenen persönlichen Verkehr
zu (Art. 326 Abs. 1), wobei offen bleiben kann, ob die Verweigerung
des Rechtes ein den Eltern um ihrer selbst willen eingeräumtes Recht
verletzen würde. Nicht nur beim Entscheid darüber, sondern auch wenn die
Vormundschaftsbehörde die Gewalt einem Elternteil nicht zuweist, oder
ihm diese wieder entzieht, oder andere Massnahmen trifft, wie Einweisung
des Kindes in eine Familie, in ein Heim oder in eine Anstalt, muss das
leibliche und geistige Wohl des Kindes wegleitend sein. Wenn daher ein
Elternteil die Zuweisung der Gewalt an sich verlangt oder sich gegen deren
Entzug oder sonst gegen eine Massnahme der Behörde zur Wehr setzt, macht
er das Kindesinteresse geltend, verlangt er, dass die Vormundschaftsbehörde
keine Anordnung treffe, die nicht zum Wohl des Kindes gereiche. Die Behörde
ist (im Rahmen des ihr zukommenden Ermessens) frei, das Kind unter die
elterliche Gewalt des Vaters oder der Mutter zu stellen (Art. 324 Abs. 3),
und die Überschreitung oder der Missbrauch ihres Ermessens öffnet zwar
den Weg der vormundschaftlichen Aufsichtsbeschwerde (Art. 420). Diese
stellt jedoch kein Rechtsmittel dar, mit dem ein Elternteil ein eigenes
ihm zustehendes Recht, eine Befugnis, die sich aus der Persönlichkeit oder
aus den verwandtschaftlichen Beziehungen zum Kind ergeben würde, geltend
macht. Das allgemeine Interesse, das vom ZGB für das Verfahren vor der
Vormundschaftsbehörde als ausreichend anerkannt wird, genügt aber, wie
übrigens die II. Zivilabteilung als Staatsgerichtshof bereits wiederholt
festgestellt hat (Urteile vom 20. März 1947 i.S. Schulthess und vom 22.
Februar 1950 i.S. Graber) nicht für die Legitimation eines Elternteils
oder eines Dritten, Verwandten usw. zur staatsrechtlichen Beschwerde
gegen einen Entscheid der vormundschaftlichen Aufsichtsbehörde (Urteil vom
11. Februar 1959 i.S. Jäger). Es bedürfte hiefür einer Beeinträchtigung
von dem Beschwerdeführer unmittelbar zustehenden Rechten (Art. 88 OG).

    Die Beschwerde gegen die Anordnung der Vormundschaft über das Kind
Walter Kesselring ist somit mangels Legitimation der Beschwerdeführerin
unzulässig.