Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 87 IV 85



87 IV 85

19. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 15. September 1961
i.S. Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich gegen Schaller. Regeste

    Art. 217 Ziff. 1 Abs. 1 StGB.

    Unterhaltsverpflichtungen im Sinne dieser Bestimmung sind auch die vom
schuldigen Ehegatten nach Art. 151 Abs. 1 ZGB zu erbringenden Leistungen,
soweit sie eine Entschädigung für den ehelichen Unterhalt darstellen,
den der schuldlose Ehegatte durch die Scheidung verloren hat.

Auszug aus den Erwägungen:

              Der Kassationshof zieht in Erwägung:

Erwägung 2

    2.- Wie der Kassationshof bereits in BGE 69 IV 182
f. auseinandergesetzt hat, sind Unterhaltsverpflichtungen im Sinne von
Art. 217 StGB nicht nur die nach Art. 152 ZGB geschuldeten Beiträge,
sondern auch die vom schuldigen Ehegatten nach Art. 151 Abs. 1 ZGB zu
erbringenden Leistungen, soweit sie eine Entschädigung für den ehelichen
Unterhalt darstellen, den der schuldlose Ehegatte durch die Scheidung
verloren hat. Von dieser Praxis abzugehen, besteht entgegen der Auffassung
der Vorinstanz kein Anlass.

    a) In ständiger Rechtsprechung hat die II. Zivilabteilung des
Bundesgerichtes den Unterhaltsanspruch aus Eherecht den Vermögensrechten
des Art. 151 Abs. 1 ZGB zugezählt und den Verlust desselben durch Scheidung
der Ehe als Beeinträchtigung dieser Vermögensrechte betrachtet. Sie hat
sodann der zur vollständigen oder teilweisen Abgeltung eines solchen
Verlustes in Rentenform gesprochenen "Entschädigung" den Charakter einer
Unterhaltsrente zuerkannt und sie unter dieser Bezeichnung weitgehend
der Bedürftigkeitsrente des Art. 152 ZGB gleichgestellt (BGE 60 II 392,
71 II 10, Urteil vom 7. Juni 1956 i.S. B. gegen B., veröffentlicht in
ZR 1958 Nr. 107; vgl. auch BGE 80 II 189 und 84 II 416). Kommt aber
nach dem Gesagten der de schuldlosen Ehegatten als Ersatz für den
ehelichen Unterhalt zugesprochenen Entschädigungsrente die Funktion
einer Unterhaltsleistung zu, dann kann auch die dem schuldigen Ehegatten
obliegende Pflicht zu deren Bezahlung unbedenklich als Unterhaltspflicht
im Sinne von Art. 217 Ziff. 1 Abs. 1 StGB erachtet werden.

    b) Ausser Zweifel steht überdies der familienrechtliche Charakter der
Verpflichtung, wie er nach Art. 217 Ziff. 1 Abs. 1 StGB gefordert ist. Der
Anspruch des berechtigten Ehegatten stützt sich auf Art. 151 ZGB, also
auf eine Bestimmung des Familienrechtes, und die im Verlust des ehelichen
Unterhaltes liegende Beeinträchtigung von Vermögensrechten hebt sich als
Entschädigungsgrund von den Entschädigungsgründen des Obligationenrechts,
aus denen ebenfalls Rentenleistungen zugesprochen zu werden pflegen
(z.B. Art. 45 Abs. 3, 46 OR), deutlich dadurch ab, dass der schuldige
Ehegatte nach Art. 151 ZGB nicht, wie etwa der Schadenstifter nach Art. 41
OR, schlechthin zum Ersatz des Schadens verpflichtet ist, sondern nur eine
angemessene Entschädigung zu entrichten hat (vgl. das oben angeführte
Urteil vom 7. Juni 1956 i.S. B. gegen B.). Seine Verpflichtung, dem
schuldlosen Ehegatten als Ersatz für den durch die Scheidung verlorenen
Unterhalt eine Rente zu bezahlen, stellt denn auch nichts anderes als
eine Nachwirkung der aufgelösten Ehe dar.

    c) Die Auffassung der Vorinstanz, dass durch die Vernachlässigung einer
gemäss Art. 151 Abs. 1 ZGB statuierten Rentenverpflichtung der Tatbestand
des Art. 217 Ziff. 1 Abs. 1 StGB objektiv nicht erfüllt werden könne,
geht demnach fehl.