Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 87 IV 49



87 IV 49

13. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 7. Juli 1961
i.S. Y. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau. Regeste

    Art. 26, Art. 191 Ziff. 1 Abs. 1 und 2 StGB.

    1.  Begriff der besonderen persönlichen Verhältnisse. Frage, ob
Tatbestandsmerkmale davon auszunehmen und der Vorschrift des Art. 26
lediglich persönliche Umstände zu unterstellen seien, die jenseits der
besonderen gesetzlichen Tatbestandes liegen, offen gelassen (Erw. 2).

    2.  Die Mutter, welche zu Unzucht mit ihrem Kinde Hilfe leistet,
ist, wenn der Täter zum Opfer in keinem Vertrauens-, Autoritäts- oder
Abhängigkeitsverhältnis im Sinne des Art. 191 Ziff. 1 Abs. 2 StGB steht,
ihrerseits nicht nach dieser Bestimmung, sondern nach Art. 191 Ziff. 1
Abs. 1 in Verbindung mit Art. 25 StGB zu bestrafen (Erw. 3).

Sachverhalt

    A.- Im Jahre 1933 gebar Y. ausserehelich den Knaben A.  1939
verheiratete sie sich mit Z. Aus dieser Ehe entsprossen mehrere Kinder,
als letztes die Tochter B., die im April 1944 geboren wurde.

    In der Zeit von Januar bis Anfang März 1958 und von Februar 1959 bis
Ende Februar 1960 verkehrte A., der seit 1954 bei der Familie Z. lebte,
wiederholt geschlechtlich mit der noch nicht 16 Jahre alten B. Während
des letzten Monats Februar schliefen die beiden jede Nacht im gleichen
Bette. Als Frau Y. spätestens im Januar 1960 die blutschänderischen
Beziehungen ihrer Kinder entdeckte, schritt sie nicht etwa dagegen ein,
sondern ermahnte diese bloss, aufzupassen, damit die Schwester C. nichts
merke und es dem Vater melde.

    B.- Am 1. Februar 1961 sprach das Geschwornengericht des Kantons Aargau
Frau Y. der fortgesetzten Gehilfenschaft zu Unzucht mit dem eigenen Kinde
(Art. 191 Ziff. 1 Abs. 2 und Art. 25 StGB) schuldig. Es verurteilte sie
wegen dieses Verbrechens und anderer strafbarer Handlungen zu 15 Monaten
Zuchthaus. Obschon es den Täter A. bloss nach Art. 191 Ziff. 1 Abs. 1 StGB
bestrafte, wandte das Gericht Frau Y. gegenüber Abs. 2 dieser Bestimmung
an, weil zu den besonderen persönlichen Verhältnissen des Art. 26 StGB auch
die persönliche Beziehung des Täters bzw. des Gehilfen zum Opfer zähle.

    C.- Frau Y. führt gegen dieses Urteil Nichtigkeitsbeschwerde.

Auszug aus den Erwägungen:

Der Kassationshof zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Die Beschwerdeführerin bestreitet nicht, A. seit Anfang 1960
Gehilfenschaft zu Unzucht mit einem Kinde geleistet zu haben. Sie wirft
dem Geschwornengericht bloss vor, es habe Art. 26 StGB verletzt und zu
Unrecht Art. 191 Ziff. 1 Abs. 2 StGB angewendet.

Erwägung 2

    2.- Art. 24 und 25 StGB unterwerfen den Anstifter und den Gehilfen
grundsätzlich der Strafdrohung, die auf den Täter Anwendung findet. Art. 26
StGB schränkt diese Abhängigkeit der Teilnahme insoweit ein, als besondere
persönliche Verhältnisse, Eigenschaften und Umstände, die die Strafbarkeit
erhöhen, vermindern oder ausschliessen, bei dem Täter, dem Anstifter oder
dem Gehilfen zu berücksichtigen sind, bei dem sie vorliegen. Abwandlungen
des ordentlichen Strafrahmens der Haupttat sollen danach nur denjenigen
Beteiligten belasten oder entlasten, dessen eigenes Verschulden diese
besondere Behandlung verdient, mit anderen Worten, jeder an der Tat
Beteiligte soll nach Massgabe seiner eigenen Schuld und nicht nach
derjenigen der andern bestraft werden (HAEFIIGER, Die Berücksichtigung der
persönlichen Verhältnisse nach Art. 26 StGB, SJZ 1951 S. 372; PIOTET,
La participation aux délits spéciaux, S. 52 und JdT 1959 IV 130 ff.;
SCHULTZ, Teilnahme I, Juristische Kartothek, Karte 1189 S. 5).

    Die Anwendung dieses Grundsatzes ist nach Art. 26 StGB an bestimmte
Voraussetzungen gebunden. Danach kommen als erstes nur persönliche
Umstände in Betracht. Solche sachlicher Natur (z.B. geeignete
Vorkehren gegen die Lebensgefahr, Art. 131 Ziff. 2, der geringe Wert
der entwendeten, Art. 138, veruntreuten oder unterschlagenen Sache,
Art. 142, die Geringfügigkeit des Schadens, Art. 223 Ziff. 1 Abs. 2)
scheiden aus, weil sie nicht die Beschaffenheit des Täters kennzeichnen,
sondern die objektive Schwere der Tat verändern (BGE 81 IV 289) und
deshalb gleicherweise das Verschulden des Täters wie dasjenige des
Anstifters oder des Gehilfen beeinflussen. Im weiteren muss es sich
um besondere persönliche Verhältnisse handeln. Allgemeine persönliche
Umstände, wie z.B. der Vorsatz (Urteil des Kassationshofes vom 17. April
1959 i.S. Rusillon), sind unbeachtlich. Da schliesslich Art. 26 StGB
ausdrücklich bloss Verhältnisse, Eigenschaften und Umstände nennt,
die die Strafbarkeit erhöhen, vermindern oder ausschliessen, scheiden
auch strafbegründende Elemente (z.B. die Beamtenqualität nach Art. 313,
die Gewinnsucht im Falle des Art. 198 StGB) aus (HAEFIIGER, aaO S. 374;
PIOTET, Participation, S. 134 ff.; SCHULTZ, aaO S. 6).

    Entsprechend dieser Abgrenzung unterstellen herrschende Lehre und
Rechtsprechung der Vorschrift des Art. 26 StGB als besondere persönliche
Verhältnisse nicht bloss Umstände des allgemeinen Teils des StGB
(z.B. verminderte Zurechnungsfähigkeit, Rechtsirrtum, Rücktritt vom
Versuch, tätige Reue, mildernde Umstände nach Art. 64, Rückfall usw.),
sondern auch Merkmale der im besonderen Teil geregelten Straftatbestände
(z.B. entschuldbare heftige Gemütsbewegung, Art. 113, die Eigenschaft
der Täterin als Kindsmutter zur Zeit der Geburt, Art. 116, Gewinnsucht
in den Fällen der Art. 129 Abs. 2 und 159 Abs. 2, Gewerbsmässigkeit,
BGE 70 IV 125, usw.; vgl. GERMANN, Das Verbrechen, S. 203; HAFTER,
Allgemeiner Teil, S. 239; HAEFLIGER, aaO S. 372 ff.; LOGOZ, Kommentar,
Allgemeiner Teil, S. 109; PIOTET, Participation, S. 62/63; SCHULTZ,
aaO S. 5-7; SCHWANDER, Das Schweizerische Strafgesetzbuch, S. 112-114;
THORMANN/v. OVERBECK, Kommentar, Allgemeiner Teil, zu Art. 26). Das
hat zur Folge, dass inhaltsgleiche Tatbestandsmerkmale bald als solche
besonderer persönlicher Art der Bestimmung des Art. 26 StGB unterstellt,
bald als strafbegründende Umstände von dieser ausgenommen werden. So
gilt etwa die Gewinnsucht in den Fällen der Art. 129 Abs. 2 und Art. 159
Abs. 2 StGB nach der Lehre als strafbegründender persönlicher Umstand, der
nur demjenigen Beteiligten zuzurechnen ist, bei dem er vorliegt, während
umgekehrt im Tatbestand der Kuppelei (Art. 198 StGB) der Gewinnsucht der
Charakter eines strafbegründenden Elementes beigemessen wird, das nicht
nur den Täter, sondern ebensosehr den Anstifter und den Gehilfen belastet,
sofern es ihnen bekannt war und von ihrem Vorsatz mitumfasst wurde. Nicht
anders verhält es sich bei dem Tatbestandsmerkmal der Gewerbsmässigkeit
(vgl. Art. 137 Ziff. 2 einerseits und Art. 194 Abs. 2 anderseits).

    Diese ungleiche Behandlung ein und desselben Umstandes gibt zu
Zweifeln an der Richtigkeit der herrschenden Auffassung Anlass. Warum
beispielsweise die Gewinnsucht anderer Art sein sollte, je nachdem sie
Merkmal eines einfachen oder eines qualifizierten Tatbestandes bildet, ist
nicht ohne weiteres einzusehen, und ebenso erweckt jene unterschiedliche
Wertung des Tatbestandselementes der Gewerbsmässigkeit Bedenken, zumal
deren Begriff nach der Rechtsprechung für das gesamte gemeine Strafrecht
ein einheitlicher ist.

    Die ausdehnende Interpretation von Art. 26 StGB führt aber auch dann
nicht durchwegs zu überzeugenden Ergebnissen, wenn es um die Einordnung von
Tatbestandsmerkmalen in persönliche und sachliche Umstände geht. Wenn die
herrschende Lehre z.B. beim Tatbestand der Kindestötung (Art. 116 StGB)
die Eigenschaft der Täterin als Kindsmutter zur Zeit der Geburt den nach
Art. 26 StGB beachtlichen persönlichen Verhältnissen zurechnet (GERMANN,
aaO S. 229; HAEFLIGER, aaO S. 373; SCHULTZ, aaO S. 5; SCHWANDER, aaO S.
238) und daraus folgert, dass der Gehilfe nicht nach dieser Bestimmung,
sondern wegen Gehilfenschaft zu vorsätzlicher Tötung, Mord oder Totschlag
zu bestrafen sei, so mag das möglicherweise dem Willen des historischen
Gesetzgebers entsprechen (vgl. ZÜRCHER, Erläuterungen, S. 123). Zweifelhaft
erscheint dagegen diese Auffassung im Lichte des Schuldprinzips. Der
Gehilfe will im genannten Falle nicht die Tötung irgendeines Menschen durch
irgendeinen Täter und unter irgendwelchen Umständen fördern, sondern der
unter der Einwirkung des Geburtsvorganges stehenden Kindsmutter bei der
Tötung ihres Kindes beistehen. Darauf ist sein Vorsatz gerichtet, und das
müsste nach dem Grundsatz, dass der Gehilfe nur der Gehilfenschaft zu der
Tat schuldig sein kann, welche der Haupttäter nach dem Dafürhalten des
Gehilfen ausführte (SCHULTZ, Teilnahme III, Gehilfenschaft, Juristische
Kartothek, Karte 1191, S. 1 unten), zur Bestrafung wegen Gehilfenschaft
zu Kindestötung führen.

    Man kann sich daher fragen, ob es dem Sinn des Gesetzes nicht
besser entspräche, Tatbestandsmerkmale vom Begriff der besonderen
persönlichen Verhältnisse auszunehmen und Art. 26 StGB lediglich auf
persönliche Umstände anzuwenden, die jenseits des besonderen gesetzlichen
Tatbestandes liegen (z.B. verminderte Zurechnungsfähigkeit, mildernde
Umstände nach Art. 64, Rückfall usw.). Indessen braucht die Frage heute
nicht entschieden zu werden, weil die Beschwerde auch gutgeheissen werden
muss, wenn man nach den bisher angewandten Grundsätzen verfährt.

Erwägung 3

    3.- Da nach dem angefochtenen Urteil feststeht, dass einerseits Frau Y.
die Mutter des Opfers ist und dass anderseits zwischen dem Täter A. und
dem Kinde kein Vertrauens-, Autoritäts- oder Abhängigkeitsverhältnis im
Sinne des Art. 191 Ziff. 1 Abs. 2 StGB bestand, ist die Beschwerdeführerin
nur dann gemäss Art. 191 Ziff. 1 Abs. 2 StGB strafbar, wenn es sich bei
der dieser Bestimmung zugrunde liegenden Beziehung zwischen Täter und
Opfer um ein besonderes persönliches Verhältnis im Sinne von Art. 26
StGB handelt. Zum Wesen eines solchen Verhältnisses gehÖrt, wie bereits
festgestellt wurde, dass es die Besonderheit des Täters kennzeichnet. An
dieser Voraussetzung gebricht es hier. Zwar stellt jenes Vertrauens-
und Abhängigkeitsverhältnis nicht einen strafbegründenden Umstand dar,
wie beispielsweise die verwandtschaftliche Beziehung zwischen Täter und
Opfer bei der Blutschande; der Tatbestand des Art. 191 Ziff. 1 Abs. 2
StGB ist im Unterschied zu demjenigen des Art. 213 StGB ein sog. unechtes
Sonderdelikt und wie alle Delikte dieser Art bereits in seiner Grundform,
d.h. ohne das qualifizierende Moment strafbar (vgl. hiezu SCHWANDER,
aaO S. 113; PIOTET, Participation, S. 92). Dagegen geht dem genannten
Tatbestandsmerkmal der besondere persönliche Charakter im Sinne von
Art. 26 StGB deswegen ab, weil es ebenso an die Person des Opfers wie an
diejenige des Täters anknüpft, unmittelbar aber weder auf die eine noch
auf die andere Bezug hat, sondern die zwischen den beiden bestehende
Beziehung betrifft. Als solches stellt es einenUmstand dar, der die
objektive Schwere der Tat verändert, also sachlicher Natur ist und daher
nach der herrschenden Lehre und der Rechtsprechung aus dem Rahmen des
Art. 26 StGB fällt. Die Beschwerdeführerin hätte daher gemäss Art. 191
Ziff. 1 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 25 StGB und nicht nach Abs. 2 der
erstgenannten Bestimmung bestraft werden sollen. Denn nach dem Grundsatz
der Akzessorietät der Teilnahme ist selbst der qualifizierte Gehilfe nur
nach Art. 191 Ziff. 1 Abs. 1 zu verurteilen, wenn der Täter seinerseits
bloss unter diese Strafdrohung fällt. Die Kehrseite dieser Lösung ist
allerdings die, dass umgekehrt ein Gehilfe, der zum Opfer selber in keinem
Vertrauens- oder Abhängigkeitsverhältnis im Sinne des Art. 191 Ziff. 1
Abs. 2 StGB steht, nach dieser Bestimmung zu bestrafen ist, wenn deren
Voraussetzungen im Verhältnis des Täters zum Kinde erfüllt sind. Diese
Unstimmigkeit liegt indessen in der Natur der Sache begründet und ist
jedenfalls nicht so stossend, wie es eine Verurteilung des Gehilfen
nach Abs. 2 bei gleichzeitiger Bestrafung des Täters nach Abs. 1 des
Art. 191 Ziff. 1 StGB wäre. Zudem tritt jene Folge ja nur ein, wenn der
Gehilfe um das zwischen dem Täter und dem Opfer bestehende Vertrauens-
oder Abhängigkeitsverhältnis wusste und es in seinen Vorsatz miteinschloss.