Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 87 IV 23



87 IV 23

7. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 7. März 1961 i.S. Dürig
gegen Generalprokurator des Kantons Bern. Regeste

    Art. 26 Abs. 1 MFG. Auf breiten Strassen darf die Strassenmitte nur
benützt werden, wenn die Strecke vollständig frei und übersichtlich ist.

Sachverhalt

                       Aus dem Tatbestand:

    Dürig lenkte am 25. Oktober 1959 nach Einbruch der Dunkelheit ein
Personenauto auf der geraden, 6,2 m breiten Hauptstrasse, die zwischen
Jegenstorf und Grafenried durch den Hambühlwald führt. Er benützte bei
einer Geschwindigkeit von 60 km/Std. die Strassenmitte, indem sein 1,64 m
breites Fahrzeug 70 cm links der Leitlinie fuhr. Wegen eines andern Wagens,
der 100 bis 200 m vor ihm in der gleichen Richtung rollte, hatte er seine
Scheinwerfer abgeblendet, die eine Strecke von 35 m erhellten. Plötzlich
tauchte in einer Entfernung von 30-35 m ein entgegenkommender Roller auf,
der in der ihm zukommenden Strassenhälfte, aber unweit der Leitlinie
entlang fuhr und dessen Licht infolge eines technischen Fehlers erst in
diesem Augenblick wieder zu leuchten begann. Dürig konnte den Zusammenstoss
mit dem Rollerfahrer, der während der Anfahrt offenbar mit der Behebung
des Scheinwerferdefektes beschäftigt war, nicht verhindern.

    Das Obergericht des Kantons Bern warf Dürig unter anderem vor, er habe
pflichtwidrig die Strassenmitte überfahren. Die Nichtigkeitsbeschwerde
des Verurteilten wurde in diesem Punkt abgewiesen.

Auszug aus den Erwägungen:

                           Erwägungen:

    Das Gebot des Rechtsfahrens (Art. 26 Abs. 1 MFG) gilt nach der
Rechtsprechung nicht absolut. Wo nicht besondere Verhältnisse vorliegen,
die das Fahren am äussersten Strassenrand erfordern (vgl. BGE 81 IV 172),
darf der Motorfahrzeugführer im eigenen Interesse und mit Rücksicht auf
allenfalls plötzlich auftauchende Fussgänger oder Radfahrer einen den
örtlichen Verhältnissen angemessenen Abstand vom rechten Strassenrand
einhalten. Auf Strassen, die breit genug sind, muss aber nach der Regel
des Art. 26 Abs. 1 grundsätzlich innerhalb der rechten Strassenhälfte
gefahren und die linke Hälfte für den Gegenverkehr frei gehalten werden;
die Strassenmitte darf in solchen Fällen nur benützt werden, wenn die
Strecke vollständig frei und übersichtlich ist (BGE 76 IV 61, 77 II 258,
79 IV 71).

    Der Beschwerdeführer war weder genötigt noch berechtigt, die
Strassenmitte zu benutzen. Die asphaltierte Strasse war genügend breit
und ihre Beschaffenheit hinreichend gut, um ohne Schwierigkeit in der
rechten Hälfte fahren zu können. Hätte der Beschwerdeführer mit seinem
Fahrzeug nahe an die Leitlinie gehalten, so wären zu seiner Rechten immer
noch mindestens 1,40 m offen geblieben. Diesen Abstand durch Überfahren
der Strassenmitte auf 2,16 m zu verbreitern, wie es der Beschwerdeführer
getan hat, war bei den gegebenen Sichtverhältnissen unstatthaft. Der
Beschwerdeführer hätte sich darüber Rechenschaft geben müssen, dass
er in der Dunkelheit, jedenfalls bei abgeblendetem Licht und hinter
einem vorausfahrenden Wagen nur eine beschränkte Übersicht über die zu
befahrende Strecke hatte und dass nicht bloss am rechten Strassenrand,
sondern auch in der linken Strassenhälfte unvermutet Hindernisse auftauchen
konnten. Unter solchen Umständen geht die Erfüllung der gesetzlichen
Pflicht, die dem Gegenverkehr vorbehaltene Fahrbahn frei zu lassen, dem
Bedürfnis, auf der rechten Seite gegen Überraschungen möglichst gesichert
zu sein, vor. Der Beschwerdeführer hätte nötigenfalls die Scheinwerfer
auf Vollicht einschalten oder die Geschwindigkeit herabsetzen können,
wenn ihm ein Abstand von 1,40 m zum rechten Strassenrand ungenügend
erschien. Auch der bei der Unfallstelle am rechten Strassenrand befindliche
Abstellplatz vermag die Abweichung von der Regel des Art. 26 Abs. 1 nicht
zu rechtfertigen; der Beschwerdeführer war gegenüber allfälligen aus
diesem Platz ausfahrenden Fahrzeugen vortrittsberechtigt, und er durfte
sich darauf verlassen, dass deren Führer die zu ihrem Schutze notwendige
Vorsicht walten lassen (BGE 83 IV 34, 84 IV 109).