Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 87 IV 21



87 IV 21

6. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 21. Mai 1961
i.S. Büecheler gegen Generalprokurator des Kantons Bern. Regeste

    Ist auf den Fall des im sog. Ehrennotstand abgelegten falschen
Zeugnisses neben Art. 308 Abs. 2 auch Art. 34 StGB anwendbar?

Auszug aus den Erwägungen:

              Der Kassationshof zieht in Erwägung:

    Der Beschwerdeführer bestreitet nicht, dass die Vorinstanz Art. 308
Abs. 2 StGB zu Recht angewendet hat und dass sie nach dieser Bestimmung
die Strafe bloss mildern, nicht aber von einer Bestrafung überhaupt Umgang
nehmen konnte. Er macht dagegen geltend, das Obergericht hätte neben
Art. 308 Abs. 2 StGB auch Art. 34 StGB anwenden und ihn wegen Notstandes
straflos erklären sollen.

    Dem kann nicht beigepflichtet werden. Art. 308 Abs. 2 StGB ist im
Verhältnis zur allgemeinen Bestimmung des Art. 34 StGB eine Sondernorm,
die dieser vorgeht und ihre Anwendung auf den Fall des falschen
Zeugnisses insoweit ausschliesst, als sich die Zwangslage des Zeugen
im sog. Ehrennotstand (vgl. BGE 73 IV 245, 81 IV 40) erschöpft. Das
erhellt schon aus der systematischen Einordnung der Vorschrift unter die
Bestimmungen des Besonderen Teils des Gesetzes und ergibt sich überdies
aus ihrer Entwicklungsgeschichte. Bereits der Vorentwurf von 1908 sah
im letzten Absatz des Art. 216 Strafmilderung nach freiem Ermessen vor,
wenn der Zeuge falsch aussagte, um sich oder eine ihm nahestehende
Person von Strafe oder Schande zu bewahren. Die Bestimmung wurde dann
allerdings von der II. Expertenkommission gestrichen, weil der hier
privilegierte Fall in der Regel unter dem Gesichtspunkt der schweren
Bedrängnis oder der achtungswerten Beweggründe (Art. 64 StGB) strafmildernd
beurteilt werden könne und sich der Zeuge bei der zumeist bestehenden
Möglichkeit der Zeugnisverweigerung selbst genügend zu schützen vermöge
(Prot. II. Exp. Komm. V S. 282/3, 289/90 Votum Thormann). Offenbar aus
der Überlegung heraus, dass die Besonderheit der Lage, in der sich der
Zeuge in solchen Fällen befindet, unter Umständen eine über den Rahmen
von Art. 64/65 StGB hinausgehende Rücksicht verdient, zumal auch die
Möglichkeit, die Aussage zu verweigern, dem Zeugen nicht durchwegs
einen zureichenden Schutz bietet (s. StenBull NatR 1929, S. 607 Votum
Farbstein), nahmen jedoch die eidgenössischen Räte die im Vorentwurf
enthaltene Bestimmung in abgeänderter Fassung wiederum in den Gesetzestext
auf. Im Vordergrund der Beratung stand dabei die Frage, ob dem Umstand,
dass der Täter befürchten musste, durch die wahre Aussage sich oder
seine Angehörigen der Gefahr strafrechtlicher Verfolgung auszusetzen,
im Sinne eines Strafaufhebungsgrundes Rechnung zu tragen sei oder
ob blosse Strafmilderung einzutreten habe. Der Nationalrat, dem sich
der Ständerat hierin vorbehaltlos anschloss, entschied sich für den
Grundsatz, dass niemand als Zeuge ungestraft falsch aussagen dürfe, dass
aber der Richter die Strafe nach freiem Ermessen mildern könne, wenn der
Täter zur eigenen Begünstigung oder zur Begünstigung seiner Angehörigen
falsches Zeugnis ablegte (StenBull NatR 1929, S. 604-607 und 610; StR
1931, S. 669-670). Damit hat der Gesetzgeber für den Aussagenotstand des
Zeugen in Art. 308 Abs. 2 StGB bewusst eine Sonderordnung geschaffen,
die für eine gleichzeitige Anwendung von Art. 34 StGB keinen Raum lässt.

    Dass die Vorinstanz bloss die Strafe nach Massgabe von Art. 308 Abs. 2
StGB milderte, entsprach somit dem Sinn des Gesetzes und wird daher vom
Beschwerdeführer zu Unrecht als Verletzung eidgenössischen Rechtes gerügt.