Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 87 IV 155



87 IV 155

37. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 27. Oktober 1961
i.S. B. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Luzern. Regeste

    Art. 21, 118 StGB. Die Schwangere tut den letzten entscheidenden
Schritt zum Erfolg, wenn sie mit dem Entschlusse, sich der Leibesfrucht
zu entledigen, den Arzt aufsucht, die Verwirklichung ihrer Absicht aber
daran scheitert, dass dieser den Eingriff verweigert.

Sachverhalt

Auszug aus den Erwägungen:

                       Aus den Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- Versuch setzt nach Art. 21 Abs. 1 StGB voraus, dass der Täter
mit der Ausführung eines Verbrechens oder Vergehens begonnen hat. Dabei
zählt zur Ausführung schon jede Tätigkeit, welche nach dem Plan, den sich
der Täter gemacht hat, auf dem Weg zum Erfolg den letzten entscheidenden
Schritt darstellt, von dem in der Regel nicht mehr zurückgetreten wird,
es sei denn wegen äusserer Umstände, die eine Weiterverfolgung der
Absicht erschweren oder verunmöglichen (BGE 83 IV 144 f.; 80 IV 178 und
dort zitierte Urteile). Ob die Schwelle der straflosen Vorbereitung nach
der Vorstellung des Täters überschritten ist oder nicht, entscheidet der
Richter nach der Persönlichkeit des Täters und den Umständen des einzelnen
Falles (BGE 83 IV 145).

Erwägung 2

    2.- Was Pia X. unternahm, um die Schwangerschaft zu beseitigen,
gehörte im Sinne dieser Rechtsprechung zur Ausführung des Vergehens des
Art. 118 StGB.

    Nachdem sie von Dr. M. wusste, dass sie schwanger war, händigte sie
B. den Rest ihres Geldes aus, damit dieser von einem Dritten die Adresse
eines Arztes, der Abtreibungen vornehme, in Erfahrung bringen konnte. Als
es soweit war, liess sie sich zum gesuchten Arzt nach Zürich führen und
stellte sich diesem zur Vornahme des Eingriffes. Es ging ihr weder um
blosses Ratsuchen noch allein darum, sich von einem zweiten Arzt auf eine
allfällige Schwangerschaft untersuchen zu lassen; was sie dem Arzt zu sagen
hatte, war nach ihren eigenen Aussagen vielmehr dahin zu verstehen, "das
Kind müsse weg". Daraus geht aber hervor, dass sie entschlossen war, sich
ihre Frucht abtreiben zu lassen. Wenn ihr Vorhaben scheiterte, so lag dies
nicht in ihrem Willen, sondern war ausschliesslich einem äussern Umstande,
nämlich der Weigerung des Arztes, den Eingriff vorzunehmen, zuzuschreiben.

    In BGE 74 IV 134 ist zwar ausgeführt worden, auch wenn die Schwangere
fest entschlossen gewesen sein möge, die Leibesfrucht abtreiben zu
lassen, so könne doch nicht gesagt werden, dass es für eine Frau, die
sich mit einem solchen Entschluss erstmals in der Wohnung eines Arztes
oder bei einer andern ihr nicht bekannten Person meldet, normalerweise
kein Zurück mehr gebe; selbst für den Fall, dass die angegangene Person
grundsätzlich gegenüber jedermann zur Begehung des Verbrechens bereit sei,
werde der ersten Fühlungnahme die Abtreibung in der Regel nicht auf dem
Fusse folgen, sondern zuerst Zeit und Ort der Tat vereinbart werden,
sodass der Schwangeren genügend Musse bleibe, auf ihren Entschluss
zurückzukommen. Den letzten entscheidenden Schritt tue sie somit erst,
wenn sie unter Umständen, die eine ungehinderte und ununterbrochene
Verwirklichung ihrer Absicht voraussehen liessen, sich dem Abtreiber zur
Vornahme des verbrecherischen Eingriffes stelle.

    An dieser Auffassung kann nach den hiervor angeführten Kriterien des
strafbaren Versuchs nicht ohne Einschränkung festgehalten werden. Denn
wenn sich die Schwangere zur Abtreibung entschlossen hat und mit diesem
Entschlusse zwecks Vornahme des Eingriffes den Arzt oder eine andere ihr
hiefür genannte Person aufsucht, so steht sie normalerweise nicht mehr aus
eigenem Antrieb von ihrem Vorhaben ab; vielmehr kann dieses nur noch durch
äussere Hindernisse oder Schwierigkeiten in Frage gestellt werden. Ein
bloss äusserer Umstand ist es aber, wenn sich die angegangene Person zum
Eingriff nicht bereit findet, sei es, dass sie ihn überhaupt ablehnt,
sei es, dass sie ihn nicht ohne weiteres und unverzüglich vornehmen
will. Indem sich die Schwangere zum Abtreiber begibt, um sich der
Leibesfrucht zu entledigen, tut sie, besondere Verhältnisse vorbehalten,
den nach ihrer Vorstellung letzten entscheidenden Schritt zum Erfolg; die
Schwelle der Wohnung oder des Besuchsraumes des Abtreibers ist in diesem
Fall für sie zugleich die Schwelle von der Vorbereitung zur Ausführung
der Straftat. So war es auch hier, als sich Pia X. zu Dr. F. in Zürich
führen liess, damit er ihr die Frucht abtreibe; die Verwirklichung ihrer
Absicht ist nur daran gescheitert, dass Dr. F. den Eingriff verweigerte.