Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 87 IV 144



87 IV 144

34. Auszug aus dem Entscheid der Anklagekammer vom 17. Oktober 1961
i.S. Steiger gegen Amtsstatthalteramt Luzern-Stadt und Staatsanwaltschaft
des Kantons Aargau. Regeste

    Art. 264 BStP. Im Verfahren zur Bestimmung des Gerichtsstandes finden
hinsichtlich der Gerichtskosten die Bestimmungen des Organisationsgesetzes,
insbesondere Art. 153 und 156, Anwendung.

Auszug aus den Erwägungen:

    Nach Art. 149 des Bundesgesetzes über die Organisation der
Bundesrechtspflege finden die Vorschriften dieses Gesetzes über die
Gerichtskosten nur Anwendung auf die Zivil-, Staats-, Verwaltungs- und
Disziplinarrechtspflege, während in Strafsachen die Bestimmungen des
Bundesgesetzes über die Bundesstrafrechtspflege massgebend sind. Letztere
regeln die Kostenauflage im Strafverfahren vor den eidgenössischen
Strafgerichten (Art. 219 Abs. 3, 228, 245 BStP) und diejenige im
Beschwerdeverfahren vor dem Kassationshof des Bundesgerichtes (Art. 278
BStP). Für das in Art. 264 BStP zur Bestimmung des interkantonalen
Gerichtsstandes vorgesehene Verfahren vor der Anklagekammer des
Bundesgerichtes wird jedoch die Frage der Kosten in keinem der beiden
Gesetze ausdrücklich geordnet.

    Diese Lücke ist nicht zufällig. Als anlässlich der Revision von
1934 die Gerichtsstandsbestimmungen des Entwurfes zum eidgenössischen
Strafgesetzbuch in das Gesetz über die Bundesstrafrechtspflege
aufgenommen wurden, übertrug der Gesetzgeber gleichzeitig die Kompetenz
zur Entscheidung von Gerichtsstandskonflikten in Bundesstrafsachen
der Anklagekammer des Bundesgerichtes (Art. 260-264 in der Fassung vom
15. Juni 1934). Zweck dieser Neuerung war, das Verfahren zur Beilegung
solcher Gerichtsstandsstreitigkeiten gegenüber dem bisher erforderlichen
Weg des staatsrechtlichen Rekurses einfacher und rascher zu gestalten
(Botschaft des Bundesrates vom 10. September 1929, Votum Stämpfli
in der ständerätlichen Kommission vom 18. Oktober 1932). Darauf ist
zurückzuführen, dass die Kostenfrage in den Gesetzesberatungen übergangen
wurde, wie überhaupt die Aufstellung von Verfahrensvorschriften bewusst
abgelehnt wurde in der Meinung, dass die Regelung des Verfahrens ganz
der Rechtsprechung der Anklagekammer überlassen bleibe (Protokoll der
Expertenkommission vom 26. August 1927; BGE 74 IV 190 in fine).

    Die Anklagekammer hat, freilich ohne dafür eine nähere Begründung zu
geben, von jeher die Kostenbestimmungen des OG, insbesondere Art. 153
und 156, als anwendbar erklärt (vgl. BGE 74 IV 191, 86 IV 195 Erw. 3,
87 IV 48). Diese Lösung war gegeben, nicht nur, weil die Anklagekammer
in der Beurteilung von Gerichtsstandsstreitigkeiten in Bundesstrafsachen
an die Stelle der staatsrechtlichen Abteilung getreten ist (vgl. BGE 41 I
306, 44 I 80, 47 I 83, 57 I 194), sondern namentlich aus der Überlegung,
dass Streitigkeiten zwischen Kantonen über den bundesrechtlichen
Gerichtsstand, welcher der Abgrenzung der Gerichtshoheit der Kantone
dient, staatsrechtliche sind, gleichgültig, welcher Art das materielle
Recht ist, das der zuständige Sachrichter anzuwenden hat (Art. 84
Abs. 1 lit. d OG). Daran ändert nichts, dass die staatsrechtliche
Beschwerde gemäss Art. 84 Abs. 2 OG subsidiäres Rechtsmittel ist;
solange die Anklagekammer nach Art. 264 BStP angerufen werden kann, ist
übrigens jedes andere eidgenössische Rechtsmittel gegen die Verletzung
bundesrechtlicher Zuständigkeitsvorschriften in Strafsachen ausgeschlossen
(BGE 73 IV 54, 76 IV 114, 80 I 265). Gerichtsstandskonflikte gemäss
Art. 351 StGB und Art. 262 ff. BStP sind somit ihrer Natur nach nicht
Strafsachen im Sinne von Art. 149 OG. Die Vorschriften des BStP über
die Prozesskosten sind zudem auf die Bedürfnisse des Strafprozesses
zugeschnitten, und auch deswegen wären die Bestimmungen des OG, welche
dem Charakter der Gerichtsstandsstreitigkeiten besser Rechnung tragen,
vorzuziehen. Mit der Frage des interkantonalen Gerichtsstandes müssen
sich die Strafverfolgungsbehörden von Amtes wegen befassen, wobei sie
Vermögensinteressen regelmässig nicht zu wahren haben. Hiezu kommt, dass
die örtliche Zuständigkeit nicht bloss oft zweifelhaft ist, sondern von der
Anklagekammer auch anders als nach den gesetzlichen Vorschriften bestimmt
werden kann. Es ist deshalb angebracht, der unterliegenden Partei in der
Regel keine Kosten aufzuerlegen (Art. 156 Abs. 2, Art. 154 Abs. 2 OG),
es sei denn, die Anrufung der Anklagekammer erfolge missbräuchlich.