Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 87 IV 122



87 IV 122

29. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 27. Oktober 1961
i.S. Staatsanwaltschaft des Kantons Solothurn gegen X. Regeste

    Art. 191 Ziff. 1 StGB. Das blosse Aneinanderreiben der männlichen
Geschlechtsteile ist keine beischlafsähnliche, sondern eine "andere
unzüchtige Handlung" im Sinne des Art. 191 Ziff. 2 StGB.

Sachverhalt

    A.- X., der homosexuell veranlagt ist, nahm im Jahre 1960 an Lehrlingen
seiner Arbeitgeberfirma wiederholt unzüchtige Handlungen vor. Als seine
Frau in den Sommerferien weilte, bat X. den damals noch nicht sechszehn
Jahre alten Y., ihm daheim bei Hausarbeiten behilflich zu sein. Zuhause
sprach er mit dem Lehrling über den Geschlechtsverkehr und die Onanie,
zeigte ihm ein illustriertes Buch über das Geschlechtsleben und gab ihm ein
unzüchtiges Schriftstück zu lesen. Auch griff er Y. über den Kleidern an
den Geschlechtsteil. Hierauf führte er den Lehrling von der Wohnstube in
ein Nebenzimmer, wo X. seinen Geschlechtsteil an demjenigen des Y. rieb,
bis es bei beiden zum Samenerguss kam.

    B.- Am 28. Januar 1961 erklärte das Obergericht des Kantons Solothurn
X. wegen dieser Handlung der Unzucht im Sinne des Art. 191 Ziff. 2
Abs. 1 StGB schuldig und verurteilte ihn wegen dieser und anderer
Straftaten zu sechszehn Monaten Gefängnis. Zum Falle Y. führte es aus,
beischlafsähnliche Handlungen im Sinne von Art. 191 Ziff. 1 StGB setzten
nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts voraus, dass der männliche
Täter sein Glied mit dem Körper des Kindes in so enge Berührung bringe,
dass die Vereinigung an Innigkeit derjenigen beim natürlichen Beischlaf
ähnlich sei. Eine derart innige körperliche Vereinigung habe zwischen
X. und Y. nicht stattgefunden; was sich zwischen ihnen abgespielt habe,
komme gegenseitiger Onanie gleich, die zu den "andern unzüchtigen
Handlungen" im Sinne von Art. 191 Ziff. 2 StGB zu zählen sei.

    C.- Die Staatsanwaltschaft des Kantons Solothurn führt
Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das Urteil des Obergerichtes
mit Bezug auf den Fall Y. aufzuheben und die Sache zur Bestrafung nach
Art. 191 Ziff. 1 StGB zurückzuweisen.

    D.- X. beantragt Abweisung der Beschwerde.

Auszug aus den Erwägungen:

              Der Kassationshof zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- (Gekürzt.) Die Unzuchtshandlungen, welche nach der Rechtsprechung
des Kassationshofes als beischlafsähnlich im Sinne des Art. 191 Ziff. 1
StGB aufzufassen sind, zeichnen sich alle dadurch aus, dass der Täter
entweder sein Glied mit dem Körper des Kindes (BGE 71 IV 191; 75 IV 165;
76 IV 108, 236) oder seinen Mund mit dem Geschlechtsteil des Kindes (BGE
80 IV 173; 84 IV 101) in so enge Berührung bringt, dass die Vereinigung an
Innigkeit derjenigen beim natürlichen Beischlaf ähnlich ist und auch in
den Wirkungen, die sie auf das Seelenleben und die sittliche Entwicklung
des Kindes haben kann, sich nicht wesentlich vom Beischlaf unterscheidet
(BGE 86 IV 178 und dort angeführte Entscheidungen).

Erwägung 2

    2.- Nach dem Sachverhalt, wie er im angefochtenen Urteil festgestellt
ist, erschöpften sich die unzüchtigen Handlungen des Beschwerdegegners
im Falle Y. darin, dass X. den Knaben über den Kleidern ausgriff und
ihn alsdann in ein Nebenzimmer führte, wo er seinen Geschlechtsteil an
demjenigen des Knaben bis zum beidseitigen Samenerguss rieb. Dass er sich
etwa auf sein Opfer gelegt oder sein Glied zwischen dessen Oberschenkel
gestossen hätte, ist weder dem Urteil des Obergerichtes noch den Akten
zu entnehmen.

    Bei dieser Sachlage kann nach der bisherigen Rechtsprechung nicht
von einer beischlafsähnlichen Handlung im Sinne von Art. 191 Ziff. 1 StGB
gesprochen werden; diesen Begriff aber weiter auszulegen, als es bisher
geschehen ist, besteht kein Anlass.

    Der Beschwerdeführerin ist darin beizupflichten, dass die Frage,
ob eine unzüchtige Handlung als beischlafsähnlich aufzufassen ist, sich
nicht bloss nach äusserlichen Unterscheidungsmerkmalen beurteilt. Es ist
offensichtlich, dass das Gesetz nicht auf eine rein äusserliche Ähnlichkeit
mit dem Beischlaf abstellen will, wenn es gewisse schwerwiegendere
Unzuchtshandlungen mit einem Kinde gleich behandelt wie den Beischlaf. Nach
der Rechtsprechung, auf die sich auch die Beschwerdeführerin beruft, hängt
die Frage vorweg vom Grad der körperlichen Intimität ab; die Vereinigung
muss an Innigkeit derjenigen beim natürlichen Beischlaf ähnlich sein. Die
Beschwerdeführerin glaubt, dieses Erfordernis sei im vorliegenden Fall mit
dem Aneinanderreiben der Geschlechtsteile erfüllt; denn es sei schwerlich
einzusehen, wieso die gegenseitige Berührung der Geschlechtsteile zweier
Personen verschiedenen Geschlechts eine beischlafsähnliche Handlung bilden
solle, nicht aber die Berührung der Geschlechtsteile zweier männlicher
Partner; zudem komme auch eine solche Berührung der beiden Körper an
Innigkeit derjenigen beim natürlichen Beischlaf zweifellos viel näher
als ein blosses gegenseitiges Abreiben.

    Dieser Vergleich ist nicht stichhaltig, weil er auf ein äusserliches
Unterscheidungsmerkmal abstellt und den wesensmässigen Unterschied zwischen
dem natürlichen Beischlaf und der geschlechtlichen Befriedigung durch
gleichgeschlechtlichen Umgang ausser Acht lässt. Das Aneinanderbringen
der Geschlechtsorgane von Mann und Frau stellt die erste Phase des
eigentlichen, heterosexuellen Beischlafs dar. Es ist daher richtig,
diese Berührung der Geschlechtsteile, namentlich wenn es der Täter auf
den Beischlaf abgesehen hat (BGE 76 IV 236), als beischlafsähnlich zu
bezeichnen. Der geschlechtliche Umgang zwischen zwei männlichen Personen
dagegen kann nicht auf die Vereinigung der Geschlechtsteile gerichtet
sein. Das Gegenstück zum natürlichen Beiwohnungsakt bildet hier in der
Regel die immissio inter femora und die Einführung des männlichen Gliedes
in eine natürliche Körperöffnung des Partners. Diese Betätigungsformen sind
dem homosexuell veranlagten Täter Ersatz für den Beischlaf und gleichen
diesem durch die Innigkeit der Vereinigung und die Vorstellung, die beim
Kinde ausgelöst wird (BGE 76 IV 108; 86 IV 179 f.). Das lässt sich von
einem blossen Aneinanderreiben der männlichen Geschlechtsteile nicht
sagen; jedenfalls entsteht dadurch keine so innige Beziehung zwischen
den Beteiligten, wie beim Beischlaf oder den nach der Rechtsprechung
als beischlafsähnlich geltenden Handlungen. Insbesondere lässt es sich
nicht mit dem cunnilinguus vergleichen, wie dies die Beschwerdeführerin
tut, zeichnet sich doch dieser durch einen besonders hohen Grad
körperlicher Intimität aus (BGE 84 IV 102). Ein Verhalten, wie es dem
Beschwerdegegner zur Last gelegt wird, lässt sich viel eher, sei es nun
nach den physiologischen oder psychischen Wirkungen auf das Opfer oder
sei es nach dem Grad der körperlichen Intimität, mit der gegenseitigen
Onanie vergleichen. Gerade diese fällt aber nach allgemeiner Auffassung
nicht unter den Begriff der beischlafsähnlichen Handlungen, sondern ist
zu den "andern unzüchtigen Handlungen" des Art. 191 Ziff. 2 StGB zu zählen
(vgl. die frühere kant. Praxis in SJZ IX S. 292 f., XXI S. 156).

    Das Obergericht hat daher X. im Falle Y. zu Recht nach Art. 191
Ziff. 2 StGB bestraft.

Entscheid:

Demnach erkennt der Kassationshof:

    Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen.