Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 87 II 345



87 II 345

46. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 7. November 1961
i.S. Verband Schweiz. Gerbereien gegen Spörry & Schaufelberger A.-G.
Regeste

    Täuschungsgefahr, Art. 1 Abs. 2 lit. b und d UWG. Die Bezeichnung
"Plasticleder" für ein Kunststofferzeugnis ist nicht geeignet, bei den
in Betracht fallenden Abnehmerkreisen die Vorstellung zu erwecken, es
handle sich um aus echtem Leder hergestellte Erzeugnisse.

Sachverhalt

                       Aus dem Tatbestand:

    A.- Die beklagte Firma Spörry & Schaufelberger AG vertreibt seit
über 10 Jahren einen von ihr hergestellten Plastic-Kunststoff unter der
Bezeichnung "Plasticleder". Dieser Kunststoff dient unter anderem zur
Herstellung von Artikeln, für welche auch Leder verwendet werden kann,
wie Koffer, Taschen, Mappen, Möbelbezüge und dergleichen.

    Der Kläger, der Verband Schweiz. Gerbereien, ein Verein mit Sitz in
Zürich, ist der Auffassung, die Bezeichnung "Plasticleder" sei geeignet,
die Kundschaft zu der Annahme zu verleiten, die damit bezeichneten Waren
seien aus echtem Leder hergestellt. Seine deswegen erhobene Klage wegen
unlauteren Wettbewerbs wurde vom Handelsgericht Zürich abgewiesen. Das
Bundesgericht bestätigt.

Auszug aus den Erwägungen:

                       Aus den Erwägungen:

Erwägung 3

    3.- In materiellrechtlicher Hinsicht hat die Berufung die Frage
zum Gegenstand, ob der Gebrauch der Bezeichnung "Plasticleder" durch
die Beklagte für ihre Erzeugnisse unlauteren Wettbewerb im Sinne des
Gesetzes darstelle. Dies ist dann der Fall, wenn die genannte Bezeichnung
bei den angesprochenen Verkehrskreisen eine Verwechslungsgefahr in dem
Sinne schafft, dass sie zu der Annahme verleitet werden könnten, bei der
so bezeichneten Ware handle es sich um echtes, d.h. aus tierischer Haut
hergestelltes Leder.

    Bei der Beurteilung dieser Frage ist davon auszugehen, dass das im
Ausdruck "Plasticleder" enthaltene Wort "Leder" auf ein aus tierischer
Haut erzeugtes, durch Gerben bearbeitetes Naturprodukt hinweist. Das Wort
"Leder" als solches stellt somit eine Beschaffenheitsangabe des genannten
Inhalts dar.

    Die von der Beklagten unter der Bezeichnung "Plasticleder" vertriebene
Ware ist dagegen nicht ein Ledererzeugnis im dargelegten Sinn, sondern ein
Kunststofferzeugnis. Es ist daher zu untersuchen, ob diese Beschaffenheit
der Ware der Beklagten durch die Verbindung des Wortes "Leder" mit dem
Wort "Plastic" bei den Kreisen, die als Interessenten und Abnehmer in
Betracht fallen, mit hinreichender Deutlichkeit zum Ausdruck kommt,
d.h so, dass die Gefahr einer Verwechslung der Ware der Beklagten mit
Erzeugnissen aus tierischem Leder behoben wird.

    Wie der Kläger an sich zutreffend hervorhebt, ist der Begriff "Leder"
älter als der Begriff "Plastic", und es kommt jenem im allgemeinen
Sprachgebrauch daher vor diesem die Priorität zu. Die Wortverbindung
"Plasticleder" besitzt somit die erforderliche Unterscheidungskraft
im Verhältnis zwischen den konkurrierenden Waren der Beklagten und den
echten Ledererzeugnissen nur, wenn der Zusatz "Plastic" geeignet ist,
die Beschaffenheitsangabe des Wortes "Leder" zu entkräften. Ob diese
Voraussetzung erfüllt sei, bemisst sich nach der Verkehrsauffassung, d.h.
danach, wie die Abnehmerkreise der Ware der Beklagten die Wortverbindung
"Plasticleder" auffassen (BAUMBACH/HEFERMEHL, Wettbewerbs- und
Warenzeichenrecht, 8. Aufl., S. 388, N. 45). Dabei ist auf die
gegenwärtigen tatsächlichen Verhältnisse abzustellen. Vor allem ist
die Bedeutung massgebend, welche der heutige Sprachgebrauch und das
heutige Sprachempfinden der angesprochenen Käuferkreise den Worten
"Leder" und "Plastic" und ihrer Verbindung beimessen. Entgegen der
Meinung des Klägers kommt es dabei jedoch nicht auf die Auffassungsgabe
der "Einfachen und Beschränkten" an. Entscheidend ist vielmehr, wie der
normalbegabte Durchschnittskäufer bei Aufwendung der gebotenen Sorgfalt und
Aufmerksamkeit im täglichen Geschäftsverkehr die fragliche Warenbezeichnung
tasächlich versteht. Die vom Kläger namentlich im kantonalen Verfahren
vorgetragenen sprachwissenschaftlichen und historischen Erörterungen
sind der Käuferschaft von Leder- und Plasticwaren im allgemeinen fremd
und für die Ermittlung des Sprachgebrauchs dieses Personenkreises daher
unmassgeblich.

Erwägung 4

    4.- Die rechtliche Wertung der angegriffenen Wettbewerbshandlungen
der Beklagten führt zu folgenden Ergebnissen:

    a) In erster Linie ist darauf hinzuweisen, dass das Wort "Leder"
im Zeitpunkt, in dem die Beklagte mit der Verwendung der Bezeichnung
"Plasticleder" begann, die Bedeutung einer Beschaffenheitsangabe für
gegerbte tierische Haut bereits zum Teil eingebüsst hatte. Denn wie nicht
streitig ist, sind seit ungefähr 1830 Werkstoffe, welche Leder imitieren,
unter der Bezeichnung "Kunstleder" auf dem Markte. Der Kläger wendet
ein, der Ausdruck "Kunstleder" habe sich eingebürgert; die Beifügung des
Bestandteils "Kunst-" lasse deutlich erkennen, dass eben ein künstliches
Leder vorliege. Hieraus folgt aber ohne weiteres die Unbegründetheit
der in der Berufung erneut vertretenen Auffassung, dass zwangsläufig an
das Leder aus der tierischen Haut gedacht werde, wenn das Wort "Leder"
in irgendeiner Verbindung auftauche. Als die Beklagte vor über 10 Jahren
für ihre Erzeugnisse die Bezeichnung "Plasticleder" wählte, war bereits
seit langem die Wortverbindung "Kunstleder" als Beschaffenheitsangabe
für Leder imitierende Kunststoffe gebräuchlich. Das Wort "Leder" war also
schon damals zu einer "schwachen", zum mindesten zu einer nur beschränkt
wirksamen Beschaffenheitsangabe geworden.

    b) Zutreffend stellt sodann das Handelsgericht fest, "Plastic"
sei in der Schweiz zu einer gebräuchlichen Sachbezeichnung geworden,
die der breiten Öffentlichkeit geläufig ist. Der klägerische Einwand,
auch heute noch gebe es in der Schweiz eine grosse Zahl von Leuten,
welche den Begriff "Plastic" nicht kennen oder wenigstens nicht
verstehen, widerspricht der Lebenserfahrung. Die Plastic-Werkstoffe
haben im schweizerischen Wirtschaftsleben eine so ausgedehnte Verbreitung
gefunden, dass praktisch jedermann, insbesondere auch das grosse Heer der
Käufer von Gebrauchsartikeln des täglichen Lebens, das Wort "Plastic"
als Bezeichnung für einen Kunststoff kennt. Diese Bezeichnung hat sich
im Sprachgebrauch der Abnehmerkreise für Leder- und Kunstledererzeugnisse
derart eingebürgert, dass es beim Leser oder Hörer stets eine gedankliche
Assoziation mit einem Kunststoff auslöst. Dies trifft sowohl zu,
wenn das Wort "Plastic" allein, wie auch wenn es als Bestandteil
einer Wortverbindung (z.B. Plasticeimer, Plasticstoff, Plasticvorhang
usw.) verwendet wird.

    Es ist deshalb der Auffassung der Vorinstanz beizupflichten,
dass dem Zusatz "Plastic" die Kraft zukommt, die durch den allgemein
üblichen Gebrauch der Wortverbindung "Kunstleder" bereits geschwächte
Beschaffenheitsangabe des Wortes "Leder" für ein gegerbtes tierisches
Fell zu denaturieren. Damit entfällt die Gefahr, dass die Abnehmer von
Waren, die als "Plasticleder" bezeichnet werden, diese mit Erzeugnissen
aus echtem Leder verwechseln.