Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 87 II 301



87 II 301

44. Urteil der H. Zivilabteilung vom 26. Oktober 1961 i.S. Yahalom gegen
Schweiz. Bundesbahnen. Regeste

    Berufung. Ungenügende Begründung der Anträge? (Art. 55 lit. c
OG). (Erw. 1).

    Eisenbahnhaftpflicht. Zusammenstoss zwischen Zug und Auto auf einer
Niveaukreuzung mit Blinklichtanlage.

    1.  Das Verschulden eines Dritten oder des Verunfallten befreit
die Bahnunternehmung von ihrer Haftpflicht, wenn es (für sich allein
oder zusammen mit der Betriebsgefahr des am Unfall beteiligten Autos)
die einzige adäquate Ursache des Unfalls bildet (Art. 1 EHG). Unter
welchen Voraussetzungen ist dies der Fall? Dass das schuldhafte Verhalten
des Dritten oder des Verunfallten nach der Lebenserfahrung in keiner
Weise voraussehbar gewesen sei, ist nicht erforderlich (Änderung der
Rechtsprechung). (Erw. 2).

    2.  Verschulden des Autolenkers, der sich unbekümmert um die
Lichtzeichen der richtig funktionierenden und gut sichtbaren Signalanlage
mit unverminderter Geschwindigkeit zum Überqueren der Kreuzung anschickt,
und des neben ihm sitzenden Autohalters, der ihn nicht warnt, obwohl er
die Gefahr erkennt. Entschuldbarer Irrtum ausländischer Automobilisten
über die Bedeutung der Blinklichter? (Erw. 3, 4).

    3.  Trifft die Bahnhnunternehmung ein für den Unfall kausales
Verschulden, weil sie keine Halbbarrieren angebracht, demLokomotivführer
kein Pfeifsignal vorgeschrieben, den Zügen auf der fraglichen Strecke
eine Geschwindigkeit von 75 km/h gestattet und ein Sichthindernis nicht
beseitigt hat? Erhöhte Betriebsgefahr? (Erw. 5).

Sachverhalt

    A.- Ungefähr 300 m vor der Einfahrt in die Station Meiringen (bei
Bahnkilometer 46'225) kreuzt die dort in gerader Richtung von Westen nach
Osten verlaufende einspurige Schmalspurbahnlinie Brienzwiler-Meiringen
(Brünigbahn der SBB) in einem Winkel von ca. 45o die von Südwesten
nach Nordosten führende Staatsstrasse Brienz-Meiringen. Beidseits
des Bahnübergangs ist je am rechten Strassenrand auf einem rot/weiss
gestrichenen Pfosten ein Blinklichtsignal in Dreieckform mit drei roten
Blinklichtern und einer Warnglocke, verbunden mit einem Kreuzsignal,
angebracht (Art. 4 lit. b der Verordnung betr. den Abschluss und die
Signalisierung der Niveaukreuzungen der Eisenbahnen mit öffentlichen
Strassen und Wegen vom 7. Mai 1929, revidiert 23. November 1934;
BS 7 S. 93). Ausserdem steht auf der Brienzer Seite 142,8 m vor dem
Bahnübergang rechts und links der geraden und übersichtlichen Strasse das
Signal zur Bezeichnung eines unbewachten Bahnübergangs (Art. 9 Abs. 3
der Verordnung über die Strassensignalisation vom 17. Oktober 1932,
revidiert 23. November 1934; BS 7 S. 693), eine dreieckige Tafel mit
dem Bild einer Dampflokomotive (Gefahrsignal Nr. 5). Diesem Gefahrsignal
folgen 101,4 bzw. 51,4 m vor dem Übergang am rechten Strassenrand stehende
Distanzpfähle. Dazu kommen die ca. 63,4 bzw. 51,4 m vor dem Übergang auf
dem Asphaltbelag der Strasse angebrachten, aus grossen weissen Buchstaben
bestehenden Inschriften: ATTENTION TRAIN bzw. ACHTUNG ZUG. Die von Brienz
kommenden Strassenbenützer können, bis sie sich ungefähr 200 m vor dem
Übergang befinden, die von Brienzwiler nahenden Züge sehen. Dann wird ihnen
die Sicht auf diese Züge bis ganz kurz vor dem Übergang durch Gebäude,
Kohlenhaufen und einen Zaun der Karbidfabrik Reichenbach sowie durch ein
Bahnwärterhäuschen praktisch vollständig verdeckt (während sie die von
Meiringen her gegen den Übergang fahrenden Züge sehen können).

    B.- Diesem Übergang näherte sich am 6. September 1959 (Sonntag) um 10
Uhr bei sonnigem, hellem Wetter und mässiger Verkehrsdichte von Brienz
her mit einer Geschwindigkeit von 40 bis 65 Stundenkilometern das Auto
(Marke Volkswagen) mit der deutschen Polizeinummer 188 Z 9423, das der
in Haifa wohnhafte israelische Staatsangehörige Benjamin Yahalom am 25.
August 1959 in München gekauft hatte. Das Steuer bediente Jakob Malkin,
ein Freund und Landsmann Yahaloms, mit dem dieser im Führen des Wagens
abwechselte. Rechts von Malkin sass Yahalom, hinten im Wagen Frau Malkin.

    Gleichzeitig nahte von Brienzwiler her mit einer mittleren
Geschwindigkeit von etwas weniger als 70 Stundenkilometern ein
Personenzug. Durch das Befahren einer isolierten Schiene 625 m vor dem
Übergang, also mindestens 32 Sekunden vor dem Eintreffen des Zugs auf
der Kreuzung, wurden das Blinklicht und die Warnglocke in Betrieb gesetzt.

    Ungeachtet dieser Warnung und der Tatsache, dass ein von Meiringen
kommender Wagen vor dem entsprechenden Signal jenseits des Bahngeleises
anhielt, fuhr Malkin, der sich beim ersten Aufleuchten des Blinklichts noch
mindestens 350-360 m vor dem Übergang befunden hatte, mit unverminderter
Geschwindigkeit auf diesen zu. Der Lokomotivführer konnte das Auto erst
auf eine Entfernung von weniger als 10 m sehen. Trotz der von ihm sofort
eingeleiteten Schnellbremsung, die den Zug nach einem Bremsweg von 160
m zum Stehen brachte, wurde das Auto von der Lokomotive erfasst, beim
Führersitz eingedrückt und weggeschleudert. Malkin wurde dabei getötet,
Yahalom verletzt.

    C.- Mit Klage von 7./16. Dezember 1959 belangte Yahalom die
Schweiz. Bundesbahnen auf Ersatz des ihm entstandenen Schadens, der
nach einer von den Parteien in der Folge über diesen Punkt geschlossenen
Vereinbarung auf Fr. 9500 nebst 5% Zins seit Klageeinleitung zu beziffern
ist. Die beklagte Bahnunternehmung beantragte Abweisung der Klage.

    Das Amtsgericht Luzern-Stadt verurteilte die Beklagte am 10. Dezember
1960, dem Kläger einen Viertel des Schadens zu ersetzen. Es nahm an,
Malkin und dem Kläger (der jenen trotz Wahrnehmung des Blinklichts nicht
zum Anhalten veranlasste) falle ein grobes Verschulden zur Last. Deswegen
entfalle nach Art. 1 des Bundesgesetzes betr. die Haftpflicht der
Eisenbahn- und Dampfschiffunternehmungen und der Post vom 28. März 1905
(EHG) die Haftpflicht der Beklagten, wenn weder ein Verschulden auf ihrer
Seite noch eine besondere Betriebsgefahr der Bahn zum Unfall beigetragen
habe. Ein Verschulden der Beklagten liege nicht vor. Dagegen sei der Unfall
durch eine besondere Betriebsgefahr mitverursacht worden, die namentlich
darin begründet sei, dass bei der in Frage stehenden, wenig übersichtlichen
Kreuzung zwischen einer Hauptstrasse und einer von verhältnismässig rasch
fahrenden Zügen benützten Bahnlinie eine Sicherung durch Barrieren oder
Halbbarrieren gefehlt habe. Das Verschulden Malkins und des Klägers führe
daher nicht zur gänzlichen Entlastung der Beklagten, sondern gemäss Art. 5
EHG nur zu einer - starken - Ermässigung ihrer Haftung.

    Das Obergericht des Kanton Luzern (I. Kammer), an das beide Parteien
appellierten, hat mit Urteil vom 21. März 1961 die Klage abgewiesen, weil
der Unfall einzig auf das schwere Verschulden Malkins und des Klägers
zurückzuführen sei.

    D.- Gegen dieses Urteil hat der Kläger die Berufung an das
Bundesgericht erklärt mit dem Antrag, die Beklagte sei zu verpflichten,
ihm Fr. 9500.-- nebst 5% Zins seit 16. Dezember 1959 zu bezahlen. Die
Beklagte beantragt, auf die Berufung sei nicht einzutreten; eventuell
sei sie abzuweisen.

Auszug aus den Erwägungen:

              Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Die Beklagte begründet ihren Nichteintretensantrag damit, dass
in der Berufungsschrift entgegen der Vorschrift von Art. 55 lit. c OG
nicht dargelegt werde, welche Bundesrechtssätze und inwiefern sie durch
den angefochtenen Entscheid verletzt seien. Richtig ist, dass der Kläger
in der Berufungsschrift (von einem Hinweis auf Art. 5 EHG abgesehen)
nicht ausdrücklich sagt, gegen welche Vorschriften des Bundesrechtes das
Urteil der Vorinstanz nach seiner Meinung verstösst. Die Berufungsschrift
enthält jedoch einlässliche Ausführungen darüber, dass die Vorinstanz zu
Unrecht ein Verschulden der Beklagten und das Vorliegen einer für den
Unfall adäquat kausalen besondern Betriebsgefahr verneint und ihm ein
Selbstverschulden zur Last gelegt habe. Es wäre überspitzter Formalismus,
diese Kritik am angefochtenen Urteil, mit welcher der Kläger der Vorinstanz
unverkennbar eine unrichtige Anwendung des EHG (insbesondere des Art. 1
dieses Gesetzes) vorwerfen will, nicht als genügende Begründung der
Berufungsanträge gelten zu lassen. Auf die Berufung ist daher einzutreten.

Erwägung 2

    2.- Wenn beim Betrieb einer Eisenbahn ein Mensch getötet oder verletzt
wird, so haftet der Inhaber der Eisenbahnunternehmung nach Art. 1 EHG für
den daraus entstandenen Schaden, sofern er nicht beweist, dass der Unfall
durch höhere Gewalt, durch Verschulden Dritter oder durch Verschulden des
Getöteten oder Verletzten verursacht ist. Das - hier allein in Betracht
kommende - Verschulden eines Dritten oder des Verletzten vermag die
Bahnunternehmung nur dann von ihrer Haftung zu befreien, wenn es im
Rechtssinne, d.h. unter dem Gesichtspunkt der adäquaten Kausalität,
die einzige Ursache des Unfalls bildet, m.aW. wenn es die von der Bahn
zu vertretenden Umstände, die zu dessen Eintritt beigetragen haben,
insbesondere diejenigen, in denen sich die Betriebsgefahr zeigt, an
ursächlicher Bedeutung so weit übertrifft, dass diese andern Umstände
als adäquate Mitursachen des Unfalls ausscheiden (vgl. aus der neuern
Rechtsprechung BGE 71 II 120, 72 II 193/94 und 203/04, 75 II 73, 85
II 354). Trifft dies nicht zu, so ist die Bahnunternehmung nach Art. 1
EHG grundsätzlich haftbar, doch kann in einem solchen Falle nach Art. 5
EHG das Verschulden des Getöteten oder Verletzten (dagegen nicht dasjenige
eines Dritten) zu einer Ermässigung der Entschädigung führen.

    In einer Anzahl von Präjudizien hat das Bundesgericht die Auffassung
vertreten, ein Dritt- oder Selbstverschulden sei nur dann geeignet, im
erwähnten Sinne den Kausalzusammenhang zwischen der Betriebsgefahr der
Bahn und dem Unfall auszuschliessen und so die Bahn von ihrer Haftpflicht
zu befreien, wenn das Verhalten, in dem dieses Verschulden liegt,
nach der Lebenserfahrung in keiner Weise voraussehbar war, so dass die
Bahnunternehmung bei der Einrichtung und der Organisation des Betriebs
schlechterdings nicht damit rechnen (und folglich keine entsprechenden
Schutzmassnahmen treffen) konnte (BGE 33 II 22/23, 37 II 239 und 466, 68
II 260, 72 II 204, 75 II 73, 85 II 354). Diese Auffassung (welche übrigens
die Beurteilung der eben zitierten Fälle im Ergebnis kaum entscheidend
beeinflusst haben dürfte) wird von OFTINGER (Schweiz. Haftpflichtrecht, 2.
Aufl., II/1 S. 345/46) mit Recht kritisiert, weil sie ein sachlich nicht
gerechtfertigtes Kriterium zur Geltung bringt. Nach der Lebenserfahrung
geschieht es häufig und ist daher durchaus voraussehbar, dass Personen,
die mit dem Bahnbetrieb in Berührung kommen, in gröbster Art gegen
elementare Gebote der Vorsicht verstossen. Wäre in allen diesen Fällen
ein ausschliessliches Selbst- oder Drittverschulden wegen Voraussehbarkeit
des in Frage stehenden Verhaltens zu verneinen, so verlöre die Vorschrift
von Art. 1 EHG, wonach sich die Bahnunternehmung durch den Nachweis
eines solchen Verschuldens von ihrer Haftung befreien kann, praktisch
fast jeden Sinn. Eine Entlastung der Bahnunternehmung käme dann nur
noch in ganz singulären Fällen in Frage (vgl. etwa den Tatbestand von
BGE 37 II 237 ff.: Platzen einer von einem unbekannten Dritten in einen
Eisenbahnwagen gelegten Bombe). Eine Auslegung, die den Anwendungsbereich
der genannten Vorschrift so stark einschränkt und dazu führen müsste, dass
die Bahnunternehmungen auch bei schwerstem Verschulden des Verunfallten
oder eines Dritten in aller Regel mindestens einen Teil des Schadens zu
tragen hätten, kann nicht richtig sein. Sie lässt sich auf jeden Fall in
der heutigen Zeit, wo angesichts des stark angewachsenen Verkehrs und der
Gewöhnung daran allen Verkehrsteilnehmern ein erhöhtes Mass von Sorgfalt
zur Pflicht gemacht werden muss (vgl. OFTINGER aaO S. 346), nicht mehr
rechtfertigen. Ob ein Verhalten wie dasjenige, worin im konkreten Falle das
Dritt- oder Selbstverschulden liegt, nach der Lebenserfahrung voraussehbar
sei oder nicht, kann aber, worauf OFTINGER (S. 345/46) besonders hinweist,
auch rein grundsätzlich nicht massgebend sein, um darüber zu entscheiden,
ob der adäquate Kausalzusammenhang zwischen der Betriebsgefahr der Bahn und
dem Unfall trotz diesem Verschulden gegeben oder durch dieses Verschulden
unterbrochen sei. Dieses Moment kann nur bei Beurteilung der Frage,
ob der Bahnunternehmung wegen Unterlassung gewisser Schutzvorkehren ein
Verschulden vorzuwerfen sei, von Bedeutung sein. Als Kriterium für den
adäquaten Kausalzusammenhang ist es daher preiszugeben. Beim Entscheid
darüber, ob das Dritt- oder Selbstverschulden den Kausalzusammenhang mit
der Betriebsgefahr unterbreche, kann es nur darauf ankommen, mit welcher
Intensität sich dieses Verschulden im Vergleich zu den übrigen Umständen
beim Unfallereignis ausgewirkt hat.

    Handelt es sich wie hier um einen Zusammenstoss zwischen der Eisenbahn
und einem Motorfahrzeug, bei welchem dessen Halter verletzt wird, so wird
die Bahnunternehmung von ihrer Haftung befreit, wenn das Verschulden des
verunfallten Motorfahrzeughalters oder eines Dritten für sich allein oder
in Verbindung mit der dem Motorfahrzeug innewohnenden Betriebsgefahr, für
die der Halter einzustehen hat, im angegebenen Sinn als einzige adäquate
Ursache des Unfalls erscheint (BGE 76 II 325).

Erwägung 3

    3.- Indem Malkin sich zum Überqueren des Bahnübergangs anschickte,
obwohl das Blinklichtsignal das Nahen eines Zugs ankündigte, verletzte er
Art. 3 Abs. 1 und Art. 4 Abs. 3 des Bahnpolizeigesetzes vom 18. Februar
1878, wonach die Bahn beim Herannahen eines Zugs nicht überschritten
werden darf und Fahrzeuge bei gesperrtem Bahnübergang wenigstens 10 m vor
den Schranken halten sollen, in Verbindung mit Art. 11 Ziff. 2 lit. a der
Verordnung betr. den Abschluss und die Signalisierung der Niveaukreuzungen
vom 7. Mai 1929 (NivKreuzV), wo u.a. bestimmt wird, dass bei mit
Barrieren oder mit optischer und akustischer Signalisierung versehenen
Bahnübergängen wenigstens 10 m vor der geschlossenen Schranke angehalten
werden soll und dass die (im Gang befindliche) optische und akustische
Signalisierung des Übergangs als "geschlossene Schranke oder gesperrter
Bahnübergang im Sinne des Gesetzes (Art. 3 und 4 Bahnpolizeigesetz)"
gelte. (Soweit Art. 11 Ziff. 2 lit. a der eben erwähnten Verordnung das
Anhalten vor einem in Tätigkeit stehenden Blinklichtsignal gebietet,
ist diese Bestimmung unzweifelhaft massgebend geblieben, auch wenn man
mit BGE 86 IV 99/100 annehmen will, seit der Abänderung von Art. 9
der Verordnung über die Strassensignalisation vom 17. Oktober 1932
(Strassensig V) durch Bundesratsbeschluss vom 23. November 1934 habe
sich der Fahrzeugführer bei Bahnübergängen, die nur mit optischer und
akustischer Signalisierung in Verbindung mit Kreuzsignalen versehen sind,
nach der für das Überschreiten unbewachter Bahnübergänge massgebenden
Vorschrift von Art. 11 Ziff. 2 lit. b NivKreuzV zu verhalten, d.h er habe
sich selber zu vergewissern, ob ein Zug herannahe, und dürfe sich nicht
darauf verlassen, dass der Niveauübergang, wenn die Signalanlage nicht
in Betrieb ist, frei sein werde).

    Die Fahrweise Malkins, der bei der Annäherung an den Bahnübergang
seine Geschwindigkeit von 40-65 Stundenkilometern beibehielt, war aber
auch abgesehen von der Missachtung des Blinklichts vorschriftswidrig. Sie
widersprach Art. 4 Abs. 2 des Bahnpolizeigesetzes und Art. 11 Ziff. 2
lit. c NivKreuzV, wonach die Bahngeleise nur im Schrittempo überquert
werden dürfen, was für Motorfahrzeuge bedeutet, dass der Führer bei
der Annäherung an den Übergang eine erhöhte Vorsicht walten lassen
und seine Geschwindigkeit so bemessen muss, dass er wenn nötig vor dem
Geleise anhalten kann, wie dies auch durch Art. 11 Ziff. 2 lit. d dieser
Verordnung und Art. 25 Abs. 1 des Bundesgesetzes über den Motorfahrzeug-
und Fahrradverkehr vom 15. März 1932 (MFG) gefordert wird (vgl. BGE 86
IV 101 mit Hinweisen).

    Ob Malkin die von ihm übertretenen Verkehrsvorschriften kannte
und insbesondere wusste, dass das Blinklicht das Anhalten vor dem
Übergang gebietet, ist unerheblich. Eine allfällige Unkenntnis könnte
ihn nicht entschuldigen; denn wer in einem fremden Lande eine Autofahrt
unternehmen will, muss sich mit den dort geltenden Verkehrsregeln vertraut
machen. Dass bei der Annäherung an einen Bahnübergang erhöhte Vorsicht
anzuwenden und die Geschwindigkeit zu ermässigen ist, versteht sich im
übrigen für einen vernünftigen Autofahrer von selber. Die Vorsignale,
die den in Frage stehenden Übergang anzeigten, waren gut sichtbar und
auch für einen Ausländer unmissverständlich. Das gleiche gilt für die
Aufschrift auf dem Strassenbelag. Dass Malkin, wie der Kläger behauptet,
das Blinklicht missverstanden und im Gedanken an die in Israel geltende
Regelung angenommen habe, erst rotes Dauerlicht gebiete das Anhalten,
ist nach den Feststellungen der Vorinstanz nicht glaubhaft, weil sich
ergeben hat, dass rotes Blinklicht wie in der Schweiz, in Deutschland
(wo Malkin und der Kläger ihre Autoreise antraten) und in weitern
europäischen Ländern (Belgien, Italien, Niederlande, Österreich),
so auch in Israel als Stopsignal bei Bahnübergängen verwendet wird,
und zwar auch bei solchen ohne Barrieren. Selbst wenn Malkin aber noch
der Meinung gewesen wäre, nur rotes Dauerlicht bedeute einen unbedingten
Haltebefehl, so hätte er das rote Blinklicht doch zum mindesten (wie es
der Kläger nach seinen Angaben vor der Polizei getan hat) als Warnung
auffassen und sich demzufolge dem Übergang mit äusserster Behutsamkeit
nähern müssen. Dies tat er keineswegs. Vielmehr fuhr er mit unverminderter
Geschwindigkeit einfach drauflos und beachtete auch das Beispiel nicht,
das ihm der aus der Gegenrichtung kommende, jenseits des Bahnübergangs
anhaltende Wagen gab. Seine Fahrweise erweist sich daher unter allen
Umständen als grob schuldhaft. Er hat ähnlich wie ein Fussgänger, der
eine vielbefahrene Strasse betritt, ohne sich umzusehen, gegen elementare
Gebote der Vorsicht verstossen.

Erwägung 4

    4.- Zum Verschulden Malkins tritt ein solches des Klägers
persönlich. Die Mitfahrer sind zwar in der Regel nicht verpflichtet,
darüber zu wachen, dass der Führer eines Motorfahrzeugs die Verkehrsregeln
befolgt. Eine solche Pflicht besteht grundsätzlich auch dann nicht,
wenn es sich beim Mitfahrer um den Fahrzeughalter handelt, der das
Steuer seines Wagens zeitweise einem den Führerausweis besitzenden
Reisegefährten überlässt; denn der Zweck hievon ist ja gerade, ihm das
Ausruhen zu ermöglichen. Wenn aber der mitfahrende Halter, obwohl er
nicht auf den Verkehr achten müsste, tatsächlich doch bemerkt, dass der
Fahrzeuglenker im Begriff steht, durch Missachtung eines Signals eine
gefährliche Lage zu schaffen, so darf er nicht passiv bleiben, sondern
hat den Führer auf die drohende Gefahr aufmerksam zu machen. Ein solcher
Sonderfall liegt hier vor. Der Kläger sah nach seiner eigenen Darstellung
die drei roten Lichter blinken und machte sich darüber Gedanken. Selbst
wenn er, wie behauptet, geglaubt haben sollte, es handle sich nur um
eine Warnung und das Stopsignal, rotes Dauerlicht, werde nachfolgen,
so musste ihm doch auf jeden Fall ohne weiteres klar sein, dass Malkin
sich und seine Mitfahrer einer schweren Gefahr aussetzte, indem er mit
unverminderter Geschwindigkeit weiterfuhr, statt den Lauf so zu mässigen,
dass er nötigenfalls noch vor dem Übergang anhalten konnte. Er hätte also
seinen Freund warnen und zum Bremsen veranlassen sollen, wozu er genügend
Zeit gehabt hätte. Indem er dies unterliess, hat er den Zusammenstoss
mitverschuldet.

    Ob dem Kläger auch das Verschulden Malkins, der mit seiner Einwilligung
das Fahrzeug führte, als Selbstverschulden anzurechnen sei oder ob es im
Sinne des Gesetzes ein Drittverschulden darstelle, kann dahingestellt
bleiben, wenn es zusammen mit dem Selbstverschulden, das im eigenen
Verhalten des Klägers liegt, als die einzige adäquate Ursache des Unfalls
erscheint; denn unter dieser Voraussetzung entfällt die Haftpflicht der
Beklagten unabhängig davon, ob das Verschulden Malkins als Verschulden
eines Dritten oder als solches des Klägers zu bewerten sei. Dieser
Punkt ist nur dann von Bedeutung, wenn neben dem Verhalten Malkins und
des Klägers auch die Betriebsgefahr oder ein Verschulden der Bahn als
rechtserhebliche Ursache des Unfalls anzusehen und die Beklagte mithin
grundsätzlich haftbar ist. Wie schon bemerkt, kann in diesem Falle zwar
das Verschulden des Verunfallten, nicht dagegen dasjenige eines Dritten
nach Art. 5 EHG zu einer Ermässigung des Schadenersatzes führen.

Erwägung 5

    5.- Der Kläger ist der Auffassung, es bedeute ein für den Unfall
kausales Verschulden der Bahn, dass sie den fraglichen Übergang nicht
durch Halbbarrieren sicherte, dem Lokomotivführer die Abgabe eines
Pfeifsignals nicht vorschrieb und den Zügen das Befahren der Kreuzung mit
einer Geschwindigkeit von 75 Stundenkilometern gestattete. Ferner macht
er geltend, es handle sich um einen unbewachten Übergang mit "maximaler"
Unübersichtlichkeit; darin liege eine von der Bahn zu vertretende
besondere Betriebsgefahr. Den Umstand, dass die Sicht auf die von links
(Westen) kommenden Züge durch ein Wärterhäuschen verdeckt ist, führte er im
kantonalen Verfahren auch zur Begründung dafür an, dass der Beklagten ein
Verschulden zur Last falle. Diese Vorbringen sind jedoch nicht stichhaltig.

    a) Das Gesetz sieht Halbbarrieren bis heute nicht vor.  Die bestehende
Sicherungseinrichtung (Blinklichtanlage mit Vorsignalen) genügte den
geltenden Vorschriften. Daraus sowie aus der Tatsache, dass diese
Einrichtung von der Aufsichtsbehörde gemäss Art. 4 lit. b Ziff. 7
NivKreuzV genehmigt worden war, folgt freilich nicht ohne weiteres,
dass der Beklagten auch unter dem Gesichtspunkte des Zivilrechts eine
mangelhafte Sicherung des Übergangs nicht vorgeworfen werden könne
(vgl. OFTINGER I S. 130 Ziff. 5 und S. 131/32 Ziff. 7 mit Hinweisen auf
die Rechtsprechung). Die erwähnten Momente bilden aber immerhin ein Indiz
zugunsten der Beklagten (OFTINGER S. 132 oben). Umstände, die den Schluss
zuliessen, dass die bestehende Anlage trotz ihrer Vorschriftsmässigkeit
unzureichend sei, sind nicht vorhanden. Insbesondere ergibt sich das
Ungenügen dieser Anlage nicht schon daraus, dass sich beim fraglichen
Übergang schon früher mehrere Unfälle ereignet hatten. Diese Unfälle sind
gemäss Feststellung der Vorinstanz ausnahmslos durch die Unvorsichtigkeit
der betroffenen Strassenbenützer verursacht worden. Vorrichtungen zu
schaffen, die auch unaufmerksame oder waghalsige Strassenbenützer vor
Unfällen bei Niveaukreuzungen bewahren, ist schlechterdings unmöglich,
was u.a. durch die zahlreichen Fälle des Einfahrens geschlossener
Barrieren und anderer grober Unregelmässigkeiten von Strassenbenützern bei
Barrierenanlagen bestätigt wird. Die Beseitigung dieser Kreuzungen ist zwar
wünschenswert, kostet aber sehr viel und braucht Zeit. Inzwischen haben
sich die Strassenbenützer aller Kategorien den bestehenden Verhältnissen
anzupassen, auch wenn sie nicht ideal sind. Das hiefür erforderliche
Mass von Aufmerksamkeit ist nicht grösser als dasjenige, das im heutigen
Strassenverkehr ohnehin angewendet werden muss. Dass beim streitigen
Übergang die Blinklichter unter gewissen Beleuchtungsverhältnissen nicht
gesehen werden können, wie der Kläger behauptet, ist von der Vorinstanz
nicht festgestellt worden. Das angefochtene Urteil sagt im Gegenteil ohne
Vorbehalt, die Strassensignalisation und die roten Blinklichter seien
auf der geraden und übersichtlichen Strasse von weitem sichtbar. So
verhielt es sich auf jeden Fall zur Zeit des Unfalls, so dass das
Fehlen einer Einrichtung, die wegen des behaupteten Mangels erforderlich
sein könnte, für den streitigen Unfall nicht adäquat kausal wäre. Wenn
die Generaldirektion der SBB nach diesem Unfall beschlossen hat, den
betreffenden Übergang mit Halbbarrieren auszurüsten, so liegt darin die aus
freien Stücken erfolgte Anordnung einer zusätzlichen Sicherheitsvorkehr,
die sich noch im Stadium der Erprobung befindet. Aus diesem Beschluss
darf also nicht das Zugeständnis abgeleitet werden, dass die bisherige
Anlage mangelhaft gewesen sei. Das Fehlen von Halbbarrieren kann daher
der Beklagten nicht zum Verschulden angerechnet werden.

    b) Ein Verschulden der Beklagten liegt auch nicht darin, dass dem
Lokomotivführer nicht vorgeschrieben war, bei der Annäherung des Zuges an
den fraglichen Übergang ein Pfeifsignal abzugeben. Ein solches allgemein
vorzuschreiben, erscheint bei den mit Blinklichtanlagen gesicherten
Übergängen als unnötig; denn wer die Vorsignale und das rote Blinklicht
nicht beachtet, die viel besser warnen, als es ein aus ziemlich grosser
Entfernung abgegebener Pfiff tun könnte, wird aller Wahrscheinlichkeit
nach auch einem solchen keine Beachtung schenken. Zudem ist allgemein
bekannt, dass die Insassen eines Autos die Warnpfiffe einer Lokomotive
sehr oft überhören (vgl. z.B. BGE 69 II 153 und Urteil vom 16. Oktober
1959 i.S. Busi gegen Furka-Oberalp-Bahn). Beim streitigen Übergang wäre
die Tauglichkeit eines solchen Pfiffs zur Warnung der von Brienz kommenden
Automobilisten wegen der örtlichen Verhältnisse, auf welche die Vorinstanz
hinweist (Nähe der Karbidfabrik und weiterer Bahnübergänge), besonders
fragwürdig gewesen. Für die nicht motorisierten Strassenbenützer ist
das Läuten der Warnglocke beim Übergang eine viel wirksamere akustische
Warnung als ein Pfiff der Lokomotive.

    c) Ebensowenig bedeutet es ein Verschulden der Beklagten,
dass sie beim fraglichen Übergang eine Zugsgeschwindigkeit von 75
Stundenkilometern zulässt (welche übrigens der am Unfall beteiligte
Zug nicht erreichte). Wollte man die Gefahr von Zusammenstössen bei
Niveaukreuzungen durch eine Herabsetzung der Zugsgeschwindigkeit
beseitigen, so müsste diese vor solchen Kreuzungen im Hinblick auf
den langen Bremsweg der Züge auf wenige Stundenkilometer ermässigt
werden. Diese wäre mit dem Bahnbetrieb unvereinbar, weshalb das Gesetz
der Bahn bei Niveauübergängen die unbedingte Priorität gewährt (vgl. die
in Erw. 3 hiervor erwähnten Vorschriften).

    d) Heikler ist die Frage, ob ein Verschulden der Beklagten oder eine
von ihr zu vertretende besondere Betriebsgefahr darin zu erblicken sei,
dass die von Brienz kommenden Strassenbenützer, nachdem sie sich dem
Übergang auf weniger als 200 m genähert haben, bis ganz kurz vor dem
Übergang die von links (Brienzwiler) nahenden Züge nicht mehr sehen können.

    Art. 11 der Verordnung betr. Bau und Betrieb der Nebenbahnen vom
19. März 1929 (NebenbahnV; BS 7 S. 121) bestimmt in Ziff. 4 Abs. 2:

    "Bei mit fernbedienten Barrieren versehenen oder unbewachten
Wegübergängen ist für grösstmöglichste Übersichtlichkeit zu sorgen."

    (Es beruht zweifellos auf einem redaktionellen Versehen, wenn der
französiche Text dieser Vorschrift in Abweichung von der deutschen und
italienischen Fassung neben den Übergängen mit fernbedienten Barrieren
nicht die unbewachten Übergänge - passages à niveau non gardés -, sondern
die Übergänge mit nicht bedienten Barrieren erwähnt: passages à niveau dont
les barrières sont manoeuvrées à distance ou qui ne sont pas desservies).

    Nach der Niveaukreuzungs-Verordnung, insbesondere nach den in
Art. 11 Ziff. 2 lit. a und b dieser Verordnung enthaltenen Definitionen,
gelten Übergänge mit optischer und akustischer Signalisierung als
bewacht. Seitdem Art. 9 StrassensigV durch Bundesratsbeschluss vom
23. November 1934 (AS 50 S. 1340) in dem Sinne abgeändert worden ist,
dass nicht mehr das Signal zur Bezeichnung eines bewachten Bahnübergangs
(Gefahrsignal Nr. 4, Dreiecktafel mit Darstellung einer Barriere), sondern
dasjenige zur Bezeichnung eines unbewachten Bahnübergangs (Gefahrsignal
Nr. 5, Dreiecktafel mit Lokomotive) vor Niveauübergängen mit optischer
und akustischer Signalisierung warnt, hat jedoch das Bundesgericht in
zwei Entscheiden angenommen, solche Übergänge seien heute im Sinne von
Art. 11 Ziff. 4 der NebenbahnV bzw. der bahnpolizeilichen Vorschriften
in Art. 11 Ziff. 2 lit. a und b NivKreuzV als unbewacht zu betrachten
(vgl. das nicht veröffentlichte Urteil der II. Zivilabteilung vom
30. Mai 1958 i.S. Furka-Oberalp-Bahn gegen Fautré, kritisch besprochen
von A. GEISER in SJZ 1959 S. 269 ff., und das bereits erwähnte Urteil
des Kassationshofes vom 17. Juni 1960 i.S. Morgenthaler, BGE 86 IV 97 ff.).

    Bei einer neuen Prüfung dieser Frage könnte vielleicht der bisher
nicht gewürdigte Umstand Bedeutung gewinnen, dass zusammen mit Art. 9
Abs. 2 und 3 StrassensigV aus dem gleichen Anlass, nämlich mit Rücksicht
auf Bestrebungen zur internationalen Vereinheitlichung der Kennzeichung
der Bahnübergänge, um die sich ein Völkerbundsausschuss bemühte
(Geschäftsbericht des Bundesrates 1934 S. 337 und 821), auch mehrere
Bestimmungen der Niv-KreuzV abgeändert wurden (AS 50 S. 1336). Wurde
diese Verordnung in die Revision vom 23. November 1934 einbezogen,
so lässt sich die Tatsache, dass Art. 11 Ziff. 2 dieser Verordnung
unverändert blieb, nicht leicht auf ein Versehen zurückführen, wie es
angenommen werden müsste, wenn richtig wäre, dass die Abänderung von
Art. 9 StrassensigV dem Sinne nach auch eine Abänderung von Art. 11
Ziff. 2 lit. a und b NivKreuzV in sich geschlossen habe. Ein solches
Versehen anzunehmen, liesse sich wohl nur dann rechtfertigen, wenn die
erfolgte Revision von Art. 9 StrassensigV im Falle, dass Art. 11 Ziff. 2
Niv-KreuzV weiterhin dem unveränderten Wortlaut gemäss ausgelegt würde,
als schlechthin zwecklos erschiene. Dies lässt sich jedoch kaum sagen. Aus
dem Umstand, dass vor Übergängen mit Blinklichtanlage heute nicht mehr
das Gefahrsignal Nr. 4, sondern das Gefahrsignal Nr. 5 aufzustellen ist,
folgt nicht ohne weiteres, dass es sich sachlich nicht mehr rechtfertigen
lasse, in bahnpolizeilicher Hinsicht zwischen den Übergängen mit Barrieren
oder Blinklichtanlage einerseits und denjenigen mit blossem Kreuzsignal
anderseits einen Unterschied zu machen, wie Art. 11 Ziff. 2 NivKreuzV
es nach seinem Wortlaut tut. Neben dem Bestreben, zur internationalen
Vereinheitlichung der Strassensignalisation beizutragen, kann der Revision
von Art. 9 StrassensigV, wie die Beklagte zutreffend bemerkt, die Absicht
zugrundegelegen haben, die Strassenbenützer, die sich einem Übergang
mit Blinklichtanlage nähern, vor dem unter Umständen gefährlichen
Irrtum zu bewahren, der durch das Vorsignal angekündigte Übergang
sei mit Barrieren versehen, zu welchem Irrtum sie verführt werden
konnten, solange die Übergänge mit Blinklichtanlage wie diejenigen
mit Barrieren durch das eine solche darstellende Gefahrsignal Nr.
4 bezeichnet wurden. In der Verhinderung einer solchen Täuschung kann ein
vernünftiger Grund für die Abänderung von Art. 9 Abs. 2 und 3 StrassensigV
ohne gleichzeitige Abänderung von Art. 11 Ziff. 2 lit. a und b NivKreuzV
gefunden werden. (Wenn heute für Übergänge mit Blinklichtanlage das gleiche
Vorsignal verwendet wird wie für Übergänge mit blossem Kreuzsignal, nämlich
das Gefahrsignal Nr. 5 mit dem Bild einer Lokomotive, so ist dies nicht
etwa dazu angetan, einen anderen Irrtum mit ähnlichen Folgen hervorzurufen,
da dieses Vorsignal nicht die Vorstellung einer in Wirklichkeit nicht
vorhandenen Sicherungsanlage weckt.) Für das Verhalten der Strassenbenützer
vor Übergängen mit Blinklichtanlage kann im übrigen schon deshalb nicht
einfach vorbehaltlos lit. b anstelle von lit. a von Art. 11 Ziff. 2
NivKreuzV massgebend geworden sein, weil die in lit. a enthaltene Regel,
dass vor einem in Tätigkeit befindlichen Blinklicht angehalten werden muss,
unmöglich als ausser Kraft gesetzt gelten kann (vgl. Erw. 3 hievor).

    Welche Tragweite der Revision von Art. 9 Abs. 2 und 3 StrassensigV
angesichts dieser Momente für die Anwendung von Art. 11 Ziff. 2
NivKreuzV und Art. 11 Ziff. 4 NebenbahnV zukomme, braucht heute indes
nicht abschliessend beurteilt zu werden (was, soweit das richtige
Verhalten bei Annäherung an einen Bahnübergang mit nicht in Tätigkeit
stehender Blinklichtanlage in Frage steht, gemäss Art. 16 OG nur im
Zusammenwirken mit dem Kassationshof geschehen könnte). Auch wenn man
daran festhalten will, dass Übergänge mit Blinklichtanlage heute im
Sinne von Art. 11 Ziff. 2 NivKreuzV und Art. 11 Ziff. 4 NebenbahnV
als unbewacht anzusehen seien, ist nämlich doch auf jeden Fall klar,
dass an die Übersichtlichkeit einer solchen Kreuzung nicht unter allen
Umständen die gleichen Anforderungen gestellt werden dürfen wie an
die Übersichtlichkeit eines Übergangs mit blossem Kreuzsignal. Im Falle
Furka-Oberalp-Bahn gegen Fautré wurde der Bahn in erster Linie deshalb ein
Verschulden vorgeworfen, weil die Sicht auf die Signale beeinträchtigt war.
Wenn daneben ein Verschulden der Bahn auch darin erblickt wurde, dass dicht
belaubte Alleebäume die Sicht auf die Bahngeleise ausserhalb der Kreuzung
verdeckten, so vor allem deswegen, weil die fragliche Kreuzung an einer
stark befahrenen Hauptstrasse bei der Einfahrt in ein Dorf lag, wo die
Aufmerksamkeit der Autofahrer durch viele Dinge zugleich beansprucht wurde.
Im vorliegenden Falle liegen die Verhältnisse in wesentlichen Punkten
anders. Zwar handelt es sich auch hier um eine Hauptstrasse. Die Sicht
auf die Signale war hier aber einwandfrei und der Übergang, auf dem der
streitige Unfall sich ereignete, befindet sich ausserhalb des Dorfes
Meiringen auf einer geraden, übersichtlichen Landstrasse. Die Sicht nach
links auf das Bahngeleise reichte in der Nähe des Übergangs immerhin
so weit, dass selbst ein Fahrzeuglenker, der das Blinklicht irrtümlich
bloss als Warnung betrachtete, bei Anwendung eines Mindestmasses von
Vorsicht (Verlangsamung der Fahrt, Umschau) beim Auftauchen eines Zugs
noch rechtzeitig anhalten konnte. Bei dieser Sachlage geht es nicht an,
der Beklagten die Tatsache, dass sich wegen des bei der Kreuzung stehenden
Wärterhäuschens die Sicht auf das Bahngeleise in Richtung Brienzwiler erst
kurz vor dem Übergang öffnete, zum Verschulden anzurechnen. Mit Rücksicht
auf die örtlichen Verhältnisse und die getroffenen Sicherungsvorkehren
(einwandfrei funktionierende, gut sichtbare Blinklichtanlage mit
entsprechender Vorsignalisierung) kann aber auch nicht anerkannt werden,
dass die erwähnte Tatsache eine erhöhte Betriebsgefahr begründet habe.

    Wollte man übrigens in diesen Punkten noch eine andere Auffassung
vertreten, so wäre zu beachten, dass die Vorinstanz feststellt, bei
Beseitigung des Wärterhäuschens wäre die Sicht nach links zwar etwas besser
geworden, doch hätte sich der Unfall bei den gegebenen Verhältnissen
(womit offenbar namentlich die unverantwortliche Sorglosigkeit Malkins
gemeint ist) dennoch mit gleicher Intensität ereignet. Nach diesen
tatsächlichen Feststellungen, die gemäss Art. 63 Abs. 2 OG für das
Bundesgericht verbindlich sind, war die Behinderung der Sicht durch das
Wärterhäuschen für den Unfall nicht kausal.

    Andere Umstände, die ein Verschulden der Beklagten oder eine erhöhte
Betriebsgefahr begründet hätten, liegen nicht vor.

    Die dem Bahnbetrieb normalerweise innewohnende Betriebsgefahr wird
durch das Verschulden Malkins und des Klägers, die sich recht eigentlich
ins Verderben gestürzt haben, als Ursache des Unfalls so weit in den
Hintergrund gedrängt, dass dieses Verschulden im Sinne von Art. 1
EHG als die einzige adäquate Ursache des Unfalls bezeichnet zu werden
verdient. Dies führt zur Befreiung der Beklagten.

Entscheid:

Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die Berufung wird abgewiesen und das Urteil des Obergerichtes des
Kantons Luzern, I. Kammer, vom 21. März 1961 bestätigt.