Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 87 II 129



87 II 129

18. Urteil der II. Zivilabteilung vom 21. September 1961 i.S. H. Regeste

    Entmündigungsverfahren.

    1.  Ein Ehegatte kann sich der Entmündigung des andern nicht in seinem
eigenen Namen widersetzen und ist gemäss Art. 29 Abs. 2 OG grundsätzlich
auch nicht befugt, den andern im Verfahren vor Bundesgericht zu vertreten.

    2.  Aufhebung eines Entmündigungsbeschlusses wegen Verletzung der
Vorschriften über die vorgängige Anhörung (Art. 374 ZGB). Wird dieser
Verfahrensmangel erst vor Bundesgericht gerügt, so liegt darin nicht ein
neues Vorbringen, das nach Art. 55 lit. c OG unzulässig wäre.

Sachverhalt

    Am 12. Januar 1961 stellte der Gemeinderat von Emmen Frau H. gemäss
Art. 369 und 370 ZGB unter Vormundschaft. Er stützte sich dabei auf
ein Gutachten der Direktion der Heil- und Pflegeanstalt Königsfelden
vom 1. Dezember 1960, das zum Schlusse kam, Frau H. sei eine infantile
Psychopathin, die an chronischem Alkoholismus leide.

    Der Regierungsrat des Kantons Luzern hat diesen an ihn weitergezogenen
Entscheid am 18. Mai 1961 bestätigt.

    Gegen den regierungsrätlichen Entscheid hat der Ehemann der zu
Entmündigenden in deren Namen die Berufung an das Bundesgericht erklärt.
Neben ihm hat auch die zu Entmündigende selber die Berufungsschrift
unterzeichnet. Darin wird in erster Linie geltend gemacht, die Entmündigung
sei ungesetzlich, weil Frau H. im kantonalen Verfahren nie angehört
worden sei.

Auszug aus den Erwägungen:

              Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Nach Art. 29 Abs. 2 OG können in Zivil- und Strafsachen unter
einem hier nicht zutreffenden Vorbehalt nur patentierte Anwälte sowie
die Rechtslehrer an schweizerischen Hochschulen als Parteivertreter vor
Bundesgericht auftreten. Der Ehemann der zu Entmündigenden war daher nicht
befugt, als deren Vertreter gegen den Entscheid des Regierungsrates
die Berufung an das Bundesgericht zu erklären. Er ist aber auch
nicht berechtigt, sich ihrer Entmündigung in seinem eigenen Namen zu
widersetzen. Art. 433 Abs. 3 ZGB, wonach ausser dem Bevormundeten
jedermann, der ein Interesse hat, die Aufhebung der (rechtskräftig
angeordneten) Vormundschaft beantragen kann, darf nicht ausdehnend
ausgelegt werden (BGE 64 II 181). Soweit die vorliegende Berufung vom
Ehemann der zu Entmündigenden ausgeht, ist also darauf nicht einzutreten
(wogegen der Regierungsrat durch das Bundesrecht nicht gehindert war, auf
den an ihn gerichteten Rekurs einzutreten, soweit der Ehemann ihn gemäss
dem letzten Absatz der Rekursschrift im Namen der Ehefrau eingereicht
hatte). Die Berufung ist jedoch, da Frau H. die Berufungsschrift
mitunterzeichnet hat, als von ihr persönlich eingelegte Berufung wirksam.

Erwägung 2

    2.- Wegen Verschwendung, Trunksucht, lasterhaften Lebenswandels oder
der Art und Weise ihrer Vermögensverwaltung darf eine Person nach Art. 374
Abs. 1 ZGB nicht entmündigt werden, ohne dass sie vorher angehört worden
ist. Soll eine Person nach Art. 370 ZGB entmündigt werden, ist ihre
Anhörung (vgl. hiezu BGE 40 II 182 ff., 84 II 146 ff.) also unerlässlich.

    Die Entmündigung wegen Geisteskrankheit oder Geistesschwäche
darf gemäss Art. 374 Abs. 2 ZGB nur nach Einholung des Gutachtens von
Sachverständigen erfolgen, das sich auch über die Zulässigkeit einer
vorgängigen Anhörung des zu Entmündigenden auszusprechen hat. Hieraus
folgt, dass die Anhörung einer Person, die nach Art. 369 ZGB entmündigt
werden soll, ohne vorherige Befragung des Sachverständigen über deren
Zulässigkeit nicht verweigert werden darf (BGE 70 II 75).

    Nach den vorliegenden Akten ist die Berufungsklägerin gemäss Art. 369
und 370 ZGB entmündigt worden, ohne dass die kantonalen Behörden sie
angehört hätten und ohne dass der Sachverständige befragt worden wäre,
ob ihre Anhörung zulässig sei. Die kantonalen Instanzen haben sich
also bei der Entmündigung der Berufungsklägerin über Art. 374 ZGB (und
die in Ausführung dieser Vorschrift erlassenen §§ 48/49 des kantonalen
Einführungsgesetzes zum ZGB) hinweggesetzt.

    Der Regierungsrat bestreitet dies nicht, macht aber geltend,
dieser "Einwand" sei vor ihm nicht erhoben worden und könne daher im
Berufungsverfahren vor Bundesgericht nicht gehört werden. Diese Auffassung
ist unrichtig. Indem sich die Berufungsklägerin vor Bundesgericht darauf
beruft, dass im kantonalen Verfahren die Vorschrift von Art. 374 ZGB
ausseracht gelassen worden sei, bringt sie nicht neue Tatsachen oder
Einreden vor, was nach Art. 55 lit. c OG unzulässig wäre. Vielmehr macht
sie damit die Verletzung einer bundesrechtlichen Verfahrensvorschrift
geltend, die vor Bundesgericht unabhängig davon gerügt werden kann,
ob schon vor der obern kantonalen Instanz darauf hingewiesen worden sei
oder nicht.

    Haben die kantonalen Behörden eineEntmündigung unter Verletzung von
Art. 374 ZGB angeordnet, so ist der angefochtene Entscheid aufzuheben,
ohne dass anhand der vorliegenden Akten das Vorhandensein eines
Entmündigungsgrundes zu prüfen wäre. Die luzernischen Behörden sind aber
immerhin darauf hinzuweisen, dass sie bei der neuen Entscheidung, die auf
die gebotene Aktenergänzung folgen muss, BGE 85 II 457 ff. (Erw. 4 und 5,
S. 462/63) zu beachten haben.

Entscheid:

               Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Soweit auf die Berufung einzutreten ist, wird sie dahin gutgeheissen,
dass der angefochtene Entscheid aufgehoben und die Sache zu neuer
Entscheidung im Sinne der Erwägungen an die Vorinstanz zurückgewiesen wird.