Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 87 III 79



87 III 79

15. Urteil der II. Zivilabteilung vom 12. Juni 1961 i.S. Konkursmasse
Haldi gegen Marti. Regeste

    1. Rechtskraft des Kollokationsplans im Konkurs (Art. 250 SchKG).

    Um die Begründetheit einer Konkurseingabe (hier in bezug auf ein
Konkursvorrecht der zweiten Klasse nach Art. 219 SchKG) abklären zu können,
steht es der Konkursverwaltung zu, die Aufstellung des Kollokationsplanes
zu verschieben oder die Stellungnahme zu einzelnen Eingaben einer spätern
Ergänzung des Planes vorzubehalten. Art. 59 Abs. 2 KV.

    Eine nicht binnen gesetzlicher Frist (Art. 250 SchKG) angefochtene
Kollokation wird rechtskräftig. Sie kann nicht wegen eines später
entdeckten Irrtums nachträglich berichtigt werden. Ein solcher Irrtum gibt
der Konkursmasse auch keinen Anspruch aus ungerechtfertigter Bereicherung
(Art. 62 ff. OR), den sie mit dem gemäss Kollokation ermittelten
Konkursbetreffnis des Gläubigers verrechnen könnte.

    Ist eine Kollokation durch betrügerische Angaben erschlichen worden,
so ist sie dagegen nichtig und der Rechtskraft nicht fähig.

    2. Berufungsverfahren. Tatsächliche Feststellungen des kantonalen
Entscheides (Art. 43 Abs. 3, 55 Abs. 1 lit. d, 63 Abs. 2 OG). Der
Berichtigung durch das Bundesgericht unterliegen nur Feststellungen, die
auf einem offensichtlichen Versehen über den Akteninhalt beruhen. Eine
dahingehende Rüge lässt sich nicht auf neue Aktenstücke stützen.

Sachverhalt

    A.- Erich Haldi, damals Fürsprecher und Notar in Burgdorf,
wurde am 17. Januar 1955 zum Beirat des Hilfsarbeiters Hans Marti mit
Vermögensverwaltung ernannt. Laut der Abrechnung des Beirates über den
Stand des Vermögens des Schutzbefohlenen vom Juni 1957 ergab sich ein
Reinbetrag von Fr. 14'195.--. In dem am 10. November 1957 eröffneten
Konkurs des wegen Veruntreuungen in Strafuntersuchung gezogenen Erich
Haldi gab der neue Beirat des Hans Marti eine Forderung im erwähnten
Betrage nebst Zins, zusammen Fr. 14'823.10, ein und beanspruchte dafür das
Privileg der zweiten Klasse nach Art. 219 SchKG. In dem im Dezember 1958
aufgelegten Kollokationsplan wurde die Forderung im vollen Betrag anerkannt
und in die zweite Klasse eingereiht. Diese Kollokation blieb unangefochten.

    B.- Im September 1959 machte dann aber die Konkursverwaltung einen
mit dem Konkursbetreffnis zu verrechnenden Gegenanspruch der Konkursmasse
geltend: Es habe sich inzwischen ergeben, dass die Forderung des Hans
Marti aus einer vom Gemeinschuldner schon vor Antritt des Amtes eines
Beirates, nämlich im Sommer 1954, begangenen Veruntreuung herrühre
und ihr daher von Rechts wegen das Privileg der zweiten Klasse nicht
zukomme. Die Differenz zwischen dem auf Grund der Kollokation in zweiter
Klasse voll gedeckten Forderungsbetrag und der Konkursdividende, die bei
Einreihung in der fünften Klasse auf die Forderung entfiele, stelle sich
als ungerechtfertigte Bereicherung dar. Aus diesem Sachverhalt erwachse
der Konkursmasse eine Rückforderung aus ungerechtfertigter Bereicherung,
die sie, da die Auszahlung des vollen Betreffnisses noch nicht erfolgt sei,
verrechnungsweise geltend machen könne. Die Konkursverwaltung setzte dem
Hans Marti eine Frist von zehn Tagen zur Einreichung einer Klage gegen die
Masse, um auf diesem Weg, wenn er die Verrechnung nicht zulassen wolle,
das volle Konkursbetreffnis entsprechend der Kollokation zu verlangen
und die zur Verrechnung gestellte Forderung der Masse zu bestreiten.

    C.- Marti klagte hierauf gegen die Konkursmasse des Erich Haldi auf
Zahlung von Fr. 14'823.10. Die Beklagte anerkannte einen Teilbetrag
von Fr. 2'223.47, auf den sich die in fünfter Klasse zu erwartende
Konkursdividende von 15% belaufe, und bestritt den Mehrbetrag von Fr.
12'599.63 mit Hinweis auf die Gegenforderung von 85%.

    D.- Mit Urteil vom 26. Oktober 1960 hat der Appellationshof des Kantons
Bern dem Kläger den streitig gebliebenen Forderungsbetrag von Fr. 12'599.63
zugesprochen und die Verrechnungseinrede der Beklagten verworfen. Diese
Einrede scheitere an der Rechtskraft des Kollokationsplanes. Im übrigen
sei den Konkursorganen der Einblick in die Strafakten schon vor Auflegung
des Kollokationsplanes offen gestanden. Das ergebe sich aus einem in den
Strafakten enthaltenen Brief des Konkursverwalters an den Staatsanwalt
vom 25. Juni 1958, wonach er die ihm zur Einsichtnahme zur Verfügung
gestellten Strafakten zurückgesandt habe. Diesen Akten habe man entnehmen
können, dass der Gemeinschuldner schon im Juni 1954 Geldbeträge des
Klägers veruntreut habe, also schon bevor er dessen Beirat war. Die
Konkursverwaltung könne sich also nicht auf unverschuldeten Irrtum bei
der Kollokation berufen. Im übrigen stehe dahin, ob der Gemeinschuldner
jene Veruntreuungen in Erwartung einer Revision vorübergehend gutgemacht
habe und dann erst als Beirat neuerdings fehlbar geworden sei. Darüber
brauche nicht Beweis geführt zu werden, da die Klage ohnehin auf Grund
des rechtskräftigen Kollokationsplanes zu schützen sei.

    E.- Mit vorliegender Berufung an das Bundesgericht hält
die Beklagtschaft am Antrag auf Abweisung der Klage in dem streitig
gebliebenen Betrage fest. Sie wendet sich in der Begründung insbesondere
gegen die Feststellung des Appellationshofes, wonach die Konkursverwaltung
schon mehrere Monate vor Auflegung des Kollokationsplanes die Akten der
Strafuntersuchung gegen Haldi habe einsehen können. Diese Feststellung
beruhe auf offensichtlichem Versehen, wie sich aus den der Berufungsschrift
beigelegten Briefen ergebe. Danach habe der Konkursverwalter im Sommer
1958 nur in einen - und zwar einen nicht auf die Forderung des Klägers
bezüglichen - Teil der Strafakten Einsicht genommen.

    Der Antrag des Klägers geht auf Abweisung der Berufung.

Auszug aus den Erwägungen:

              Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Im vorliegenden Berufungsverfahren kann keinesfalls ein Sachurteil
auf Abweisung der Klage ergehen, wie es die Beklagte in erster Linie
beantragt. Sollte deren Kritik des angefochtenen Urteils sich als
begründet erweisen, so wäre die Rückweisung der Sache an die Vorinstanz zur
Beweisergänzung und zu neuer Beurteilung unerlässlich. Es müsste nämlich
abgeklärt werden, ob die Forderung des Klägers, was die Vorinstanz offen
gelassen hat, etwa gar nicht auf der Veruntreuung vom Sommer 1954, sondern
auf einer erst während der Beiratschaft begangenen neuen Veruntreuung
beruhe, womit sich die Einreihung der Forderung in zweiter Klasse als in
jeder Hinsicht einwandfrei erwiese und für eine Gegenforderung der Masse
aus ungerechtfertigter Bereicherung von vornherein kein Raum bestünde.

Erwägung 2

    2.- Indessen bedarf es keiner Abklärung dieses tatbeständlichen
Punktes. Das Urteil der Vorinstanz ist richtig, auch wenn man mit
dem Appellationshof davon ausgeht, der Gemeinschuldner habe gegenüber
dem Kläger nur die im Strafverfahren festgestellten Veruntreuungen
vom Jahre 1954, vor der Ernennung zum Beirat, begangen, und es sei der
Gemeinschuldner den streitigen Betrag somit nicht in der Eigenschaft als
Beirat schuldig geworden. Gewiss hätte in diesem Falle die Kollokation
nicht in zweiter Klasse erfolgen sollen. Allein die Konkursverwaltung hat
dem Begehren des Klägers bezw. seines neuen Beirates entsprochen, und
diese Kollokation ist binnen gesetzlicher Frist weder von einem andern
Gläubiger gerichtlich angefochten noch vor Eintritt der Rechtskraft
von der Konkursverwaltung selbst widerrufen worden. Die Zuerkennung des
Privilegs kann infolgedessen nicht durch eine nachträgliche Berichtigung
des Kollokationsplanes rückgängig gemacht werden. Das sieht die
Beklagte selber ein. Sie versucht deshalb, nach dem Vorbild des von ihr
angerufenen BGE 64 III 141 ff. aus ihrem Irrtum eine mit dem an sich 100%
der Forderung ausmachenden Konkursbetreffnis verrechenbare Gegenforderung
der Konkursmasse herzuleiten. Dabei handle es sich, da die Beklagte
den guten Glauben des neuen Beirates des Klägers gelten lässt, nicht
um eine Forderung aus unerlaubter Handlung, sondern um eine solche aus
ungerechtfertigter Bereicherung.

    Von einer durch Zahlung des dem Kollokationsplan entsprechenden
Betreffnisses bewirkten ungerechtfertigten Bereicherung des Klägers
kann jedoch keine Rede sein. Materiellrechtlich betrachtet erhält der
Kläger nichts anderes als worauf er Anspruch hat. Und verfahrensrechtlich
geniesst er eine Vorzugstellung, die aus der vom Gesetz dem unangefochtenen
Kollokationsplan zuerkannten Rechtskraft fliesst. Mit dem Sinn und Zweck
der Rechtskraft wäre es unverträglich, der Konkursmasse zu gestatten,
nachträglich mit Berufung auf einen bei der Kollokation unterlaufenen
Irrtum deren Rechtmässigkeit in Frage zu stellen. Solche Irrtümer bilden
den hauptsächlichen Grund von Kollokationsklagen, die jedoch eben binnen
gesetzlicher Frist anzuheben und gegenüber einer formell rechtskräftig
gewordenen Kollokation nicht mehr zulässig sind. Demgemäss ist im
Verteilungsstadium des Konkurses die rechtskräftige Kollokation jedes
Gläubigers als der nicht mehr der Bestreitung unterliegende Rechtstitel
für die Beteiligung am Verwertungserlös zu betrachten (vgl. BGE 56 III
109 Erw. 4). Was die Beklagte als Gegenanspruch der Masse bezeichnet,
ist lediglich eine von ihr gewünschte nachträgliche Berichtigung der
Kollokation. Sie sieht die ungerechtfertigte Bereicherung des Klägers
eben im Bezug des seiner Kollokation entsprechenden Betreffnisses. Es
handelt sich weder um eine seit der Kollokation eingetretene Änderung des
Rechtsverhältnisses, auf die Rücksicht zu nehmen wäre (vgl. BGE 39 I 662
ff. = Sep.-Ausg. 16 S. 321 ff.), noch um eine erst in der Zwischenzeit in
das Konkursvermögen gelangte verrechenbare Gegenforderung des Schuldners
(vgl. BGE 83 III 67 ff.), noch stützt sich die Beklagte auf ein zu ihren,
der Konkursmasse, Gunsten entstandenes neues Rechtsverhältnis. Sie will
einfach auf die Grundlage der Kollokation des Klägers zurückkommen,
was nach dem Gesagten nicht angeht.

    Auch der Hinweis auf BGE 64 III 141 ff. geht fehl. Jene Entscheidung
betraf eine Kollokation, die durch eine betrügerische Eingabe erschlichen
worden war. Infolge der deliktischen Einwirkung kann eine solche
Kollokationsverfügung gar nicht gültig sein. Sie unterliegt nicht bloss
der Anfechtung gemäss den gesetzlichen Beschwerde- und Klagefristen,
sondern ist als nichtig zu betrachten, kann also nicht Rechtskraft
erlangen. Daraus ergibt sich eine unbefristete Einwendung und - wenn die
betrügerische Einwirkung erst nach Ausrichtung des Betreffnisses gemäss
Kollokation entdeckt wird - ein Rückforderungsanspruch der Masse. Die
Einwendung der Nichtigkeit der Kollokation braucht nicht in die Gestalt
eines zu verrechnenden Gegenanspruchs aus unerlaubter Handlung gekleidet
zu werden, wie die Klägerschaft in der Berufungsbeantwortung mit Recht
bemerkt. Es kann lediglich zu ihrer Begründung auch darauf hingewiesen
werden, dass die Auszahlung gemäss der Kollokation sich als eine auf
unerlaubter Handlung beruhende Schädigung auswirken müsste, die der
betreffende Gläubiger wieder gutzumachen hätte. Im vorliegenden Falle hat
man es mit einer ganz andern Sachlage zu tun. Von deliktischer Einwirkung,
die eine der Rechtskraft fähige Kollokationsverfügung nicht hätte entstehen
lassen, ist hier nicht die Rede. Es ging bei der Konkurseingabe durchaus
mit rechten Dingen zu. Der neue Beirat des Klägers wie auch dieser selbst
zogen offenbar (gleich wie die Vormundschaftsbehörde laut der Passation der
Beiratschaftsrechnung vom 4. Januar 1958, Ziff. 5 und 6) bloss eine auf
der Beiratschaft beruhende, des Privilegs der zweiten Klasse teilhaftige
Forderung in Betracht. Es lag also, wenn überhaupt (vgl. Erw. 1 hievor),
lediglich eine (hinsichtlich des Privilegs) sachlich unbegründete und
daher zu Unrecht bei der Kollokation geschützte Ansprache vor, die zu
einer Kollokationsklage hätte Anlass geben können. Diese Kollokation
beruhte aber auf keinen unerlaubten Machenschaften und war daher der
Rechtskraft fähig, wobei es sein Bewenden haben muss.

    Zur Prüfung von Konkursforderungen, für die ein Privileg im Sinne des
Art. 219 SchKG beansprucht wird, gehört in jedem Falle die Prüfung der für
das Privileg geltenden Voraussetzungen. Standen der Konkursverwaltung
bei Aufstellung des Kollokationsplanes nicht genügende Unterlagen
zur Abklärung dieser Frage zur Verfügung, so konnte sie nach Art. 59
Abs. 2 KV die Aufstellung des Planes überhaupt verschieben oder die
Stellungnahme zur Ansprache des Klägers einer spätern Ergänzung des Planes
vorbehalten. Wenn sie von diesen Möglichkeiten keinen Gebrauch machte und
eine Kollokationsverfügung über die in Frage stehende Ansprache traf,
so mussten dann auch die Wirkungen der Rechtskraft eintreten. Nach
Feststellung der Vorinstanz besass übrigens die Konkursverwaltung
bereits mehrere Monate vor Auflegung des Kollokationsplanes mindestens
die Möglichkeit der Einsichtnahme in die Strafakten. Diese Feststellung
beruht keineswegs auf offensichtlichem Versehen, das sich auf den Inhalt
bestimmter Aktenstücke beziehen müsste (vgl. BGE 62 I 60). Auch wenn
der Konkursverwalter dem Staatsanwalt am 25. Juni 1958 nur einen Teil
der Strafakten zurücksandte, durfte daraus gefolgert werden, er hätte
auf Verlangen auch Einblick in die von der Vorinstanz erwähnten, auf den
Zeitpunkt der dem Kläger gegenüber begangenen Veruntreuungen bezüglichen
Aktenstellen erhalten. Auf neue Aktenstücke, wie sie die Beklagtschaft
ihrer Berufungsschrift beigelegt hat, lässt sich die Versehensrüge des
Art. 55 Abs. 1 lit. d/63 Abs. 2 OG ohnehin nicht stützen.

Entscheid:

Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die Berufung wird abgewiesen und das Urteil des Appellationshofes
des Kantons Bern vom 26. Oktober 1960 bestätigt.