Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 87 III 72



87 III 72

14. Entscheid vom 5. Juni 1961 i.S. Good. Regeste

    Nach Eröffnung der konkursamtlichen Liquidation einer Erbschaft
(Art. 573 ZGB, 193 SchKG) kann diese nicht mehr betrieben werden;
Art. 49 SchKG. Das gilt grundsätzlich auch, wenn der der Konkurs mangels
genügender Aktiven gemäss Art. 230 SchKG eingestellt und geschlossen
wird. Lediglich die zuvor zu Gunsten einzelner Gläubiger vollzogenen,
infolge der Konkurseröffnung nach Art. 206 SchKG dahingefallenen Pfändungen
leben in diesem Falle wieder auf, so dass die betreffenden Gläubiger nun
diese Gegenstände für sich verwerten lassen können. Andere Gläubiger haben
keinen Zugriff auf etwa noch sonst vorhandene Erbschaftsaktiven; diese
fallen nach Analogie des Art. 573 Abs. 2 ZGB an die ausschlagenden Erben.

Sachverhalt

    A.- Über die Verlassenschaft der am 8 Februar 1960 verstorbenen
Witwe Klara Buri in Zürich wurde wegen Überschuldung am 23. März
1960 die konkursamtliche Liquidation angeordnet, die dem Konkursamt
Schwamendingen-Zürich oblag. Am 4. April 1960 stellte der Konkursrichter
die Liquidation jedoch in Anwendung des Art. 230 SchKG mangels Aktiven
wieder ein, und sie wurde hierauf geschlossen, da kein Gläubiger binnen der
am 18. April 1960 auslaufenden Frist den für ihre Durchführung verlangten
Kostenvorschuss von Fr. 500.-- leistete. Dies tat auch die Rekurrentin
nicht, welche die Schuldnerin im Februar 1958 für eine Darlehensforderung
von Fr. 3'150.-- nebst Zins betrieben hatte mit dem Ergebnis, dass ihr aus
der Verwertung eines Original Simon-Reliefs ein Erlös von Fr. 2'772.55
zufiel. Eine Nachpfändung eines der Schuldnerin gehörenden Abgusses des
erwähnten Reliefs und allfälliger weiterer Gegenstände unterblieb, wie die
Rekurrentin ausführt, wegen der Erkrankung und des Todes der Schuldnerin.

    B.- Für die Restforderung hob die Rekurrentin im Januar 1961 eine neue
Betreibung an gegen die "Erbschaft der Frau Klara Buri..., vertreten
durch den von der Vormundschaftsbehörde zu ernennenden Beistand"
Das Betreibungsamt Zürich 11 gab dem Begehren Folge und stellte den
Zahlungsbefehl Nr. 60277 vom 17. Januar 1961 der Vormundschaftsbehörde
der Stadt Zürich zu.

    C.- Diese Behörde hielt eine Betreibung der Erbschaft nach Anordnung
der konkursamtlichen Liquidation für unzulässig. Sie führte Beschwerde mit
dem Antrag, die Betreibung Nr. 60277 und insbesondere der Zahlungsbefehl
sowie dessen Zustellung seien als nichtig zu erklären und aufzuheben. Das
Betreibungsamt liess sich dahin vernehmen: Die Betreibung erscheine
nach Art. 49 und Art. 230 Abs. 3 SchKG als zulässig. Das Vorhandensein
verwertbaren Erbschaftsvermögens lasse sich nichtleugnen; denn für den
der Schuldnerin verbliebenen, vom Konkursamt Schwamendingen-Zürich als
Nachlassaktivum inventarisierten Reliefabguss wolle ein Kaufsinteressent
Fr. 3'000.-- zahlen.

    D.- Sowohl die untere wie auch die obere kantonale Aufsichtsbehörde
erachteten die Betreibung indessen als nichtig und hoben sie auf.

    E.- Den oberinstanzlichen Entscheid vom 9. Mai 1961 hat die Gläubigerin
an das Bundesgericht weitergezogen.

    Sie hält daran fest, dass die Betreibung zulässig und die Beschwerde
daher abzuweisen sei. Eventuell beantragt sie, es sei festzustellen,
dass das Konkursamt die Nachlassaktiven zu verwerten und den Erlös den
Gläubigern zuzuweisen habe.

Auszug aus den Erwägungen:

    Die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Eine Erbschaft kann als solche, somit als Sondervermögen, nach Art.
49 SchKG nur solange betrieben werden, als eine amtliche Liquidation
- allenfalls eine solche durch das Konkursamt - nicht angeordnet
ist. Nach diesem Zeitpunkt besteht sie als Betreibungsschuldnerin nicht
mehr. Ein Gläubiger muss daher seine Forderung im konkursamtlichen
Liquidationsverfahren geltend machen, sonst verliert er die Möglichkeit,
sie durchzusetzen. Es macht in dieser Hinsicht keinen Unterschied aus,
ob sich die konkursamtliche Liquidation durchführen lässt oder mangels
genügender Aktiven gemäss Art. 230 SchKG eingestellt werden muss. Im
letztern Fall erhalten die Gläubiger die Möglichkeit, binnen bestimmter
Frist den für die Durchführung des Verfahrens verlangten Vorschuss zu
leisten. Unterbleibt diese Leistung, wie im vorliegenden Falle, so wird das
Verfahren als undurchführbar geschlossen, und es kann alsdann auch nicht
auf die allenfalls der Konkurseröffnung vorausgegangenen Betreibungen
zurückgegangen werden (vgl. BGE 42 III 14, 75 III 70 ff.). Das Stadium
des Erbganges, in dem die Erbschaft betrieben werden konnte, ist mit
der Anordnung der Generalliquidation überschritten. Infolgedessen fallen
die zur Deckung der Konkurskosten als ungenügend befundenen Aktiven nach
Art. 573 Abs. 2 ZGB an die Erben, wie wenn keine Ausschlagung stattgefunden
hätte (vgl. BGE 62 III 102; JAEGER, N. 3 zu Art. 193 SchKG).

    An dieser Rechtslage hat der seit 1. Februar 1950 in Kraft stehende
Abs. 3 des Art. 230 SchKG nichts geändert. Er erweitert nur die
zulässigen Betreibungsarten und kann nur zur Anwendung kommen, wenn der
Schuldner betreibungsrechtlich überhaupt noch existiert, was bei einer in
Generalliquidation getretenen Erbschaft nach dem Gesagten nicht zutrifft.

Erwägung 2

    2.- Von den dargelegten Rechtswirkungen der Konkurseinstellung und
-schliessung nach Art. 230 SchKG sind freilich nach der Rechtsprechung
einige besondere Fälle ausgenommen. Die Regel, dass bei solchem Ausgang
die nach Art. 206 SchKG mit der Konkurseröffnung dahingefallenen
Betreibungen nicht wieder aufleben, erfasst nicht Betreibungen,
in denen eine Lohnpfändung vollzogen worden war (BGE 35 I 215 =
Sep. Ausg. 12 S. 15 f.). Ferner kann ein Gläubiger, der gestützt auf
einen Pfändungsverlustschein in einem Anfechtungsprozess obsiegte und die
zurückzugewährenden Sachen pfänden liess, die Betreibung fortsetzen, wenn
inzwischen über den Schuldner der Konkurs ausbrach und eingestellt wurde
(BGE 51 III 217 ff.). In ähnlicher Weise ist in BGE 79 III 164 ff. eine
Ausnahme für die Betreibung einer Erbschaft anerkannt worden: Danach
lebt ganz allgemein eine vor Eröffnung der konkursamtlichen Liquidation
vollzogene Pfändung wieder auf, wenn die Liquidation gemäss Art. 230
SchKG mangels genügender Aktiven eingestellt und, da der geforderte
Kostenvorschuss ausblieb, geschlossen wurde. Dieser - wie ESCHER
(3. Auflage, N. 12 zu Art. 573 ZGB) richtig bemerkt, theoretisch schwer
zu begründende - Entscheid beruht auf einem bei der erwähnten Sachlage
als unabweislich empfundenen Gebot der Billigkeit: Durch die Pfändung
war verwertbares Erbschaftsvermögen einwandfrei festgestellt und für
den betreibenden Gläubiger gesichert worden (der zuvor Arrest gelegt und
seine Rechte auch gegenüber einem Drittanspruch durchgesetzt hatte). Wenn
nun dieses Beschlagsrecht dem konkursrechtlichen Beschlagsrecht der
Gläubigergesamtheit weichen musste (Art. 206 SchKG), es dann aber gar nicht
zur Durchführung des Konkurses kam (Art. 230 SchKG), so wäre es äusserst
unbillig gewesen, es beim Hinfall jenes Einzelbeschlagsrechtes bewenden zu
lassen: Auf die Rechte der Gesamtheit der Gläubiger war bei solchem Ausgang
des Konkurses nicht mehr Rücksicht zu nehmen; sie waren ja erloschen. Und
das Recht der ausschlagenden, der Schuldpflicht ledig gewordenen Erben
auf einen Überschuss (nach Art. 573 Abs. 2 ZGB) verdiente zurückzutreten
vor dem Verwertungsrecht des Gläubigers, der die Pfändung erwirkt hatte.

    Auf ein solches zu ihren Gunsten begründetes Beschlagsrecht vermag
sich die Rekurrentin nicht zu berufen. Sie hält jedoch dafür, auch die
Gläubiger, die vor der Anordnung der Gesamtliquidation der Erbschaft
kein solches Recht erwirkt hatten, seien nach wie vor zur Betreibung der
Erbschaft befugt, um auf die vorhandenen Erbschaftsaktiven greifen zu
können. Art. 573 Abs. 2 ZGB gebe den Erben denn auch nur das Recht, einen
sich nach Tilgung der Schulden ergebenden Überschuss zu erwerben. Allein
diese Betrachtungsweise hält der Prüfung nicht stand:

    a) Am Schlusse der Erwägungen von BGE 79 III 164 ff.  wurde freilich
die Frage vorbehalten, "ob andere Gläubiger, welche die Erbschaft vor der
Anordnung der Liquidation noch nicht bis zur Pfändung oder überhaupt noch
nicht betrieben hatten, den Fortbestand eines Sondervermögens im Sinne
von Art. 49 SchKG sich ebenfalls zunutze machen können, indem sie die
Betreibung fortsetzen oder eine neue Betreibung anheben". Diese Frage
ist aber in Übereinstimmung mit dem angefochtenen Urteil zu verneinen.
Grundsätzlich muss es dabei bleiben, dass die Erbschaft mit der Anordnung
der Gesamtliquidation - gleichgültig welchen Ausgang diese nehmen mag -
betreibungsrechtlich zu existieren aufhört. Mit dem uneingeschränkt dahin
lautenden Text des Art. 49 SchKG wäre es nicht vereinbar, die Erbschaft
dann, wenn die Gesamtliquidation nicht zur Schuldenbereinigung und -tilgung
führte, als passives Subjekt von Betreibungen wiedererstehen zu lassen. Bei
fehlenden genügenden Aktiven sind die Gläubiger eben auf Vorschussleistung
angewiesen, um die Durchführung der konkursamtlichen Liquidation zu
ermöglichen. Dagegen lässt sich eine bestimmt umschriebene Ausnahme hievon
zu Gunsten derjenigen Gläubiger rechtfertigen, die ein Beschlagsrecht
auf einzelne Gegenstände erwirkt hatten. Die Billigkeit verlangt es,
dass dieses zunächst infolge der Eröffnung der Gesamtliquidation durch das
Gesamtbeschlagsrecht der Konkursmasse ersetzte Einzelbeschlagsrecht wieder
zur Auswirkung komme, wenn sich der Konkurs nicht durchführen lässt. Im
Gegensatz hiezu ist es nicht in hohem Masse stossend, Art. 49 SchKG
strikte zur Geltung kommen zu lassen gegenüber Gläubigern, die nicht schon
ein solches Beschlagsrecht erworben hatten. Wenn eine Gesamtliquidation
angeordnet ist, sollen die Schulden nun eben nach dem Willen des Gesetzes
auf diesem Boden bereinigt werden und beliebige Einzelbetreibungen gegen
die Erbschaft nicht mehr zulässig sein.

    b) Unbegründet ist auch der Gegenschluss, den die Rekurrentin
aus Art. 573 Abs. 2 ZGB ziehen zu dürfen glaubt. Diese Vorschrift
zieht nur den Fall eines durchgeführten Konkurses in Betracht, der
einen Überschuss nach Tilgung der Schulden ergibt. Hinsichtlich des
mangels -Aktiven eingestellten und dann ohne Durchführung geschlossenen
Erbschaftskonkurses besteht eine Gesetzeslücke. Diese ist aber in analoger
Weise auszufüllen, und es sind nach solchem Ausgang des Erbschaftskonkurses
allfällig vorhandene Erbschaftsaktiven gleichfalls den Berechtigten im
Sinne des Art. 573 Abs. 2 ZGB zuzuweisen. Denn in diesem Falle kommen die
Erbschaftsschulden nicht mehr weiter in Betracht, so dass die vorhandenen
Erbschaftsaktiven ebenso frei werden, wie es bei Durchführung des Konkurses
ein Verwertungsüberschuss geworden wäre. Es entspricht dem Grundgedanken
des Art. 573 Abs. 2 ZGB, auf diese Weise frei gewordene Erbschaftsaktiven
einem Verwertungsüberschusse gleichzuachten (vgl. ESCHER, N. 12 zu diesem
Artikel und dort angeführte Literatur).

Erwägung 3

    3.- Mit ihrem Eventualantrag nimmt die Rekurrentin den Standpunkt ein,
nach Einstellung des Konkursverfahrens seien neue wertvolle Aktiven der
Erbschaft entdeckt worden; daher müsse, in analoger Anwendung des Art. 269
SchKG, die Liquidation wieder aufgenommen und durchgeführt werden. Auf
diesen Antrag ist jedoch nicht einzutreten, einmal, weil er erst vor
Bundesgericht gestellt wurde und daher nach Art. 79 Abs. 1 OG unzulässig
ist, und sodann, weil ein Nachkonkurs gemäss Art. 269 SchKG Sache des
Konkursamtes wäre und über die Voraussetzungen hiezu gar nicht in einem
gegen das Betreibungsamt angehobenen Beschwerdeverfahren entschieden werden
könnte. Zu bemerken ist immerhin, dass im Anschluss an ein gemäss Art. 230
SchKG ohne Feststellung der Gläubigerrechte beendigtes Konkursverfahren
ein Nachkonkurs nicht zulässig ist (vgl. JAEGER, N. 1 zu Art. 269 SchKG;
ebenso JAEGER/DAENIKER, daselbst). Von neu entdecktem Erbschaftsvermögen
kann hier übrigens wohl nicht gesprochen werden. Der von der Rekurrentin
erwähnte Reliefabguss war bereits im konkursamtlichen Inventar verzeichnet
und wurde offenbar bloss vom Konkursamt weniger hoch geschätzt als vom
Betreibungsamt. Eine Frage für sich ist, ob ein Gläubiger unter Umständen
die Wiedereröffnung eines nach Art. 230 SchKG eingestellten und beendigten
Konkurses verlangen könne (vgl. BGE 53 III 193 oben, wo indessen auch unter
diesem Gesichtspunkt nur der Fall neu entdeckten Vermögens in Betracht
gezogen wird). Hier ist diese Frage nicht zu erörtern; ein dahingehendes
Gesuch wäre bei dem für die Wiedereröffnung zuständigen Konkursrichter
zu stellen.

Entscheid:

Demnach erkennt die Schuldbetr.- u. Konkurskammer:

    Soweit auf den Rekurs einzutreten ist, wird er abgewiesen.