Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 87 III 61



87 III 61

12. Entscheid vom 21. Juni i.S.

    Wicky.  Regeste

Automobil als Kompetenzstück gemäss Art. 92 Ziff. 3 SchKG: Malermeister
in Stadt, aber spezialisiert auf Malerarbeiten in Hotels und Pensionen,
auch in entfernten Gegenden, kann sein altes, im Betrieb billiges Auto,
mit dem er in selbständiger Stellung mehr verdient denn ohne solches als
blosser Angestellter, als unpfändbar beanspruchen.

Sachverhalt

A.- Der Schuldner, selbständiger Maler in Bern, beanspruchte das ihm
für Mietzins retinierte Auto Ford 1952, 5,96 PS im Schätzungswerte
von Fr. 500.-- als für seine Berufsausübung unentbehrliches
Hilfsmittel. Entgegen der auf Abweisung der Beschwerde antragenden
Vernehmlassung des Betreibungsamtes hat die Aufsichtsbehörde,
nach eingehender Einvernahme des Beschwerdeführers über Art, Ort
und Erfolg seiner Berufsausübung, den Kompetenzanspruch geschützt
auf Grund der Feststellungen, der Schuldner arbeite in der Stadt
Bern, aber in zunehmendem Masse auswärts, namentlich in Hotels und
Pensionen (im Oberland, aber auch ausserhalb des Kantons Bern, in der
Innerschweiz). Für die auswärtige Tätigkeit sei er auf ein Auto zum
Transport der Farbkessel und Leitern angewiesen und könne nicht auf die
öffentlichen Transportmittel verwiesen werden, zumal die Arbeitsstätten
zum Teil von solchen abgelegen seien. Es lasse sich auch nicht sagen,
dass der Betrieb des Beschwerdeführers dauernd defizitär sei. Er sei zur
selbständigen Erwerbstätigkeit übergegangen, weil er als Angestellter zu
wenig verdient habe, um seinen Familien- und Alimentenlasten genügen zu
können. Als selbständiger Maler verdiene er mehr als in unselbständiger
Stellung. Er sei vorübergehend in finanzielle Schwierigkeiten gekommen,
weil er eine grössere Arbeit, mit der er gerechnet hatte, nicht erhalten
habe. B.- Mit dem vorliegenden Rekurs beantragt die Mietzinsgläubigerin
Abweisung des Kompetenzanspruchs. Sie führt aus, es sei nicht bewiesen,
dass der Schuldner ausschliesslich durch auswärtige Arbeiten seinen
Unterhalt verdiene. Ein Auto sei für seinen kleinen Betrieb offensichtlich
zu kostspielig, sonst wäre er nicht derart in finanzielle Schwierigkeiten
gekommen, dass er den Mietzins für Monate schuldig geblieben sei, obwohl er
mehrfach Zahlung versprochen habe. Er benötige das Auto nicht unbedingt,
sondern könne sein Material mit Veloanhänger oder mit öffentlichen
Verkehrsmitteln transportieren.

Auszug aus den Erwägungen:

Die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer zieht in Erwägung: Die
Vorinstanz hat die Frage der Kompetenzqualität zutreffend unter
dem doppelten Gesichtspunkt der individuellen Existenzfähigkeit des
Schuldners und der allgemeinen Wirtschaftlichkeit des Hilfsmittels
im Rahmen seines Betriebes geprüft. Sie hat den Schuldner durch
ihren Sekretär ausführlich einvernehmen lassen. Wie weit sie seinen
Aussagen Glauben schenken und darauf abstellen zu können glaubte, war
Sache der ihr allein zustehenden, der Überprüfung des Bundesgerichts
entzogenen Beweiswürdigung. Das gilt namentlich bezüglich des Umfanges
seiner auswärtigen, sogar ausserkantonalen Berufstätigkeit. Dass der
Schuldner ausschliesslich auswärts arbeite, hat weder er behauptet noch
die Vorinstanz angenommen. Wenn er, wie die Vorinstanz auf Grund seiner
Aussagen als erwiesen angenommen hat - und annehmen durfte -,
   sich
gestützt auf bisher gemachte Erfahrungen in einem gewissen Masse auf
Malerarbeiten in Hotels und Pensionen spezialisiert hat, weil diese
Arbeiten weniger gesucht sind als andere und er daher hier besser gegen
die Konkurrenz aufkommen kann, so ist das ein Moment, dem die Vorinstanz
Rechnung tragen konnte. Ihre Annahme, der Beschwerdeführer verdiene
als selbständiger Maler mehr denn als Angestellter (und zwar, nach dem
Einvernahmeprotokoll, ca. Fr. 100.-- bis 150.-- im Monat mehr), ist
als ebenfalls tatsächlicher Natur verbindlich. Liegen damit sachliche
Gründe vor, die eine räumlich stark dezentralisierte Berufsausübung
rechtfertigen, so trifft es zweifellos zu, dass dafür zum Transport
des Materials ein eigenes Motorfahrzeug nötig ist und schon allein mit
Rücksicht auf Zeitverlust dem Handwerker nicht zugemutet werden kann,
ein Velo oder die öffentlichen Verkehrsmittel zu benutzen, zumal der
Transport bis zu und von diesen auch wieder ein Fahrzeug erfordert.
Insofern liegt der Fall wesentlich anders als der eines Malermeisters mit
ausschliesslicher Stadtpraxis, dem zugemutet wurde, seiner Arbeit in Basel
zu Fuss, per Velo oder Tram nachzugehen (Entscheid vom 17. August 1954 i.S.

    Stolz).  Ebensowenig kann der Verwendung eines alten, mit nur 6 PS
im Betrieb nicht teuren, auf nur Fr. 500.-- geschätzten Fordwagens die
allgemeine Wirtschaftlichkeit abgesprochen werden (vgl. BGE 80 III 110,
84 III 20). Wenn Betrieb und Unterhalt des Wagens im Monat auf rund
Fr. 100.-- zu stehen kommen und der Schuldner trotzdem einen um Fr. 100.--
- 150.-- höheren Reinverdienst erzielt, denn als blosser Angestellter,
so rechtfertigen sich dìe Unkosten, namentlich auch mit Rücksicht auf die
bei selbständiger Berufsausübung mögliche Vergrösserung des Kundenkreises
und daherige Verbesserung des Einkommens. Bei dieser Annahme kann auch
nicht (mit dem Rekurs) gesagt werden, der Schuldner sei wegen des zu
kostspieligen Autobetriebs in die finanziellen Schwierigkeiten gekommen,
das Auto habe nicht einmal seine eigenen Unkosten zu decken vermocht und
diese ständen zu dem mit ihm erzielten Erwerb in keinem vernünftigen
Verhältnis (BGE 80 III 110). Dabei ist zu berücksichtigen, dass dem
einen erlernten Beruf selbständig ausübenden Handwerker bezüglich der
Gestaltung der technischen Betriebsverhältnisse weniger Spielraum zur
Verfügung steht als etwa einem kaufmännischen Vertreter, dem zugemutet
werden kann, bei zu teurem Autobetrieb in seiner Branche eine Reisestelle
mit firmaeigenem Auto zu suchen (BGE 80 III 109) oder auf eine Branche oder
einen Artikel hinüberzuwechseln, wo die Reisetätigkeit ohne Auto möglich
ist (Entscheid vom 25. Juni 1954 i.S. Leuenberger; vom 10. September
1959 i.S. Haefliger).

Entscheid:

Demnach erkennt die Schuldbetr.- u. Konkurskammer: Der Rekurs wird
abgewiesen. wird abgewiesen.