Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 87 III 33



87 III 33

8. Entscheid vom 11. Februar 1961 i.S. Privatbank Basel A.-G. Regeste

    Nachlassverfahren der Banken und Sparkassen.

    1.  Weiterziehung von Entscheiden der kantonalen Nachlassbehörde an
das Bundesgericht (Art. 55 Abs. 2 der VV zum BankG). Zulässigkeit neuer
Vorbringen vor Bundesgericht? (Art. 79 OG).

    2.  Die Nachlassstundung ist zu verweigern, wenn von
vornherein feststeht, dass ein von der fraglichen Schuldnerin
vorgeschlagener Nachlassvertrag nicht genehmigt werden könnte (Art. 294
SchKG). Voraussetzungen der Genehmigung des Nachlassvertrags einer Bank
oder Sparkasse (Art. 37 Abs. 6 BankG, Art. 306 SchKG). Gründe für die
Abweisung des Stundungsgesuchs.

Sachverhalt

    Mit Eingabe vom 10. Januar 1961 stellte die Privatbank Basel A.-G. beim
Appellationsgericht des Kantons BaselStadt, das als Nachlassbehörde
im Sinne von Art. 37 Abs. 8 des Bundesgesetzes über die Banken und
Sparkassen vom 8. November 1934 (BankG) amtet, das Gesuch um Bewilligung
einer Nachlassstundung. Am 27. Januar 1961 hat das Appellationsgericht
dieses Gesuch abgewiesen, weil heute schon feststehe, dass der vorgesehene
Nachlassvertrag (Liquidationsvergleich) nicht genehmigt werden könnte.

    Diesen Entscheid hat die Schuldnerin an das Bundesgericht
weitergezogen.

Auszug aus den Erwägungen:

    Die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Im Nachlassverfahren der Banken und Sparkassen gelten nach Art. 55
Abs. 2 der Vollziehungsverordnung zum BankG vom 26. Februar 1935 (VV)
für die Beschwerdeführung gegen Entscheide der Nachlassbehörde die
Vorschriften über die Weiterziehung von Entscheiden der kantonalen
Aufsichtsbehörden in Schuldbetreibungs- und Konkurssachen an das
Bundesgericht. Der zweite Satz der angeführten Bestimmung fügt bei,
dass alle Entscheide der Nachlassbehörde auch wegen Unangemessenheit
an das Bundesgericht weitergezogen werden können. Art. 1 Abs. 3 der
bundesgerichtlichen Verordnung betr. das Nachlassverfahren der Banken
und Sparkassen vom 11. April 1935/26. Februar 1936 (VNB) sieht vor,
der Entscheid der Nachlassbehörde über das Stundungsgesuch könne nur
durch die Bank oder den Kommissär im Falle der Abweisung des Gesuchs an
das Bundesgericht weitergezogen werden. Nach diesen Bestimmungen ist der
vorliegende Rekurs zulässig.

Erwägung 2

    2.- Zu den Vorschriften über die Weiterziehung von Entscheiden der
kantonalen Aufsichtsbehörden in Schuldbetreibungs- und Konkurssachen
an das Bundesgericht, auf die Art. 55 Abs. 2 VV verweist, gehört auch
Art. 79 OG, der in Abs. 1 Satz 2 bestimmt, neue Begehren, Tatsachen,
Bestreitungen und Beweismittel könne nicht anbringen, wer dazu im
kantonalen Verfahren Gelegenheit hatte. Die für die Banken und Sparkassen
geltenden Erlasse enthalten keine Sondervorschrift, welche die Anwendung
dieser Bestimmung auf Rekurse im Sinne von Art. 55 Abs. 2 VV und Art. 1
Abs. 3 VNB ausschlösse. Insbesondere hat Art. 55 Abs. 2 Satz 2 VV,
wonach Entscheide der Nachlassbehörde auch wegen Unangemessenheit an das
Bundesgericht weitergezogen werden können, mit der Frage der Zulässigkeit
neuer Vorbringen im Verfahren vor Bundesgericht nichts zu tun. Art. 79
Abs 1 Satz 2 OG gilt daher auch für Rekurse von der Art des vorliegenden
(vgl. BGE 85 III 151).

    Die Rekurrentin hätte die Tatsachen und Beweismittel, die sie vor
Bundesgericht neu anruft, um ihr Geschäftsgebaren und dessen Folgen in
einem mildern Licht erscheinen zu lassen, schon im kantonalen Verfahren
anbringen können; denn die Vorinstanz gab ihr bei der Anhörung nach
Art. 1 Abs. 2 VNB entsprechend dem Sinne dieser Vorschrift (vgl. den zu
Art. 294 SchKG ergangenen Entscheid BGE 59 III 37 f.) Gelegenheit, sich
über den ihr zur Last gelegten Sachverhalt im einzelnen zu äussern. Die
in der Rekursschrift enthaltenen Nova können daher nach Art. 79 OG nicht
berücksichtigt werden. Vielmehr ist der Rekurs auf Grund der von der
Vorinstanz festgestellten Tatsachen zu beurteilen. Dass die tatsächlichen
Feststellungen der Vorinstanz oder einzelne davon offensichtlich
auf Versehen beruhen (vgl. Art. 63 Abs. 2 und Art. 81 OG), macht die
Rekurrentin mit Recht selber nicht geltend.

Erwägung 3

    3.- Nach Art. 294 Abs. 1 SchKG hat die Nachlassbehörde bei ihrem
Entscheid über das Stundungsgesuch die Vermögenslage des Schuldners,
den Stand seiner Buchführung, sein Geschäftsgebaren und die Ursachen
der Nichterfüllung seiner Verbindlichkeiten zu berücksichtigen. Diese
Vorschrift ist auch im Nachlassverfahren der Banken und Sparkassen
anwendbar, da das Bankengesetz, die Vollziehungsverordnung dazu und die
diesem Verfahren gewidmete Verordnung des Bundesgerichtes (vgl. namentlich
Art. 37 BankG, Art. 54-56 VV und Art. 1 VNB) keine davon abweichende
Bestimmung enthalten (gleicher Ansicht auch GERSBACH, Der Nachlassvertrag
ausser Konkurs nach dem BG über die Banken u. Sparkassen..., 1937,
S. 34/35, ULDRY, Le concordat des instituts bancaires, 1937, S. 115,
und FRITZSCHE, Schuldbetreibung, Konkurs und Sanierung, 2. Band 1955,
S. 406). Der Sinn dieser Vorschrift liegt darin, dass die Nachlassstundung
nicht zu bewilligen ist, wenn von vornherein feststeht, dass die
Genehmigung eines vom fraglichen Schuldner vorgeschlagenen Nachlassvertrags
ausgeschlossen ist (vgl. BGE 62 III 107 und die bereits zit. Autoren).

    Der Nachlassvertrag einer Bank oder Sparkasse ist nach Art. 37
Abs. 6 BankG nur zu genehmigen, wenn die Voraussetzungen von
Art. 306 SchKG erfüllt sind und wenn sich ausserdem nach Prüfung
aller Verhältnisse ergibt, dass die Interessen der Gesamtheit der
Gläubiger durch den Nachlassvertrag besser gewahrt werden als durch
die Konkursliquidation. Bei Erlass des Bankengesetzes war nach Art. 306
SchKG erste Voraussetzung für die Bestätigung eines Nachlassvertrags,
dass dem Schuldner nicht vorgeworfen werden konnte, er habe zum Nachteil
seiner Gläubiger unredliche oder sehr leichtfertige Handlungen begangen.
Demgegenüber sagt Art. 306 Abs. 1 SchKG in der Fassung gemäss Bundesgesetz
vom 28. September 1949 nur noch, die Nachlassbehörde könne die Bestätigung
verweigern, wenn der Schuldner Handlungen der erwähnten Art begangen habe.
Die sog. Nachlasswürdigkeit des Schuldners ist also heute nicht mehr eine
unerlässliche Voraussetzung für die Genehmigung eines Nachlassvertrags,
doch kann diese grundsätzlich auch heute noch wegen unredlicher oder sehr
leichtfertiger Handlungen des Schuldners verweigert werden. Dies gilt
namentlich dann, wenn der Schuldner einen Prozent- oder Stundungsvergleich
vorschlägt, um sein Geschäft weiterführen zu können. Handelt es sich
dagegen um einen Liquidationsvergleich, so kann unter Umständen (wenn
die Nachlassliquidation ein besseres Ergebnis verspricht als die
Konkursliquidation) die Bestätigung als geboten erscheinen, obwohl
der Schuldner nicht "nachlasswürdig" ist (vgl. SCHODER in ZBJV 1952
S. 434). Die Änderung, welche die Voraussetzungen für die Bestätigung
eines Nachlassvertrags hienach erfahren haben, muss sich auch im
Nachlassverfahren der Banken und Sparkassen auswirken, da der in Art. 37
Abs. 6 BankG enthaltene Hinweis auf Art. 306 SchKG seit der Revision des
SchKG von 1949 auf die heute geltende Fassung dieser Bestimmung zu beziehen
ist. Die Genehmigung des Nachlassvertrags einer Bank oder Sparkasse kann
also dem Grundsatze nach wegen unredlicher oder sehr leichtfertiger
Handlungen der Schuldnerin verweigert werden. Anders verhält es sich,
wenn der vorgeschlagene Nachlassvertrag ein Liquidationsvergleich ist,
von dem nach den gegebenen Umständen mit Bestimmtheit angenommen werden
muss, er sei für die Gläubiger vorteilhafter als der Konkurs. Lässt sich
dagegen diese letzte Annahme nicht rechtfertigen, so ist die Genehmigung
nach Art. 37 Abs. 6 BankG in jedem Falle (auch bei einem Prozent- oder
Stundungsvergleich) zu verweigern; denn Art. 37 Abs. 6 BankG macht eben
nach seinem klaren Wortlaut die Genehmigung des Nachlassvertrags einer
Bank oder einer Sparkasse von der doppelten Bedingung abhängig, dass
die Voraussetzungen von Art. 306 SchKG erfüllt sind und die Interessen
der Gesamtheit der Gläubiger durch den Nachlassvertrag besser gewahrt
werden als durch die Konkursliquidation, was gegenüber dem gewöhnlichen
Nachlassvertragsrecht eine Verschärfung bedeutet (vgl. ROSSIER und REIMANN,
Schweiz. Bankengesetz, 2. Aufl. 1936, N. 13 zu Art. 37 BankG).

    Für die Anwendung von Art. 294 Abs. 1 SchKG im Nachlassverfahren
der Banken und Sparkassen ergibt sich hieraus, dass ein Gesuch um
Nachlassstundung jedenfalls dann abzuweisen ist, wenn sich bei der Prüfung
der hier genannten Umstände mit Sicherheit ergibt, dass die Schuldnerin
unredliche oder sehr leichtfertige Handlungen zum Nachteil ihrer Gläubiger
begangen hat, und weder dargetan ist noch erwartet werden kann, es könne im
weitern Verlaufe des Verfahrens dargetan werden, dass ein Nachlassvertrag
für die Gesamtheit der Gläubiger günstiger sei als die Konkursliquidation.

Erwägung 4

    4.- Im vorliegenden Falle hat die Vorinstanz verbindlich festgestellt,
die Rekurrentin habe, obwohl die Revisionsstelle seit Jahren immer wieder
die Missachtung der "üblichen Deckungsprinzipien" gerügt hatte, weiterhin
bei Börsengeschäften erhebliche Kredite ohne oder doch ohne genügende
Deckung gewährt. Insbesondere habe sie in neuester Zeit zugunsten der
Kundin Frau Gangloff, mit der sie erst seit kurzem in geschäftlicher
Verbindung gewesen sei, ohne Sicherheit Verpflichtungen gegenüber Dritten
in Höhe von rund 2,8 Millionen Franken übernommen (welcher Betrag ihr
Aktienkapital und ihre Reserven um mehr als das Doppelte überstieg);
dies sei die unmittelbare Ursache ihrer Zahlungsschwierigkeiten.
Ausserdem habe sie in der zweiten Hälfte des Jahres 1960 vom bisherigen
Verwaltungsratspräsidenten Dr. Pierre Pobé, der sich aus dem Unternehmen
zurückzuziehen wünschte, auf dem Weg über eine vollständig in ihrem Besitz
stehende andere Gesellschaft 109 eigene Aktien erworben (wobei sie sich
zugegebenermassen bewusst über das Verbot von Art. 659 OR hinwegsetzte).
Ferner habe sie zeitweise Titel ihrer Kunden ohne deren Wissen zur
Erfüllung eigener Lieferpflichten verwendet. Im Dezember 1960 habe sie
die in Abwicklung begriffenen Geschäfte nicht mehr richtig verbucht,
so dass sie ihre Lage nicht mehr übersehen habe. Auf Grund dieser
Feststellungen steht ausser Zweifel, dass der Rekurrentin äusserst
leichtfertige und überdies auch unredliche Handlungen zum Nachteil ihrer
Gläubiger vorzuwerfen sind.

    Irgendwelche konkrete Anhaltspunkte dafür, dass der in Aussicht
genommene Liquidationsvergleich für die Gläubiger vorteilhafter sein
könnte als die Konkursliquidation, sind nicht ersichtlich. Die Rekurrentin
vermag nicht etwa darauf hinzuweisen, dass gewisse Aktiven vorhanden
seien, die sich im Nachlassliquidationsverfahren besser verwerten
liessen als im Konkurs. Sie macht im wesentlichen nur Ausführungen
darüber, dass bei Banken ein Nachlassvertrag ganz allgemein dem Konkurs
vorzuziehen sei. Diese Auffassung hätte zur Folge, dass einem von
einer Bank vorgeschlagenen Nachlassvertrag die Genehmigung praktisch
nie wegen Fehlens der zweiten Voraussetzung von Art. 37 Abs. 6 BankG
versagt werden könnte, was nicht die Meinung des Gesetzes sein kann. Dem
Umstand, dass die Liquidation des Vermögens einer Bank Fachkenntnisse
fordert, gedenkt die Vorinstanz, die nicht nur Nachlassbehörde, sondern
zugleich auch Konkursgericht im Sinne von Art. 36 Abs. 5 BankG ist
und als solches gemäss Art. 36 Abs. 1 BankG die Konkursverwaltung zu
ernennen hat, dadurch Rechnung zu tragen, dass sie eine mit dem Bankwesen
vertraute Persönlichkeit in dieses Organ abordnet. Das Bankgeheimnis,
auf dessen Wahrung die Rekurrentin das Hauptgewicht legt, kann bei der
Durchführung eines Liquidationsvergleichs nicht besser geschützt werden
als im Konkurs. Im Nachlassliquidationsverfahren ist wie im Konkurs ein
Kollokationsplan zu erstellen und zur Einsicht der Gläubiger aufzulegen
(Art. 30 VNB). Nichts lässt also erwarten, dass das Interesse der
Gläubiger der Nachlassbehörde gebieten könnte, den vorgeschlagenen
Liquidationsvergleich trotz der schweren Belastung der Bankorgane zu
genehmigen. Die Vorinstanz nennt im Gegenteil stichhaltige Gründe für die
Annahme, dass die Durchführung des Nachlassverfahrens für die Gläubiger
ungünstiger wäre als die sofortige Konkurseröffnung (Entstehung von
Kosten während der Dauer der Stundung, die im Falle der Konkurseröffnung
vermieden werden können; Verzögerung der Verwertung der Aktiven und der
Geltendmachung von Anfechtungs- und Verantwortlichkeitsansprüchen).

    Bei dieser Sachlage lässt sich der angefochtene Entscheid nicht als
bundesrechtswidrig oder unangemessen beanstanden.

Entscheid:

       Demnach erkennt die Schuldbetr.- u. Konkurskammer:

    Der Rekurs wird abgewiesen.