Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 87 III 29



87 III 29

7. Schreiben der Schuldbetreibungs- und Konkurskammer vom 16. Februar 1961
an das Betreibungsinspektorat des Kantons Zürich. Regeste

    Wo sind Eigentumsvorbehalte einzutragen, wenn der Erwerber unter
Vormundschaft steht?

    Zuständig ist stets das Betreibungsamt am rechtlichen Wohnsitz des
Bevormundeten, also am Sitz der Vormundschaftsbehörde (Art. 25 Abs. 1 ZGB).
So verhält es sich selbst dann, wenn der Bevormundete mit Bewilligung der
Vormundschaftsbehörde (Art. 412 ZGB) an einem andern Ort selbständig einen
Beruf ausübt oder ein Gewerbe betreibt. - Art. 715 ZGB. Verordnung vom 19.
Dezember 1910 betreffend die Eintragung der Eigentumsvorbehalte.

Auszug aus den Erwägungen:

    Mit Eingabe vom 26. Januar 1961 haben Sie uns die Frage unterbreitet,
welches Betreibungsamt zur Eintragung von Eigentumsvorbehalten zuständig
sei, wenn der Erwerber unter Vormundschaft steht: ob es das Amt des
Wohnsitzes sei, also des Sitzes der Vormundschaftsbehörde (Art. 25 Abs. 1
ZGB), oder das Amt des unter Umständen von jenem Wohnsitz verschiedenen
"tatsächlichen" Wohnortes.

Erwägung 1

    1.- Die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer steht nicht an,
auf die Anfrage einzutreten. Es handelt sich nicht etwa darum, einen
einzelnen Streitfall theoretisch im voraus zu entscheiden. Vielmehr wird
eine allgemein gültige Auskunft verlangt, die als Anweisung darüber zu
gelten hätte, wie Art. 1 Abs. 1 der gestützt auf Art. 715 ZGB erlassenen
Verordnung vom 19. Dezember 1910 anzuwenden sei, wenn der Erwerber
bevormundet ist. Zu einem solchen "Bescheid" ist die Kammer gemäss Art. 15
SchKG und Art. 12 lit. c OG befugt, und es besteht wie schon in andern
Fällen (vgl. BGE 72 III 81 f., 83 III 49 ff., 85 III 1 ff.) ausreichende
Veranlassung dazu, da die aufgeworfene Frage eine grundsätzliche Lösung
finden muss.

Erwägung 2

    2.- Das Gesetz (Art. 715 Abs. 1 ZGB) schreibt vor, dass der
Eigentumsvorbehalt, um wirksam zu sein, am jeweiligen Wohnort (au domicile
actuel, nel luogo dello attuale domicilio) des Erwerbers eingetragen sein
muss. Unter "Wohnort" (domicile, domicilio) ist dabei offenbar der Wohnort
im Rechtssinne, also der Wohnsitz, zu verstehen, nicht ein allenfalls vom
Wohnsitz verschiedener bloss tatsächlicher (scheinbarer) Wohnort oder gar
ein vorübergehender Aufenthalt. Geht es doch darum, Rechtsbeziehungen durch
Eintragung in ein öffentliches Register zu schaffen und einem unbestimmten
Kreis dritter Personen erkennbar zu machen, was richtigerweise am Wohnort
im Rechtssinne, also am Wohnsitz, zu geschehen hat.

    Die das Gesetz ausführende Verordnung stellt dies völlig klar. Sie
spricht an gewissen Stellen, dem Wortlaut des Gesetzes folgend, vom Wohnort
des Erwerbers, daneben aber - offensichtlich in gleicher Bedeutung - von
dessen Wohnsitz (vgl. Art. 3 Abs. 2 und Art. 4 Abs. 5). Darin liegt eine
zweifellos richtige Verdeutlichung des Gesetzestextes. Die Rechtslehre
steht auf dem gleichen Boden (vgl. LEEMANN, N. 32 ff. zu Art. 715, und
HAAB /SIMONIUS/SCHERRER, N. 55 ff. zu den Art. 715/16 ZGB).

    Die Verordnung bestimmt ferner, die Eintragung sei (falls der Erwerber
in der Schweiz wohnt) "nur" an seinem Wohnorte zu vollziehen, nicht
auch noch an einem andern Ort, wie etwa an der Geschäftsniederlassung
einer natürlichen Person oder, bei einer juristischen Person, ausser
am Hauptsitz auch noch am Ort eines Filialbetriebes (vgl. BGE 42 II 14
ff.). Bei ausländischen Gesellschaften ist der schweizerische Filialsitz
laut Handelsregistereintrag, nicht der allenfalls in einem andern
Betreibungskreis befindliche Betriebsort massgebend (BGE 45 II 272 ff.).

Erwägung 3

    3.- Bei Bevormundeten muss nach der gesetzlichen Ordnung gleichwie
bei voll handlungsfähigen Personen der Wohnsitz, also nach Art. 25 Abs. 1
ZGB der Sitz der Vormundschaftsbehörde, massgebend sein. Es ist denn
auch gerechtfertigt, solche rechtsbegründenden Registereinträge dem
Amte zuzuweisen, in dessen Kreis sich der rechtliche Mittelpunkt des
Bevormundeten befindet.

    So verhält es sich selbst dann, wenn die Vormundschaftsbehörde dem
Mündel gemäss Art. 412 ZGB eine selbständige berufliche oder gewerbliche
Tätigkeit gestattet hat und er diese Tätigkeit (erlaubterweise) in
einem andern Betreibungskreis ausübt. In diesem Falle besteht zwar
für Verbindlichkeiten aus dem Betrieb ein spezieller Betreibungsort
(Art. 47 Abs. 3 SchKG). Das spielt jedoch für die Eintragung von
Eigentumsvorbehalten keine Rolle, da hiefür ein einheitlicher Registerort
am Wohnort (= Wohnsitz) vorgesehen ist.

Erwägung 4

    4.- Die für die Eintragung am tatsächlichen Wohnort angeführten
Zweckmässigkeitsgründe halten der Prüfung nicht stand. Wenn gesagt wird,
ein Verkäufer, der den Vertrag in Unkenntnis der Vormundschaft mit
dem Käufer selbst abgeschlossen hat, sollte in allen Fällen an dessen
"tatsächlichem" Wohnort in gültiger Weise den Eigentumsvorbehalt
eintragen lassen können, so liefe dies auf eine Missachtung des
Vormundschaftsrechtes hinaus. Nach Art. 375 Abs. 3 ZGB ist eine gehörig
veröffentlichte Bevormundung jedermann gegenüber wirksam. Zu schützen
sind danach diejenigen, die der Vormundschaft Rechnung tragen und sich
an das Registeramt des Sitzes der Vormundschaftsbehörde wenden. Wer sich
über die dem Bevormundeten gegenüber bestehenden Eigentumsvorbehalte
erkundigen will, hat Anspruch darauf, bei diesem Amt erschöpfende Auskunft
zu erhalten. Dritten gegenüber darf somit ein nur anderswo erfolgter
Eintrag keinesfalls wirksam sein (vgl. auch BGE 39 I 144 und 42 III 16).

    Mit einer andern Lösung der Frage des Eintragungsortes wäre übrigens
für den Verkäufer wenig gewonnen. War der Käufer urteilsunfähig, so ist
der Vertrag gar nicht gültig, auch der Eigentumsvorbehalt als solcher
nicht; indessen ist das nicht gültig übertragene Eigentum ohnehin beim
Verkäufer geblieben. Bei Urteilsfähigkeit des Käufers kann der Vertrag
nur mit Genehmigung des Vormundes endgültig zustande kommen (Art. 410
ZGB). Erfährt der Verkäufer nachträglich von der Vormundschaft, und
erwirkt er die Genehmigung des Vormundes, so steht nichts entgegen,
nun den Eigentumsvorbehalt am zuständigen Ort eintragen zu lassen. Die
Genehmigung wirkt ja, auch wenn sie nicht zum voraus erteilt wurde,
zurück, und der Eigentumsvorbehalt kann, sofern er nur bei Übergabe
der Sache bereits vereinbart war, auch noch später eingetragen werden
(BGE 42 III 175). Entsprechendes gilt, wenn der Kaufvertrag durch eine
allgemeine Bewilligung der Vormundschaftsbehörde nach Art. 412 ZGB gedeckt
ist. Ist dies aber nicht der Fall, und wird der Kaufvertrag auch nicht
vom Vormund genehmigt, so ist dem Eigentumsvorbehalt die Rechtsgrundlage
entzogen, selbst wenn er bereits beim zuständigen Registeramt eingetragen
wurde. Im übrigen steht dem Verkäufer nach Art. 411 ZGB grundsätzlich
die Rückforderung der Sache zu.

Erwägung 5

    5.- Endlich ist darauf hinzuweisen, dass bevormundete Personen nur mit
Zustimmung der Vormundschaftsbehörde ausserhalb des Vormundschaftskreises
Wohnung nehmen dürfen und alsdann die Vormundschaft auf die Behörde des
neuen Ortes zu übertragen ist (Art. 377 ZGB; BGE 86 II 287 ff.). Wird
diese Regelung befolgt, so fällt überall dort, wo jede Gemeinde eine
eigene Vormundschaftsbehörde hat, der tatsächliche Wohnort der von ihr
betreuten Mündel mit dem Sitz der Behörde zusammen. So verhält es sich
auch im Kanton Zürich (§ 73 EGzZGB). Die Zuständigkeitsnorm des Art. 715
ZGB, wie sie nach dem Gesagten zu verstehen ist, dürfte daher gewöhnlich
niemandem nachteilig sein. Es ist uns auch nicht bekannt geworden,
dass die das Gesetz ergänzenden, den Ort der Eintragungen betreffenden
Bestimmungen der Verordnung vom 19. Dezember 1910 sich als unzweckmässig
oder der Ergänzung bedürftig erwiesen hätten. Wir halten daher eine
Änderung dieser Bestimmungen nicht für geboten.