Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 87 III 11



87 III 11

4. Entscheid vom 25. Januar 1961 i.S. Frey. Regeste

    Widerspruchsverfahren, Parteirollenverteilung (Art. 106
ff. SchKG). Ausschliesslicher Gewahrsam des Schuldners oder Mitgewahrsam
der Ehefrau an gepfändetem Vieh? Berücksichtigung rechtlicher Momente
bei der Beurteilung der Gewahrsamsfrage?

Sachverhalt

    Am 20. Oktober 1960 arrestierte das Betreibungsamt Buttisholz für
Verlustscheinsforderungen des Kasimir Frey gegen Vinzenz Schaller bei
diesem drei Kühe im Schätzungswerte von zusammen Fr. 6000.--. Der Schuldner
bezeichnete diese Kühe als Eigentum seiner Frau. Da der Gläubiger diese
Ansprache auf Fristansetzung gemäss Art. 106 SchKG hin bestritt, setzte
das Betreibungsamt der Ehefrau des Schuldners am 28. Oktober 1960 gemäss
Art. 107 SchKG Frist zur Klage auf Anerkennung ihres Eigentums. Hierauf
führte die Ehefrau Beschwerde mit dem Antrag, diese Verfügung sei
aufzuheben und das Betreibungsamt anzuweisen, dem Gläubiger Frist zur
Klage gemäss Art. 109 SchKG anzusetzen.

    Die untere Aufsichtsbehörde wies die Beschwerde ab. Die kantonale
Aufsichtsbehörde hat sie dagegen am 17. Dezember 1960 gutgeheissen.

    Diesen Entscheid hat der Gläubiger an das Bundesgericht weitergezogen.

Auszug aus den Erwägungen:

    Die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Im Widerspruchsverfahren über Rechte an beweglichen Sachen ist
nach ständiger Rechtsprechung zu Art. 106 ff. SchKG (BGE 83 III 28 mit
Hinweisen; vgl. auch FRITZSCHE I S. 198 und FAVRE, deutsche Ausgabe,
S. 176) die Klagefrist dann und nur dann dem Drittansprecher anzusetzen,
wenn sich die streitige Sache im ausschliesslichen Gewahrsam des
Schuldners befindet (oder wenn ein Dritter den Gewahrsam ausschliesslich
für diesen ausübt). In allen andern Fällen, insbesondere also dann, wenn
der Drittansprecher den Gewahrsam innehat oder ihn mit dem Schuldner teilt,
ist dagegen nach Art. 109 SchKG vorzugehen, d.h. der Gläubiger zur Klage
gegen den Drittansprecher aufzufordern.

    Bei Beurteilung der Frage, in wessen Gewahrsam eine bewegliche Sache
sich befindet, ist allein massgebend, wer darüber die tatsächliche
Verfügungsgewalt besitzt (BGE 54 III 148, 71 III 6, 83 III 28). Ob
dieser tatsächliche Zustand zu Recht bestehe oder nicht, haben die
Betreibungsbehörden nicht zu prüfen. Rechtliche Momente können bei ihrer
Entscheidung nur insoweit in Betracht kommen, als sie einen Rückschluss
auf die tatsächliche Verfügungsgewalt zulassen (vgl. BGE 71 III 64). Die
Betreibungsbehörden haben sich aber in diesem Zusammenhang keinesfalls
in eine eingehende Prüfung von Rechtsfragen einzulassen. Vielmehr dürfen
sie bei der Beurteilung der Gewahrsamsfrage nur solche Rechtsverhältnisse
berücksichtigen, deren Vorhandensein unbestritten ist oder (z.B. anhand
von unangefochtenen Urkunden oder von Eintragungen in öffentlichen
Registern) ohne weiteres zuverlässig festgestellt werden kann. So hat die
Rechtsprechung beim Entscheid darüber, ob die Ehefrau am Inventar eines vom
Ehemann betriebenen Gewerbes Mitgewahrsam habe, neben rein tatsächlichen
Momenten z.B. den Umstand als beachtlich erklärt, dass zwischen den
Ehegatten gemäss veröffentlichtem Eintrag im Güterrechtsregister
Gütertrennung besteht und ein zum Gütertrennungsvertrag gehöriges
Verzeichnis die streitigen Gegenstände einzeln als Bestandteile des
"abgetrennten" Vermögens der Frau aufführt (BGE 68 III 179 ff., 77 III
118) oder dass die Ehefrau den Mietvertrag über die der Verwahrung des
Gegenstandes dienenden Räumlichkeiten abgeschlossen hat (BGE 58 III 105
ff; vgl. auch BGE 76 III 40). In BGE 71 III 62 ff. wurde als Indiz für den
Mitgewahrsam der Ehefrau an beim Ehemann gepfändetem Vieh u.a. die Tatsache
gewertet, dass die Ehefrau im Grundbuch als Eigentümerin des Bauernhofs
und in den Registern des Viehinspektors überdies als Eigentümerin des
Viehs eingetragen war, und in BGE 76 III 8/9 hat das Bundesgericht
ausgeführt, die (vom Gläubiger zugegebene) Tatsache, dass die beim
Betrieb des Heimwesens mitarbeitende Ehefrau dessen Eigentümerin sei,
müsse genügen, um ihr den Mitgewahrsam am Betriebsinventar zuzubilligen,
auch wenn ihre Mitarbeit nicht so intensiv sein sollte, wie es im Falle
BGE 71 III 62 ff. zugetroffen habe.

    Im vorliegenden Falle kann sich die Ehefrau nicht auf Eintragungen in
amtlichen Registern oder auf ein Zugeständnis des Gläubigers berufen, wie
sie in den beiden zuletzt erwähnten Fällen vorlagen. Sie vermag auch keinen
schriftlichen Pachtvertrag vorzulegen, aus dem einwandfrei hervorginge,
dass sie (wie behauptet) die Pächterin des Heimwesens sei. Ebensowenig
kann sie geltend machen, dass ein Gütertrennungsvertrag die gepfändeten
Kühe als ihr gehörig bezeichne. Dass sie den Kaufvertrag über diese Kühe
abgeschlossen habe, ist bestritten und nicht durch eine Vertragsurkunde
belegt. Gegen die Beweiskraft der Bestätigung des Viehhändlers Häfliger vom
30. November 1960 und der auf ihren Namen lautenden Belege betreffend die
Anschaffung landwirtschaftlicher Geräte erhebt der Gläubiger Einwendungen,
die sich nicht ohne weiteres als unstichhaltig bezeichnen lassen. Unter
diesen Umständen lässt sich nicht sagen, es sei in liquider Weise
dargetan, dass die Ehefrau des Schuldners in dessen Betrieb entgegen
der Regel (vgl. BGE 68 III 180/81) nicht bloss in abhängiger, sondern in
selbständiger, leitender Stellung mitarbeite, m.a.W. dass die Ehegatten
das Heimwesen gemeinsam verwalten. Daher kann nicht anerkannt werden,
dass die Ehefrau am lebenden und toten Betriebsinventar Mitgewahrsam
habe, sondern der Schuldner muss als alleiniger Inhaber des Gewahrsams
gelten, so dass nicht nach Art. 109, sondern nach Art. 106/107 SchKG
vorzugehen ist. Die gegenteilige Entscheidung hätte zur Folge, dass bei
Eigentumsansprachen der im Gewerbe des Mannes mitarbeitenden Ehefrau an
Bestandteilen des Betriebsinventars sozusagen immer der Dritte zu klagen
hätte. Dies würde sich nicht rechtfertigen, weil die Vermutung, auf welche
die auf einfache und klare Kriterien angewiesenen Betreibungsbehörden
mangels schlüssiger Anhaltspunkte für eine abweichende Gestaltung der
Verhältnisse abstellen müssen, eben für die alleinige Verfügungsgewalt
des Betriebsinhabers spricht.

Entscheid:

       Demnach erkennt die Schuldbetr.- u. Konkurskammer:

    Der Rekurs wird gutgeheissen, der angefochtene Entscheid aufgehoben
und das Betreibungsamt Buttisholz angewiesen, der Ehefrau des Schuldners
Frist zur Klage gemäss Art. 107 SchKG anzusetzen.