Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 86 I 86



86 I 86

16. Urteil vom 16. März 1960 i.S. X. und Konsorten gegen Generalprokurator
und Obergericht des Kantons Bern. Regeste

    Kantonaler Zivilprozess; Zeugnisverweigerungsrecht.

    1.  Ist die Vorschrift, wonach der Richter die Zeugen über das
Zeugnisverweigerungsrecht zu belehren hat, eine Ordnungs- oder eine
Gültigkeitsvorschrift? (Erw. 2).

    2.  Auslegung einer Vorschrift, wonach die Partei und die mit ihr nahe
verwandten Zeugen die Antwort auf Fragen über solche Tatsachen verweigern
können, welche die Ehre der Partei berühren. Die Annahme, ausserehelicher
Geschlechtsverkehr sei für eine ledige Frau auf keinen Fall ehrenrührig,
ist unhaltbar und willkürlich (Erw. 3).

Sachverhalt

    A.- Die bern. ZPO enthält über den Zeugenbeweis und das Parteiverhör
unter anderm folgende Bestimmungen:

    "Art. 245. Der Ehegatte, der Verlobte ... die Verwandten oder
Verschwägerten einer Partei in der geraden Linie und im zweiten Grade der
Seitenlinie können die Beantwortung von Fragen über Tatsachen verweigern,
über welche die Partei selber nicht auskunftspflichtig ist (275) .....

    Art. 247. Überdies kann der Zeuge die Aussage verweigern, wenn er
glaubwürdig versichert, dass die Aussage über die an ihn gestellte Frage
seiner Ehre nachteilig sei oder ihn persönlich verantwortlich machen würde.

    Art. 248. Über die Zulässigkeit der Verweigerung des Zeugnisses
entscheidet der Richter: Der Zeuge kann sofort nach Eröffnung des
Entscheides dessen Überprüfung durch den Appellationshof verlangen. Macht
er von diesem Rechte Gebrauch, so sendet der Richter die Akten mit seinem
motivierten Entscheide dem Appellationshofe ein. Die Weiterziehung hat
aufschiebende Wirkung.

    Art. 252. Die Abhörung des Zeugen erfolgt durch den Richter unter
Austritt der übrigen Zeugen. Nach Feststellung der Identität, Befragung
über Alter, Beruf und Wohnort ... macht der Richter den Zeugen auf die
Zeugenpflicht und deren Umfang (243, 245, 246, 247, 250), sowie auf die
strafrechtlichen Folgen einer falschen Aussage aufmerksam; er ermahnt ihn,
nichts anderes als die volle Wahrheit auszusagen.

    Art. 274. Die Parteien sind verpflichtet, die gestellten Fragen nach
bestem Wissen und Gewissen der Wahrheit gemäss zu beantworten. ....

    Art. 275. Eine Partei kann die Beantwortung von Fragen über Tatsachen,
die ihre Ehre berühren, verweigern."

    B.- Die 1932 geborene ledige Therese X. unterhielt vom August bis
Ende Dezember 1953 ein intimes Verhältnis mit S. Am 13. August 1954
gebar sie ein aussereheliches Kind. In dem beim Zivilamtsgericht von Bern
eingeleiteten Vaterschaftsprozess erhob S. die Einrede des Mehrverkehrs,
indem er behauptete, Therese X. habe in der Silvesternacht 1953/54 mit
M. in der Mansarde ihres Bruders X.-Y. genächtigt und Anfangs Januar
1954 auch mit N. geschlechtlich verkehrt. Therese X. bestritt dies und
berief sich auf ihren Vater, ihren Bruder und dessen Ehefrau sowie auf
N. als Zeugen, nachdem sie diese überredet hatte, wahrheitswidrig zu ihren
Gunsten auszusagen. Bei der Einvernahme am 5. April 1956, bei der diese
Zeugen zur Wahrheit ermahnt und auf die Folgen des falschen Zeugnisses
aufmerksam gemacht, aber nicht über das Zeugnisverweigerungsrecht
belehrt wurden, erklärten die Ehegatten X.-Y. wahrheitswidrig, dass
M. in der Silvesternacht 1953/54 allein in ihrer Mansarde genächtigt
habe und Therese X. in die väterliche Wohnung zurückgekehrt sei, was
ihr Vater bestätigte, während N., der Therese X. Anfangs Januar 1954 zu
einer Autofahrt eingeladen und auf dieser mit ihr intim verkehrt hatte,
bestritt, je Geschlechtsverkehr mit ihr gehabt zu haben. Angesichts dieses
Beweisergebnisses schloss S. einen gerichtlichen Vergleich, durch den er
sich zu Vermögensleistungen an Therese X. und ihr Kind verpflichtete und
die Kosten des Vaterschaftsprozesses übernahm.

    C.- Am 6. Oktober 1958 reichte S. gegen die Ehegatten
X.-Y. Strafanzeige wegen falschen Zeugnisses ein. Im Laufe des
Strafverfahrens, das auf Therese X., ihren Vater Ernst X. und
N. ausgedehnt wurde, gaben alle Angeschuldigten ihre Verfehlungen
zu, bestritten aber ihre Strafbarkeit, da die Zeugen nicht über das
Zeugnisverweigerungsrecht belehrt worden und ihre Aussagen daher ungültig
gewesen seien. Das Strafamtsgericht Bern wies diesen Einwand zurück und
verurteilte am 17. April 1959 die Ehegatten X.-Y., Ernst X. und N. wegen
falschen Zeugnisses und Therese X. wegen Anstiftung dazu zu bedingten
Gefängnisstrafen.

    Das Obergericht des Kantons Bern, an das alle Angeschuldigten
mit Ausnahme von Ernst X. appellierten, bestätigte mit Urteil vom
18. September 1959 den erstinstanzlichen Schuldspruch und verurteilte
Therese X. zu 6 und die übrigen Angeschuldigten zu je 2 Monaten Gefängnis
unter Gewährung des bedingten Strafvollzuges. Den Erwägungen dieses
Urteils ist zu entnehmen:

    Der Tatbestand des falschen Zeugnisses (Art. 307 StGB) sei nur
erfüllt, wenn ein nach kantonalem Prozessrecht gültiges Zeugnis
vorliege. Nach Art. 252 bern. ZPO sei der Richter verpflichtet, den
Zeugen über das Zeugnisverweigerungsrecht zu belehren. Dabei handle
es sich entgegen LEUCH N. 2 nicht um eine blosse Ordnungs-, sondern
um eine Gültigkeitsvorschrift. Indessen liege nach der Praxis trotz
fehlender Belehrung ein gültiges Zeugnis vor, wenn der Zeuge keinen
Zeugnisverweigerungsgrund anrufen durfte, wenn er das ihm zustehende
Zeugnisverweigerungsrecht kannte oder wenn aus den Umständen zwingend zu
schliessen sei, dass er trotz Belehrung über das Zeugnisverweigerungsrecht
falsch ausgesagt hätte. Im vorliegenden Falle hätten die Ehegatten
X.-Y. nach Art. 245 ZPO das Zeugnis nur verweigern dürfen, wenn Therese
X. darüber, dass sie die Silvesternacht 1953/54 mit M. in deren
Mansarde zugebracht habe, weil ihre Ehre berührend, gemäss Art. 275
ZPO die Auskunft hätte verweigern dürfen. "Eine solche Tatsache ist
indessen nicht ehrenrührig - Therese X. war damals (1956) noch ledig
- und es bestand für sie kein Grund, die Aussage über diesen Punkt zu
verweigern. Die Eheleute X.-Y. konnten sich mithin nicht auf Art. 245 ZPO
berufen; ihr Zeugnis ist gültig". Dagegen hätte N. als verheirateter Mann
die Aussagen über seine intimen Beziehungen zu Therese X. gemäss Art. 247
ZPO verweigern können, da er durch wahrheitsgemässe Aussage nicht nur in
seiner Ehre getroffen worden wäre, sondern sich sogar der Gefahr einer
strafrechtlichen Verfolgung (Art. 214 StGB) ausgesetzt hätte. Indessen
habe er das ihm zustehende Zeugnisverweigerungsrecht gekannt, und da er
in Kenntnis dieses Rechts falsch ausgesagt habe, sei anzunehmen, dass
er auch dann falsches Zeugnis abgelegt hätte, wenn ihn der Richter auf
sein Recht aufmerksam gemacht hätte. Sein Zeugnis sei daher ebenfalls
gültig. Therese X. habe ihren Vater, ihren Bruder, ihre Schwägerin und
N. vorsätzlich zu falschem Zeugnis bestimmt. Da alle Angeschuldigten der
falschen Zeugenaussagen schuldig gesprochen worden seien, sei sie wegen
Anstiftung zu verurteilen, wobei eine Strafe von 6 Monaten Gefängnis
angemessen erscheine. Wenn die andern Angeschuldigten mangels gültigen
Zeugnisses nicht bestraft werden könnten, so wäre sie der erfolglosen
Anstiftung schuldig zu sprechen und in die gleiche Strafe zu verfällen,
denn ihr Verschulden wäre nicht geringer, wenn die Angestifteten wegen
einer prozessualen Bestimmung straflos ausgegangen wären.

    D.- Gegen dieses Urteil des Obergerichts des Kantons Bern haben
die Ehegatten X.-Y., N. und Therese X. beim Bundesgericht sowohl
Nichtigkeitsgeschwerde gemäss Art. 268 ff. BStP als auch staatsrechtliche
Beschwerde wegen Verletzung von Art. 4 BV erhoben.

    Der Kassationshof ist auf die Nichtigkeitsbeschwerde nicht eingetreten,
da sie nicht mit der Verletzung von Bundesrecht begründet war.

    E.- Der Generalprokurator des Kantons Bern und S.  beantragen die
Abweisung der staatsrechtlichen Beschwerde. Das Obergericht des Kantons
Bern hat auf Stellungnahme verzichtet und auf die Begründung des
angefochtenen Urteils verwiesen.

Auszug aus den Erwägungen:

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Ein nach Art. 307 StGB strafbares falsches Zeugnis liegt nicht vor,
wenn die Aussage ungültig ist (BGE 69 IV 219, 71 IV 43). Die Eheleute X.-Y.
und N. sind vor ihrer Einvernahme als Zeugen im Vaterschaftsprozess
gegen S. nicht über das Zeugnisverweigerungsrecht belehrt worden. Ob
ihre Aussgagen gleichwohl gültig sind, ist ausschliesslich eine
Frage des kantonalen Prozessrechts, dessen Verletzung nicht mit
der Nichtigkeitsbeschwerde beim Kassationshof gerügt werden kann.
Auf die staatsrechtliche Beschwerde, mit der vor allem die Annahme des
Obergerichts, jene Zeugenaussagen seien gültig, als willkürlich angefochten
wird, ist daher einzutreten.

Erwägung 2

    2.- Nach Art. 252 bern. ZPO hat der Richter die Zeugen auf
die Zeugnispflicht und deren Umfang aufmerksam zu machen. Dazu
gehört, wie nicht streitig ist, auch die Belehrung über das
Zeugnisverweigerungsrecht. Das Obergericht erblickt hierin eine
Gültigkeitsvorschrift, nimmt aber an, eine Aussage könne unter gewissen
Voraussetzungen trotz Nichtbeachtung der Vorschrift gültig sein. Diese
Auslegung wird in der Beschwerde zu Unrecht als mit Art. 252 ZPO
unvereinbar und willkürlich beanstandet. Diese Bestimmung verpflichtet zwar
den Richter zur Belehrung des Zeugen über das Zeugnisverweigerungsrecht,
spricht sich aber über die Folgen der Unterlassung der Belehrung nicht
aus. Es war daher mit dem Wortlaut von Art. 252 ZPO vereinbar und nicht
willkürrlich, wenn Rechtsprechung und Lehre die Bestimmung zunächst als
blosse Ordnungsvorschrift verstanden haben (LEUCH N. 2 und dort erwähnter
Beschluss der Obergerichtskammern vom 11. November 1942). Ebensowenig ist
es willkürlich, wenn das Obergericht sie nun im angefochtenen Entscheid
zwar grundsätzlich als Gültigkeitsvorschrift betrachtet, ihr aber nicht
absolute Geltung zuerkennt, sondern gewisse Ausnahmen macht. Der Einwand
der Beschwerdeführer, dass dies zu einer willkürrlichen Ungleichbehandlung
der Zeugen führe, ist nicht begründet, da sich die einzelnen Ausnahmen
mit ernsthaften sachlichen Gründen vertreten lassen. So leuchtet es ein,
dass ein Zeugnis gültig sein soll, wenn der Zeuge trotz Unterlassung
der vorgeschriebenen Belehrung weiss, dass er das Zeugnis verweigern
kann, aber trotzdem aussagt. Als vertretbar erscheint aber auch die
Auffassung, die Unterlassung der Belehrung schade nicht, wenn der Zeuge
keinen Zeugnisverweigerungsgrund anrufen könne oder wenn anzunehmen
sei, er hätte trotz Belehrung über das Zeugnisverweigerungsrecht falsch
ausgesagt. Nicht zu übersehen ist freilich, dass bei Unterlassung der
Belehrung der Strafrichter nachträglich auf Grund umfassender Erhebungen
über das Vorliegen eines Zeugnisverweigerungsgrundes befindet, während
im Falle der Belehrung der Zivilrichter nach der damaligen Prozess-
und Sachlage darüber entscheidet und sein Entscheid vom Zeugen an den
Appellationshof weitergezogen werden kann (Art. 248 ZPO). Welche Bedeutung
dieser Verschiebung der Zuständigkeit beizumessen ist, kann jedoch
dahingestellt bleiben, da die Beschwerdeführer in dieser Beziehung keine
Rügen erheben. Sie bestreiten nur, dass das Obergericht die streitigen
Zeugenaussagen aus den von ihm angenommenen Gründen als gültig betrachten
durfte. Diese Gründe sind für die Ehegatten X.-Y. und für N. nicht die
gleichen, weshalb die Frage der Gültigkeit ihrer Zeugenaussagen getrennt
zu prüfen ist.

Erwägung 3

    3.- Nachdem Therese X. Silvester 1953/54 mit Verwandten und Bekannten,
darunter M., im Kursaal Bern gefeiert hatte, hat sie den Rest der Nacht
mit M. in der Mansarde ihres Bruders verbracht und dort mit ihm intim
verkehrt. Auf die ihnen als Zeugen gestellte Frage, ob Therese X. mit
M. in ihrer Mansarde übernachtet habe, durften die Eheleute X.-Y. nach
Art. 245 ZPO die Antwort verweigern, wenn Therese X. als Prozesspartei
selber hierüber nach Art. 275 ZPO die Auskunft verweigern konnte, weil es
ihre Ehre berührte. Das Obergericht verneint dies, weil Therese X damals
(im Vaterschaftsprozess) noch ledig gewesen sei. Diese Betrachtungsweise
wird mit der Beschwerde als willkürlich angefochten.

    a) Die Gesetzesbestimmungen, welche den Parteien und Zeugen die
Aussage über für sie ehrenrührige Tatsachen erlassen, nehmen auf ihre
Persönlichkeit und Geheimsphäre Rücksicht und wollen sie vor der inbezug
auf solche Tatsachen besonders grossen Versuchung bewahren, nicht die
Wahrheit zu sagen. Der in diesen Bestimmungen verwendete Begriff der Ehre,
der nicht ohne weiteres dem strafrechtlichen Ehrbegriff gleichzusetzen
ist, umfasst das Ehrgefühl des Betroffenen und seinen Ruf als ehrbarer
Mensch (sog. innere und äussere Ehre). Seine nähere Auslegung wird
durch sich widerstreitende Interessen erschwert. Das Interesse der
Wahrheitserforschung und der Verwirklichung des materiellen Rechts
(vgl. BGE 84 I 221) lässt eine enge Auslegung als geboten erscheinen
(vgl. auch Art. 42 lit. a BZP, wonach das Zeugnis nur verweigert werden
kann über Fragen, deren Beantwortung dem Zeugen oder seinen Verwandten die
Gefahr einer schweren Benachteiligung der Ehre zuziehen kann). Der Zweck
der Bestimmungen, die Betroffenen vor Gewissenskonflikten zu bewahren,
ruft dagegen nach einer weiten Auslegung. Sodann entspricht es diesem
Zweck, die persönlichen Verhältnisse des Betroffenen möglichst weitgehend
zu berücksichtigen, während das Bedürfnis nach einfacher und einheitlicher
Anwendung der Bestimmungen eine Beurteilung nach objektiven Gesichtspunkten
nahe legt.

    b) Das Obergericht hat sich nicht darüber ausgesprochen, nach
welchen Grundsätzen die Art. 245, 247 und 275 bern. ZPO auszulegen
sind. Sein Entscheid beruht auf der Annahme, dass eine ledige Person,
gleichgültig welchen Geschlechts, als Partei oder Zeuge die Auskunft
über ausserehelichen Geschlechtsverkehr (mit andern ledigen Personen)
keinesfalls verweigern dürfe, da ein solcher Verkehr nicht ehrenrührig
sei. Diese Auffassung muss indessen, soweit sie sich auf ledige Frauen
bezieht, als unhaltbar bezeichnet werden.

    Es erscheint schon als fraglich, ob es angeht, allgemein zu sagen,
das Zugeständnis ausserehelichen Geschlechtsverkehrs berühre die
Ehre eines ledigen Mannes nicht, wie LEUCH (N. 1 zu Art. 247) und das
bernische Obergericht (ZBJV 88 S. 118) vorbehaltlos annehmen. Wenn auch,
wie Leuch bemerkt, weite Kreise hierüber eine freiere Auffassung haben,
so gilt ausserehelicher Geschlechtsverkehr doch allgemein als moralisch
verwerflich (LEUCH, aaO, und GULDENER, Schweiz. Zivilprozessrecht S. 361
N. 24 d) und gibt es zweifellos noch immer zahlreiche ledige Männer,
deren Ehr- und Schamgefühl durch ein vor Dritten abgelegtes Geständnis
solchen Verkehrs so stark betroffen wird, dass ihnen dieses nicht zuzumuten
ist. Verschiedene Gerichte haben denn auch dem unverheirateten Manne, der
über intime Beziehungen zu einer ledigen Frau als Zeuge auszusagen hatte,
das Recht der Zeugnisverweigerung zugestanden oder doch ihren Entscheid
hierüber auf Grund der konkreten Umstände und der persönlichen Verhältnisse
des Zeugen getroffen (Rekurskommission des st.-gall. Kantonsgerichts,
Amtsbericht 1926 Nr. 24; Appellationsgericht Basel-Stadt, SJZ 1951
S. 143/44; Kassationsgericht Zürich, SJZ 1956 S. 92/93).

    Lässt sich somit schon für den ledigen Mann nicht allgemein sagen,
dass ausserehelicher Geschlechtsverkehr seine Ehre auf keinen Fall berühre
und er daher als Partei oder Zeuge die Auskunft darüber nicht verweigern
dürfe, so geht dies noch weniger an für die unverheiratete Frau. Bei der
Frau ist nicht nur das Schamgefühl im allgemeinen feiner und zugleich
stärker entwickelt als beim Manne, sondern werden auch aussereheliche
Geschlechtsbeziehungen von der Moral schärfer missbilligt. Soweit
ersichtlich, hat denn auch bisher noch kein schweizerisches Gericht
die Auffassung vertreten, dass eine unverheiratete Frau vor Gericht als
Partei oder Zeugin stets verpflichtet sei, über intime Beziehungen zu
Männern Auskunft zu geben, während LEUCH, der inbezug auf den ledigen
Mann einer freieren Auffassung folgt, ausdrücklich erklärt, dass die
Kindsmutter im Vaterschaftsprozess die Aussagen über den Verkehr mit
noch andern Männern unbedingt verweigern könne (ebenso für das deutsche
Recht STEIN/JONAS/SCHÖNKE, 18. Auflage, und BAUMBACH/LAUTERBACH, 24.
Auflage, zu § 384 Ziff. 2 d ZPO). Die dem angefochtenen Entscheid zugrunde
liegende Annahme, dass eine ledige Frau in keinem Falle berechtigt sei,
unter Berufung auf ihre Ehre die Auskunft über ihre sexuelle Lebensweise
und über ein Verhalten wie dasjenige der Therese X. in der Silvesternacht
1953/54 zu verweigern, ist mit den in der Schweiz herrschenden Auffassungen
von Recht und Sitte unvereinbar und muss als schlechterdings unhaltbar,
geradezu willkürlich bezeichnet werden.

    Damit soll nicht gesagt sein, dass es nicht Fälle geben könne, wo
es auch einer ledigen Frau ausnahmsweise zuzumuten ist, als Partei oder
Zeugin über aussereheliche Geschlechtsbeziehungen Auskunft zu geben, weil
sie dadurch nach den Umständen und nach ihren persönlichen Verhältnissen
nicht in ihrer Ehre (im Sinne der Art. 245, 247 und 275 ZPO) betroffen
wird. Unter welchen Voraussetzungen das angenommen werden darf, hat das
Bundesgericht vorliegend nicht zu untersuchen. Der Entscheid hierüber
bleibt den zuständigen kantonalen Gerichten vorbehalten.

    Die Verurteilung der Ehegatten X.-Y. wegen falschen Zeugnisses beruht
auf der Annahme, sie seien zur Verweigerung des Zeugnisses deshalb nicht
berechtigt gewesen, weil eine ledige Frau auf keinen Fall befugt sei, als
Partei oder Zeugin die Auskunft über ausserehelichen Geschlechtsverkehr zu
verweigern. Diese Annahme ist nach dem Gesagten unhaltbar und willkürlich,
weshalb die Beschwerde der Eheleute X.-Y. gutzuheissen und der angefochtene
Entscheid insoweit, als er sich auf sie bezieht, wegen Verletzung von
Art. 4 BV aufzuheben ist.

Erwägung 4

    4.- Der Beschwerdeführer N. war, wie auch das Obergericht annimmt,
nach Art. 247 ZPO berechtigt, die Antwort auf die Frage nach intimen
Beziehungen zu Therese X. zu verweigern, weil er verheiratet ist und durch
wahrheitsgemässe Aussage nicht nur in seiner Ehre getroffen worden wäre,
sondern sich sogar der Gefahr strafrechtlicher Verfolgung (wegen Ehebruchs;
Art. 214 StGB) ausgesetzt hätte. Das Obergericht ist jedoch der Auffassung,
sein Zeugnis sei, obwohl er über das Zeugnisverweigerungsrecht nicht
belehrt wurde, deshalb gleichwohl gültig, weil er das ihm zustehende
Zeugnisverweigerungsrecht gekannt habe und anzunehmen sei, dass er auch
falsch ausgesagt hätte, wenn ihn der Richter auf sein Recht aufmerksam
gemacht hätte. Diese Betrachtungsweise wird in der Beschwerde lediglich mit
der bereits in Erw. 2 widerlegten Begründung als willkürlich angefochten,
die Belehrung der Zeugen über das Zeugnisverweigerungsrecht sei ein
unbedingtes Gültigkeitserfordernis, von dem es keine Ausnahmen gebe. Nicht
bestritten und noch weniger als willkürlich angefochten wird dagegen die
Annahme, dass N. sein Zeugnisverweigerungsrecht kannte und auch im Falle
der Belehrung darüber falsch ausgesagt hätte. Von Willkür kann auch nicht
die Rede sein, da seinen Äusserungen vor Strafamtsgericht zu entnehmen ist,
dass er das ihm zustehende Zeugnisverweigerungsrecht tatsächlich kannte,
jedoch davon auf Ersuchen von Therese X. keinen Gebrauch machte, weil sie
befürchtete, dies könnte zu ihren Ungunsten ausgelegt werden. Wenn hieraus
überdies geschlossen wird, N. hätte auch im Falle der Belehrung über das
Zeugnisverweigerungsrecht falsch ausgesagt, so kann dieser Schluss, mag
er auch nicht zwingend sein, doch jedenfalls nicht als offensichtlich
unrichtig, geradezu willkürlich bezeichnet werden. Die Beschwerde des
N. ist daher abzuweisen.

Erwägung 5

    5.- Vater X. hat gegen seine Bestrafung wegen falschen Zeugnisses
durch das Strafamtsgericht nicht appelliert, so dass dessen Urteil,
soweit es ihn betrifft, rechtskräftig geworden ist. Anderseits hat
Therese X. in der Strafuntersuchung zugegeben, ihren Vater zu falschen
Aussagen veranlasst zu haben. Es ist daher nicht zu beanstanden, dass
das Obergericht sie wegen Anstiftung des Vaters zu falschem Zeugnis
verurteilt hat. Da sie ferner auch N. angestiftet hat und dessen
Verurteilung sich als unanfechtbar erweist, ist sie auch zu Recht wegen
Anstiftung des N. verurteilt worden. Dagegen ist zufolge Gutheissung der
staatsrechtlichen Beschwerde der Ehegatten X.-Y. das angefochtene Urteil
insoweit aufzuheben, als Therese X. der Anstiftung derselben schuldig
erklärt worden ist. Das Obergericht hat im angefochtenen Urteil freilich
erklärt, dass es Therese X. in die gleiche Strafe verfällt hätte, wenn
die Aussagen aller Zeugen ungültig gewesen wären und Therese X. daher nur
wegen erfolgloser Anstiftung (bzw. Anstiftungsversuchs, Art. 24 Abs. 2
StGB) zu bestrafen wäre. Das ändert aber nichts daran, dass jedenfalls
der Schuldspruch aufzuheben ist, was zur Folge hat, dass das Obergericht
in seinem neuen Entscheid nochmals zu prüfen haben wird, ob die gegenüber
Therese X. ausgesprochene Strafe nicht zu mildern sei.