Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 86 I 55



86 I 55

11. Urteil der I. Zivilabteilung vom 22. März 1960 i. S. Heinz Ginzel &
Co. gegen Eidgenössisches Amt für geistiges Eigentum. Regeste

    Art. 14 Abs. 1 Ziff. 2 MSchG, Art. 6 lit. B Ziff. 3 Pariser
Verbandsübereinkunft. Die Marke "SPIRALIN" kann den Käufer über die
Beschaffenheit von Textilerzeugnissen nicht täuschen.

Sachverhalt

    A.- Die Firma Heinz Ginzel & Co. in Dornbirn liess drei in Österreich
hinterlegte Fabrik- und Handelsmarken auch beim Internationalen Bureau
für den Schutz des gewerblichen Eigentums eintragen, die erste am 15.
August 1949 unter Nr. 142.900, die zweite am 15. März 1950 unter
Nr. 145.833 und die dritte am 8. Oktober 1959 unter Nr. 224.465. Die
Marke Nr. 142.900 besteht aus einer rundlichen und einer länglichen
Spirale, die von einem Kreis umschlossen sind. Nr. 145.833 ist die
Wortmarke "SPIRAL" und Nr. 224.465 die Wortmarke "SPIRALIN". Die
Warenverzeichnisse für die Marken Nr. 142.900 und Nr. 145.833 lauten
ähnlich wie für die Marke Nr. 224.465. Für diese ist das Verzeichnis
wie folgt gefasst: "Hut- und Putzwaren, künstliche Blumen, Strümpfe
und Socken, Tricotwaren, Bekleidungsstücke, Unterwäsche, Kravatten,
Korsette, Handschuhe, Hosenträger, Büstenhalter, Gürtel, Lampenschirme,
Fäden, Schneidereiartikel, Zwirne, Netze, Schnüre, Textilfasern,
Füllware für Matratzen, Packmaterial, Posamenteriewaren, Bänder, Borden,
Knöpfe, Spitzen, Stickereien, Teppiche, Matten, Linoleum, Wachstuche,
Überzugsmaterial für Böden und Möbel, Möbelüberzüge, Decken, Vorhänge,
Fahnen, Zelte, Segel, Säcke, Gewebe und Maschenware, auch unter Beizug von
Papier-, Metall-, Kunststoff- und Glasfäden oder -fasern fabriziert, Filz."

    Am 21. Dezember 1959 teilte das Eidgenössische Amt für geistiges
Eigentum dem Internationalen Bureau mit, die Marke Nr. 224.465 werde in
der Schweiz nur für Erzeugnisse aus Leinen geschützt, denn das Publikum
könnte durch die Angabe "... lin" getäuscht werden, wenn sie für Waren
verwendet würde, die ihr nicht entsprächen.

    B.- Die Firma Heinz Ginzel & Co. führt gemäss Art. 97 ff. OG
Beschwerde. Sie beantragt dem Bundesgericht, die Verfügung des
Eidgenössischen Amtes für geistiges Eigentum aufzuheben und die Marke Nr.
224.465 in der Schweiz in vollem Umfange schützen zu lassen, eventuell
die angefochtene Verfügung auf solche Erzeugnisse der Warenliste
einzuschränken, die vernünftigerweise aus Reinleinen bestehen könnten,
sie also mindestens in bezug auf Hut- und Putzwaren, künstliche Blumen,
Strümpfe, Unterwäsche, Kravatten, Korsette, Hosenträger, Büstenhalter,
Lampenschirme, Füllware für Matratzen, Knöpfe, Teppiche, Linoleum,
Wachstuch, Fahnen und Filz ungültig zu erklären.

    C.- Das Eidgenössische Amt für geistiges Eigentum beantragt, die Marke
Nr. 224.465 für Hutwaren (ausgenommen Mützen), künstliche Blumen, Strümpfe,
Socken, Kravatten, Korsette, Hosenträger, Büstenhalter, Lampenschirme,
Füllware für Matratzen, Knöpfe, Teppiche (ausgenommen Tischteppiche),
Linoleum, Fahnen und Filz ohne Einschränkung schützen zu lassen, im
übrigen dagegen die Beschwerde abzuweisen.

Auszug aus den Erwägungen:

              Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Die Schweiz ist gegenüber Österreich durch die in London revidierte
Madrider Übereinkunft betreffend die internationale Eintragung der Fabrik-
oder Handelsmarken gebunden. Gemäss Art. 5 Abs. 1 dieser Übereinkunft darf
sie daher einer beim Internationalen Bureau hinterlegten österreichischen
Marke den Schutz nur unter den Voraussetzungen verweigern, unter denen sie
nach der in London revidierten Pariser Verbandsübereinkunft zum Schutze des
gewerblichen Eigentums eine zur Hinterlegung in der Schweiz angemeldete
Marke zurückweisen dürfte. Die Zurückweisung ist unter anderem möglich,
wenn die Marke gegen die guten Sitten verstösst, insbesondere wenn sie
geeignet ist, das Publikum zu täuschen (Art. 6 lit. B Ziff. 3 Pariser
Verbandsübereinkunft).

    Das Bundesgesetz betreffend den Schutz der Fabrik- und Handelsmarken
gebietet, die Eintragung einer gegen die guten Sitten verstossenden Marke
zu verweigern (Art. 14 Abs. 1 Ziff. 2). Die Rechtsprechung geht dahin, dass
diese Voraussetzung unter anderem dann erfüllt ist, wenn die Marke sich
eignet, den Käufer irrezuführen, insbesondere ihn über die Beschaffenheit
der Ware zu täuschen (BGE 76 I 169, 77 I 79, 79 I 253, 82 I 50).

Erwägung 2

    2.- Das Bundesgericht hat entschieden, die Marke "Novelin" könnte beim
Durchschnittskäufer zum mindesten im französischen Sprachgebiet die irrige
Vorstellung erwecken, die Textilerzeugnisse, für die sie verwendet würde,
seien aus Leinen hergestellt (BGE 82 I 51).

    Das hat nicht den Sinn, dass jede auf "lin" endende Marke für
nichtleinene Textilwaren unzulässig sei. Wie schon in BGE 82 I 51
erwähnt wurde, gibt es verschiedene Wörter, die wegen ihres Sinnes
trotz der Endung "lin" nicht den Gedanken an Leinen aufkommen lassen,
z.B. Musselin, Gobelin, Vaselin, Anilin, Naphtalin, Metallin, Periklin
und die französischen Wörter moulin, orphelin, tremplin usw. Selbst
reine Phantasiebezeichnungen erwecken durch die Endung "lin" nicht
notwendigerweise den Anschein, die Gewebe, für die sie als Marke verwendet
werden, seien aus Leinen. Es muss stets auf den Eindruck abgestellt werden,
den das Wort als Ganzes macht, also ausser auf die Endung "lin" auch auf
die Vorstellungen, die durch die übrigen Bestandteile hervorgerufen werden,
und auf die Betonung, welche die einzelne Silbe erfährt.

    Man ist geneigt, das Wort "Novelin" in die Bestandteile "nove"
und "lin" zu zerlegen und zu denken, der erste sei vom lateinischen
Wort novum oder von den entsprechenden italienischen bzw. französischen
Wörtern nuovo (novo) oder nouveau abgeleitet. Würde demnach "nove" eine
Eigenschaft andeuten, so könnte die Silbe "lin", zumal wenn sie betont
wird, die Stelle eines Hauptwortes vertreten, so dass sich als Sinn von
"Novelin" etwa "neues Leinen" ergäbe. Das Wort "SPIRALIN" erweckt keine
ähnlichen Gedankengänge. Dabei kann ausser Betracht bleiben, dass die
Beschwerdeführerin schon die Bildmarke Nr. 142.900 und die Wortmarke
Nr. 145.833 beim Internationalen Bureau hinterlegt hat. Selbst wer von
diesen Marken keine Kenntnis hat, wird das Wort "SPIRALIN", wenn er sich
überhaupt eine Vorstellung macht, mit "Spirale" in Beziehung bringen und
es, wenn er deutsch oder französisch überlegt, in den Wortstamm "Spiral"
und die Phantasieendung "in" zerlegen, nicht in "Spira" und "lin", denn
"Spira" vermag keinerlei Gedankenverbindung mit einem im Deutschen oder
Französischen gebräuchlichen Wort herzustellen. Die italienische Sprache
freilich kennt ausser dem Wort "spirale" auch "spira". Dieser Ausdruck
ist aber wie das deutsche "Spirale" und das französische "spirale" ein
Hauptwort und gibt daher der Marke "SPIRALIN" mehr Gewicht als die letzte
Silbe, die zu einem unbetonten und sinnlosen Anhängsel herabsinkt.

    Die Neigung des durchschnittlichen Käufers, einer versteckten
Bedeutung der Marke nachzuspüren, darf bei der grossen Verbreitung,
die blosse Phantasiebezeichnungen im heutigen Markenschatz einnehmen,
nicht überschätzt werden. Das gilt insbesondere für die Endung "lin". Der
Käufer lässt sich durch sie um so weniger leicht zur Auffassung verleiten,
der Rohstoff sei aus der Flachspflanze (frz. lin, lat. linum) gewonnen,
als diese Silbe mehr und mehr zur Bezeichnung von allerlei Erzeugnissen
verwendet wird, die mit Flachs offensichtlich nichts zu tun haben. Auch
sind Textilwaren aus Leinen heute weniger verbreitet als früher und kommt
daher das Publikum weniger leicht auf den Gedanken, es würden ihm unter
einer auf "lin" endigenden Marke solche Erzeugnisse angeboten.

    Der Hauptantrag der Beschwerde ist daher gutzuheissen.

Entscheid:

Demnach erkennt das Bundesgericht:

    In Gutheissung der Beschwerde wird die Verfügung des Eidgenössischen
Amtes für geistiges Eigentum vom 21. Dezember 1959 aufgehoben, in der
Meinung, dass der internationalen Marke Nr. 224.465 in der Schweiz in
vollem Umfange Schutz zu gewähren sei.