Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 86 IV 9



86 IV 9

4. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 5. Februar 1960
i.S. Zollinger gegen Generalprokurator des Kantons Bern. Regeste

    Art. 69 StGB. Anrechnung der zwischen der erst- und der
zweitinstanzlichen Aburteilung erstandenen Sicherheitshaft, wenn der
Angeklagte einen vorzeitigen Strafantritt abgelehnt hat?

Sachverhalt

Auszug aus den Erwägungen:

                       Aus den Erwägungen:

    Die Vorinstanz hat dem Beschwerdeführer die Anrechnung der zwischen der
erst- und der zweitinstanzlichen Aburteilung erstandenen Haft verweigert,
weil "das von ihm eingelegte Rechtsmittel verbunden mit dem Einspruch
gegen den vorzeitigen Strafvollzug" trölerisch gewesen sei; er habe,
nachdem der erstinstanzliche Schuldspruch in drei Punkten unangefochten
geblieben sei, nicht damit rechnen können, er werde mit der Appellation
in dem Masse Erfolg haben, dass er keine Strafe mehr zu verbüssen brauche.

    Tatsächlich hat Zollinger einen vorzeitigen Strafantritt abgelehnt. Das
kann ihm jedoch nicht zum Vorwurf gereichen. Denn es war nicht seine
Pflicht, sondern bloss sein Recht, vor Eintritt der Rechtskraft die Strafe
an sich vollziehen zu lassen (vgl. BGE 70 IV 56/7). Diese dem Verurteilten
zustehende Befugnis, einen vorzeitigen Strafantritt abzulehnen, schliesst
indessen nicht aus, dass er die sich aus einer solchen Weigerung ergebenden
Folgen nach Art. 69 StGB tragen muss. Die Anrechnung der Haft ist eine
Billigkeitsmassnahme, die das Gesetz für den Fall vorschreibt, dass die
Haft unabhängig vom Verhalten des Beschuldigten nach der Tat verhängt wird
oder fortdauert (BGE 73 IV 91, 76 IV 23). Es ist aber nicht ein Gebot der
Billigkeit, einem Angeklagten die Sicherheitshaft anzurechnen, wenn er den
vorzeitigen Strafantritt abgelehnt hat, obwohl er sich bei Ergreifung des
Rechtsmittels bewusst sein musste, dass eine Verurteilung zu einer Strafe
milderer Art (z.B. Haft statt Gefängnis) nicht in Betracht komme und dass
er von der ausgefällten Strafe jedenfalls soviel zu verbüssen haben werde,
als der voraussichtlichen Dauer des Rechtsmittelverfahrens entspreche. Das
kann entweder deswegen der Fall sein, weil er das erstinstanzliche Urteil
überhaupt nur zum Teil angefochten hat oder weil das Rechtsmittel zumindest
teilweise trölerisch war (Urteil i.S. Blank vom 12. Juni 1959).