Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 86 IV 50



86 IV 50

15. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 11. März 1960
i.S. Schweizerische Bundesanwaltschaft gegen Müller. Regeste

    Art. 1 Abs. 6 ErgMStG schliesst eine zweimalige strafrechtliche
Verfolgung des militärischen Ersatzpflichtigen für denselben "Steuerbetrag"
aus (Grundsatz ne bis in idem).

Sachverhalt

    A.- Am 10. September 1956 wurde Müller wegen schuldhafter
Nichtbezahlung des Militärpflichtersatzes pro 1954/55 im Betrage von
Fr. 276.-- von der Bezirksgerichtskommission Frauenfeld zu fünf Tagen Haft
verurteilt. Am 6. September 1957 hob die Rekurskommission des Obergerichtes
des Kantons Thurgau dieses Urteil wegen inzwischen eingetretener Verjährung
der Strafverfolgung auf, nachdem der Kassationshof des Bundesgerichtes
auf Nichtigkeitsbeschwerde hin am 24. Juni 1957 ein erstes Erkenntnis
der Rekurskommission aufgehoben und die Sache zu neuer Entscheidung
zurückgewiesen hatte.

    Am 30. Juni 1959 wurde Müller, der sich inzwischen in Zug
niedergelassen hatte, von der dortigen Militärpflichtersatzverwaltung
aufgefordert, den für die Jahre 1954/55 immer noch geschuldeten Betrag
von Fr. 276.-- innert fünf Tagen zu bezahlen. Da Müller trotz der
ihm am 6. und 21. Juli 1959 zugestellten Mahnungen nichts leistete,
wurde gegen ihn Strafanzeige wegen schuldhafter Nichtbezahlung des
Militärpflichtersatzes erstattet.

    B.- Das Polizeirichteramt des Kantons Zug lehnte mit Verfügung vom
17. Oktober 1959 die Anhandnahme der Anzeige ab, weil die Strafverfolgung
verjährt sei und wegen des gleichen Deliktes nicht nochmals ein
Strafverfahren eingeleitet werden könne.

    Die Justizkommission des Kantons Zug bestätigte am 30. November 1959
diesen Entscheid.

    C.- Die Schweizerische Bundesanwaltschaft führt Nichtigkeitsbeschwerde
mit dem Antrag, das Erkenntnis der Justizkommission sei aufzuheben
und die Sache zur Bestrafung des Beschwerdegegners an die Vorinstanz
zurückzuweisen.

    Müller beantragt Abweisung der Beschwerde.

Auszug aus den Erwägungen:

              Der Kassationshof zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- .....

Erwägung 2

    2.- Nach Art. 1 Abs. 6 des Bundesgesetzes vom 29. März 1901
betreffend die Ergänzung des Bundesgesetzes vom 28. Juni 1878 über den
Militärpflichtersatz (ErgMStG) darf wegen Nichtbezahlung des nämlichen
Steuerbetrages nur einmal Strafe verhängt werden. Die Bundesanwaltschaft
stellt sich auf den Standpunkt, dieses Verbot stehe einer erneuten
strafrechtlichen Verfolgung des säumigen Ersatzpflichtigen dann nicht
entgegen, wenn das frühere Strafverfahren zu einem Freispruch geführt
habe oder aber aus irgendeinem Grund eingestellt worden sei. Voraussetzung
sei lediglich eine Wiederholung des Mahnverfahrens.

    Wörtlich genommen wäre nach Art. 1 Abs. 6 ErgMStG unter solchen
Umständen eine mehrfache strafrechtliche Verfolgung des Ersatzpflichtigen
möglich. Das wurde schon bei der parlamentarischen Beratung festgestellt,
dabei aber ausdrücklich bemerkt, dass der Gesetzestext in diesem
Punkte ungenau sei und nicht den wahren Sinn der Bestimmung wiedergebe
(Sten. Bull. StR 1901, S. 110 Votum Python). In der Tat würde eine
sich ausschliesslich auf den Wortlaut stützende Gesetzesauslegung zu
dem widersinnigen Ergebnis führen, dass der Täter, der in einem ersten
Verfahren bestraft wurde und sich dennoch nicht zur Erfüllung seiner
Ersatzpflicht bewegen liess, trotz dieses erhöhten Verschuldens besser
gestellt wäre, als der säumige Ersatzpflichtige, der im früheren Verfahren
mangels Verschulden freigesprochen wurde. Dazu fällt entscheidend
in Betracht, dass - stände Art. 1 Abs. 6 nicht im Gesetze - auf den
Fall der Nichtbezahlung des Militärpflichtersatzes der dem materiellen
Strafrecht angehörende Grundsatz ne bis in idem (BGE 56 I 77, Urteil des
Kassationshofes vom 5. Juni 1947 i.S. Altherr) Anwendung fände, wonach ein
Täter für ein und dieselbe Handlung nicht zweimal strafrechtlich verfolgt
werden darf, und zwar auch dann nicht, wenn das erste Verfahren mit
einem Freispruch endete oder wegen Verjährung usw. formell rechtskräftig
eingestellt wurde (vgl. WAIBLINGER, Das Strafverfahren des Kantons Bern,
S. 23 ff.). Dafür, dass der Gesetzgeber mit Art. 1 Abs. 6 ErgMStG
die Stellung des militärischen Ersatzpflichtigen gegenüber diesem
Grundsatz habe verschlechtern wollen, liegt nichts vor. Vielmehr ist
diese Bestimmung schon nach der natürlichen Lesart als ausdrückliche
Bestätigung der Unzulässigkeit erneuter Strafverfolgung zu verstehen, und
ist sie - was sich zweifelsfrei aus den Materialien ergibt - auch von den
eidgenössischen Räten in diesem Sinne verstanden worden (Sten. Bull. NatR
1901, S. 27 Votum Schumacher, S. 53 Votum Secrétan und insbesondere StR
1901, S. 110 Votum Python, der unter anderem wörtlich folgendes ausführte:
"Je considère notre première rédaction comme insuffisante, de même que la
rédaction amendée et améliorée par le Conseil national. Je désirais faire
cette simple observation afin qu'il en fût pris note au procès-verbal et
que plus tard, le juge appelé à appliquer cette loi sût bien que dans
la pensée des deux conseils on entendait reproduire ici la règle non
bis in idem, valant non seulement pour celui qui aurait été condamné,
mais pour celui qui aurait été libéré; il interdira non seulement une
nouvelle condamnation, mais également toute poursuite en matière pénale").

    Dass bei Anwendung des Grundsatzes ne bis in idem auf den Fall der
schuldhaften Nichtbezahlung des Militärpflichtersatzes die Gefahr von
Missbräuchen seitens renitenter Ersatzpflichtiger besteht, ist nicht
zu verkennen. Das wurde jedoch vom Gesetzgeber um der Rechtssicherheit
willen in Kauf genommen und berechtigt daher nicht zu einer andern
Auslegung. Übrigens haben es die zuständigen Militärbehörden jedenfalls
teilweise in der Hand, dieser Gefahr zu steuern, indem sie frühzeitig
genug, aber auch nicht zu früh gegen den Ersatzpflichtigen vorgehen und
sich insbesondere vor der endgültigen Durchführung des Mahnverfahrens
und der Erstattung der Strafanzeige durch entsprechende Erhebungen
vergewissern, ob die Säumnis eine schuldhafte sei oder auf Gründen beruhe,
die der Pflichtige nicht zu vertreten habe. Veranlassen sie unbekümmert
darum gegen den Säumigen ein Strafverfahren, dann nehmen sie das Risiko auf
sich, dass der staatliche Strafanspruch vorzeitig erschöpft werde und der
Ersatzpflichtige in einem Zeitpunkt, da seine Säumnis infolge Veränderung
der persönlichen Verhältnisse möglicherweise eine schuldhafte sein wird,
nicht mehr wird verfolgt werden können.

Erwägung 3

    3.- Im vorliegenden Fall wurde der Beschwerdeführer wegen
Nichtbezahlung des für 1954/55 geschuldeten Militärpflichtersatzes bereits
in den Jahren 1956/57 strafrechtlich verfolgt. Das Strafverfahren
wurde damals durch rechtskräftigen Beschluss der Rekurskommission des
Obergerichtes des Kantons Thurgau eingestellt. Da die gegen Müller von der
Militärpflichtersatzverwaltung des Kantons Zug erstattete Strafanzeige
die Nichtbezahlung desselben "Steuerbetrages" betraf, wurde sie von der
Vorinstanz mit Recht nicht an die Hand genommen.

    Ist demnach die Beschwerde schon aus diesen Gründen abzuweisen, dann
kann dahingestellt bleiben, ob das in Art. 91 der Vollziehungsverordnung
vorgesehene Mahnverfahren wiederholt werden könne und ob die schuldhafte
Nichtbezahlung des Militärpflichtersatzes mit Ablauf der zweiten Mahnfrist
abgeschlossen sei, die Verjährung somit von diesem Zeitpunkt an zu laufen
beginne (BGE 68 IV 144) oder ob die Säumnis des Ersatzpflichtigen als
Dauerdelikt anzusprechen sei und für den Beginn der Verjährung daher
Art. 71 letzter Absatz StGB gelte.

Entscheid:

Demnach erkennt der Kassationshof:

    Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen.