Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 86 IV 201



86 IV 201

51. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 23. Dezember 1960
i.S. Trachsler gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Graubünden. Regeste

    Art. 15, 42 und 44 StGB. Welche Massnahme ist gegen einen vermindert
zurechnungsfähigen oder unzurechnungsfähigen Gewohnheitstrinker anzuordnen,
auf den die Voraussetzungen des Art. 42 StGB zutreffen? Wann ist er nach
dieser Bestim mung zu verwahren, wann nach Art. 15 StGB zu versorgen oder
nach Art. 44 StGB in eine Trinkerheilanstalt einzuweisen?

Sachverhalt

    A.- Trachsler, der vom April bis August 1959 als Bauschreiner
einer Unternehmung im Misox arbeitete, wurde am 20. Juni 1960 vom
Kreisgerichtsausschuss Misox wegen Veruntreuung (Art. 140 Ziff. 1 StGB),
Urkundenfälschung (Art. 251 Ziff. 1) und Betruges (Art. 148 Abs. 1)
zu vierzehn Monaten Zuchthaus verurteilt. An Stelle der Strafe erkannte
das Gericht auf Verwahrung im Sinne des Art. 42 StGB und auf zehnjährige
Einstellung in der bürgerlichen Ehrenfähigkeit gemäss Art. 52 Ziff. 1
Abs. 3 StGB.

    B.- Der Kantonsgerichtsausschuss von Graubünden wies am 19. Oktober
1960 die Berufung des Verurteilten ab, soweit er darauf eintrat. Nicht
eingetreten wurde auf das in der Berufung enthaltene Revisionsgesuch,
weil keine neuen erheblichen Tatsachen oder Beweismittel namhaft gemacht
würden und das Gesuch zudem an die unzuständige Instanz gerichtet sei.

    C.- Gegen dieses Urteil führt Trachsler Nichtigkeitsbeschwerde.

    D.- Die Staatsanwaltschaft des Kantons Graubünden beantragt in ihrer
Vernehmlassung dem Sinne nach Abweisung der Beschwerde.

Auszug aus den Erwägungen:

Aus den Erwägungen:

    .....

Erwägung 5

    5.- a) (Zusammengefasst) Der Beschwerdeführer hat wegen Verbrechen und
Vergehen zahlreiche Freiheitsstrafen verbüsst. In den Jahren 1949 und 1950,
als er erstmals nach Art. 42 StGB verwahrt wurde, konnte auch kein Zweifel
darüber bestehen, dass er einen Hang zu Verbrechen und Vergehen hat. Aus
dem erneuten Rückfall muss jedoch nicht notwendigerweise abgeleitet
werden, dieser Hang bestehe immer noch. Gegen die dahingehende Annahme
spricht, dass sich der Beschwerdeführer im Anschluss an die Entlassung
aus der Arbeitskolonie vom 6. Oktober 1953 bis zum April 1959 keine
Verfehlungen zuschulden kommen liess. Dafür, dass der Vollzug der früher
verhängten Verwahrungen in Verbindung mit den Strafverbüssungen nicht
wirkungslos geblieben ist, der Beschwerdeführer also nicht schlechthin
besserungsunfähig ist, könnten allenfalls auch die Umstände der neuen
Verfehlungen sprechen, vor allem dann, wenn es aus einer besonderen
Konfliktssituation heraus zu den Rückfällen gekommen ist. Diese Umstände
sind, da das angefochtene Urteil darüber nicht hinreichend Aufschluss gibt,
noch näher abzuklären.

    b) Sollte die Vorinstanz dabei wiederum zum Schlusse kommen, dass
auch diese Voraussetzung der Verwahrung nach Art. 42 StGB erfüllt sei,
so frägt sich, ob diese Massnahme geboten ist oder nicht eine Versorgung
nach Art. 15 oder die Einweisung in eine Trinkerheilanstalt nach Art. 44
am Platze wäre.

    Wie sich aus den Akten und zum Teil aus dem kreisgerichtlichen Urteil
ergibt, war die Mutter des Beschwerdeführers wegen Geisteskrankheit in
einer Heil- und Pflegeanstalt interniert. Der Beschwerdeführer selber
befand sich, angeblich wegen Rauschgiftsucht, von 1942-1944 in der
Anstalt Burghölzli. Diesem Aufenthalt folgten nach seinen Angaben, die
auch von der Staatsanwaltschaft in der Anklageschrift übernommen wurden,
bis 1959 vier weitere Aufenthalte in der gleichen Anstalt. Was diese
Internierungen notwendig machte, geht aus den Akten nicht mit Sicherheit
hervor. Nach dem Bericht der Heil- und Pflegeanstalt Beverin-Cazis
vom 10. September 1959 sollen im Burghölzli Psychopathie, Drang- und
Verstimmungszustände diagnostiziert worden sein. Der Beschwerdeführer
seinerseits will sich jeweilen freiwillig wegen seiner Trunksucht in die
Anstalt begeben haben. Dass er der Trunksucht verfallen ist, stellt auch
das Kreisgericht fest. Daneben verzeichnet aber der Strafregisterauszug
ein Urteil des Obergerichtes des Kantons Zürich vom 28. April 1944, durch
das der Beschwerdeführer unter Einstellung der ausgefällten Strafe von
einem Jahr Gefängnis "i.S. der Art. 14 und 15 StGB" in eine Heilanstalt
eingewiesen wurde. Dabei dürfte es sich um eine der Internierungen im
Burghölzli gehandelt haben. Laut dem Bericht von Beverin-Cazis hat der
Beschwerdeführer schon öfters Selbstmordversuche unternommen.

    Über alle diese Umstände geht der Kantonsgerichtsausschuss
vollständig hinweg, und auch das Kreisgericht, das auf sie anspielt,
hat sich in keiner Weise damit auseinandergesetzt. Von ihnen hängt
aber ab, welche Massnahme anzuordnen ist. Die Geisteskrankheit seiner
Mutter und die mehrmaligen Internierungen des Beschwerdeführers selber,
von denen eine auf gerichtlichem Urteil nach Art. 14/15 StGB beruhte,
lassen erhebliche Zweifel an seiner geistigen Gesundheit aufkommen. Dazu
liegt offenbar Trunksucht im Sinne von Art. 44 StGB vor. Nun schliessen
zwar weder Unzurechnungsfähigkeit oder verminderte Zurechnungsfähigkeit
noch Trunksucht die Verwahrung nach Art. 42 aus. Ist der Angeklagte ganz
oder teilweise unzurechnungsfähig, so kommt jedoch diese Massnahme nur in
Betracht, wenn er nicht einer Heilbehandlung bedarf oder pflegebedürftig
ist. Trifft das zu, ist er gemäss Art. 15 in eine Heil- und Pflegeanstalt
einzuweisen (BGE 71 IV 71). Steht die strafbare Handlung dagegen mit der
Trunksucht im Zusammenhang und kann von der Behandlung eine Besserung
erwartet werden, greift Art. 44 mit der Trinkerheilanstalt Platz. Ist
der Täter sowohl ganz oder teilweise unzurechnungsfähig als gleichzeitig
Gewohnheitstrinker, so kommt es wieder darauf an, ob er der Pflege bedarf
oder eine Heilbehandlung Erfolg verspricht, und wenn dies der Fall ist,
ob sich dafür eine Heil- und Pflegeanstalt besser eignet oder ob die
Behandlung ebensogut in einer Trinkerheilanstalt durchgeführt werden kann
(BGE 82 IV 134). Demgemäss darf nach Art. 42 nur verwahrt werden in Fällen,
wo keine Pflegebedürftigkeit besteht und eine Heilbehandlung weder für den
Geisteszustand noch für die Trunksucht des Angeklagten Aussichten bietet.

    Der Kantonsgerichtsausschuss wird im neuen Urteil den Fall des
Beschwerdeführers auch nach diesen Kriterien zu prüfen haben. Um dazu
in der Lage zu sein, wird der Beschwerdeführer gemäss Art. 13 StGB
psychiatrisch zu begutachten sein, sofern nicht schon dem Bericht der
Anstalt Rheinau alles entnommen werden kann, was für die Entscheidung
nötig ist.