Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 86 IV 2



86 IV 2

2. Urteil des Kassationshofes vom 28. April 1960 i.S. Frefel gegen
Staatsanwaltschaft des Kantons Obwalden. Regeste

    Art. 41 Ziff. 3 Abs. 1 StGB.

    1.  Der bedingte Strafvollzug darf auch dann, wenn die dem Verurteilten
gegebene Weisung befristet ist, erst nach erfolgloser förmlicher Mahnung
widerrufen werden (Erw. 1).

    2.  Als Mahnung genügt nicht, dass an die bisherige Adresse des
Verurteilten ein eingeschriebener Mahnbrief abgesandt wird, falls dieser
als unbestellbar zurückkommt (Erw. 2).

Sachverhalt

    A.- Frefel wurde vom Kantonsgericht des Kantons Obwalden am 7. März
1957 wegen Veruntreuung zu einer Strafe von fünf Monaten Gefängnis
verurteilt, bedingt aufgeschoben mit einer Probezeit von drei Jahren
und der Weisung, der geschädigten Aufida AG den Schaden im Betrage von
Fr. 1939.80 binnen zwei Jahren in Solidarhaft mit dem Mitangeklagten
K. zu ersetzen.

    Da der Schaden unbezahlt blieb, sandte das Kantonsgericht dem
Verurteilten am 28. Juli 1959 an seine bisherige Wohnadresse mit
eingeschriebenem Brief eine Mahnung. Die Sendung kam jedoch zurück mit
dem Vermerk "Abgereist ohne Adressangabe".

    Nachdem die Aufida AG am 10. November 1960 mitgeteilt hatte, dass noch
keine Zahlung eingegangen sei, widerrief das Kantonsgericht am 21. Januar
1960 den bedingten Strafvollzug.

    B.- Gegen diesen Entscheid erhob Frefel Nichtigkeitsbeschwerde. Er
macht geltend, die in Art. 41 Ziff. 3 Abs. 1 StGB vorgeschriebene Mahnung
nicht erhalten zu haben, weswegen die angefochtene Verfügung aufzuheben
sei.

    C.- Die Staatsanwaltschaft des Kantons Obwalden beantragt Abweisung
der Beschwerde.

Auszug aus den Erwägungen:

              Der Kassationshof zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Nach Art. 41 Ziff. 3 Abs. 1 StGB lässt der Richter die Strafe u.a.
dann vollziehen, wenn der Verurteilte trotz förmlicher Mahnung der ihm
erteilten Weisung zuwiderhandelt.

    Die Staatsanwaltschaft des Kantons Obwalden wirft in ihrer
Vernehmlassung die Frage auf, ob es überhaupt einer Mahnung bedürfe, wenn
dem Verurteilten, wie hier, eine bestimmte Zahlungsfrist angesetzt worden
sei. Die Frage ist zu bejahen. Das Gesetz schreibt bei Nichterfüllung der
Weisung die förmliche Mahnung schlechthin vor, nicht nur für den Fall, dass
die Weisung unbefristet war. Die Strafe soll auch in Fällen mit befristeter
Auflage nicht vollzogen werden, ohne dass der Verurteilte vorher noch in
förmlicher Weise auf seine Pflicht hingewiesen worden ist. In diesem Sinne
hat der Kassationshof bereits in dem vom Beschwerdeführer angeführten
Urteil BGE 75 IV 157 entschieden. Wieso es einen Unterschied ausmachen
sollte, ob dem Verurteilten für die Wiedergutmachung des Schadens eine
einmalige Frist oder sukzessive Abzahlungsfristen angesetzt wurden,
ist nicht einzusehen.

Erwägung 2

    2.- Als Mahnung genügt aber nicht, dass an die bisherige Adresse
des Verurteilten ein, wenn auch eingeschriebener Mahnbrief abgeschickt
wird, falls dieser dann als unbestellbar zurückkommt. Gewiss hat der
Postadressat es in der Regel sich selber zuzuschreiben, wenn ihm Sendungen
nicht zugestellt werden können, weil er seinen Wohnsitz ohne Angabe der
neuen Adresse gewechselt hat. Deswegen ersetzt jedoch ein unter solchen
Umständen vorgenommener Zustellungsversuch die in Art. 41 Ziff. 3 Abs. 1
StGB vorgeschriebene Mahnung nicht. Gemahnt ist der Verurteilte gemäss
dieser Bestimmung erst, wenn er die Mahnung tatsächlich erhalten hat und
ihm der drohende Strafvollzug damit zum Bewusstsein gebracht worden ist.

    Kann die Mahnung an die bisherige Adresse nicht zugestellt werden,
so ist es Sache der Behörde, den neuen Wohn- oder Aufenthaltsort
des Verurteilten, allenfalls unter Inanspruchnahme der Rechtshilfe
(Art. 352 ff. StGB), ausfindig zu machen oder eine öffentliche Zustellung
vorzunehmen. Dass das Verfahrensrecht des Kantons Obwalden die öffentliche
Zustellung in einem solchen Fall nicht besonders vorgesehen hat, entbindet
nicht von der Vorschrift der förmlichen Mahnung. Übrigens kann ja die
Strafe auch nicht vollzogen werden, bevor der Verurteilte gestellt ist,
was ohnehin entsprechende Massnahmen notwendig macht.

Entscheid:

Demnach erkennt der Kassationshof:

    Die Nichtigkeitsbeschwerde wird gutgeheissen und die Verfügung des
Kantonsgerichtes des Kantons Obwalden vom 21. Januar 1960 aufgehoben.