Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 86 IV 170



86 IV 170

42. Urteil des Kassationshofes vom 9. September 1960 i.S. Heierle gegen
Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich. Regeste

    Art. 169 StGB.

    Der Arbeitgeber, der im Falle einer gegen seinen Arbeitnehmer
gerichteten Lohnpfändung auf betreibungsamtliche Anzeige hin die gepfändete
Lohnquote in Abzug bringt, den abgezogenen Geldbetrag aber nicht an das
Betreibungsamt abliefert, sondern anderweitig verwendet, verfügt damit
nicht über eine amtlich gepfändete Sache; Pfändungsobjekt bildet bis zu
ihrer Tilgung ausschliesslich die Lohnforderung.

Sachverhalt

    A.- In der Betreibung des X. gegen Frau Y. nahm das Betreibungsamt
Zürich 11 am 21. November 1956 eine Lohnpfändung vor. Vom Verdienst der
damals in der Firma "Ultra 07 E. H. Heierle" tätigen Schuldnerin wurden
62 Rappen pro Arbeitsstunde gepfändet. Am 21. November 1956 zeigte das
Betreibungsamt der Arbeitgeberfirma die Lohnpfändung an und erteilte
ihr die Weisung, ihrer Hilfsarbeiterin Y. den gepfändeten Lohnanteil
abzuziehen und die abgezogenen Beträge je am Monatsende dem Betreibungsamt
abzuliefern. In der Folge nahm die Firma "Ultra 07" die verlangten
Lohnabzüge vor, die für die Zeit vom 26. November 1956 bis 28. Mai 1957
insgesamt Fr. 280.-- erreichten. Hievon wurden an das Betreibungsamt
lediglich Fr. 79.40 abgeliefert, während die restlichen Fr. 200.60 von
der Arbeitgeberin anderweitig verwendet wurden. Am 1. Oktober 1957 geriet
diese in Konkurs, wobei die Gläubiger der fünften Klasse in vollem Umfang
zu Verlust kamen.

    B.- Am 22. Dezember 1959 verurteilte das Obergericht des Kantons Zürich
Heierle, der in der Firma "Ultra 07" eine leitende Stellung eingenommen
hatte, wegen Verfügung über gepfändete Sachen (Art. 169 StGB) zu 14 Tagen
Gefängnis, als Zusatzstrafe zu den vom Obergericht des Kantons Bern am
24. September 1958 wegen Vernachlässigung von Unterstützungspflichten
ausgefällten drei Monaten Gefängnis.

    C.- Heierle führt Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das Urteil
des Obergerichtes sei, soweit es ihn betreffe, aufzuheben und die Sache
zu seiner Freisprechung, eventuell zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz
zurückzuweisen.

    D.- Die Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich beantragt Abweisung
der Beschwerde.

Auszug aus den Erwägungen:

              Der Kassationshof zieht in Erwägung:

    Wer über eine amtlich gepfändete Sache zum Nachteil der Gläubiger
verfügt, wird nach Art. 169 StGB mit Gefängnis bestraft.

    Nach dem angefochtenen Urteil besass die Firma "Ultra 07" bei
Konkursausbruch kein bares Geld mehr. Daraus folgert die Vorinstanz, dass
die vom Lohn der Frau Y. abgezogenen Beträge zum Gegenstand von Handlungen
gemacht worden seien, die den Endzweck der Lohnpfändung vereitelten,
und dass demnach eine Verfügung über gepfändete Sachen im Sinne von
Art. 169 StGB vorliege. Ohne Belang sei dabei, ob die zurückbehaltenen
Lohnquoten intern nur rechnerisch oder auch tatsächlich ausgeschieden
worden seien. Der Begriff der Sache nach Art. 169 StGB sei ein weiterer
als derjenige des Zivilrechtes. So habe die Schuldbetreibungs- und
Konkurskammer des Bundesgerichtes entschieden, dass der an die Stelle
der gepfändeten Lohnforderung oder Anwartschaft tretende Geldbetrag
unter die Pfändung falle (BGE 71 III 62), bzw. vom Schuldner dem
Betreibungsamt abzuliefern sei (BGE 78 III 129, 79 III 158), was nach
Gesetz einen Pfändungsbeschlag voraussetze; der Kassationshof habe sich
dieser Auffassung angeschlossen und in BGE 82 IV 189 darauf hingewiesen,
dass bei der Pfändung von Trinkgeldern der Pfändungsbeschlag zunächst
die Anwartschaft und hernach das an deren Stelle tretende Geld betreffe,
weswegen die als Trinkgeld eingenommenen Noten oder Münzen ohne weiteres
als Sachen im Sinne von Art. 169 StGB anzusprechen seien. Gestützt darauf
legte das Obergericht dem Beschwerdeführer zur Last, er habe durch die
Nichtablieferung der abgezogenen Lohnbeträge an das Betreibungsamt und
deren anderweitige Verwendung sich der Verfügung über gepfändete Sachen
schuldig gemacht.

    Dieser Auffassung kann nicht beigepflichtet werden. Nach Art. 99 SchKG
wird zwar bei der Pfändung von Forderungen oder Ansprüchen, für welche
nicht eine auf den Inhaber oder an Order lautende Urkunde besteht, dem
Schuldner des Betriebenen angezeigt, dass er rechtsgültig nur noch an das
Betreibungsamt leisten könne. Diese Anzeige ist jedoch kein Element der
Lohnpfändung selbst, sondern bloss eine zu dieser hinzutretende Massnahme
zur wirksamen Geltendmachung des Pfändungsvollzuges (BGE 74 III 3, 78 III
128, 83 III 5b). Als solche kann sie weder allgemein die bisherige Stellung
des Drittschuldners verschlechtern, noch insbesondere die Einbeziehung ihm
gehörender Vermögensstücke in den Pfändungsnexus bewirken. Denn Betriebener
ist nicht er (der Drittschuldner), sondern sein Gläubiger, weswegen
durch die Lohnpfändung auch nur dessen bereits vorhandene oder innerhalb
eines Jahres auf Grund eines Arbeitsverhältnisses eingehende Aktiven vom
Pfändungsbeschlag erfasst werden. Der Drittschuldner wird davon lediglich
insofern berührt, als er auf entsprechende Anzeige hin in Zukunft mit
befreiender Wirkung bloss noch an das Betreibungsamt zahlen kann. Darüber
hinaus aber erfährt seine Stellung als Schuldner durch die Lohnpfändung
keinerlei Veränderung, und namentlich erwächst seinem Gläubiger (bzw. dem
Betreibungsamt) infolge der genannten Anzeige kein zusätzlicher Anspruch
auf Herausgabe eines der gepfändeten Lohnquote entsprechenden, im Besitze
des Lohnschuldners befindlichen Geldbetrages. Es geht daher nicht an,
den Beschwerdeführer wegen Verfügung über gepfändete Sachen zu bestrafen,
weil er Gelder der Firma "Ultra 07" statt zur Bezahlung der gepfändeten
Lohnforderung anderweitig verwendet hat. Gegenstand der Pfändung bildete
ausschliesslich die Lohnforderung, und über diese hat die "Ultra 07"
nicht verfügt und konnte sie als Schuldnerin auch gar nicht verfügen.

    Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der von der Vorinstanz
angeführten Rechtsprechung. Wenn entschieden wurde, dass der an Stelle der
gepfändeten Lohnforderung oder Anwartschaft tretende Geldbetrag unter die
Pfändung falle, bzw. vom Schuldner dem Betreibungsamt abzuliefern sei, so
hatte das selbstverständlich nur den Sinn, dass bei Tilgung der gepfändeten
Forderung durch Bezahlung der eingehende Geldbetrag die untergegangene
Forderung als Pfändungsobjekt ersetzt und dass der Betreibungsschuldner
das Geld an das Betreibungsamt abzugeben hat, wenn er in dessen Besitz
gelangt, was bei der Pfändung von Trinkgeldern der Fall ist (BGE 79 III
158), oder wenn der über die Pfändung nicht unterrichtete Arbeitgeber
dem betriebenen Arbeitnehmer den ganzen Lohn ausbezahlt (BGE 78 III
129). Die Vorinstanz verkennt daher den Sinn dieser Praxis, wenn sie
glaubt, es habe danach ein der gepfändeten Lohnforderung entsprechender,
aber noch im Besitze des Drittschuldners befindlicher Geldbetrag als in
den Pfändungsbeschlag einbezogen zu gelten. Die Forderung bleibt vielmehr
solange als (alleiniges) Pfändungsobjekt bestehen, als sie nicht getilgt
ist, das Geld dazu sich noch in Händen des Drittschuldners befindet. Das
gilt auch für den Fall, dass der Lohngläubiger seinem Schuldner nach
der Pfändung für die ganze Forderung Quittung erteilt hat; dadurch wird
dieser im Umfang der gepfändeten Lohnquote von seiner Zahlungspflicht
nicht befreit (vgl. Art. 96 Abs. 2 SchKG).

    Der Drittschuldner ist demnach ungeachtet der betreibungsamtlichen
Anzeige frei, über sein Geld so zu verfügen, wie es ihm
beliebt. Insbesondere ist er nicht gehalten, bei Tilgung seiner
Schulden der gepfändeten Lohnforderung seines Arbeitnehmers vor
anderen Verbindlichkeiten (z.B. nicht gepfändete Lohnguthaben anderer
Arbeitnehmer) den Vorrang zu geben. Die anderen Gläubiger haben nicht
weniger Anrecht auf Befriedigung ihrer Forderungen als der von dritter
Seite betriebene Lohngläubiger. Auf eine Bevorzugung dieses Gläubigers
liefe es jedoch hinaus, würde man Fälle wie den vorliegenden Art. 169 StGB
unterstellen. Was aber den Pfändungsgläubiger anbelangt, so ist dieser
durch die Anzeige nach Art. 99 SchKG sowie durch die Möglichkeit, sich
die gepfändete Forderung bei Nichtbezahlung durch den Drittschuldner zur
Eintreibung oder an Zahlungs Statt anweisen zu lassen (Art. 131 SchKG),
in seinen Interessen zureichend geschützt.

    Fällt demnach eine strafbare Verfügung über gepfändete Sachen schon
aus den angeführten Gründen ausser Betracht, dann kann die Frage, ob eine
Forderung überhaupt als Sache im Sinne von Art. 169 anzusprechen sei,
offen bleiben.

Entscheid:

Demnach erkennt der Kassationshof:

    Die Nichtigkeitsbeschwerde wird gutgeheissen, das Urteil des
Obergerichts des Kantons Zürich vom 22. Dezember 1959 aufgehoben, soweit
es den Beschwerdeführer betrifft, und die Sache zu dessen Freisprechung
an die Vorinstanz zurückgewiesen.