Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 86 IV 160



86 IV 160

40. Urteil des Kassationshofes vom 9. September 1960 i.S.
Staatsanwaltschaft des Kantons Schaffhausen gegen Eheleute Brunner.
Regeste

    Art. 140 Ziff. 1 StGB.

    Ist eine Sache auch dann anvertraut, wenn der Mietkaufvertrag, auf
Grund dessen sie dem Täter übergeben wurde, eine Umgehung von Art. 715
ZGB bezweckt? (Begriff des Mietkaufvertrages, Frage der Simulation,
Folgen der Gesetzesumgehung).

Sachverhalt

    A.- Frau Huser schloss am 9. März 1957 mit der Novelectric A.-G. in
Zürich, für welche Brunner, der damalige Verlobte und heutige Ehemann der
Frau Huser, als Vertreter handelte, einen "Mietvertrag" ab. Der Vertrag
betraf eine Waschmaschine im Barwerte von Fr. 760.-- und enthielt unter
anderem folgende Klauseln:

    "3. Der Mietbetrag beläuft sich pro Monat auf Fr. 29.35...

    5. Der Mieter ist verpflichtet, das Mietobjekt mit aller Sorgfalt zu
behandeln und nur für den eigenen Gebrauch zu verwenden. Er haftet für
jeden Schaden am Mietobjekt, der nicht auf normale Abnützung zurückzuführen
ist...

    6. Der Mietvertrag ist auf eine Minimaldauer von 12 Monaten
abgeschlossen. Falls vor Anfang des letzten Vertragsmonats keine
schriftliche Kündigung an die Aufida A.-G. erfolgt, gilt der Vertrag
für weitere drei Monate erneuert, usw. Ist der Mieter trotz Mahnung mit
zwei Monatszinsen in Verzug, so kann die Vermieterin jederzeit sofort
vom Vertrag zurücktreten und den Mietgegenstand zurücknehmen, wobei die
Miete bis zu dem vertraglichen Kündigungstermm zu entrichten ist. Sollte
der Mietgegenstand vor Ablauf der genannten Minimal-Dauer zurückgenommen
werden müssen, werden alle Mietraten für diese Periode sofort fällig. Bei
prompter Bezahlung des Mieters darf von diesem Kündigungsrecht kein
Gebrauch gemacht werden...

    8. Der Mieter nimmt zur Kenntnis, dass die Vermieterin alle Ansprüche
aus diesem Vertrag an die Aufida A.-G. abgetreten und dieser am Mietobjekt
ein Faustpfandrecht eingeräumt hat... 9. Veräusserung oder Verpfändung
des Mietobjektes während der Dauer der Miete ist nicht gestattet...

    11. Bei Todesfall des Mieters erlischt für seine Erben die
Zahlungspflicht für die restlichen Mietraten, sofern sie bisher pünktlich
bezahlt wurden. Der Apparat wird daher ihr Eigentum."

    Im Sommer 1957 übergab Frau Brunner, ohne eine Ratenzahlung geleistet
zu haben, die ihr auf Grund des Vertrages zur Verfügung gestellte
Maschine ihrem Bruder, damit er sie versetze. Brunner half beim Verlad
der Waschmaschine mit. Diese wurde in der Folge für Fr.200.-- an Stüssi
verpfändet.

    B.- Am 20. Mai 1960 sprach das Obergericht des Kantons Schaffhausen
Frau Brunner-Huser und deren Ehemann von der Anklage der Veruntreuung
bzw. der Gehilfenschaft dazu frei. Davon ausgehend, dass es sich bei
der Vereinbarung vom 9. März 1957 um einen Mietkaufvertrag handle,
erblickte das Gericht den Hauptzweck des Geschäftes in der Veräusserung der
Waschmaschine gegen Bezahlung von Fr. 939.20 in 32 Monatsraten, eventuell
gegen Zahlung von Fr. 760.--innert drei Monaten. Das Vertragsverhältnis
habe jedoch vorläufig, nämlich bis zur Konversion in einen Kauf, den
Vorschriften über die Miete unterstehen sollen. Eine solche Vereinbarung
sei an sich nicht simuliert, sondern von den Parteien gewollt. Indessen
habe sie im vorliegenden Fall eine Umgehung zwingender Bestimmungen
über die Verfallsklausel und über den Eigentumsvorbehalt des Verkäufers
beim Abzahlungsgeschäft bezweckt, weshalb sie nach Art. 2 Abs. 2 ZGB
keinen Rechtschutz verdiene. Demzufolge entfalle die Anwendbarkeit der
Mietvorschriften und träten die Rechtswirkungen des Kaufes ein. Da die
Übergabe der Sache den Übergang des Eigentums auf den Käufer bewirke, sei
die Waschmaschine Eigentum der Frau Brunner geworden und habe infolgedessen
von dieser nicht veruntreut werden können.

    C.- Die Staatsanwaltschaft des Kantons Schaffhausen führt
Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das Urteil des Obergerichtes sei
aufzuheben und die Sache an die Vorinstanz zurückzuweisen, damit sie
Frau Brunner wegen Veruntreuung und deren Ehemann wegen Gehilfenschaft
dazu bestrafe.

    Die Beschwerdegegner haben sich zu den Anträgen der Staatsanwaltschaft
nicht vernehmen lassen.

Auszug aus den Erwägungen:

              Der Kassationshof zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Die zwischen der Beschwerdegegnerin und der Novelectric A.-G.
getroffene Vereinbarung vom 9. März 1957 ist, wie es die Vorinstanz
getan hat, als Mietkaufvertrag anzusprechen. Bei diesem Rechtsgeschäft
verpflichtet sich der Vermieter-Verkäufer dem Mieter-Käufer gegen
Entrichtung eines Mietzinses den Gebrauch einer Sache zu überlassen,
an der dieser (Mieter-Käufer) zu einem späteren Zeitpunkt, sei es durch
Bezahlung so vieler Mietzinse, dass deren Summe den vereinbarten Kaufpreis
erreicht, sei es durch Geltendmachung eines ihm eingeräumten Kaufsrechtes,
Eigentum erwirbt oder erwerben kann.

    Hauptzweck des Vertrages ist in der Regel die Veräusserung der Sache,
wobei der Überlassung bzw. der Übernahme zum Gebrauch nach dem Willen der
Parteien bloss die Bedeutung einer Nebenleistung zukommt. Nach herrschender
Lehre (BECKER, Kommentar, N. 3 zu Art. 226 OR; OSER/SCHÖNENBERGER,
Kommentar, N. 4 zu Art. 226; HAAB/SIMONIUS/SCHERRER, Kommentar, N. 147 zu
Art. 715/716 ZGB; SCHMUCKI, Der Mietkaufvertrag, S. 87, 100; STOFER, Der
Abzahlungsvertrag de lege ferenda, ZSR 77 S. 215 a ff.; vgl. auch GUHL,
Das Schweizerische Obligationenrecht, 5. Auflage, S. 270) und nach der
Rechtsprechung verschiedener kantonaler Gerichte (vgl. SJZ 31 S. 331,
46 S. 161; ZR 45 Nr. 193 Erw. 1) handelt es sich bei einem solchen
Geschäft in Wirrklichkeit um einen Kauf auf Abzahlung und finden deshalb
die Bestimmungen der Art. 226 ff. OR Anwendung.

    Indessen ist nicht zu übersehen, dass die Parteien unter Umständen
ein rechtmässiges Interesse an der Vereinbarung einer Miete haben können
und dass nach dem Grundsatz der Vertragsfreiheit die Miete von Maschinen,
Apparaten usw. auch in Verbindung mit einem Kaufsrecht zugunsten des
Mieters zulässig ist. Wo bei derartigen Geschäften die Überlassung
der Sache zum Gebrauch im Vordergrund steht und keine Gesetzesumgehung
(Art. 226 ff. OR, Art. 715 ZGB) gewollt ist, liegt demnach ein gültiges
Mietverhältnis vor (GUHL, aaO S. 270; RStrS 1946 Nr. 106; ZR 50 Nr. 146;
vgl. auch BGE 60 III 168).

Erwägung 2

    2.- Angenommen, der Wille der Vertragsparteien sei im vorliegenden Fall
nicht in erster Linie auf eine Veräusserung der Maschine, sondern darauf
gerichtet gewesen, der Beschwerdegegnerin den Gebrauch an derselben zu
überlassen, dann läge in der Verpfändung der Waschmaschine durch Frau
Brunner unzweifelhaft eine Veruntreuung. Denn als Mieterin hätte die
Beschwerdegegnerin kein Recht gehabt, über die ihr anvertraute Mietsache
zu verfügen.

Erwägung 3

    3.- Die Vorinstanz hält unter Berufung auf SCHMUCKI (aaO S. 15, 81 ff.,
100 ff.) dafür, dass die Vereinbarung vom 9. März 1957 als Mietkaufvertrag
eine Umgehung von Art. 227 Abs. 2 und 3 OR und Art. 715 ZGB bezweckt habe.

    a) Dass mit dem Abschluss von Mietkaufverträgen nicht selten eine
Umgehung des Verbotes der Verfallsklausel verfolgt wird, ist nicht zu
bestreiten. Ob das jedoch bei solchen Rechtsgeschäften durchwegs und
insbesondere auch dann zutreffe, wenn der vertraglich vereinbarte Zins
den Betrag nicht übersteigt, den der Vermieter-Verkäufer allenfalls
nach Art. 227 Abs. 2 OR als Gebrauchs- und Abnützungsenschädigung
fordern könnte, erscheint zweifelhaft. Indessen braucht die Frage,
die sich übrigens hier anhand der vorinstanzlichen Feststellungen nicht
mit Bestimmheit beantworten liesse, nicht entschieden zu werden, weil
jedenfalls feststeht, dass die Parteien mit der Vereinbarung vom 9. März
1957 Art. 715 ZGB umgehen wollten.

    b) Die Vorinstanz hat mit Recht eine Simulation nicht angenommen. Ein
simuliertes Rechtsgeschäft setzt ein dissimuliertes voraus, das allein dem
Willen der Parteien entspricht. Im vorliegenden Fall ist nicht ersichtlich,
was für ein Rechtsgeschäft die Parteien mit dem Mietkaufvertrag
hätten verdecken sollen. Keinesfalls war ein Kauf auf Abzahlung mit
Eigentumsvorbehalt gewollt, ging doch die Absicht der Parteien gerade
dahin, diesen rechtsgeschäftlichen Weg zu vermeiden. Zwar strebten sie
einen ähnlichen wirtschaftlichen und rechtlichen Erfolg an, aber auf
einem Wege, der ihnen die Begründung eines erst mit dem entsprechenden
Registereintrag gültig werdenden Eigentumsvorbehaltes ersparte. Die
Vereinbarung vom 9. März 1957 bringt somit den wahren Willen der Parteien
zum Ausdruck, ohne irgendetwas zu verdecken. Tatsächlich findet sich
denn auch in den Akten nicht der geringste Anhaltspunkt für eine geheime,
ein anderes Rechtsgeschäft betreffende Abmachung der Parteien.

    Scheidet nach dem Gesagten eine Simulation aus, so liegt eine
Umgehung von Art. 715 ZGB vor. Das schweizerische Recht räumt dem
Veräusserer einer beweglichen Sache eine einzige Möglichkeit ein, sich
die Eigentümerrechte an derselben nach Übertragung des Besitzes auf
den Erwerber bis zur vollständigen Bezahlung zu wahren, nämlich die
Vereinbarung eines Eigentumsvorbehaltes, dessen Rechtswirksamkeit vom
Eintrag in das öffentliche Register abhängt. Indem hier die Parteien
der Novelectric A.-G. auf dem Umweg über eine Miete das Eigentum an der
der Beschwerdegegnerin in Hinsicht auf einen späteren Kauf gelieferten
Waschmaschine vorbehielten, handelten sie in fraudem legis.

Erwägung 4

    4.- Es kann sich daher fragen, ob die Umgehung einer Vorschrift, wie
des Art. 715 ZGB, der im Sinne von Art. 2 SchlT zum ZGB um der öffentlichen
Ordnung willen aufgestellt ist (BGE 42 III 174), nicht gemäss Art. 20
OR Nichtigkeit des Rechtsgeschäftes zur Folge habe (vgl. BGE 54 II 440,
56 II 198, 72 II 73). Die Frage braucht nicht entschieden zu werden. Denn
selbst wenn sie bejaht werden müsste, wäre das Ergebnis kein anderes als
bei Annahme eines gültigen Mietkaufvertrages.

    a) Angenommen, die Vereinbarung vom 9. März 1957 sei nichtig gewesen,
dann wurde der Beschwerdegegnerin trotz der Übergabe der Waschmaschine das
Eigentum an dieser nicht übertragen. Denn ein nach Art. 20 OR nichtiger
Vertrag zeitigt keinerlei rechtliche Wirkungen. Dagegen kann er zwischen
den Parteien ein tatsächliches Vertrauensverhältnis begründen, das als
Grundlage für die Überlassung einer Sache in Betracht fallen kann. Es wäre
daher verfehlt anzunehmen, die Waschmaschine sei der Beschwerdegegnerin
wegen der Ungültigkeit des "Mietvertrages" nicht anvertraut worden. Die
zivilrechtliche Nichtigkeit der Vereinbarung schliesst eine strafbare
Handlung nicht aus. Sowenig beispielsweise die Nichtigkeit eines durch
arglistige Täuschung von einem Urteilsunfähigen erwirkten Darlehens
der Annahme eines Betruges entgegensteht (BGE 80 IV 157 i. f.),
sowenig zerstört die in Art. 20 OR vorgesehene Nichtigkeitsfolge das
Vertrauensverhältnis, auf Grund dessen eine der beiden Parteien der
anderen eine Sache übergibt. Das wurde implicite bereits in BGE 73 IV 172
E. 2 angenommen; denn der zwischen den damaligen Parteien abgeschlossene
Vertrag war - auch wenn das im betreffenden Entscheid nicht ausdrücklich
hervorgehoben wurde - wegen seines rechtswidrigen Inhalts nichtig.

    Im vorliegenden Fall hat eine allfällige Nichtigkeit des
Mietkaufvertrages weder die Novelectric A.-G. an der Lieferung der
Waschmaschine noch Frau Brunner an deren Inbesitznahme gehindert. Solange
die Maschine nicht voll abbezahlt war, blieb sie daher der
Beschwerdegegnerin anvertraut.

    b) Anvertraut war ihr die Maschine aber auch dann, wenn man annimmt,
die Gesetzesumgehung habe die Rechtsgültigkeit des Vertrages nicht berührt.

    Die Auffassung der Vorinstanz, dass die Vereinbarung vom 9. März
1957 als Kauf zu behandeln sei und dass demzufolge und mangels eines
rechtsgültig begründeten Eigentumsvorbehaltes Frau Brunner an der Maschine
Eigentum erworben habe, geht fehl. Die Annahme eines blossen Kaufes
rechtfertigte sich nur, wenn die Vereinbarung vom 9. März 1957 dem Willen
der Parteien nicht entspräche und als Scheingeschäft dazu gedient hätte,
einen Kauf zu verdecken. Das war hier nicht der Fall. Nach der eigenen
Feststellung der Vorinstanz war die Vereinbarung einer vorläufigen Miete,
die später in einen Kauf konvertiert werden sollte nicht simuliert,
sondern gewollt. Bei solcher Sachlage geht es nicht an, den vereinbarten
Mietkaufvertrag in einen einfachen Kauf umzudeuten. Bei Auslegung eines
Vertrages hat der Richter auf den übereinstimmenden wirklichen Willen
der Parteien abzustellen (Art. 18 OR). Hätten im vorliegenden Fall die
Parteien einen Kauf auf Abzahlung gewollt, dann hätten sie zweifellos
nicht unterlassen, gleichzeitig einen Eigentumsvorbehalt zu vereinbaren;
denn aus der Mehrzahl der schriftlich niedergelegten Vertragsklauseln
erhellt unmissverständlich, dass eines der vordringlichsten Anliegen
der Novelectric A.-G. war, sich das Eigentum an der Maschine solange zu
wahren, als der Preis nicht voll bezahlt war. Dem hat das Obergericht
nicht Rechnung getragen.

Erwägung 5

    5.- Das angefochtene Urteil ist daher aufzuheben und die Sache an
die Vorinstanz zurückzuweisen, damit sie prüfe, ob auch die übrigen
Tatbestandsmerkmale der Veruntreuung gegeben seien. Soweit eine
Gehilfenschaft Brunners in Frage steht, wird insbesondere abgeklärt werden
müssen, ob der subjektive Tatbestand (Vorsatz) erfüllt sei.

Entscheid:

Demnach erkennt der Kassationshof:

    Die Nichtigkeitsbeschwerde wird gutgeheissen, das Urteil des
Obergerichts des Kantons Schaffhausen vom 20. Mai 1960 aufgehoben und
die Sache zu neuer Entscheidung im Sinne der Erwägungen an die Vorinstanz
zurückgewiesen.