Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 86 IV 158



86 IV 158

39. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 14. Oktober 1960
i.S. Staatsanwaltschaft des Kantons Schwyz gegen Cantarini. Regeste

    Art. 110 Ziff. 3, 137 Ziff. 3 StGB. Personen, die nur im gleichen
Haushalte essen und arbeiten, sind nicht Familiengenossen, auch nicht,
wenn sie ein enges Vertrauensverhältnis miteinander verbindet.

Sachverhalt

Auszug aus den Erwägungen:

                       Aus den Erwägungen:

    Gemäss Art. 137 Ziff. 3 StGB wird der Diebstahl zum Nachteil eines
Angehörigen oder Familiengenossen nur auf Antrag verfolgt. Familiengenossen
sind Personen, die in gemeinsamem Haushalte leben (Art. 110 Ziff. 3
StGB). In gemeinsamem Haushalte aber lebt nur, wer zusammen isst und
unter dem gleichen Dache schläft (BGE 72 IV 6 und seither ergangene
Entscheidungen). An dieser Rechtsprechung ist festzuhalten.

    Ausgangspunkt der Privilegierung nach Art. 137 Ziff. 3 ist die
Rücksichtnahme auf die verwandtschaftlichen Bande, die den Täter und den
Bestohlenen als Angehörige der gleichen Familie verbinden. Die Behörde
soll nicht gegen den Willen des Bestohlenen in die vermögensrechtlichen
Interessen naher Verwandter eingreifen, auf die Gefahr hin, dass
unter diesen Unfrieden gestiftet und ihr weiteres Zusammenleben
im gemeinsamen Haushalt gestört oder verunmöglicht wird. Wenn das
Gesetz den Geltungsbereich des Privilegs auf weitere Personen als die
Familienangehörigen ausgedehnt hat und diesen die Familiengenossen
gleichstellt, so hat sich damit am Grundgedanken, auf dem das Privileg
beruht, nichts geändert. Dieses will nicht die engen Beziehungen
zwischen Personen, die in irgendeinem Vertrauensverhältnis zueinander
stehen, begünstigen, sondern den Hausfrieden unter Personen wahren,
die durch gemeinsames Haushalten eine Hausgemeinschaft bilden, die,
wie schon das Wort Familiengenosse sagt, derjenigen, wie sie unter den
Gliedern ein und derselben Familie besteht, nahe kommt. Dazu gehört aber
nicht nur gemeinsames Essen, sondern ebensosehr das Wohnen und Schlafen
unter einem gemeinsamen Dache. In diesem Sinne wird auch der Begriff
des gemeinsamen Haushaltes, den Art. 110 Ziff. 3 StGB zur Umschreibung
der Familiengenossen verwendet, allgemein aufgefasst. Der Angestellte,
der im Hause seines Dienstherrn arbeitet und die Mahlzeiten einnimmt,
aber auswärts wohnt und nächtigt, lebt nach üblicher Anschauung nicht im
Haushalt seines Arbeitgebers. Das Leben in gemeinsamem Haushalte erschöpft
sich nicht in gemeinsamer Arbeit und Verpflegung, sondern erfasst auch die
Zeit der Musse und des Ruhens. Die Hausgemeinschaft, die sich nicht auf
diesen Teil des Lebens erstreckt, ist nicht vollständig und kann durch
ein sonstwie bestehendes Vertrauensverhältnis, das übrigens langjährige
Dienstverhältnisse fast immer kennzeichnet, nicht ersetzt werden.

    Auf das Erfordernis des Wohnens und Schlafens unter gemeinsamem Dache
kann auch aus andern Erwägungen nicht verzichtet werden. Die Frage, ob ein
Diebstahl von Amtes wegen oder nur auf Antrag des Verletzten zu verfolgen
sei, ist aus Gründen der Zweckmässigkeit im ersten Untersuchungsstadium zu
entscheiden. Um das zu ermöglichen, bedarf es der eindeutigen und klaren
Umschreibung des Begriffes der Familiengenossen. Sie würde fehlen, wenn an
Stelle der vollständigen schon die teilweise Teilnahme am gleichen Haushalt
genügte und dafür darauf abzustellen wäre, ob zwischen dem Dieb und dem
Bestohlenen ein enges persönliches Vertrauensverhältnis bestehe oder
nicht, da bei der Vielfalt persönlicher Beziehungen eine allgemeingültige
Abgrenzung zwischen engen und weitern Vertrauensverhältnissen praktisch
unmöglich wäre und zudem die Feststellung des Grades der persönlichen
Verbundenheit im Einzelfall oft Schwierigkeiten böte. Überdies bestände
die Gefahr, dass die Auslegung des Kantonsgerichtes eine Erweiterung des
Kreises der privilegierten Personen zur Folge hätte, was sachlich nicht
zu rechtfertigen wäre und der Entstehungsgeschichte des Art. 137 Ziff. 3
widerspräche (vgl. BGE 72 IV 5).