Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 86 IV 145



86 IV 145

36. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 14. Oktober 1960
i.S. Wittelsbach gegen Egger. Regeste

    Art. 30, 31 StGB. Der Privatstrafkläger, der gegen einen der
Beteiligten Anklage erhebt, stellt damit gleichzeitig Strafantrag gegen
die andern und kann deshalb auf das Antragsrecht nicht mehr verzichten,
sondern nur noch den Antrag zurückziehen. Der Rückzug bedarf keiner
ausdrücklichen Willenserklärung.

Sachverhalt

    A.- Am 22. Mai 1957 erschien in der Zeitung "Die Tat" unter
dem Titel "Aus dem Reiche Wittelsbach" ein Artikel, in dem an
den Anstellungsverhältnissen und Arbeitsbedingungen der Lehrer am
Konservatorium für Musik in Zürich Kritik geübt wird. Verfasser des
Artikels war der Journalist Schmid, der die sachlichen Unterlagen im
wesentlichen von Egger, damals Musiklehrer am Konservatorium, erhalten
und den Artikel mit dessen Zustimmung veröffentlicht hatte. Am 30. August
1957 reichte Wittelsbach, Direktor des Konservatoriums, gegen Schmid,
der am 31. Mai 1957 in einer schriftlichen Erklärung die Verantwortung
für das Presseerzeugnis übernommen hatte, beim Bezirksgericht Zürich
Strafklage wegen Ehrverletzung ein.

    Während des Untersuchungsverfahrens stellte der Verteidiger des
Angeklagten Schmid den Antrag, Egger als Zeugen einzuvernehmen. Der
Anwalt des Anklägers widersetzte sich mit Eingabe vom 14. Oktober 1958
diesem Begehren. Zur Begründung seines Antrages auf Nichtabnahme des
Zeugnisses machte er geltend, die Aussagen Eggers seien im Hinblick auf
seine Mitwirkung bei der Abfassung des Artikels und seine Stellung als
Mittäter für den Prozess bedeutungslos; anschliessend bemerkte er:

    "Egger gehört also ebensogut auf die Anklagebank wie Schmid. Damit
hat er ohnehin die Stellung eines Zeugen verwirkt, auch wenn der Ankläger,
um Egger zu schonen, auf eine Anklage gegen ihn verzichtet hat."

    Am 6. November 1958 wurde Egger in Anwesenheit der Parteien und
ihrer Anwälte als Zeuge einvernommen und vorgängig vom Instruktionsrichter
darauf aufmerksam gemacht, dass ihm kein Zeugnisverweigerungsrecht zustehe,
da der Ankläger ausdrücklich auf eine Strafklage gegen ihn verzichtet habe.

    Nachdem sich Egger in einer weitern Zeugeneinvernahme geweigert hatte,
die Namen von Kollegen zu nennen, die durch die Leitung des Konservatoriums
ungerechtfertigt gemassregelt worden seien, stellte der Vertreter des
Anklägers mit Eingabe vom 3. Januar 1959 das Begehren, Egger nochmals über
konkrete Vorfälle einzuvernehmen. In der Begründung wurde u.a. ausgeführt:

    "Die Weigerung des Zeugen ist sachlich unberechtigt und zudem
ungesetzlich, denn es steht ihm kein Zeugnisverweigerungsrecht zu (StPO
129/131)."

    Nach Abschluss des Beweisverfahrens, in welchem Schmid wiederholt
die Abschreibung des Prozesses beantragt hatte, weil der Ankläger auf
den Strafantrag verzichtet habe, erhob Wittelsbach am 4. Dezember 1959
auch gegen Egger als Anstifter und Mittäter von Schmid Strafklage wegen
Ehrverletzung.

    B.- Am 18. Dezember 1959 sprach das Bezirrksgericht Zürich den
Angeklagten Schmid von Schuld und Strafe frei. Durch Beschluss vom gleichen
Tage wies es die Anklage gegen Egger von der Hand mit der Begründung,
der Ankläger habe durch sein Schreiben vom 14. Oktober 1958 auf die
Strafklage gegen Egger verzichtet.

    Das Obergericht des Kantons Zürich wies am 4. Juli 1960 den Rekurs,
den Wittelsbach gegen den bezirksgerichtlichen Einstellungsbeschluss
eingereicht hatte, als unbegründet ab. Es erblickt in der Eingabe des
Anklägers vom 3. Januar 1959 einen Rückzug des Strafantrages im Sinne
von Art. 31 StGB, indem Wittelsbach darin das Zeugnisverweigerungsrecht
Eggers unter Hinweis auf § 131 StPO bestritten und damit ausdrücklich zu
erkennen gegeben habe, dass Egger im Zusammenhang mit der Sache, in der er
als Zeuge auszusagen habe, von Seiten des Anklägers keine Strafverfolgung
zu gewärtigen habe.

    C.- Wittelsbach führt Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, der
Beschluss des Obergerichtes sei aufzuheben und die Sache zur materiellen
Beurteilung der Anklage gegen Egger an die Vorinstanz zurückzuweisen.

Auszug aus den Erwägungen:

              Der Kassationshof zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Art. 27 StGB schliesst, wenn der Verfasser eines ehrenrührigen
Zeitungsartikels bekannt ist, die Bestrafung der nicht im Druckereigewerbe
tätigen Personen, die nach den allgemeinen Vorschriften des StGB als
Mittäter, Anstifter oder Gehilfe des Verfassers mitverantwortlich sind,
nicht aus (BGE 73 IV 67). Egger, der als Musiklehrer dem Verfasser des
eingeklagten Zeitungsartikels die Unterlagen verschafft und bei der
Veröffentlichung mitgewirkt hat, fällt als Mittäter oder als Teilnehmer
an der Schmid zur Last gelegten Ehrverletzung in Betracht. Er ist daher
Beteiligter im Sinne von Art. 30 StGB.

Erwägung 2

    2.- Nach dieser Bestimmung sind alle Beteiligten zu verfolgen, wenn ein
Antragsberechtigter gegen einen an der Tat Beteiligten Strafantrag stellt.
Der Kassationshof hat diese Vorschrift dahin ausgelegt, dass auch in
den Kantonen, deren Prozessrecht eine formelle Anklage gegen jeden der
Beteiligten verlangt, schon mit dem gültig gestellten Antrag gegen einen
Beteiligten bundesrechtlich die Voraussetzung zur Verfolgung der andern
erfüllt ist, und zwar ohne Rücksicht darauf, in welchem Zeitpunkt gegenüber
den andern Beteiligten Anklage erhoben wird (BGE 80 IV 212 Erw. 2). Man
könnte sich fragen, ob diese Auslegung mit dem vom Bundesrecht zwingend
aufgestellten Grundsatz der Unteilbarkeit des Strafantrages vereinbar sei,
mit andern Worten, ob die Verwirklichung dieses Prinzips nicht voraussetze,
dass auch in den im Privatstrafklageprozess durchzuführenden Strafsachen
das gegen einen Beteiligten angehobene Strafverfahren von Amtes wegen auf
die andern ausgedehnt werde oder dass zum mindesten der Privatstrafkläger
die prozessualen Handlungen, die zur Ingangsetzung des Strafverfahrens
gegenüber den andern Beteiligten nach kantonalem Prozessrecht notwendig
sind, innert der Antragsfrist des Art. 29 Abs. 1 StGB vornehme. Die
erwähnte Entscheidung, auf die sich auch der Beschluss des Obergerichts
stützt, wird jedoch von keiner der beteiligten Parteien angefochten,
und ein zwingender Anlass, sie einer erneuten Prüfung zu unterziehen,
besteht im vorliegenden Falle nicht. Die Frage kann daher offen bleiben.

Erwägung 3

    3.- Geht man von der bisherigen Rechtsprechung aus, so hatte die
am 30. August 1957 gegen Schmid innert der Antragsfrist und in der vom
zürcherischen Prozessrecht geforderten Form anhängig gemachte Anklage
gemäss Art. 30 StGB zugleich die Wirkung eines Strafantrages gegen alle
Beteiligten, gleichgültig, ob diese bereits bekannt waren oder erst im
Verlaufe der Untersuchung ermittelt wurden. Damit war auch gegen Egger,
obschon in der Anklageschrift nicht genannt, nach Bundesrecht rechtswirksam
Strafantrag gestellt; um das Untersuchungsverfahren gegen ihn auszulösen,
bedurfte es nur noch der prozessrechtlich erforderlichen Anklage, die
auch noch nach Ablauf der Frist des Art. 29 Abs. 1 StGB möglich war. Hat
somit der Ankläger von seinem Recht, Strafantrag zu stellen, rechtsgültig
Gebrauch gemacht, so konnte er, wie das Obergericht richtigerweise
feststellt, auf die Ausübung dieses Rechtes nicht mehr verzichten,
denn ein Verzicht setzt voraus, dass der Antrag noch nicht gestellt ist
(Art. 28 Abs. 5 StGB). Ein bereits gestellter Strafantrag kann nur durch
Rückzug im Sinne von Art. 31 StGB rechtsunwirksam gemacht werden.

    Das Obergericht ist der Meinung, dass der Rückzug des Strafantrages
wie der Verzicht auf das Antragsrecht eine ausdrückliche Willenserklärung
erfordere; der Wille des Berechtigten, den Strafantrag zurückzuziehen,
müsse sich eindeutig und vorbehaltlos aus dem Wortsinn der Erklärung selbst
ergeben. Dieser Auffassung steht der klare Wortlaut des Gesetzes entgegen,
indem es nur in Art. 28 Abs. 5 für den Verzicht, nicht aber in Art. 31
für den Rückzug Ausdrücklichkeit verlangt. Demnach kann auf den Willen,
den Strafantrag zurückzunehmen, auch aus den gesamten Umständen geschlossen
werden, sofern er unmissverständlich zum Ausdruck kommt und nicht an eine
Bedingung geknüpft ist (BGE 79 IV 100). An den Rückzug des Strafantrages
weniger strenge Anforderungen zu stellen als an den Verzicht, ist auch
sachlich gerechtfertigt. Wer auf sein Antragsrecht verzichtet, tut es
vor Anhebung der Strafuntersuchung und damit regelmässig in Ungewissheit
über den Verlauf des Verfahrens und den möglichen Ausgang der Klage,
während der Rückzug des Strafantrages im allgemeinen in einem Zeitpunkt
erfolgt, in dem die Untersuchung bereits bestimmte Ergebnisse gezeitigt
hat, so dass der Antragsteller den Entschluss in Kenntnis der Sach-
und Prozesslage fassen kann.

Erwägung 4

    4.- (Gekürzt) In der Eingabe vom 14. Oktober 1958 erklärte der
Beschwerdeführer vorbehaltlos, er habe darauf verzichtet, die Bestrafung
Eggers zu verlangen. Der Verzicht war als endgültiger zu verstehen, da
der Beschwerdeführer ein für allemal von einer Anklage absehen und sich
trotzdem der Einvernahme Eggers als Zeuge widersetzen konnte, in der
Meinung, dieser sei als Mittäter befangen und verdiene als Zeuge keinen
Glauben. Der Wille, keine Strafverfolgung einzuleiten, ergibt sich auch
aus dem Verhalten des Beschwerdeführers in der Verhandlung vom 6. November
1958. Aus der Zeugenbelehrung und der entsprechenden Protokollierung
war klar ersichtlich, dass Egger das Recht zur Zeugnisverweigerung nur
deswegen abgesprochen wurde, weil die Erklärung des Beschwerdeführers vom
14. Oktober 1958 als verbindliche Zusicherung aufgefasst wurde, Egger
laufe keine Gefahr, wegen seiner Aussagen vom Ankläger strafrechtlich
verfolgt zu werden. Hätte der Beschwerdeführer seiner Erklärung eine
weniger weit gehende Tragweite beigemessen, hätte er die Möglichkeit und
nach Treu und Glauben auch die Pflicht gehabt, Vorbehalte anzubringen,
was er jedoch unterliess. Schliesslich bestätigte der Beschwerdeführer den
geäusserten Willen noch durch sein Schreiben vom 3. Januar 1959. Wenn
er darin unter Hinweis auf die §§ 129/131 StPO bestritt, dass Egger ein
Recht zur Zeugnisverweigerung habe, so wurde damit nicht bloss gesagt,
dass Drittpersonen durch die Aussagen Eggers keinen Nachteilen ausgesetzt
würden, sondern die Erklärung hatte, was aus dem Wortlaut des § 131 StPO
folgt, gleichzeitig den Sinn, auch Egger selber laufe nicht Gefahr,
strafrechtlich zur Verantwortung gezogen zu werden, wenn er als Zeuge
aussage. Das gesamte Verhalten des Beschwerdeführers führt daher zum
Schluss, dass er den Strafantrag gegen Egger zurückgezogen hat.

Entscheid:

Demnach erkennt der Kassationshof:

    Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen.