Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 86 IV 132



86 IV 132

34. Entscheid der Anklagekammer vom 28. Juni 1960 i.S. Hufschmid gegen
Verhöramt Nidwalden, sowie Staatsanwaltschaften der Kantone Solothurn
und Aargau. Regeste

    Art. 264 BStP; Art. 351 StGB.

    1.  Gesuchsberechtigung des Antragstellers (Erw. 1 lit. a) und des
Anzeigers (Erw. 1 lit. b).

    2.  Halten sich die Strafbehörden eines Kantons zur Verfolgung eines
Offizialdeliktes für örtlich unzuständig, so haben sie mit den Behörden
des für zuständig erachteten Kantons in Verbindung zu treten. Lehnen auch
diese die Zuständigkeit ab, so ist nach Art. 264 BStP von Amtes wegen
die Anklagekammerdes Bundesgerichtes um Bestimmung des Gerichtsstandes
anzugehen (Erw. 2).

Sachverhalt

    A.- Stähelin reichte Ende 1956 beim Polizeikommando in Aarau
und im Frühling 1960 beim Polizeiposten Trimbach (SO) gegen Hufschmid
Strafanzeigen ein. Mit der ersten bezichtigte er ihn des Betruges, mit der
zweiten des Diebstahls. Da Stähelin als Tatorte Stansstad und Ennetbürgen
angab, wurden die Anzeigen an das Verhöramt Nidwalden weiter geleitet,
das daraufhin im Jahre 1956 gegen Hufschmid eine Strafuntersuchung wegen
Betruges durchführte und im Jahre 1960 ein Ermittlungsverfahren wegen
Diebstahls einleitete.

    Am 15. Juni 1960 verzeigte Hufschmid seinerseits Stähelin beim
Verhöramt Nidwalden wegen falscher Anschuldigung. Zur Begründung machte er
geltend, Stähelin habe ihn durch die in Aarau und Trimbach eingereichten
Strafanzeigen wider besseres Wissen des Betruges bzw. des Diebstahls
beschuldigt.

    B.- Das Verhöramt Nidwalden wies am 20. Juni 1960 die von Hufschmid
erhobene Strafklage von der Hand, weil es die örtliche Zuständigkeit der
nidwaldnischen Behörden verneinte; Stähelin habe die Anzeigen, derentwegen
ihn Hufschmid der falschen Anschuldigung bezichtige, in Aarau und Trimbach
eingereicht, weshalb er wegen des allenfalls dadurch verübten Verbrechens
des Art. 303 StGB durch die aargauischen bzw. die solothurnischen Behörden
zu verfolgen sei.

    C.- Mit Eingabe vom 24. Juni 1960 stellt Hufschmid bei der
Anklagekammer des Bundesgerichtes das Gesuch, das Verhöramt Nidwalden
sei anzuweisen, die gegen Stähelin erhobene Strafklage wegen falscher
Anschuldigung an die Hand zu nehmen; eventuell habe die Anklagekammer
festzustellen, welcher der Kantone Nidwalden, Aargau und Solothurn mit
der Sache zu befassen sei.

Auszug aus den Erwägungen:

              Die Anklagekammer zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- a) Durch Verfügung vom 20. Juni 1960 wies das Verhöramt des
Kantons Nidwalden die Strafklage, die Hufschmid bei ihm gegen Stähelin
erhoben hatte, von der Hand, weil es die örtliche Zuständigkeit der
nidwaldnischen Behörden verneinte. In einem solchen Falle ist nach
der durch BGE 78 IV 250 Erw. 2 eingeleiteten Rechtsprechung auch der
Antragsteller berechtigt, wegen des Gerichtsstandes die Anklagekammer
des Bundesgerichtes anzurufen, obwohl Art. 264 BStP dieses Recht nur
dem Beschuldigten einräumt. Hufschmid ist jedoch nicht Antragsteller;
das Verbrechen (falsche Anschuldigung im Sinne von Art. 303 StGB), das
er Stähelin vorwirft, ist Offizialdelikt.

    b) Als Anzeiger wäre Hufschmid nach feststehender Rechtsprechung nur
dann berechtigt, die Anklagekammer des Bundesgerichtes um Bestimmung des
Gerichtsstandes anzugehen, wenn ein negativer Kompetenzkonflikt unter
Behörden verschiedener Kantone bestände (BGE 71 IV 58; 73 IV 62 Erw. 1;
78 IV 248 ff.). Diese Voraussetzung ist - jedenfalls zur Zeit - nicht
erfüllt. Von den Kantonen, die auf Grund der in der Strafanzeige gemachten
Angaben für die Verfolgung und Beurteilung des Stähelin allenfalls in
Betracht kommen, hat bisher einzig Nidwalden zur Frage des Gerichtsstandes
Stellung genommen. Die Behörden der Kantone Aargau und Solothurn, die
Hufschmid neben Nidwalden als zur Anhandnahme der Untersuchung berechtigt
und verpflichtet erachtet, sind weder durch den Anzeiger noch durch
das Verhöramt Nidwalden veranlasst worden, sich darüber auszusprechen,
ob sie sich in diesem Falle als zuständig erachten.

    c) Dem Begehren, es sei der zur Verfolgung und Beurteilung Stähelins
zuständige Kanton zu bezeichnen, ist daher, weil Hufschmid (wenigstens
vorderhand) die Berechtigung zur Anrufung der Anklagekammer fehlt, keine
Folge zu geben.

Erwägung 2

    2.- Damit kann es indessen nicht sein Bewenden haben. Da Stähelin
ein Offizialdelikt vorgeworfen wird und das Verhöramt Nidwalden die
Anschuldigung offenbar nicht von vorneherein als unbegründet hielt,
hätte es sich nicht darauf beschränken dürfen, die Sache wegen
örtlicher Unzuständigkeit von der Hand zu weisen. In einem solchen
Falle hat die Strafbehörde, bei der die Anzeige eingereicht wird, dem
Offizialcharakter des in Frage stehenden Deliktes und der interkantonalen
Rechtshilfepflicht in eidgenössischen Strafsachen (Art. 352 StGB) dadurch
Rechnung zu tragen, dass sie die Sache, zu deren Anhandnahme sie sich
für unzuständig hält, von Amtes wegen an die Behörden des nach ihrer
Ansicht zuständigen Kantons weist. Denn es ist dafür zu sorgen, dass
Offizialdelikte auch wirklich (am zuständigen Orte) verfolgt werden (BGE
78 IV 250). Richtigerweise hätte das Verhöramt Nidwalden vorerst von der
Ausfällung eines Unzuständigkeitsentscheides überhaupt absehen und einen
Meinungsaustausch mit den Behörden der als zuständig in Betracht kommenden
andern Kantone eröffnen sollen (PANCHAUD, Le For de l'action pénale, in
JdT 1959 S. 71 f.). Hätte sich hierbei keine Einigung erzielen lassen, so
wäre der Konflikt von Amtes wegen der Anklagekammer des Bundesgerichtes zu
unterbreiten gewesen (BGE 71 IV 58 Erw. 1; 78 IV 248 Erw. 1; 83 IV 116),
was keine förmliche Entscheidung der kantonalen Behörden voraussetzt
(BGE 78 IV 250 Erw. 1).

    Dieser Meinungsaustausch ist noch nachzuholen. Führt er dazu, dass
neben dem Verhöramt Nidwalden auch die Kantone Aargau und Solothurn
die Zuständigkeit ablehnen, so ist, wie erwähnt, nach Art. 264 BStP
von Amtes wegen die Anklagekammer des Bundesgerichtes um Bestimmung des
Gerichtsstandes anzugehen. Das gleiche Begehren kann nach dem oben in
Erwägung 1 lit. b Gesagten auch der Anzeiger stellen, wenn keiner der
Kantone, deren Zuständigkeit in Betracht fällt, die Sache an die Hand
nehmen will.

Entscheid:

Demnach erkennt die Anklagekammer:

    1. Auf das Gesuch wird zur Zeit nicht eingetreten.

    2. Das Verhöramt Nidwalden wird angewiesen, über die Frage, in welchem
Kanton Stähelin für die ihm zur Last gelegten strafbaren Handlungen zu
verfolgen und zu beurteilen sei, mit den Staatsanwaltschaften der Kantone
Aargau und Solothurn einen Meinungsaustausch zu eröffnen.