Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 86 IV 128



86 IV 128

33. Entscheid der Anklagekammer vom 27. April 1960 i.S. Verhöramt des
Kantons Glarus gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich. Regeste

    Art. 346, 348 Abs. 1, 349 Abs. 2 StGB; Art. 262 BStP.

    1.  Wo sind Mittäter, die nicht im gleichen Kanton wohnen, für eine
im Ausland verübte Tat zu verfolgen? (Erw. 1a).

    2.  Wann ist die Untersuchung angehoben? (Erw. 1b).

    3.  Abweichung vom gesetzlichen Gerichtsstand (im Hinblick darauf,
dass die Behörden eines andern Kantons vor allem zur Abklärung der für
die Bestimmung des Gerichtsstandes massgebenden Umstände verschiedene
Untersuchungsmassnahmen getroffen haben, die verhältnismässig lange Zeit
in Anspruch nahmen)? (Erw. 2).

Sachverhalt

    A.- Hans Huber und Margrit Baumgartner werden beschuldigt, in der
Nacht vom 28./29. November 1959 in der Nähe von Istein (Deutschland) aus
einer Baubaracke, in die sie eingedrungen waren, Lebensmittel, Kleider
und andere Gegenstände weggenommen zu haben. Huber wohnt in Glarus,
Margrit Baumgartner in Uster.

    Margrit Baumgartner wurde am 3. Dezember 1959 in Zürich durch einen
Beamten der zürcherischen Kantonspolizei kontrolliert. Dabei berichtete
sie von sich aus über den in Deutschland verübten Einbruchdiebstahl, der
vorher keiner schweizerischen Behörde zur Kenntnis gebracht worden war. Der
auf Grund ihrer Angaben erstellte Rapport wurde zur weiteren Abklärung
des Falles an das Polizeikommando des Kantons Glarus geleitet. In der
Folge wurde Huber durch glarnerische Behörden (Kantonspolizei, Verhöramt)
einvernommen, die zur weiteren Abklärung des Sachverhaltes und namentlich
der Frage der Zuständigkeit auch noch einen Bericht der Staatsanwaltschaft
von Freiburg i. Br. einholten und die Einvernahme der Geschädigten
durch eine deutsche Amtsstelle veranlassten. Zwischenhinein wurden die
Akten überdies an das Polizeikommando des Kantons Zürich zurückgeleitet,
das Margrit Baumgartner erneut durch einen Polizeibeamten befragen und
weitere Erhebungen anstellen liess.

    B.- Am 5. April 1960 ersuchte das Verhöramt des Kantons Glarus die
Bezirksanwaltschaft Zürich um Übernahme der Strafverfolgung gegen Hans
Huber und Margrit Baumgartner, weil die erste Untersuchungshandlung
in Zürich, wo einer der Mittäter wohne, vorgenommen worden sei. Die
Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich lehnte die Übernahme der
Strafverfolgung ab.

    C.- Mit Gesuch vom 19. April 1960 beantragt das Verhöramt des
Kantons Glarus der Anklagekammer des Bundesgerichtes, die Behörden des
Kantons Zürich seien berechtigt und verpflichtet zu erklären, Huber und
Margrit Baumgartner für die ihnen zur Last gelegte Tat zu verfolgen und
zu beurteilen.

    D.- Die Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich hält in ihrer
Vernehmlassung daran fest, dass auf Grund von Art. 348 StGB die
glarnerischen Behörden zuständig seien und kein Anlass bestehe, vom
gesetzlichen Gerichtsstande abzuweichen.

Auszug aus den Erwägungen:

              Die Anklagekammer zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Huber und Margrit Baumgartner werden beschuldigt, als Mittäter
im Auslande einen Diebstahl verübt zu haben.

    a) Zur Verfolgung im Auslande verübter strafbarer Handlungen
sind gemäss Art. 348 Abs. 1 StGB die Behörden zuständig, wo der Täter
wohnt. Da Huber in Glarus, Margrit Baumgartner in Uster wohnt, wäre diese
demnach durch die zürcherischen, jener durch die glarnerischen Behörden zu
verfolgen. Das widerspräche jedoch dem sich aus Art. 346 und Art. 349 Abs.
2 StGB ergebenden Grundsatze, wonach Mittäter am gleichen Orte zu verfolgen
sind. Eine Vorschrift darüber, wie dieser Konflikt zu lösen sei, enthält
das Gesetz nicht. Die Lösung ergibt sich indessen durch analoge Anwendung
des Art. 349 Abs. 2 StGB. Wie in dieser Bestimmung geht es auch in Fällen
der vorliegenden Art um die Frage, was gelte, wenn die Anwendung einer
an sich zutreffenden Gerichtsstandsbestimmung des Strafgesetzbuches zu
einer getrennten Verfolgung von Mittätern führen würde. Angesichts dieser
Übereinstimmung liegt es nahe, dass die Regelung, die für den einen der
beiden Fälle getroffen wird, sinngemäss auch für den anderen im Gesetz
nicht ausdrücklich behandelten gelte.

    Von den beiden Kantonen, die gemäss Art. 348 Abs. 1 StGB zur Verfolgung
und Beurteilung je eines der Mittäter zuständig wären, hat in analoger
Anwendung von Art. 349 Abs. 2 StGB somit jener das Verfahren gegen beide
Angeschuldigte durchzuführen, wo die Untersuchung zuerst angehoben wurde.

    b) Das trifft den Kanton Zürich. Angehoben im Sinne von Art. 349
Abs. 2 (Art. 346 Abs. 2, 347 Abs. 1 und 3, 350 Ziff. 1 Abs. 2) StGB
ist eine Untersuchung u.a. dann, wenn eine Straf-, Untersuchungs- oder
Polizeibehörde durch die Vornahme von Erhebungen oder in anderer Weise
zu erkennen gegeben hat, dass sie jemanden einer strafbaren Handlung
verdächtige (BGE 75 IV 140). Erhebungen solcher Art haben Organe der
Kantonspolizei Zürich dadurch angestellt, dass ein Polizeibeamter am
3. Dezember 1959 Margrit Baumgartner auf ihre Andeutung hin, Huber habe
in Deutschland einen Diebstahl begangen, eingehend über die Umstände der
Tat einvernahm, die Aussagen in einem Protokoll festhielt und dieses
samt einem Bericht, worin Huber ausdrücklich des Einbruchdiebstahls
beschuldigt wurde, am 4. Dezember 1959 an das Polizeikommando Zürich
weiterleitete, damit es durch die glarnerischen Behörden abklären lasse,
wo Huber sich aufhalte, wodurch er sich die Mittel zum Kaufe neuer
Kleider, für Taxifahrten, Hotelaufenthalte und dergleichen beschaffen
habe. Eine Verfolgungshandlung im Sinne der angeführten Bestimmungen
hat das Kommando der Kantonspolizei Zürich weiter dadurch vorgenommen,
dass es am 9. Dezember 1959 diesen Rapport an das Polizeikommando Glarus
weiterleitete mit dem Ersuchen, die darin anbegehrten Erhebungen tätigen
zu lassen und über deren Ergebnisse an die ersuchende Behörde Bericht zu
erstatten. Alle diese durch Organe der gerichtlichen Polizei des Kantons
Zürich vorgenommenen Amtshandlungen waren darauf gerichtet, abzuklären, ob
Huber als Täter eines in Deutschland verübten Diebstahls in Frage komme,
bezweckten somit die Abklärung dieses Verbrechens und der Täterschaft
und waren daher Untersuchungshandlungen. Solche haben die glarnerischen
Behörden, die von dem gegen Huber gerichteten Verdacht erst durch die
Zustellung des von den zürcherischen Polizeibehörden erstellten Rapportes
Kenntnis erhielten, erst vom 11. Dezember 1959 an vorgenommen.

    2. Nach Art. 262 BStP (Art. 399 lit. e StGB) kann die Anklagekammer
allerdings einen anderen Gerichtsstand bestimmen. Von dieser Möglichkeit
ist jedoch nach feststehender Rechtsprechung zurückhaltend Gebrauch
zu machen. Die Überlegungen, die den gesetzlichen Gerichtsstand als
unzweckmässig erscheinen lassen, müssen sich gebieterisch aufdrängen
(BGE 68 IV 6 Erw. 5; 76 IV 207/8; 85 IV 206 Erw. 2). Im vorliegenden
Falle trifft das nicht zu.

    Die Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich hält eine Überweisung an
die Behörden des Kantons Glarus für angezeigt, weil diese sich schon
intensiv mit der Sache befasst hätten. Die glarnerischen Behörden haben
jedoch lediglich Huber dreimal einvernommen, einen Amtsbericht der
Staatsanwaltschaft Freiburg i.Br. eingeholt, sowie die Einvernahme von
Margrit Baumgartner durch zürcherische und die Befragung des Geschädigten
durch deutsche Behörden veranlasst. Unter diesen Umständen kann unmöglich
gesagt werden, die Untersuchung sei schon so weit fortgeschritten, dass es
unvernünftig wäre, in diesem Stadium des Verfahrens noch den Gerichtsstand
zu wechseln. Übrigens haben die von den glarnerischen Behörden getroffenen
Untersuchungsmassnahmen vor allem der Abklärung der Verhältnisse gedient,
die für die Bestimmung des Gerichtsstandes ausschlaggebend sind. Da
sie hiezu verpflichtet waren (BGE 81 IV 73 Erw. 4), wäre es unbillig,
bloss mit Rücksicht auf diese Untersuchungsmassnahmen, mögen sie auch
verhältnismässig lange Zeit in Anspruch genommen haben, vom gesetzlichen
Gerichtsstande abzuweichen.

Entscheid:

Demnach erkennt die Anklagekammer:

    Die Behörden des Kantons Zürich werden berechtigt und verpflichtet
erklärt, Huber und Margrit Baumgartner für die ihnen zur Last gelegte
strafbare Handlung zu verfolgen und zu beurteilen.