Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 86 II 99



86 II 99

17. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 16. Mai 1960
i.S. Hagmann gegen J. Krausz'Wwe. & A. Glatz. Regeste

    Art. 2 Abs. 2 ZGB, Art. 3 Abs. 2 und 3, Art. 14 Abs. 2 HRAG.

    Rechtsmissbräuchliche Einwendung, die Vereinbarung über die Abweichung
von einer nicht zwingenden Bestimmung des HRAG sei nicht schriftlich
getroffen worden.

Sachverhalt

    Hagmann stand erstmals von Anfang 1950 bis im März 1951 als
Handelsreisender im Dienste von J. Krausz'Wwe. Diese verkaufte ihm am 17.
Juni 1950 unter Vorbehalt des Eigentums einen Motorwagen, den er für
seine Reisetätigkeit benötigte, und vereinbarte mit ihm, er habe alle
den Wagen betreffenden Lasten zu tragen. Als das Anstellungsverhältnis
aufgelöst wurde, zahlte Hagmann den Rest des Kaufpreises für den Wagen.

    Durch Vertrag vom 15. August 1952 ging Hagmann mit J. Krausz'Wwe. ein
am 1. September 1952 beginnendes neues Anstellungsverhältnis als
Handelsreisender ein, das in der Folge mit ihrer Rechtsnachfolgerin,
der Kollektivgesellschaft J. Krausz'Wwe. & A. Glatz, fortgesetzt
wurde. Hagmann übte die Reisetätigkeit anfänglich mit dem Motorwagen aus,
den er der Arbeitgeberin im Jahre 1950 abgekauft hatte. Am 17. September
1956 verkaufte diese ihm unter Eigentumsvorbehalt einen anderen Wagen. Die
Vertragschliessenden vereinbarten: "Sämtliche Lasten, den Wagen betreffend,
insbesondere auch Reparaturen, gehen auf Kosten des Herrn Hagmann."

    Die Arbeitgeberin kündete das Anstellungsverhältnis auf 30. September
1957 und klagte auf Herausgabe des Motorwagens und Rückzahlung von
Vorschüssen. Hagmann stellte durch Widerklage Gegenforderungen.

Auszug aus den Erwägungen:

                       Aus den Erwägungen:

    Stellt der Reisende selbst ein Motorfahrzeug für die Ausübung seiner
Reisetätigkeit, so hat ihm der Dienstherr nach Massgabe des Gebrauchs
für die Reisetätigkeit die öffentlichen Abgaben für das Fahrzeug und
die Prämien für die Haftpflichtversicherung zu vergüten und ihn für die
Abnutzung des Fahrzeuges angemessen zu entschädigen (Art. 14 Abs. 2
HRAG). Diese Bestimmung ist nicht zwingend (Art. 19 HRAG), doch kann
nur durch schriftliche Abrede von ihr abgewichen werden (Art. 3 Abs. 2
und 3 HRAG). Der Beklagte stellt sich auf den Standpunkt, eine solche
Abrede liege für die Zeit vom 1. September 1952 bis 17. September 1956
nicht vor; der Kaufvertrag vom 17. Juni 1950 dürfe nicht herangezogen
werden. Er fordert daher von der Klägerin Ersatz für die Verkehrssteuern,
die Gebühren für den Führerausweis, die Prämien für Unfall-, Haftpflicht-
und Kaskoversicherungen und die Verbandsbeiträge, ferner Entschädigung
für Verzinsung und Abschreibung.

    Das Obergericht ist der Auffassung, die Übereinstimmung der
Bestimmungen über die Tragung der Lasten der Motorwagen in den
Kaufverträgen vom 17. Juni 1950 und 17. September 1956 zwinge zur Annahme,
die Parteien hätten für die ganze Dauer des Dienstverhältnisses vereinbart,
der Beklagte übernehme diese Lasten. Darin liegt die tatsächliche und
für das Bundesgericht verbindliche Feststellung, dass dies der Wille der
Klägerin wie auch des Beklagten war. Ob die Parteien ihn ausdrücklich
oder nur stillschweigend äusserten, kann dahingestellt bleiben. Eine
stillschweigende Äusserung genügte (Art. 1 Abs. 2 OR) und lag jedenfalls
darin, dass der Beklagte die erwähnten Lasten tatsächlich trug und von der
Klägerin dafür auch anlässlich des Abschlusses des zweiten Kaufvertrages
nicht Ersatz verlangte.

    Die auf mündlichen oder stillschweigenden Willensäusserungen beruhende
Einigung darüber, dass die im Kaufvertrag vom 17. Juni 1950 schriftlich
getroffene Abrede auch im neuen Dienstverhältnis gelten solle, erfüllt
die Merkmale der Schriftlichkeit nicht, wie Art. 3 Abs. 2 HRAG sie
verlangt. Denn die Abrede, die materiell nicht Bestandteil des Kaufes,
sondern des Anstellungsvertrages bildete, war im März 1951 mit dessen
Beendigung dahingefallen und wirkte daher nicht mehr nach; es bedurfte
eines neuen Vertrages, um sie wieder in Kraft zu setzen.

    Die Berufung auf den Formmangel ist jedoch offenbarer Missbrauch
des Rechts und daher nicht zu schützen (Art. 2 Abs. 2 ZGB). Der Beklagte
verlangte während des Dienstverhältnisses nie Ersatz der festen Unkosten
seines Wagens, sondern trug sie stets selber. Ab 1. Januar 1955 anerkannte
er auf den Abrechnungen der Klägerin schriftlich deren Richtigkeit. Am 17.
September 1956 unterzeichnete er schliesslich eine Klausel, die sich mit
derjenigen vom 17. Juni 1950 deckte und dem bisherigen Willen und Verhalten
der Parteien entsprach. Angesichts dieser Handhabung des Vertrages im
Sinne der getroffenen Vereinbarung und ihrer späteren schriftlichen
Erneuerung widerspricht es Treu und Glauben, den Formmangel geltend zu
machen (vgl. BGE 72 II 41 ff., 78 II 227). Der Beklagte hätte sich sagen
sollen, dass die Klägerin allenfalls das Anstellungsverhältnis auflösen
würde, wenn sie wüsste, dass er ihr unter Berufung auf Formmangel Lasten
aufbürden wolle, die er übernommen hatte und die sie nicht glaubte tragen
zu müssen. Das verpflichtete ihn, zu reden. Der Fall unterscheidet sich
von dem in BGE 81 II 627 ff. veröffentlichten, wo das Bundesgericht es
nicht als rechtsmissbräuchlich erachtete, dass der Handelsreisende nach
Beendigung des Anstellungsverhältnisses Ersatz von Auslagen verlangte,
der ihm nicht versprochen worden war. Dort berief sich der Reisende
auf Bestimmungen, die, wie der Dienstherr wissen musste, durch Vertrag
weder ausgeschlossen noch zu Ungunsten des Reisenden abgeändert werden
konnten. Hier dagegen stand es dem Beklagten frei, die streitigen Kosten
zu übernehmen, hat er das tatsächlich getan und frägt es sich nur, ob
es sich mit Treu und Glauben vertrage, dass er sich nachträglich auf die
Nichtverurkundung der Abrede beruft.