Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 86 II 95



86 II 95

16. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 5. Februar 1960
i.S. Carl Rahm A.-G. gegen Karl Rahm. Regeste

    Aktienrecht. Beschlussfähigkeit einer Universalversammlung, Art. 701 OR
(Erw. 2).

    Rechtsnatur von Aktienzertifikaten (Ew. 3).

Sachverhalt

    A.- Am 17. Juni 1952 wurde in Zürich die Carl Rahm A.-G., mit
einem Grundkapital von Fr. 50'000.--, eingeteilt in 50 Namenaktien zu
Fr. 1000.--, gegründet. Von diesen wurden bei der Gründung übernommen:
35 Aktien durch Frau Rahm-Gautschi (heute Frau Vogt geschiedene Rahm),
14 Aktien durch Bruno Gröbli und 1 Aktie durch Karl Anton Berger. Als
Verwaltungsratspräsident wurde Berger gewählt, als weitere Mitglieder des
Verwaltungsrates Frau Rahm, sowie (an einer besonderen Generalversammlung
vom 20. Juni 1952) der Ehemann Karl Rahm, welcher Geschäftsführer der
A.-G. war.

    Ein Aktienbuch wurde nicht geführt. Ebenso wurden keine Aktien
ausgegeben. Dagegen wurden am 20. Oktober 1952 Aktienzertifikate
ausgestellt, und zwar:

    -  an Frau Rahm ein Zertifikat über den Besitz der Aktien Nr. 1-34,

    - an Karl Rahm ein Zertifikat über den Besitz der Aktie Nr. 35,

    - an Gröbli ein Zertifikat über den Besitz der Aktien Nr. 36-49,

    - an K. Berger ein Zertifikat über den Besitz der Aktie Nr. 50.

    Gemäss Zession vom 7. März 1953 kaufte Berger von Gröbli die
Aktionärrechte aus den 14 Aktien Nr. 36-49. Laut Vereinbarung vom 18.
September 1956 sodann verkaufte die geschiedene Frau Rahm "ihr Zertifikat
über 35 Aktien" an Berger; dazu wurde bemerkt, das Zertifikat über die
35 Aktien fehle.

    Am 29. März 1958 hielt die Carl Rahm A.-G. eine Universalversammlung
im Sinne von Art. 701 OR ab. Im Protokoll wurde festgestellt, dass der
allein anwesende Verwaltungsratspräsident Berger auf Grund der Erwerbung
der 14 Aktien Gröbli und der 35 Aktien der Frau Vogt gesch. Rahm das
gesamte Aktienkapital rechtskräftig vertrete. Sodann wurde die sofortige
Abberufung der bisherigen Verwaltungsratsmitglieder Karl Rahm und Frau
Vogt gesch. Rahm beschlossen und Berger als einziger Verwaltungsrat neu
gewählt. Diese Beschlüsse wurden am 10. April 1958 in das Handelsregister
eingetragen.

    B.- Mit Klage vom 29. April/16. Mai 1958 focht Karl Rahm die Beschlüsse
der Versammlung vom 29. März 1958 an mit den Begehren, sie seien ungültig
zu erklären und ihr Eintrag im Handelsregister rückgängig zu machen.

    Die Beklagte beantragte Abweisung der Klage.

    C.- Das Handelsgericht Zürich stellte mit Urteil vom 25.  Juni 1959
die Nichtigkeit des Generalversammlungsbeschlusses der Beklagten vom
29. März 1958 fest und verfügte die Löschung des entsprechenden Eintrags
im Handelsregister.

    D.- Mit der vorliegenden Berufung beantragt die Beklagte erneut
gänzliche Abweisung der Klage.

    E.- Das Bundesgericht weist die Berufung ab.

Auszug aus den Erwägungen:

Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- Die Generalversammlung vom 29. März 1958, deren Beschlüsse
der Kläger anficht, wurde vom Verwaltungsratspräsidenten Berger
als Universalversammlung gemäss Art. 701 OR abgehalten, wie aus dem
Versammlungsprotokoll hervorgeht. Darin wird nämlich im Anschluss an die
Feststellung, dass sämtliche Aktienanteile vertreten seien, erklärt, die
Versammlung sei somit gemäss Art. 9 der Statuten formgültig einberufen
und daher beschlussfähig. Art. 9 der Statuten aber verweist auf Art. 701
OR und die hienach zulässige Universalversammlung ohne Einhaltung
der für die Einberufung geltenden Formvorschriften. Die Beklagte
bestreitet auch nicht, dass Berger die Versammlung vom 29. März 1958
ohne Beachtung der statutarischen (Art. 8) und gesetzlichen (Art. 700
OR) Formvorschriften einberief, namentlich fristlos und ohne Angabe der
Verhandlungsgegenstände. Somit sind die gefassten Beschlüsse, weil sie
gegen Gesetz und Statuten verstossen, gemäss Art. 706 OR anfechtbar,
sobald die Vertretungsbefugnis auch nur für eine einzige Aktie jemand
anderm als Berger zustand.

Erwägung 3

    3.- Gemäss verbindlicher, von keiner Partei angefochtener Feststellung
der Vorinstanz wurde bei der Beklagten entgegen der Vorschrift von Art. 685
OR kein Aktienbuch geführt. Da Art. 685 OR eine blosse Soll-Vorschrift
darstellt, hat ihre Nichtbeachtung weder auf den Bestand der Gesellschaft,
noch auf die Rechte und Pflichten der Aktionäre nachteilige Auswirkungen
(BÜRGI, Kommentar zu Art. 685 OR N. 1). Die Folge ist lediglich, dass
für die Entscheidung über die Vertretungsbefugnis auf die sonstigen
Ausweise über die Mitgliedschaft abgestellt werden muss. Dabei ist, was
die Vorinstanz unterlassen hat, vorerst die Rechtsnatur der ausgegebenen
Papiere zu ermitteln. Hiefür sind Inhalt und Zweck der Urkunde entscheidend
(WIELAND, Handelsrecht II, S. 41/42 N. 25 am Ende).

    Die hier in Frage stehende Urkunde trägt den Titel "Aktien-Zertifikat"
und enthält die Feststellung, der mit Namen bezeichnete Inhaber der
Urkunde sei mit der in ihr genannten Anzahl Aktien bei der Carl Rahm
A.-G. Zürich "beteiligt mit allen Rechten und Pflichten, welche gemäss
Gesetz und Statuten mit dem Besitz dieser Aktien verbunden sind". Ferner
wird ausdrücklich festgestellt, dieses Zertifikat gelte an Stelle von
gedruckten Aktientiteln.

    Schon der Titel "Aktienzertifikat" spricht dafür, dass die Urkunde
wegen der verkehrsüblichen Bedeutung ihrer Bezeichnung als Wertpapier
aufzufassen ist (JÄGGI, Kommentar zu Art. 965 OR, N. 279, S. 119 f.). Jeder
Zweifel nach dieser Richtung wird sodann beseitigt durch den weiteren
Wortlaut, der die erworbene Mitgliedschaft ausdrücklich verbrieft. Die
in Frage stehenden Aktienzertifikate stellen somit wahre Aktien dar.

    Als Namenaktien konnten die Titel, bzw. die damit verbundenen Rechte,
auf zwei Arten übertragen werden: Einmal durch Indossierung, verbunden
mit Übergabe des Titels gemäss Art. 684 Abs. 2 OR, oder dann durch
besonderen Abtretungsvertrag nach Art. 165 OR (BGE 24 II 924; JÄGGI,
Kommentar zu Art. 967 OR N. 99); doch bedarf es auch in diesem Falle der
Übergabe des Titels, sofern ein solcher ausgestellt und begeben worden ist
(WIELAND, op.cit. S. 43 Abs. 2; SCHUCANY, Aktienrecht, Art. 684 N. 2).

    Die Beklagte behauptet nicht, das Zertifikat über die Aktie Nr. 35,
welches auf den Namen des Klägers lautet, sei je dem Berger übergeben
worden; es befand sich noch während des Prozesses im Besitze des Klägers
und wurde von diesem im Original zu den Akten gebracht. Es fehlte also
(mangels Eintragung in einem Aktienbuch) auf alle Fälle am Erfordernis
der Übergabe der Aktie Nr. 35 an Berger, weshalb dieser hinsichtlich
dieser A tie den Ausweis für seine Aktionäreigenschaft zur Zeit der
Generalversammlung vom 29. März 1958 schon aus diesem Grunde nicht
erbringen konnte. Als Aktionär aus dieser Aktie ist vielmehr der Kläger
legitimiert.. ..

    An der Generalversammlung vom 29. März 1958 war danach mit Sicherheit
eine Aktie nicht vertreten. Die Versammlung konnte infolgedessen nicht
als Universalversammlung abgehalten werden, und ihre Beschlüsse sind
daher nicht rechtsbeständig, wie die Vorinstanz zutreffend entschieden hat.