Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 86 II 316



86 II 316

50. Urteil der II. Zivilabteilung vom 27. Oktober 1960 i.S. St. und
L. gegen E. Regeste

    Vaterschaftsklage. Kann das Ergebnis einer Untersuchung
über das Vorhandensein der Bluteigenschaft Duffya erhebliche
Zweifel über die Vaterschaft des Beklagten (Art. 314 Abs. 2 ZGB)
rechtfertigen? Anforderungen an den Grad der Zuverlässigkeit des
Untersuchungsergebnisses. Inwiefern ist die Expertise für die Gerichte
massgebend? Kognition der kantonalen Gerichte und des Bundesgerichts. -
Blutgutachten und Feststellungen über ein verdächtiges Verhalten der
Mutter.

Sachverhalt

    A.- Frau St. gebar am 3. Februar 1957, knapp fünf Monate nach ihrer
Heirat mit St., den Knaben Max. Das Bezirksgericht Lenzburg erklärte
diesen auf Klage des Ehemannes mit Urteil vom 17. Oktober 1957 als
aussereheliches Kind der Frau St. Hierauf leiteten die Mutter und das
Kind gegen E., den frühern Verlobten der Mutter, Vaterschaftsklage auf
Vermögensleistungen ein. Der Beklagte gab zu, der Mutter in der kritischen
Zeit (9. April bis 7. August 1956) beigewohnt zu haben, erhob aber die
Einreden des Mehrverkehrs und des unzüchtigen Lebenswandels und machte
geltend, die Klage sei auch deshalb abzuweisen, weil Dr. L. P. Holländer,
Privatdozent für Blutgruppenlehre an der Universität Basel und Leiter des
Blutspendezentrums Basel-Stadt des Schweizerischen Roten Kreuzes, der im
Auftrag der Amtsvormundschaft eine Blutgruppenuntersuchung durchgeführt
habe, in seinem Bericht vom 6. Mai 1958 zum Schlusse gekommen sei, er
(der Beklagte) könne auf Grund der Blutkörpercheneigenschaft Duffya
unter der Voraussetzung einer sicher erwiesenen Mutterschaft von Frau
St. mit sehr erheblicher Wahrscheinlichkeit als Vater des Kindes Max
ausgeschlossen werden; seine Vaterschaft stünde im Widerspruch zu den
gültigen Erbgesetzen des Duffy-Blutgruppensystems.

    B.- Das Bezirksgericht Arlesheim hiess die Klage (unter Ermässigung
der eingeklagten Beträge) grundsätzlich gut. Das Obergericht des Kantons
Basel-Landschaft hat sie dagegen am 4. Dezember 1959 abgewiesen mit der
Begründung, die Gesetzmässigkeit der Vererbung des Blutfaktors Duffya stehe
heute (anders als zur Zeit der Fällung des letztinstanzlichen kantonalen
Urteils im Falle BGE 83 II 102 ff.) nach übereinstimmender Meinung
der Fachleute ausser Zweifel und die Möglichkeit von Fehlbestimmungen
dieses Blutfaktors liege bei zuverlässiger Bestimmungstechnik, wie
sie im vorliegenden Falle nachgewiesen sei, unter 1: 1000, so dass der
forensischen Verwertung dieser Methode nichts mehr entgegenstehe. Dazu
komme, dass der Beklagte Mehrverkehr und unzüchtigen Lebenswandel der
Mutter zwar nicht "stricto sensu" bewiesen, aber doch wesentliche Indizien
beigebracht habe, "die in diese Richtung weisen".

    C.- Mit der vorliegenden Berufung an das Bundesgericht beantragen
die Kläger die Gutheissung ihrer Klage in vollem Umfange. Der Beklagte
schliesst auf Bestätigung des angefochtenen Urteils.

Auszug aus den Erwägungen:

              Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- (Berufungsantrag).

Erwägung 2

    2.- Da der Beklagte der Mutter in der kritischen Zeit beigewohnt hat,
ist seine Vaterschaft gemäss Art. 314 Abs. 1 ZGB zu vermuten. Dass die
Mutter im gleichen Zeitraum auch noch mit einem bestimmten andern Manne
geschlechtlich verkehrt habe, ist nach den tatsächlichen Feststellungen
der Vorinstanz nicht bewiesen. Die von der Vorinstanz festgestellten
Tatsachen genügen auch nicht, um den Schluss zu rechtfertigen, die Mutter
habe um die Zeit der Empfängnis einen unzüchtigen Lebenswandel im Sinne
von Art. 315 ZGB geführt. Es kann sich daher nur noch fragen, ob sich der
Beklagte mit Erfolg darauf berufen könne, dass der Blutbefund erhebliche
Zweifel über seine Vaterschaft begründe.

Erwägung 3

    3.- Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtes vermag das Ergebnis
einer naturwissenschaftlichen Untersuchung über die Frage der Konzeption
des Kindes beim Verkehr mit dem Beklagten nur dann erhebliche Zweifel im
Sinne von Art. 314 Abs. 2 ZGB zu rechtfertigen und damit die Vermutung
aus Art. 314 Abs. 1 ZGB zu entkräften, wenn es die Vaterschaft des
Beklagten mit Sicherheit oder doch mit grösster, an Sicherheit grenzender
Wahrscheinlichkeit ausschliesst (BGE 82 II 264 mit Hinweisen, 83 II
104, 84 II 675, 86 II 133). An dieser Rechtsprechung ist festzuhalten.
Indem der Beklagte behauptet, ein naturwissenschaftlicher Befund
rechtfertige erhebliche Zweifel über seine Vaterschaft, macht er geltend,
ein anderer Mann müsse der Vater sein oder komme doch ebensogut wie er
als solcher in Betracht. Er beruft sich also mittelbar auf Mehrverkehr
der Mutter. Erhebt er diese Einrede unmittelbar, so hat er den Umgang
der Mutter mit einem andern Manne, falls er bestritten ist, nicht bloss
glaubhaft zu machen, sondern (sei es durch ihn bestätigende Zeugenaussagen,
sei es durch Indizien) den Beweis dafür zu leisten (BGE 77 II 293, 78 II
317/18), weil Art. 314 Abs. 2 ZGB den Nachweis der zweifelbegründenden
Tatsachen verlangt. Aus einem naturwissenschaftlichen Befunde mittelbar
auf Mehrverkehr zu schliessen, ist dementsprechend auch nur zulässig,
wenn dieser Befund dem Richter die volle Überzeugung verschafft, dass
die Mutter noch mit einem andern Manne verkehrt habe, und hiezu ist
eben ein Befund, der sich auf die Frage der Zeugung des Kindes durch
den Beklagten bezieht, nur dann tauglich, wenn er dessen Vaterschaft mit
Sicherheit oder doch wenigstens (vgl. hiezu BGE 77 II 31) mit grösster,
an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausschliesst.

    Dem Entscheide BGE 86 II 311 ff. liegt nicht etwa eine andere
Auffassung zugrunde. Wenn es dort heisst, der Beklagte habe nicht zu
beweisen, dass er sicher nicht der Vater sei, sondern das Gesetz verlange
nur den Nachweis von Tatsachen, welche den vom Gesetz aus der Beiwohnung
auf die Vaterschaft gezogenen Schluss als unsicher erscheinen lassen
(Erw. 2 Abs. 2; vgl. auch Erw. 4 b am Ende), so beziehen sich diese
Ausführungen nicht auf die Frage, wie zuverlässig ein wissenschaftlicher
Befund sein müsse, um erhebliche Zweifel im Sinne von Art. 314 Abs. 2
ZGB zu begründen und so die Vermutung aus Art. 314 Abs. 1 ZGB zu
entkräften. Vielmehr handelte es sich im Falle BGE 86 II 311 ff. nur
darum, die Auffassung zu widerlegen, der Nachweis des Mehrverkehrs
in der kritischen Zeit genüge heute nicht mehr, um solche Zweifel
zu rechtfertigen, sondern der Beklagte müsse ausserdem nachweisen,
dass der Dritte blutmässig der Vater sein könne (so STREBEL in SJZ
1959 S. 66/67). In diesem Zusammenhang war darauf hinzuweisen, dass
die Vermutung aus Art. 314 Abs. 1 ZGB nicht bloss dann dahinfällt, wenn
dargetan wird, dass der Beklagte sicher (oder höchst wahrscheinlich) nicht
der Vater ist, sondern dass erhebliche Zweifel im Sinne von Art. 314 Abs. 2
ZGB auch dann gerechtfertigt sind, wenn Mehrverkehr in der kritischen
Zeit nachgewiesen ist, weil in diesem Falle mit gleichem Recht wie die
Vaterschaft des Beklagten auch diejenige des Dritten vermutet werden kann
und diese beiden Vermutungen sich aufheben. Mit einem solchen Falle hat
man es hier aber nicht zu tun, weil wie gesagt ein direkter Beweis für
Mehrverkehr der Mutter in der kritischen Zeit fehlt.

Erwägung 4

    4.- Welchen Grad der Zuverlässigkeit die Ergebnisse bestimmter
Untersuchungen aufweisen, wenn dabei alle Regeln der Kunst beobachtet
wurden, ist eine naturwissenschaftliche Frage, die der Sachverständige zu
beantworten hat. Der Tatsachenrichter (also in der Regel das kantonale
Gericht) hat die Expertise freilich auch in dieser Hinsicht auf ihre
Schlüssigkeit zu prüfen, soweit er dazu in der Lage ist (vgl. BGE 86 II
133), und dem Bundesgericht als Berufungsinstanz muss im Falle, dass das
kantonale Gericht auf Grund des Gutachtens den von der Rechtsprechung
geforderten Sicherheitsgrad als gegeben ansieht, die Prüfung der Frage
vorbehalten bleiben, ob diese Annahme angesichts der Grundlagen, auf die
sie sich stützt, vertretbar sei oder sich nur aus einer Verkennung des
Begriffs der nach dem Sinne des Gesetzes erforderlichen Sicherheit bezw. an
Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit erklären lasse (vgl. BGE 78 II
108 vor dem Absatz, 80 II 301 Mitte). Wenn dagegen ein Sachverständiger,
dem dieser Begriff vertraut ist, in seinen Schlussfolgerungen einem
Vaterschaftsausschluss das Prädikat der Sicherheit oder der an Sicherheit
grenzenden Wahrscheinlichkeit nicht zu erteilen wagt, so kann es nicht
Sache des Richters sein, aus einzelnen Angaben im Gutachten oder in
andern wissenschaftlichen Arbeiten seinerseits den Schluss zu ziehen,
dieser Grad der Zuverlässigkeit sei in Wirklichkeit doch erreicht (BGE 82
II 267 Erw. 3, 84 II 675 vor b, 676/77). Vielmehr muss in einem solchen
Falle der Beweis, dass der in Frage stehende Mann nicht der Vater sein
könne, als gescheitert gelten (vgl. BGE 82 II 92 oben).

    So verhält es sich hier, da der Experte Dr. Holländer in den
Schlussfolgerungen seines Gutachtens den ihm wohlbekannten Ausdruck "mit
an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit" vermeidet und nur erklärt,
der Beklagte könne als Vater des Kindes Max "mit sehr erheblicher
Wahrscheinlichkeit" ausgeschlossen werden, welchen Ausdruck auch schon
WUILLERET, ROSIN und HÄSSIG in dem in BGE 83 II 102 ff. erwähnten
Aufsatze (Schweiz. Med. Wochenschrift 1956 S. 1457) zur Bezeichnung des
Sicherheitsgrades eines Duffya-Ausschlusses verwendet hatten.

    In seinen Bemerkungen zu BGE 83 II 102 ff. (Schweiz. Med. Wochenschrift
1958 S. 19) hat Dr. HOLLÄNDER freilich ausgeführt:

    "Durch die Formulierung, dass ein Mann im Duffy-Blutgruppensystem mit
sehr erheblicher Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden kann und ein
anderer z.B. im ABO-, MN- oder Rhesussystem mit ,an Sicherheit grenzender
Wahrscheinlichkeit', will der Experte nur zum Ausdruck bringen, dass
wegen der komplizierteren Bestimmungstechnik der Duffya-Eigenschaft eine
Abstufung des Sicherheitsgrades für solche Ausschlüsse angezeigt ist. Diese
Abstufung bedeutet keinesfalls, dass für den Naturwissenschaftler
ein Ausschluss im Duffy-Blutgruppensystem nicht ebenso eindeutig und
beweiskräftig wäre wie einer in einem der bereits seit längerer Zeit
bekannten Blutgruppensysteme. Gerade die Blutgruppen - und dabei ist es
aus dem Standorte der Erblehre gleichgültig, ob ABO oder Duffy - bieten
unter der Voraussetzung einer lege artis durchgeführten Bestimmung eine
so hochgradige Sicherheit, wie sie dem Richter nur selten als Grundlage
für seine Entscheide zur Verfügung steht."

    Dr. A. Hässig, der Direktor des Zentrallaboratoriums des
Blutspendedienstes des Schweiz. Roten Kreuzes in Bern, den der Anwalt des
Beklagten angefragt hat, ob bei einem Duffya-Ausschluss heute von einer
an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit gesprochen werden könne,
erklärt in seinem Bericht vom 13. Oktober 1958 unter Hinweis auf ein dem
Richteramte II in Bern am 4. Februar 1958 erstattetes Gutachten ähnlich wie
Dr. Holländer, die Formulierung "mit sehr erheblicher Wahrscheinlichkeit"
werde von ihm nur noch deshalb verwendet, um darauf hinzuweisen, dass
das erbbiologische Untersuchungsgut sowie die Erfahrungen hinsichtlich
der serologischen Bestimmungstechnik beim Duffy-System noch nicht ganz
an die heute vorliegenden umfassenden Erfahrungen beim ABO-, MN- und
Rhesus-System heranreichen. Seines Erachtens sollte man sich aber dadurch
nicht abhalten lassen, einen Duffya Ausschluss forensisch zu verwerten. Er
schliesse sich in dieser Hinsicht voll und ganz der Auffassung an, die Dr.
HOLLÄNDER im (oben wiedergegebenen) Schlusssatze seines Artikels in der
Schweiz. Med. Wochenschrift geäussert habe.

    Mit ihren Bemerkungen über die forensische Verwertbarkeit haben die
beiden Experten jedoch die Grenzen ihrer Zuständigkeit überschritten. Sie
muten dem Richter zu, sich mit einem geringern Grade der Sicherheit zu
begnügen, als er nach der ihm allein zustehenden Auslegung des Gesetzes
erforderlich ist, um die Vaterschaftsvermutung des Art. 314 Abs. 1 ZGB
mit Hilfe einer naturwissenschaftlichen Untersuchung zu entkräften. Den
Experten kann daher in diesem Punkte nicht gefolgt werden. Vielmehr bleibt
es dabei, dass der Beklagte mit dem vorliegenden, seine Vaterschaft nur
"mit sehr erheblicher Wahrscheinlichkeit" ausschliessenden Gutachten die
Vermutung aus Art. 314 Abs. 1 ZGB nicht zu beseitigen vermag...

Erwägung 5

    5.- Entgegen der Auffassung der Vorinstanz kann die zu Lasten des
Beklagten bestehende Vaterschaftsvermutung auch dann nicht als entkräftet
gelten, wenn man neben dem vorliegenden Gutachten noch die Tatsachen
berücksichtigt, welche die Vorinstanz als den Verdacht des Mehrverkehrs
in der kritischen Zeit oder des unzüchtigen Lebenswandels um die Zeit der
Empfängnis begründende, aber hiefür immerhin nicht genügend schlüssige
Indizien gewürdigt hat. Selbst wenn man nämlich annehmen will, es sei
grundsätzlich zulässig, erhebliche Zweifel im Sinne von Art. 314 Abs. 2 ZGB
aus einem die Vaterschaft des Beklagten nicht mit genügender Sicherheit
ausschliessenden Gutachten und einem die Anwendung von Art. 314 Abs. 2
oder Art. 315 ZGB für sich allein nicht rechtfertigenden Verhalten der
Mutter abzuleiten (in diesem Sinne BGE 77 II 32 lit. c), so reichen doch
auf jeden Fall die hier festgestellten Tatsachen (Ausgänge mit andern
Männern; Verkehr mit andern Männern vor und nach der kritischen Zeit;
Besitz einer unzüchtigen Photographie) nicht aus, um einen solchen Schluss
zu rechtfertigen (vgl. BGE 82 II 92 Erw. 3).

    Die vorliegende Klage ist daher grundsätzlich zu schützen.

Entscheid:

Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die Berufung wird dahin gutgeheissen, dass das Urteil des Obergerichtes
des Kantons Basel-Landschaft vom 4. Dezember 1959 aufgehoben und die
Sache zur Festsetzung der vom Beklagten zu erbringenden Leistungen an
die Vorinstanz zurückgewiesen wird.