Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 86 II 258



86 II 258

41. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 16. August 1960
i. S. Scheiwiller gegen Frey. Regeste

    1.  Art. 216 Abs. 1 OR. Ungültigkeit eines Grundstückkaufes mangels
öffentlicher Beurkundung eines wesentlichen, wenn auch nur bedingten
Versprechens des Käufers auf eine zusätzliche Leistung (Erw. 2).

    2.  Art. 2 ZGB. Unter welchen Voraussetzungen handelt
rechtsmissbräuchlich, wer sich auf den Formmangel eines Vertrages beruft?
(Erw. 3).

Sachverhalt

    A.- Josef Scheiwiller, Eigentümer der Liegenschaften Eichstrasse 3
und 5 in Zürich-Wiedikon, ersuchte im Frühjahr 1954 Meta Frey, ihm die
angrenzende Liegenschaft Eichstrasse 7 zu verkaufen, damit er sein im
Hause Nr. 3 betriebenes Gewerbe in einen alle drei Grundstücke umfassenden
Neubau verlegen könne. Fräulein Frey ging auf seinen Wunsch ein, bedang
jedoch in dem am 31. März 1954 öffentlich beurkundeten Kaufvertrag aus,
dass Scheiwiller ihr bis zur Übertragung des Eigentums eine geeignete
Wohnung oder eine andere Liegenschaft verschaffe (Ziff. 7) und dass
bis zum 1. April 1957 nur sie selbst die Übertragung der Kaufsache
auf Scheiwiller verlangen könne (Ziff.11). Der Käufer versprach der
Verkäuferin am 10. März 1954 schriftlich, ihr eine "Entschädigung"
auszurichten, wenn sie ihm das Eigentum spätestens am 1. April 1957
übertrage. Für den Fall der Übertragung bis Herbst 1956 wurde diese
Leistung auf Fr. 40'000 vereinbart, für den Fall späterer, jedoch nicht
über den 1. April 1957 hinaus verschobener Übertragung dagegen auf Fr.
30'000. In der öffentlichen Urkunde über den Kauf wurde von dieser
Vereinbarung nichts gesagt. Die Parteien liessen einen Kaufpreis von Fr.
150'000 verurkunden, waren jedoch einig, dass Scheiwiller die Franken
40'000 bzw. 30'000 unter der im Schriftstück vom 10. März 1954 genannten
Bedingung zusätzlich schulde.

    B.- Im Mai 1958 klagte Scheiwiller beim Bezirrksgericht Zürich mit dem
Begehren, Meta Frey sei unter der geeigneten Androhung zu verpflichten,
ihm das Eigentum an der Liegenschaft Eichstrasse 7 gemäss den Bestimmungen
des öffentlich beurkundeten Vertrages vom 31. März 1954 zu übertragen.

    Das Bezirksgericht und auf Berufung des Klägers auch das Obergericht
des Kantons Zürich, dieses mit Urteil vom 29. März 1960, wiesen die Klage
entsprechend dem Antrage der Beklagten ab. Sie pflichteten der Auffassung
der Beklagten bei, dass der Kauf ungültig sei, weil die Vereinbarung vom
10. März 1954 nicht öffentlich beurkundet wurde.

    C.- Der Kläger hat die Berufung erklärt. Er beantragt dem
Bundesgericht, die Klage gutzuheissen.

Auszug aus den Erwägungen:

              Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 2

    2.- Die in Art. 216 Abs. 1 OR vorgesehene öffentliche Beurkundung,
ohne die der Kauf eines Grundstückes nicht gültig ist, muss alle
wesentlichen Punkte des Vertrages decken, insbesondere auch die ganze
für das Grundstück versprochene Gegenleistung (BGE 51 II 573, 53 II 164,
68 II 233, 75 II 148, 78 II 224, 84 II 374, 86 II 36). Diese ist auch
dann in der öffentlichen Urkunde vollständig anzugeben, wenn sie schon
vor der Beurkundung teilweise erfüllt wurde (BGE 84 IV 164 ff., 86 II
36). Gleiches gilt, wenn ein Teil der Leistung nur bedingt versprochen
wird, diese zusätzliche Verpflichtung aber wesentlich ist. Der Vertrag wird
in diesem Falle selbst dann nicht gültig, wenn das in der öffentlichen
Urkunde verschwiegene bedingte Versprechen durch Ausfall der Bedingung
nachträglich gegenstandslos wird. Aus der Urkunde muss alles hervorgehen,
was die Parteien im Zeitpunkt der Beurkundung als wesentlichen Inhalt
des Vertrages betrachten.

    Beide Parteien waren am 31. März 1954 übereinstimmend willens, dass
die Beklagte vom Kläger ausser dem öffentlich beurkundeten Kaufpreis
von Fr. 150'000 eine "Entschädigung", d.h. eine weitere Gegenleistung
von Fr. 40'000 fordern könne, wenn sie ihm das Grundstück spätestens
im Herbst 1956 zu Eigentum übertrage, und dass seine zusätzliche Schuld
sich auf Fr. 30'000 belaufe, wenn die Übertragung nach dem Herbst 1956,
aber spätestens am 1. April 1957 erfolge. Das war ein wesentlicher
Punkt. Die zusätzliche Leistung war nicht deshalb ohne Belang, weil der
Kläger sie nur bedingt versprach, um so weniger, als der Eintritt der
Bedingung nur vom Willen der Beklagten abhing. Das Obergericht stellt
denn auch verbindlich fest, dass diese Verpflichtung für die Beklagte
ein wesentlicher Bestandteil des Kaufes war. Dass es diese Tatsache als
"offenbar" hinstellt, heisst nicht, es vermute sie nur, sondern, sie sei
offensichtlich. Diesen Sinn hat das Wort z.B. in Art. 2 Abs. 2 ZGB, der von
einem offenbaren Missbrauch eines Rechts spricht. Dass das Obergericht
es nicht anders versteht, folgt aus der Feststellung, die Beklagte
hätte den Kauf nicht abgeschlossen, wenn der Kläger ihr nicht diese
Erhöhung des Kaufpreises zugestanden hätte. Der Fall unterscheidet sich
von dem in BGE 75 II 144 ff. veröffentlichten, in dem der Verkäufer auf
den Eintritt der Bedingung keinen Einfluss hatte und er den Vertrag auch
abgeschlossen hätte, wenn ihm das bedingte Recht (auf Anteil am Gewinn aus
dem allfälligen Weiterverkauf) nicht eingeräumt worden wäre. Das bedingte
Versprechen hätte im vorliegenden Falle wie der unbedingt vereinbarte Teil
des Kaufpreises in die öffentliche Urkunde aufgenommen werden müssen. Die
Unterlassung macht den ganzen Vertrag ungültig. Was beurkundet wurde,
entsprach nicht dem übereinstimmenden Willen der Parteien, und was diese
wirklich vereinbarten, wurde nicht beurkundet. Ob der Kläger arglistig
handelte oder Dritte über den Inhalt des Vertrages täuschen wollte, ist
unerheblich. Der Vertrag wurde auch nicht mit Ablauf des 1. April 1957
deshalb gültig, weil von da an die Bedingung, unter welcher der Kläger
die zusätzliche Leistung geschuldet hätte, nicht mehr eintreten konnte.

Erwägung 3

    3.- Der Einwand des Klägers, die Beklagte missbrauche das Recht,
weil sie durch die Nichtverurkundung der zusätzlichen Vereinbarung nicht
habe übervorteilt werden können, hält nicht stand. Wer einen Vertrag
wegen Formmangels nicht gelten lassen will, missbraucht das Recht nur,
wenn seine Haltung wegen besonderer Umstände offensichtlich gegen Treu
und Glauben verstösst (BGE 68 II 236 f., 72 II 41, 78 II 227, 84 II
375, 641). Solche Umstände liegen hier nicht vor. Unerheblich ist, ob
die Beklagte sich auf den Formmangel beruft, weil sie die Liegenschaft
überhaupt nicht veräussern will oder weil sie, wie der Kläger glaubt,
durch anderweitigen Verkauf mehr aus ihr lösen kann. Im einen wie im
anderen Falle hat sie ein des Schutzes würdiges Interesse, sich auf den
Formmangel zu berufen. Dass ihr ein solches fehle, müsste der Kläger
dartun, der ihr Rechtsmissbrauch vorwirft. Es kommt auch nichts darauf
an, dass die Zusatzvereinbarung durch Zeitablauf gegenstandslos geworden
ist. Um das zu verhindern, hätte die Beklagte dem Kläger spätestens
am 1. April 1957 das Eigentum an der Liegenschaft übertragen, also
den Vertrag erfüllen müssen. Gerade das konnte wegen des Formmangels
nicht verlangt werden. Handelte die Beklagte bis 1. April 1957, wo ihr
nach der getroffenen Vereinbarung insgesamt Fr. 190'000 bzw. 180'000
zustanden, nicht gegen Treu und Glauben, wenn sie den Vertrag nicht
gelten lassen wollte, so kann ihr um so weniger heute Rechtsmissbrauch
vorgeworfen werden, wo ihr nur noch Fr. 150'000 zukämen. Ob dieser Betrag
als Kaufpreis angemessen sei, ist unerheblich. Der Beklagten kann auch
nicht etwa vorgeworfen werden, sie habe arglistig dazu Anlass gegeben,
dass die Zusatzvereinbarung in der öffentlichen Urkunde nicht erwähnt
wurde, und sie habe den Hintergedanken gehabt, sich später je nach der
Entwicklung der Lage auf den Formmangel zu berufen. Der Kläger gab den
Anstoss zum Abschluss des Vertrages und drängte, dass ihm die Beklagte
die Liegenschaft verkaufe. Der Beklagten lag nichts daran, und schon am
7. Juli 1954 teilte sie dem Kläger mit, dass sie vom Vertrag zurückzutreten
wünsche. Auf den Formmangel wies sie nicht hin. Der Kläger konnte sich
jedoch davon Rechenschaft geben. Architekt Kobler, der in seinem Auftrage
mit der Beklagten verhandelte, war sich bewusst, dass die Verpflichtung
vom 10. März 1954 ohne öffentliche Beurkundung nicht gültig war.

Entscheid:

Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die Berufung wird abgewiesen und das Urteil des Obergerichts des
Kantons Zürich, II. Zivilkammer, vom 29. März 1960 bestätigt.