Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 86 III 91



86 III 91

24. Entscheid vom 30. November 1960 i.S. Zur Linde A. G. Regeste

    Verwertung von Grundstücken. Neue Schätzung durch Sachverständige
(Art. 9 Abs. 2 und 99 Abs. 2 VZG). Kognition des Bundesgerichtes. Das
Bundesrecht gibt den Beteiligten keinen Anspruch auf Einholung einer
Oberexpertise durch die obere kantonale Aufsichtsbehörde.

Sachverhalt

    A.- In der Grundpfandbetreibung, die Alphonse Orsat gegen die Zur Linde
A. G. führt, schätzte das Betreibungsamt Zürich 5 die Pfandliegenschaft
einschliesslich Zugehör auf Fr. 362'400. Da die Schuldnerin gestützt auf
Art. 99 Abs. 2 und 9 Abs. 2 VZG eine neue Schätzung durch Sachverständige
verlangte, liess die untere Aufsichtsbehörde die Liegenschaft durch
Architekt Oskar Germann schätzen. Dessen Gutachten vom 4. April 1960
bezifferte den Verkehrswert der (wegen des Verlaufs der Baulinien nicht neu
überbaubaren) Liegenschaft einschliesslich der Zugehör auf Fr. 448'000, den
mutmasslichen Expropriationswert auf rund Fr. 450'000. Das Betreibungsamt
Zürich 5 brachte diese Schätzung den Beteiligten am 16. Mai 1960 zur
Kenntnis mit dem Bemerken, dem betreibenden Grundpfandgläubiger und
der Schuldnerin werde eine Frist von zehn Tagen angesetzt, "um bei der
Aufsichtsbehörde... gegen Vorschuss der Kosten eine weitere Schätzung
durch Sachverständige zu verlangen, widrigenfalls obige Schätzung
rechtskräftig wird". Die Schuldnerin stellte am 27. Mai 1960 bei der
untern Aufsichtsbehörde ein entsprechendes Gesuch. Diese holte hierauf
bei Bezirksrichter Dr. iur. Werner Romang, dipl. Architekt, eine
Oberexpertise ein. Dr. Romang kam in seinem Schätzungsbericht vom 25.
August 1960 zum Schluss, der Verkehrswert der Liegenschaft betrage
höchstens Fr. 450'000. Auf Grund dieses Gutachtens entschied die untere
Aufsichtsbehörde am 6. September 1960, der Schätzungswert der Liegenschaft
werde definitiv auf Fr. 450'000 festgesetzt.

    B.- Diesen Entscheid zog die Schuldnerin an die kantonale
Aufsichtsbehörde weiter mit dem Antrag, er sei aufzuheben und die untere
Aufsichtsbehörde anzuweisen, einen neuen Experten zu bestellen. Eventuell
sei ihr (der Schuldnerin) zu gestatten, einen eigenen Experten zu bestimmen
(!) oder den neuen Experten aus einem Dreiervorschlag auszuwählen; (ganz)
eventuell sei der Schätzungswert auf Fr. 750'000 festzusetzen. Sie machte
geltend, die von der untern Aufsichtsbehörde übernommene Schätzung Dr.
Romangs sei unangemessen.

    Am 11. November 1960 hat die kantonale Aufsichtsbehörde den Rekurs
abgewiesen. Sie stützte sich dabei vor allem auf das Gutachten von
Architekt Germann.

    C.- Gegen den Entscheid der kantonalen Aufsichtsbehörde hat die
Schuldnerin an das Bundesgericht rekurriert mit dem Antrag, die Vorinstanz
sei anzuweisen, eine neue Expertise zu veranlassen, und der Schätzungswert
sei auf Fr. 750'000 festzusetzen. Die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer
weist den Rekurs ab.

Auszug aus den Erwägungen:

Erwägungen:

    Nach Art. 9 Abs. 2 VZG, der gemäss Art. 99 Abs. 2 VZG bei der
Grundpfandverwertung entsprechend anwendbar ist, werden Streitigkeiten über
die Höhe der Schätzung endgültig durch die kantonale Aufsichtsbehörde
beurteilt. Diese Vorschrift ist ein Ausfluss des Grundsatzes, dass
die (obere) kantonale Aufsichtsbehörde über Fragen der Angemessenheit
dem Grundsatze nach abschliessend zu befinden hat. Das Bundesgericht
kann einen kantonalen Entscheid über eine solche Frage nur daraufhin
überprüfen, ob die Vorinstanz bundesrechtliche Verfahrensvorschriften
verletzt oder (was ebenfalls eine Gesetzwidrigkeit im Sinne von Art. 19
SchKG bedeuten würde) das ihr zustehende Ermessen überschritten habe
(vgl. hinsichtlich der Anfechtung von Schätzungsentscheiden wegen
Verletzung von Verfahrensvorschriften BGE 83 III 66 f. mit Hinweisen).

    Im vorliegenden Falle kann entgegen der Auffassung der Rekurrentin
keine Rede davon sein, dass die Vorinstanz gemäss Art. 9 Abs. 2 und 99
Abs. 2 VZG eine Oberexpertise hätte einholen müssen. Nach dem Wortlaut
und Sinn dieser Vorschriften haben die Beteiligten nur auf eine neue
Schätzung durch Sachverständige Anspruch. Aus der Bestimmung, dass die
kantonale Aufsichtsbehörde Streitigkeiten über die Höhe der Schätzung
endgültig beurteilt, lässt sich keineswegs ableiten, dass dort,
wo zwei kantonaleAufsichtsinstanzen bestehen, nicht nur die untere,
sondern auch die obere Instanz ein Gutachten einzuholen habe. Die
obere kantonale Aufsichtsbehörde darf ihren Entscheid vielmehr ohne
Beizug eines neuen Sachverständigen fällen, wenn ihr das von der untern
Aufsichtsbehörde eingeholte Gutachten zu genügen scheint. Andernfalls
hätten die Beteiligten je nach der kantonalen Behördenorganisation auf
eine oder auf zwei neue Schätzungen Anspruch, was sich sachlich nicht
rechtfertigen liesse. Indem die Vorinstanz die von der Rekurrentin
beantragte Anordnung einer Oberexpertise ablehnte, hat sie also keine
bundesrechtlichen Verfahrensvorschriften verletzt. Den Schätzungswert
auf Grund eines bereits vorliegenden Gutachtens festzusetzen, ist nur
insofern unzulässig, als die Aufsichtsbehörden sich nicht unter Berufung
auf eigene Sachkenntnis darauf beschränken dürfen, die Schätzung des
Betreibungsamtes oder eines von diesem beigezogenen Sachverständigen
zu überprüfen (BGE 60 III 190). Darum handelt es sich im vorliegenden
Falle aber nicht. Die untere Aufsichtsbehörde hat hier nicht bloss eine,
sondern sogar zwei neue Schätzungen angeordnet.

    Eine Ermessensüberschreitung kann der Vorinstanz so wenig wie eine
Verletzung bundesrechtlicher Verfahrensregeln vorgeworfen werden...