Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 86 III 57



86 III 57

17. Entscheid vom 24. Februar 1960 i.S. Peyer. Regeste

    1.  Auch wer im kantonalen Verfahren die Gelegenheit, sich der
Beschwerde zu widersetzen, nicht benutzt hat, ist zur Weiterziehung des
die Beschwerde gutheissenden Entscheides befugt. Der nun erst gestellte
Antrag auf Ablehnung der vom Beschwerdeführer verlangten Massnahme ist kein
"neuer" im Sinne von Art. 79 Abs. 1 OG.

    2.  Zur Beschwerde wegen ungesetzlicher Einleitung eines
Widerspruchsverfahrens ist auch der Schuldner berechtigt. Art. 17, 68,
106 ff. SchKG.

    3.  Wie ist bei der Lohnpfändung auf die von einem Zessionar geltend
gemachte Lohnabtretung Rücksicht zu nehmen? Durch Pfändung der betreffenden
Lohnbeträge als bestrittene Forderungen oder durch Einleitung eines
Widerspruchsverfahrens? Die Lohnabtretung hat gänzlich unberücksichtigt
zu bleiben, wenn der Drittschuldner (der neue Arbeitgeber, laut dessen
Fabrikordnung ein allgemeines Verbot der Lohnabtretung gilt) aus der
Lohnabtretung keine Einwendung herleitet, sie vielmehr für das gegenwärtige
Dienstverhältnis nicht gelten lässt und ihrer ungeachtet den ganzen Lohn
dem Schuldner bezw. nun den vom Betreibungsamt als pfändbar bezeichneten
Betrag vorbehaltlos diesem Amte zahlen will und es auf sich nimmt, sich
mit dem Zessionar auseinanderzusetzen. In diesem Falle berührt der Streit
über die Gültigkeit der Lohnabtretung das Betreibungsverfahren nicht.

Sachverhalt

    A.- Am 30. April 1958 trat W. Peyer der Kredit-Bank A.-G., Zürich
von seinem Lohn monatliche Teilbeträge von Fr. 105.-- bis zur Deckung
einer Restschuld von Fr. 2995.-- nebst Verzugszinsen usw. ab. Indessen
verliess er am 21. Februar 1959 die Arbeitsstelle und arbeitet
seither bei Gebr. Sulzer A.-G., laut deren von ihm anerkannten
Fabrikordnung jegliche Lohnabtretung untersagt ist. Im Juni 1959
verfügte das Betreibungsamt Winterthur I in mehreren Betreibungen gegen
W. Peyer eine Lohnpfändung. Dabei nahm es zuerst auf die verschiedenen
Lohnabtretungen, auch diejenige an die Kredit-Bank A.-G., Rücksicht,
indem es die abgetretenen Monatsraten dem Notbedarf beifügte und nur den
Restbetrag pfändete. Da aber die Firma Gebr. Sulzer A.-G. die Gültigkeit
der Abtretungen mit Berufung auf ihre Fabrikordnung verneinte, pfändete
das Betreibungsamt nunmehr den ganzen den Notbedarf des Schuldners und
seiner Familie übersteigenden Lohnbetrag.

    B.- Darüber beschwerte sich die Kredit-Bank A.-G. mit dem Erfolge,
dass die untere Aufsichtsbehörde das Betreibungsamt anwies, a) in
den Betreibungen gegen W. Peyer "von dem über dem Existenzminimum
liegenden Lohnbetrag nur diejenige Summe fest zu pfänden, die den von der
Lohnschuldnerin nicht anerkannten Zessionsbetrag übersteigt, den Betrag der
Zessionen dagegen als bestrittenes Guthaben zu pfänden", und b) die Firma
Gebr. Sulzer A.-G. auf den Art. 168 OR aufmerksam zu machen. Auf Rekurs
der Beschwerdeführerin ordnete die obere kantonale Aufsichtsbehörde mit
Entscheid vom 29. Januar 1960 die Einleitung eines Widerspruchsverfahrens
nach Art. 109 SchKG statt der Pfändung bestrittener Lohnguthaben an.

    C.- Diesen Entscheid hat der Schuldner W. Peyer an das Bundesgericht
weitergezogen mit dem Antrag, das Betreibungsamt sei anzuweisen,
"den abgezogenen bezw. den allenfalls später noch abzuziehenden
Lohnpfändungsbetrag den nach der zeitlichen Reihenfolge berechtigten
Pfändungsgläubigern zuzuweisen und das Existenzminimum um den Betrag
der Lohnzessionen erst wieder zu erhöhen, wenn ich bei einem Arbeitgeber
tätig bin, der kein Lohnzessionsverbot ausgesprochen hat".

Auszug aus den Erwägungen:

    Die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Im vorinstanzlichen Verfahren hat der betriebene Schuldner
die ihm gebotene Gelegenheit zur Vernehmlassung nicht benutzt und sich
jeglicher Antragstellung enthalten. Dennoch ist der vorliegende Rekurs
nicht aus dem Grunde zurückzuweisen, dass der nun erst gestellte Antrag
als "neu" im Sinne von Art. 79 Abs. 1 OG und daher als unzulässig zu
betrachten wäre. Soweit sich der Rekursantrag gegen die Einleitung eines
Widerspruchsverfahrens richtet (und das ist sein wesentlicher Inhalt),
verlangt der Schuldner einfach Abweisung des von der Kredit-Bank
A.-G. bei der Vorinstanz gestellten und von dieser gutgeheissenen
Rekursantrages 2. Sofern dadurch eine ungesetzliche Massnahme getroffen
worden sein sollte, steht ihrer Anfechtung der Umstand nicht entgegen,
dass der Schuldner zu jenem Antrage nicht schon in kantonaler Instanz
Stellung genommen hat. Die am Betreibungsverfahren beteiligten Personen
haben Anspruch darauf, dass die Aufsichtsbehörden nichts Ungesetzliches
anordnen. Die Vorinstanz hat denn auch das Widerspruchsverfahren nicht
kurzerhand "als unbestritten" angeordnet, sondern weil sie es für richtig
hielt.

Erwägung 2

    2.- Eine andere Frage ist, ob durch diese Anordnung gerade der
betriebene Schuldner beschwert sei, so dass er sich auf ein seine
Rekurslegitimation begründendes Interesse zu berufen vermöge. In BGE 54
III 249 Erw. 2 wurde einem Schuldner keine Befugnis zuerkannt, sich über
die Fristansetzung an den Drittansprecher zur Klage nach Art. 107 Abs. 1
SchKG zu beschweren. Dort ging es aber nur um die Frage, ob die Einleitung
des Widerspruchsverfahrens verfrüht sei, hier aber handelt es sich darum,
ob ein solches Verfahren überhaupt stattzufinden habe. Sollte dies nicht
zutreffen, so braucht sich der Schuldner die Belastung durch die mit den
betreibungsamtlichen Fristansetzungen nach Art. 106 ff. SchKG verbundenen
Kosten (Art. 68 Abs. 1 Satz 1 SchKG) nicht gefallen zu lassen; schon
aus diesem Grund ist ihm das Recht zur Weiterziehung zu gewähren. Aber
auch abgesehen hievon hat der Schuldner ein schutzwürdiges Interesse
an der Vermeidung unzulässiger Weiterungen, die den Gang der Betreibung
erschweren und verzögern würden.

Erwägung 3

    3.- Das Widerspruchsverfahren ist nach dem Wortlaut des Gesetzes (Art.
106-109 SchKG) nur zur Abklärung von Rechten an Sachen vorgesehen. Seit
dem Urteil vom 19. November 1904 (BGE 29 I 558 = Sep. Ausg. 6 S. 282)
wurde es freilich auch zur Austragung des Streites über das Gläubigerrecht
an einer als solche des Schuldners gepfändeten Forderung als anwendbar
befunden. Die neuere Rechtsprechung ist dann aber, der rechtlichen Natur
der nicht in einem Wertpapier verkörperten Forderung Rechnung tragend,
zu einer andern Art der Abklärung des Gläubigerrechtes übergegangen:
Die Forderung ist mit Rücksicht auf die Drittansprache eines Zessionars
oder sonstigen Erwerbers als bestrittene zu pfänden. Sie kann hierauf -
sowohl gegenüber dem Drittschuldner, der allenfalls noch andere Einreden
erhebt, wie auch gegenüber dem als Zessionar oder als Erwerber aus anderem
Rechtsgrund auftretenden Vierten - entweder vor jeder Verwertungsmassnahme
durch das Betreibungsamt selbst auf Grund von Art. 100 SchKG oder aber,
kraft Überweisung nach Art. 131 Abs. 2 SchKG, durch einen betreibenden
Gläubiger oder endlich durch einen Ersteigerer geltend gemacht werden
(BGE 65 III 129, 66 III 42; für das Konkursverfahren BGE 70 III 34;
LEUCH, Die Bedeutung des betreibungsrechtlichen Widerspruchsverfahrens
um Forderungen, ZBJV 76 S. 1 ff.; Bemerkungen dazu bei FRITZSCHE I 205).

    Im vorliegenden Fall ist ein solches Vorgehen nach der zutreffenden
Ansicht der Vorinstanz nicht am Platze, weil sich angesichts der Haltung
des Drittschuldners der ganze den Notbedarf übersteigende Lohn mit voller
Wirkung pfänden und zu Handen der betreibenden Gläubiger einziehen
lässt, ohne dass die von den Zessionaren beanspruchten Teilbeträge
als "bestrittene" geltend gemacht werden müssten. Der Drittschuldner
(der heutige Arbeitgeber des Rekurrenten) erhebt nicht nur selber keine
Einwendungen aus der Zession, sondern er verneint deren Rechtswirksamkeit,
sei es, dass er ganz allgemein einer Lohnzession keine Wirkung über
das bei ihrer Vornahme bestehende Dienstverhältnis hinaus zuerkennt
(vgl. D. BÜHRLE, Die Lohnzession nach schweizerischem Recht, S. 106 ff.),
sei es, dass er lediglich auf das in seinem Betriebe geltende, auch vom
Rekurrenten anerkannte Lohnzessionsverbot pocht. Er ist auch nicht etwa
bereit, die Auseinandersetzung über die von Zessionaren beanspruchten
Teilbeträge Andern zu überlassen und sich durch Hinterlegung dieser
Beträge gemäss Art. 168 OR (zu Gunsten des in einem ohne seine Mitwirkung
durchzuführenden Prätendentenstreit Obsiegenden) von der Schuldpflicht
zu befreien. Vielmehr gedenkt er nach vorinstanzlicher Feststellung
ungeachtet der ihm angezeigten Zessionen nach wie vor dem Schuldner, also
bei Pfändung des ganzen dessen Notbedarf übersteigenden Lohnes diesen
vollen Lohnüberschuss dem Betreibungsamte zu Handen der betreibenden
Gläubiger zu zahlen. Er nimmt die Gefahr einer doppelten Zahlung auf sich;
das Betreibungsamt aber wird den vollen Lohnüberschuss, ohne dass gegen
den Drittschuldner oder gegen vierte Ansprecher vorgegangen werden müsste,
als endgültiges Betreibungsergebnis zu Handen der betreibenden Gläubiger
empfangen.

    Unter diesen Umständen erübrigt sich jedoch auch das von der Vorinstanz
angeordnete Widerspruchsverfahren. Die Einziehung und Verteilung der vom
Drittschuldner freiwillig auf Grund der Lohnpfändung dem Betreibungsamte
zugeleiteten Beträge tut den allfälligen Rechten der Zessionare inbezug auf
die Lohnansprüche des Schuldners aus dem gegenwärtigen Dienstverhältnis
keinen Abbruch. Sofern die Zessionen diese Lohnansprüche mitergreifen
sollten, trotz dem seit ihrer Vornahme eingetretenen Stellenwechsel
und trotz dem beim neuen Arbeitgeber geltenden Lohnzessionsverbot, sind
und bleiben die Zessionare, durch jene Zahlungen an das Betreibungsamt
unberührt, gegenüber diesem Arbeitgeber forderungsberechtigt. Ein Zugriff
auf die von diesem an das Betreibungsamt geleisteten Geldbeträge steht
ihnen aber, entsprechend der Rechtsnatur der Forderung, nicht zu. Sie
können also den durch die Haltung des Drittschuldners ermöglichten Gang
der Betreibung nicht aufhalten. Dementsprechend ist es anderseits für
das vorliegende Betreibungsverfahren ohne Belang, ob, wann und mit welchem
Erfolg die Zessionare den Drittschuldner auf Zahlung der ihnen angeblich
zustehenden Lohnbeträge belangen werden. Die Anordnung der Vorinstanz
läuft darauf hinaus, in dieses Betreibungsverfahren einen ihm fremden
Rechtsstreit einzuschalten.

Entscheid:

Demnach erkennt die Schuldbetr.- u. Konkurskammer:

    Der Rekurs wird dahin gutgeheissen, dass der angefochtene Entscheid
aufgehoben und das Betreibungsamt Winterthur I angewiesen wird, die
Lohnpfändung ohne Rücksicht auf die von der Kredit-Bank A.-G. geltend
gemachte Lohnzession durchzuführen.