Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 86 III 41



86 III 41

14. Entscheid vom 12. Juli 1960 i.S. Haudenschild Regeste

    Betreibungsart (Art. 41 SchKG). Betreibung gegen den Schuldner einer
Schadenersatzforderung, der eine Haftpflichtversicherung abgeschlossen
hat. Kann der Schuldner den Gläubiger, der gemäss Art. 60 Abs. 1 VVG am
Ersatzanspruch des Schuldners gegen den Versicherer ein Pfandrecht besitzt,
auf den Weg der Betreibung auf Pfandverwertung verweisen?

Sachverhalt

    A.- Am 1. Februar 1959 ereignete sich bei Bellach ein Verkehrsunfall,
bei dem Erwin Demmler und Erwin Haudenschild getötet wurden und
Fritz Grossenbacher schwere Verletzungen erlitt. Der Halter des am
Unfall beteiligten Personenautos, Fritz Haudenschild, ist bei der
Waadtländischen Unfallversicherung auf Gegenseitigkeit gegen die
Folgen der Haftpflicht versichert. Die Police sieht die in Art. 52 MFG
genannten Minimalversicherungssummen (Fr. 100'000 für ein Unfallereignis,
Fr. 50'000 für eine verunfallte Person, Fr. 5000 für Sachschaden)
vor und deckt auch die Haftpflicht des Sohnes des Halters, Walter
Haudenschild, der das Auto gelenkt hatte. Am 7. August teilte die
Versicherungsgesellschaft den Hinterbliebenen von Erwin Demmler und
Erwin Haudenschild und dem Verletzten Fritz Grossenbacher sowie der SUVA
und den SBB als Regressberechtigten mit, sie habe festgestellt, dass die
berechtigten Ansprüche für Personenschaden zusammen den Betrag von Fr. 100
000 erreichen werden, und stelle ihnen daher die ganze Versicherungssumme
von Fr. 100'000.-- zur Verfügung und überlasse es ihnen, sich über die
Teilung dieses Betrages auseinanderzusetzen.

    B.- Hierauf leiteten Witwe Emma Demmler und ihre Kinder Marlies
und Christine gegen Fritz und Walter Haudenschild Klage ein, mit der
sie als Schadenersatz und Genugtuung insgesamt Fr. 181'404.80 forderten
(die Witwe Fr. 148'304.80, die Kinder Fr. 13'750 bew. Fr. 19'350). In
diesem Prozess anerkannten die Beklagten, Fr. 7616.-- schuldig zu sein,
nämlich Fr. 1500.-- für Sachschaden, Fr. 36.- für Arztkosten, Fr. 3000.--
für Bestattungskosten, Fr. 80.- für Abschleppkosten und Fr. 1000.--
pro Kläger als Genugtuung.

    Gestützt auf diese Schuldanerkennung leiteten die Kläger gegen
Fritz Haudenschild Betreibung auf Pfändung oder Konkurs ein, und zwar
die Witwe für Fr. 5616.--, die Kinder für je Fr. 1000.-- (Betreibungen
Nr. 5609-5611 des Betreibungsamtes Wangen a.d.A.). Nach Erhalt der
Zahlungsbefehle führte Fritz Haudenschild Beschwerde mit dem Antrag,
die Betreibungen seien aufzuheben, weil für die in Betreibung gesetzten
Forderungen gemäss Art. 60 VVG ein Pfandrecht an seinem Ersatzanspruch
gegen den Haftpflichtversicherer bestehe, so dass gemäss Art. 41 SchKG
die ordentliche Betreibung auf Pfändung oder Konkurs unzulässig sei und
den Gläubigern nur der Weg der Betreibung auf Pfandverwertung offen stehe.

    Die kantonale Aufsichtsbehörde hat die Beschwerde am 21. Juni 1960
abgewiesen mit der Begründung, ein auf Pfändung oder Konkurs betriebener
Schuldner könne durch Beschwerde die Aufhebung der Betreibung erreichen,
wenn er in liquider Weise darzutun vermöge, dass die Forderung
pfandgesichert sei. Im vorliegenden Fall übersteige die Summe der
gestellten Ansprüche die Versicherungssumme von Fr. 100'000.-- bei
weitem und werde die Versicherung Zahlungen erst vornehmen, wenn die
Auseinandersetzung unter den Anspruchsberechtigten über die Teilung der
Summe abgeschlossen sei. Bei dieser Sachlage könne den Gläubigern die
Anhebung einer Betreibung auf Pfandverwertung nicht zugemutet werden. Das
Pfandrecht sei nicht mit der erforderlichen Liquidität nachgewiesen.

    D.- Diesen Entscheid hat der Schuldner an das Bundesgericht
weitergezogen mit dem Antrag, die Betreibungen Nr. 5609-5611 seien
aufzuheben.

Auszug aus den Erwägungen:

    Die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer zieht in Erwägung:

    Die Beschwerde, mit der ein auf Pfändung oder Konkurs betriebener
Schuldner den Gläubiger auf den Weg der Pfandbetreibung verweisen will,
kann, wie die Vorinstanz zutreffend ausgeführt hat, nur Erfolg haben, wenn
der Schuldner in liquider Weise darzutun vermag, dass die in Betreibung
gesetzte Forderung pfandgesichert ist (BGE 77 III 101 mit Hinweisen,
83 III 61).

    An dem Ersatzanspruch, der dem Versicherungsnehmer aus der Versicherung
gegen die Folgen gesetzlicher Haftpflicht zusteht, besitzt der geschädigte
Dritte nach Art. 60 Abs. 1 VVG im Umfang seiner Schadenersatzforderung
ein Pfandrecht. Die Forderung des Geschädigten gegen den Schädiger, der
eine Haftpflichtversicherung abgeschlossen hat, ist also von Gesetzes
wegen pfandgesichert. Der versicherte Schädiger kann daher grundsätzlich
verlangen, dass der Geschädigte ihn auf Pfandverwertung betreibe (JAEGER
N. 24 zu Art. 60 VVG; OFTINGER, Schweiz. Haftpflichtrecht, I, 2. Aufl.,
S. 406 Ziff. 3).

    Dieser Grundsatz kann jedoch nicht uneingeschränkt gelten, wenn die
Ansprüche des (oder der) Geschädigten die Haftpflichtversicherungssumme
übersteigen. In BGE 58 III 56 hat das Bundesgericht freilich erklärt,
gegen den Schuldner einer pfandgesicherten Forderung sei die gewöhnliche
Betreibung erst zulässig, wenn das Pfand verwertet sei und sich dabei
ein Ausfall ergeben habe; unter keinen Umständen könne "eine auch noch so
zuverlässige Schätzung die Verwertung ersetzen" (womit nur gemeint sein
kann, das Ungenügen des Pfandes stehe erst nach der Verwertung einwandfrei
fest). Unter Hinweis auf diesen Entscheid sagt BGE 83 III 62 Erw. 2, das
Recht des Schuldners, den Gläubiger in erster Linie auf die Pfandverwertung
zu verweisen, sei nach feststehender Praxis nicht vom Wert der Pfänder
abhängig. Die dem Präjudiz BGE 58 III 56 zugrunde liegende Erwägung
verliert jedoch ihre Berechtigung, wenn das Pfand im Ersatzanspruch
des Schuldners aus einer Haftpflichtversicherung besteht. Hier ist
der Höchstwert des Pfandes mit absoluter Sicherheit von vornherein
feststellbar; er entspricht dem Betrag, für den der Versicherer nach dem
Versicherungsvertrag höchstens einzustehen hat. Macht der Geschädigte einen
diesen Betrag übersteigenden Anspruch geltend, so besitzt er folglich für
den Überschussbetrag klarerweise keine Pfandsicherheit. Daher muss ihm
gestattet sein, für diesen Betrag sogleich die ordentliche Betreibung auf
Pfändung oder Konkurs einzuleiten. Die vorbehaltlose Fassung von Art. 41
SchKG, auf die in BGE 83 III 62 hingewiesen wird, kann hieran nichts
ändern, weil eben die Forderung des Geschädigten in Wirklichkeit höchstens
bis zum Betrag der im Haftpflichtversicherungsvertrag festgesetzten Summe
pfandgesichert ist. Für den diese Summe übersteigenden Forderungsbetrag
ohne vorherige Liquidation des Pfandes die gewöhnliche Betreibung
einzuleiten, darf dem Geschädigten um so weniger verwehrt werden, als es
sich beim Pfandrecht am Ersatzanspruch aus der Haftpflichtversicherung
nicht um ein vertraglich bestelltes, sondern um ein gesetzliches Pfandrecht
handelt, so dass dem Geschädigten nicht entgegengehalten werden kann,
er habe sich durch die Entgegennahme des Pfandes implicite verpflichtet,
sich in erster Linie an dieses zu halten. Der Geschädigte, dem lediglich
ein Pfandrecht nach Art. 60 VVG zusteht, hat anders als der Inhaber
eines vertraglich begründeten Pfandrechts auf den Umfang des Pfandes
keinerlei Einfluss. Kann hieraus auch nicht geradezu abgeleitet werden,
dass dem haftpflichtversicherten Schädiger die Anrufung von Art. 41
Abs. 1 SchKG überhaupt verschlossen sei (wie dies gemäss BGE 76 III
24 ff. für den Mietzinsschuldner zutrifft, solange der Vermieter kein
Retentionsverzeichnis aufnehmen lässt), so ist der erwähnte Umstand
doch mit ein Grund dafür, das durch diese Bestimmung gewährte beneficium
excussionis realis auf den Teil der Forderung zu beschränken, für den der
als Pfand haftende Ersatzanspruch des Schädigers gegen den Versicherer
bestenfalls Deckung bietet.

    Im vorliegenden Falle machen die drei betreibenden Gläubiger
mit Einschluss der in Betreibung gesetzten Beträge von Fr. 7616.--
gerichtlich eine Gesamtforderung von Fr. 181'404.-- geltend. Davon
sind unzweifelhaft höchstens Fr. 55'000. -(Fr. 50'000.-- Personen- und
Fr. 5000.-- Sachschaden) pfandgesichert. Also konnten die Gläubiger für
den darüber hinaus geforderten Betrag oder einen Teil davon ohne weiteres
die ordentliche Betreibung auf Pfändung oder Konkurs anheben.

    Die Gläubiger haben allerdings im Betreibungsbegehren nicht
ausdrücklich erklärt, dass sie den Betrag von Fr. 7616.-- mit den
vorliegenden Betreibungen als Teil ihrer die Pfanddeckung übersteigenden
Ansprüche geltend machen wollen. Die Tatsache, dass sie für diesen Betrag
die ordentliche Betreibung auf Pfändung oder Konkurs einleiteten, spricht
jedoch dafür, dass dies ihre Meinung sei. Geht man hievon aus, so konnte
sich der Schuldner den vorliegenden Betreibungen gegenüber nicht auf
Art. 41 Abs. 1 SchKG berufen, sondern hatte er nur die Möglichkeit,
durch Rechtsvorschlag zu bestreiten, dass eine die Pfanddeckung um
Fr. 7616.-- übersteigende Forderung bestehe. Das beneficium excussionis
realis könnte dem Schuldner aber auch dann nicht gewährt werden, wenn man
annähme, aus dem Vorgehen der Gläubiger ergebe sich nicht mit Sicherheit,
dass sie den Betrag von Fr. 7616.-- als Teil ihrer über die Pfanddeckung
hinausgehenden Ansprüche eintreiben wollen; denn auf jeden Fall lässt sich
diese Möglichkeit auf Grund der vorliegenden Akten nicht mit Sicherheit
ausschliessen, so dass dem Schuldner keinesfalls zugebilligt werden kann,
er habe in liquider Weise dargetan, dass die in Betreibung gesetzte
Forderung pfandgesichert sei. Falls kein Rechtsvorschlag erhoben wurde
oder der Rechtsvorschlag beseitigt werden kann, steht also der Fortsetzung
der vorliegenden Betreibungen nichts im Wege. Die Gläubiger müssen sich
jedoch davon Rechenschaft geben, dass ihr Vorgehen jedenfalls dann,
wenn sie es in diesen Betreibungen zur Pfändung und Verwertung oder
zur Konkurseröffnung kommen lassen, als endgültiger Verzicht auf die
Beanspruchung des Pfandrechts für den Betrag von Fr. 7616.-- zu werten
sein wird.

Entscheid:

Demnach erkennt die Schuldbetr.- u. Konkurskammer:

    Der Rekurs wird abgewiesen.