Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 86 III 124



86 III 124

30. Entscheid vom 22. September 1960 i.S. Konkursamt Riesbach- Zürich.
Regeste

    1.  Welche Verfügungen unterliegen dem Rekurs an das Bundesgericht
nach Art. 19 SchKG? (Erw. 1.)

    2.  Rekursbefugnis der Konkursverwaltung. (Erw. 2.)

    3.  Mit Vorbehalt der Vorschriften über die Bereinigung der
Konkurspassiven (Kollokation; Art. 250 SchKG und 66 KV) hat über
Führung eines Prozesses oder Abschluss eines Vergleiches in der Regel
die Gesamtheit der Gläubiger zu entscheiden. Kann es auch in einem
nicht dringlichen Falle die Konkursverwaltung ausnahmsweise von sich
aus tun? Jedenfalls dann nicht, wenn die Masse nach dem Vorschlag des
Gegners ohne Prüfung seiner Beweismittel auf einen Teil ihres streitigen
Anspruchs verzichten müsste. - Art. 207, 237 Abs. 3 Ziff. 3, 240, 243,
253 Abs. 2, 260 SchKG. (Erw. 3.)

Sachverhalt

    A.- Anlässlich des Konkurses der Conrad Sigg A.-G.  erteilte die
Verwaltungskommission des Obergerichts des Kantons Zürich dem Konkursamt
Riesbach-Zürich am 9. März 1960 die Weisung, "künftig in allen Fällen
sowohl die Frage der Geltendmachung als des Verzichts auf streitige
Ansprüche der Gläubigergesamtheit zu unterbreiten, sei es an der 2.
Gläubigerversammlung, sei es - bei fehlender Beschlussfähigkeit und im
summarischen Verfahren (hier ohne Aussonderungsansprüche, Art. 49 KV) -
auf dem Zirkularweg."

    B.- In dem vom nämlichen Konkursamt im summarischen Verfahren
durchzuführenden Konkurs der Firma Fluri & Cie ist streitig, ob
der Restbetrag eines Guthabens, das die Gemeinschuldnerin seinerzeit
einer Bank und hernach der Firma Hefti & Cie abgetreten hatte, nun zum
Konkursvermögen gehöre oder aber der zweiten Zessionarin zustehe. Die Bank
hat diesen Restbetrag von rund Fr. 1200.-- gemäss ihrer Abrechnung frei
gegeben, doch erhebt nun die erwähnte zweite Zessionarin darauf Anspruch,
mit der Begründung, die ihr erteilte Zession enthalte eine Abtretung auf
den Überschuss.

    C.- Das Konkursamt hat diesen Sachverhalt der Verwaltungskommission
des Obergerichts unterbreitet, um mit der Firma Hefti & Cie "in eigener
Kompetenz", ohne Befragung der Konkursgläubiger, einen Vergleich
abschliessen zu können. Es hält die Ansprache der erwähnten Firma zwar
nicht für begründet: "Hefti & Cie nehmen offenbar an, die Zession an die
Bank sei bedingter Natur; bis heute konnten aber keine Anhaltspunkte dafür
gegeben werden." Dennoch erscheine es für die Konkursmasse als vorteilhaft,
das Vergleichsangebot der Ansprecherin, die sich mit einem Teilbetrag von
Fr. 700.-- begnügen würde, anzunehmen. Die Firma knüpfe dieses Angebot
jedoch an die Bedingung, dass die Konkursverwaltung es vorbehaltlos
annehme, ohne darüber einen Gläubigerbeschluss herbeizuführen. Das
Konkursamt hält dies - entgegen der Weisung der Oberbehörde vom 9. März
1960 - für zulässig. Es weist ausserdem auf die ungefähr Fr. 200.--
betragenden Kosten eines Zirkulars an die Gläubiger hin und bezeichnet
einen solchen Aufwand als ungerechtfertigt. Der Antrag an die Oberbehörde
lautet:

    "Sie möchten im Hinblick auf die in Ihrer Anweisung enthaltene
Wendung "künftig in allen Fällen" präzisieren, dass die Anweisung nicht
in absolutem Sinne gilt, sondern dass auf den Einzelfall abzustellen ist,
und dass insbesondere der vorgenannte Fall Fluri & Cie nicht unter jene
Anweisung (zur Befragung der Gläubiger) fällt."

    D.- Mit Bescheid vom 24. August 1960 hat die angegangene Behörde die
nachgesuchte Erlaubnis nicht erteilt. Der Bescheid führt aus, ob die
Zustimmung der Gläubiger zum Abschluss des vorgeschlagenen Vergleichs
erforderlich sei, hange einzig von den gesetzlichen Bestimmungen ab. Eine
von der Gegenpartei gestellte Bedingung könne daran nichts ändern. Die
Behörde halte an ihrer Weisung vom 9. März 1960 fest. Es habe dabei
nicht die Meinung, ein Gläubigerbeschluss sei nur in bedeutsameren
Fällen erforderlich. Übrigens sei der in Frage stehende Anspruch nicht
geringfügig.

    E.- Gegen diesen Bescheid hat das Konkursamt Riesbach-Zürich namens der
Konkursmasse F. Fluri & Cie an das Bundesgericht rekurriert mit dem Antrag
auf Feststellung, "dass wir für die Geltendmachung des eingangs genannten
streitigen Anspruches durch die Masse keinen Gläubigerbeschluss benötigen."

Auszug aus den Erwägungen:

    Die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Allgemeine Weisungen, die eine kantonale Aufsichtsbehörde einem
oder mehreren, allenfalls sämtlichen ihm unterstellten Ämtern erteilt,
haben grundsätzlich nicht als weiterziehbare Entscheide im Sinne des
Art. 19 SchKG zu gelten (BGE 35 I 478/79 = Sep.-Ausg. 12 S. 98/99;
BGE 82 III 77 Erw. 6 und 83 III 3). Anders verhält es sich jedoch, wenn
die Aufsichtsbehörde, sei es auch ohne mit einer Beschwerde oder einem
Rekurs befasst zu sein oder ausserhalb der mit einem solchen Rechtsmittel
gestellten Anträge, kraft ihres Aufsichtsrechtes (Art. 13 SchKG) in ein
hängiges Vollstreckungsverfahren eingreift (BGE 43 III 279). Das trifft
hier zu; denn die Vorinstanz hat auf Gesuch der Konkursverwaltung eine
bestimmte Anordnung getroffen, nämlich die Konkursverwaltung angewiesen,
das Vergleichsangebot der Firma Hefti & Cie der Gläubigergesamtheit durch
Zirkular zur Beschlussfassung zu unterbreiten.

Erwägung 2

    2.- Um Interessen der Konkursmasse, d.h. der Gesamtheit der Gläubiger,
zu verfechten, steht der Konkursverwaltung das Recht zu Beschwerde und
Rekurs zu (BGE 75 III 21 Erw. 1). Im vorliegenden Rekurs wird geltend
gemacht, der angefochtene Bescheid verletze solche Interessen in
gesetzwidriger Weise. Somit ist auf den Rekurs einzutreten.

Erwägung 3

    3.- Die Vorinstanz ist der Ansicht, über die gerichtliche
Geltendmachung von Ansprüchen der Konkursmasse und ebenso über
den Abschluss von Vergleichen über solche Ansprüche habe stets
die Gläubigergesamtheit zu beschliessen, sei es in der zweiten
Gläubigerversammlung, sei es (was im summarischen Verfahren die Regel
bildet, Art. 96 lit. a KV) auf dem Zirkularwege. Die Konkursverwaltung
ist damit einverstanden, dass ein Verzicht nur von der Gläubigergesamtheit
beschlossen werden könnte (mit Vorbehalt von Abtretungen gemäss Art. 260
SchKG). Sie hält jedoch dafür, die gerichtliche Geltendmachung und
ebenso der Abschluss eines Vergleiches, sei es im Prozess oder auch
schon vor dessen Anhebung, stehe ihr in eigener Kompetenz zu. Diese
Frage braucht indessen hier nicht näher geprüft zu werden. Zu bemerken
ist dazu nur, dass jedenfalls normalerweise Veranlassung besteht, die
Frage der gerichtlichen Geltendmachung von Ansprüchen und auch eines
Vergleichsabschlusses der Gläubigergesamtheit zu unterbreiten, wie dies
Art. 207 SchKG für die schon vor Konkurseröffnung hängig gewordenen, die
Konkursmasse berührenden Rechtssachen "mit Ausnahme dringlicher Fälle"
ausdrücklich vorschreibt. Das obligatorische Konkursformular Nr. 5 sieht im
übrigen ganz allgemein die "Erteilung von Prozessvollmacht" als Traktandum
der (ersten oder zweiten) Gläubigerversammlung vor. Und wenn nach Art. 237
Abs. 3 Ziff. 3 SchKG die Gläubigerversammlung einem allfällig ernannten
Gläubigerausschuss die Befugnis zum Abschluss von Vergleichen erteilen
kann (worauf die für Kollokationsprozesse geltende Vorschrift des Art. 66
Abs. 3 KV Bezug nimmt), so geht das Gesetz offensichtlich davon aus,
jedenfalls in der Regel habe die Gläubigerversammlung selbst (bezw. die
Gläubigergesamtheit durch Zirkularbeschluss) über den Abschluss eines
Vergleiches zu befinden. Nichts Abweichendes folgt aus Art. 240 SchKG,
wonach die Konkursverwaltung die Masse vor Gericht vertritt. Dies
hat eben auch dann zu geschehen, wenn die Prozessführung von der
Gläubigerversammlung beschlossen worden ist, und besagt nichts darüber,
ob und wann die Konkursverwaltung aus eigenem Entschluss gerichtlich
vorgehen dürfe. Art. 243 Abs. 1 SchKG bezieht sich sodann ausdrücklich
nur auf unbestrittene fällige Guthaben der Masse und fasst keine andern
rechtlichen Massnahmen als Betreibungen ins Auge (mit Einschluss der
Einleitung betreibungsrechtlicher Zwischenverfahren, namentlich auf
Rechtsöffnung; vgl. A. ZIEGLER in BlSchK 4 S. 71). Daraus endlich,
dass Abtretungen nach Art. 260 SchKG nur zulässig sind nach einem von
der Gläubigergesamtheit für die Masse beschlossenen Verzicht, lässt
sich nicht folgern, der Entschluss zur Prozessführung durch die Masse
brauche dagegen überhaupt nicht von der Gläubigergesamtheit (durch
Mehrheitsbeschluss) gefasst zu werden. Vielmehr kann sich angesichts
der umfassenden Entscheidungsbefugnis der zweiten Gläubigerversammlung
(Art. 253 Abs. 2 SchKG) nur fragen, ob der Konkursverwaltung ein gewisses
Ermessen zustehe, von der Herbeiführung eines Gläubigerbeschlusses auch
in nicht dringlichen Fällen (wie der vorliegende einer ist, nach der
einleuchtenden Begründung der Vorinstanz) dann abzusehen, wenn sie des
Erfolges sicher ist und die für das geplante Vorgehen erforderlichen
Mittel vorhanden sind. Selbst wenn man aber von einem solchen Ermessen
der Konkursverwaltung ausgeht, lässt sich die vorinstanzliche Anordnung
nicht beanstanden. Denn die Aufsichtsbehörde konnte und musste ihr eigenes
Ermessen bei der ihr anheim gegebenen Entscheidung walten lassen. Und
rechtswidrig war es keineswegs, die Gläubigerbefragung anzuordnen.

    Im übrigen kann der Vergleichsabschluss, wie ihn die Konkursverwaltung
vorhat, unter den gegebenen Umständen nicht als ernstliche Geltendmachung
des streitigen Anspruches gelten. Freilich ist die gütliche Beilegung
eines Streitfalles, zumal nach Beweisführung im gerichtlichen Verfahren,
grundsätzlich als eine Art der Geltendmachung des Anspruches zu betrachten.
Man hat es hiebei - abgesehen von Kollokationsstreitigkeiten, wofür die
besondern Vorschriften des Art. 66 KV gelten - nicht mit einem Verzicht
im Sinne des Art. 260 SchKG zu tun. Die Gläubigergesamtheit kann daher
einem solchen Vergleich auch ohne Vorbehalt von Abtretungen an einzelne
Gläubiger zustimmen (BGE 52 III 67 unten; bisweilen wird gleichwohl
die Möglichkeit von Abtretungen vorbehalten, etwa in der Weise, dass
dahingehenden Begehren nur bei Sicherstellung des der Masse nach dem
Vergleich zukommenden Betreffnisses entsprochen werde; vgl. BGE 67 II
100, 78 III 138). Im vorliegenden Falle gedenkt die Konkursverwaltung nun
aber den grössern Teil der streitigen Forderung von Fr. 1200.--, nämlich
Fr. 700.--, kampflos, und ohne auch nur die gegnerischen Akten einzusehen
und zu prüfen, preiszugeben, obwohl nach ihren eigenen Ausführungen in
der Eingabe an die Vorinstanz und in der Rekursschrift (S. 2) für die
"offenbare" Annahme der Gegnerin, die vorausgegangene Zession an die
Bank sei bedingter Natur, "bis heute keine Anhaltspunkte gegeben werden
konnten". Es liegt somit ein reiner (Teil-) Verzicht vor, wie ihn auf
alle Fälle nur die Gläubigergesamtheit, und auch sie nur unter Vorbehalt
von Abtretungen nach Art. 260 SchKG, aussprechen darf (BGE 71 III 137
Erw. 2). Vollends ist bei dieser Sachlage nicht einzusehen, wieso in der
auf Wahrung der Gläubigerrechte abzielenden Entscheidung der Vorinstanz
eine Beschwerung eben der Gläubigergesamtheit und damit der Konkursmasse
liegen soll. Vielmehr hätte jeder einzelne Gläubiger Grund gehabt, eine
gegenteilige Entscheidung anzufechten.

Entscheid:

Demnach erkennt die Schuldbetr.- u. Konkurskammmer:

    Der Rekurs wird abgewiesen.