Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 85 I 52



85 I 52

7. Urteil vom 6. Mai 1959 i.S. Dr. W. Ochsner & Konsorten gegen Kantonsrat
Schwyz. Regeste

    Art. 88 OG. Fehlen der Legitimation zur Anfechtung der
Privilegierunrung Dritter durch kantonalen Erlass.

Auszug aus den Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- Das in der Volksabstimmung vom 7. Dezember 1958 angenommene
Steuergesetz des Kantons Schwyz bestimmt in § 6 Abs. 1:

    "Wenn es bedeutende volkswirtschaftliche oder fiskalische Interessen
rechtfertigen, die Gründung, Heranziehung oder Erweiterung eines
Unternehmens oder die Wohnsitznahme natürlicher Personen im Kanton Schwyz
zu erleichtern, kann der Regierungsrat angemessene Steuerermässigungen
auf die Dauer von längstens 10 Jahren gewähren."

    Im Anschluss an die Publikation des Abstimmungsergebnisses über
das Gesetz beantragen Dr. W. Ochsner, Dr. A. Blunschy und Karl Amgwerd
dem Bundesgericht, in § 6 Abs. 1 StG die Worte "oder die Wohnsitznahme
natürlicher Personen" aufzuheben. Es wird Verletzung von Art. 4 BV
geltend gemacht.

Erwägung 2

    2.- Die staatsrechtliche Beschwerde setzt nach Art. 88 OG die
Verletzung des Beschwerdeführers in einem unmittelbar ihm zustehenden
verfassungsmässigen Individualrecht voraus. Richtet sie sich gegen einen
allgemein verbindlichen Erlass, so genügt für die Legitimation des Bürgers,
dass der Erlass auch für ihn verbindliche Kraft hat, in Verbindung mit der
Behauptung, dass dieser nach seinem Inhalt allgemein in verfassungsmässig
gewährleistete Rechte eingreife. Es wird also hier nicht verlangt, dass
ein gegenwärtiger Eingriff speziell in die persönliche Rechtsstellung des
Beschwerdeführers nachgewiesen werde, sondern es genügt die Verbindlichkeit
des Erlasses für den Beschwerdeführer, und dass er virtuell darunter
fällt. So ist die Legitimation des Beschwerdeführers zur Anfechtung eines
Steuergesetzes bejaht worden, der infolge seines Wohnsitzes im Kanton unter
das Steuergesetz fiel und durch dessen Vorschriften gegebenenfalls zu einer
bundesrechtlich unzulässigen Steuer hätte herangezogen werden können;
als unerheblich wurde bezeichnet, ob die angefochtenen Bestimmungen für
den Beschwerdeführer im gegenwärtigen Zeitpunkt praktische Bedeutung haben
oder nicht (BGE 48 I 265). Die Legitimation wurde auch bejaht bei einer
Beschwerde eines Wasserrechtsinhabers gegen einen allgemein verbindlichen
Erlass über die Nutzbarmachung der Wasserkräfte, und es wurde präzisiert,
dass das Eintreten auf die Beschwerde mangels eines praktischen Interesses
an der Anfechtung nur verweigert werden könnte, wo es nach der Materie,
die der Erlass regelt, von vorneherein ausgeschlossen wäre, dass der
Beschwerdeführer vom angeblichen Eingriff einmal persönlich berührt werden
könnte (BGE 48 I 594).

Erwägung 3

    3.- Wegen rechtswidriger Begünstigung Dritter liess das Bundesgericht
früher die Beschwerde des Bürgers oder Steuerzahlers u.a. wegen
Steuerbegünstigungen zu (BGE 10, 313; 23, 1565; 30, 718), ebenso bei
Zulassung oder Nichtzulassung eines Dritten zu einem Gewerbe oder Beruf,
wenn dieser eine polizeiliche Bewilligung voraussetzte (BGE 46 I 378). Die
neuere Praxis hat nicht bloss die Beschwerde zur Anfechtung polizeilicher
Bewilligungen nicht mehr zugelassen (BGE 72 I 92, 178); sie hat auch die
Beschwerde gegen konkrete Verfügungen wegen widerrechtlicher Begünstigung,
Privilegierung Dritter als nicht zulässig bezeichnet (BGE 48 I 225,
Erw. 2 und 3, nicht publiziertes Urteil vom 1. Mai 1936 i.S. Brasserie
d'Orbe, Erw. 1). Diese Praxis blieb zwar nicht unbestritten (HUBER,
Die Garantie der individuellen Verfassungsrechte, Verhandlungen des
Schweiz. Juristenvereins 1936, S. 181a f. lit. b; EGGENSCHWILER, Die
rechtliche Natur des staatsrechtlichen Rekurses, 1936, S. 101). Sie geht
aber von der Auffassung aus, dass sich wegen Verfassungsverletzung nur
beschweren kann, wer durch einen behördlichen Erlass oder eine Verfügung in
seinen rechtlich geschützten Interessen unmittelbar beeinträchtigt wird,
dass also die Rüge nicht genügt, durch Erlass oder Verfügung werde ein
verfassungsmässiger Grundsatz missachtet. Hieran ist auch in der Folge
konsequenter als früher festgehalten worden, nicht nur bezüglich der
Anfechtung polizeilicher Bewilligungen, sondern auch bei der Rüge der
Verletzung der Gemeindeautonomie (BGE 71 I 23), bei der Legitimation des
Steuerzahlers, der eine finanzielle Massnahme der Gemeinde anficht, mit
der die Möglichkeit der Erschwerung der Steuerlasten verbunden ist, bei
der Legitimation des Anzeigers oder Geschädigten im Strafverfahren (BGE 69
I 90, 70 I 79), oder der Beschwerde gegen vormundschaftliche Verfügungen.

    Wenn sich die bisherigen Urteile, welche die Beschwerde wegen
Privilegierung Dritter nicht mehr zulassen, auf Fälle beziehen, wo nicht
ein Erlass, sondern eine Anwendungsverfügung Gegenstand der Beschwerde war,
die Vergünstigung also in Abweichung vom Gesetz erteilt wurde, so ist die
Rechtslage doch nicht grundsätzlich anders, wenn sich die Beschwerde gegen
einen generellen Erlass richtet. Auch sie ist von einer Rechtsverletzung
gegenüber dem Beschwerdeführer abhängig. Es genügt auch hier nicht die
Rüge, der Erlass missachte allgemein eine verfassungsmässige Norm. Vielmehr
ist notwendig, dass der Beschwerdeführer durch den Erlass betroffen
würde und daher an dessen Aufhebung in besonderer Weise interessiert
ist. Sind es die Interessen der Gemeinschaft, die in Frage stehen und
ist der Beschwerdeführer nicht anders interessiert, als jeder andere
Angehörige des Kantons, so haben die kantonalen Organe, bei Erlassen
also der kantonale Gesetzgeber selbst diese Gemeinschaftsinteressen zu
wahren. Dem einzelnen Staatsbürger kommt ein Beschwerderecht aus dem
Gesichtspunkt nicht richtiger oder ungenügender Wahrung jener Interessen
nicht zu. Es genügt nicht, dass er zwar unter den Erlass als Ganzes fällt,
wenn die Norm, die er als verfassungswidrig bezeichnet, nicht auf ihn
angewendet werden kann.

    Dass bei dieser Sachlage die Rechtsgleichheit auf einzelnen Gebieten,
u.a. auch auf demjenigen des Steuerrechtes teilweise unbeachtet bleibt,
weil die Einräumung von Privilegien überhaupt nicht der Anfechtung mit
Beschwerde unterliegt, sodass also nicht bloss eine staatliche Anstalt
oder eine andere Körperschaft des öffentlichen Rechts, sondern auch eine
Privatperson durch Privileg oder Steuerabkommen von der sonst allgemein
geltenden Steuerpflicht ausgenommen werden kann, ist eine Folge der
Ausgestaltung der staatsrechtlichen Beschwerde nicht als Popularklage,
sondern als Rechtsbehelf zur Wahrung von dem Beschwerdeführer persönlich
zustehenden verfassungsmässigen Rechten.

Erwägung 4

    4.- Durch die Vorschrift des schwyzerischen Steuergesetzes, mit
welcher dem Regierungsrat die Kompetenz eingeräumt wird, unter gewissen
Voraussetzungen auch natürlichen Personen Steuervergünstigungen zu
gewähren, wenn sie im Kanton Wohnsitz nehmen, werden die Beschwerdeführer,
wiewohl sie steuerpflichtige Kantonseinwohner sind, weder im Anspruch auf
rechtsgleiche Behandlung, noch in demjenigen, nach Massgabe des Gesetzes
besteuert zu werden (§ 16 Abs. 1 schwyz. KV), verletzt. Die beanstandeten
Vorschriften des Steuergesetzes werden auf sie nicht angewendet; ihr
Interesse, dass natürlichen Personen keine Steuerprivilegien gewährt
werden sollen, ist nicht von anderer Art als das Interesse jedes anderen im
Kanton Schwyz Steuerpflichtigen. Es ist das öffentliche Interesse daran,
dass im Gebiete des Steuerwesens keine Privilegien eingeräumt werden
sollten. Es könnte aber nur mit einer Popularklage geltend gemacht werden.

Entscheid:

               Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Auf die Beschwerde wird nicht eingetreten.