Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 85 I 282



85 I 282

46. Urteil vom 2. Dezember 1959 i.S. D. gegen R. und Appellationsgericht
des Kantons Basel-Stadt. Regeste

    Art. 89 OG. Beschwerdefrist bei Zulassung zum Eid.

    Das "bedingte Urteil" im Sinne des § 160 der baselstädtischen ZPO
umfasst einen Beweisbescheid auf Abnahme eines Beweismittels (Eid,
Handgelübde) einerseits, ein alternatives Sachurteil auf Gutheissung
oder Abweisung der Klage anderseits. Mit Bezug auf den Beweisbescheid
läuft die Beschwerdefrist von der Eröffnung des "bedingten Urteils" an,
mit Bezug auf das Sachurteil von dem Zeitpunkt an, da der vorbehaltene
Beweis geleistet bzw. nicht erbracht worden ist.

Sachverhalt

    Margrit R. (Klägerin I) und ihr Kind Karin erhoben gegen Werner
D. die Vaterschaftsklage. Dieser bestritt, der Erstgenannten während der
kritischen Zeit beigewohnt zu haben; er erhob ferner Einreden im Sinne
von Art. 314 Abs. 2 und Art. 315 ZGB.

    Das Zivilgericht Basel-Stadt wies die Klage ab. Es führte dazu
aus, die vorliegenden Anhaltspunkte liessen nicht mit Sicherheit darauf
schliessen, dass es zur behaupteten Zeit zum Geschlechtsverkehr zwischen
dem Beklagten und der Klägerin I gekommen sei; sie vermöchten dies jedoch
wahrscheinlich zu machen, so dass es sich grundsätzlich rechtfertige, die
Klägerin I gemäss § 139 ZPO zum Ergänzungseid zuzulassen, falls sie die
persönlichen Voraussetzungen dazu erfülle. Das treffe indes nicht zu. Da
ihr Leumund getrübt sei, sei sie vom Ergänzungseid auszuschliessen. Die
Klage sei deshalb mangels Nachweises der Beiwohnung abzuweisen.

    Die Klägerinnen zogen dieses Urteil an das Appellationsgericht weiter.
Dieses würdigte die Indizien für die behauptete Beiwohnung gleich wie
die erste Instanz. Im Gegensatz zu dieser erachtete es aber die Klägerin
I als eideswürdig. Es erkannte demgemäss mit Urteil vom 27. Februar 1959:

    "Sofern die Klägerin I unter Handgelübde an Eidesstatt erklärt,
dass sie in der Zeit vom 29. November 1954 bis zum 29. März 1955 mit
dem Beklagten und ausschliesslich mit ihm geschlechtlich verkehrt hat,
wird dieser verurteilt zur Zahlung von Fr. 600. - an die Klägerin I sowie
eines monatlich vorauszahlbaren Unterhaltsbeitrags an die Klägerin II
von Fr. 75. vom Tag der Geburt bis zum vollendeten 12. Altersjahr und
von Fr. 90. - bis zum vollendeten 18. Altersjahr. .....

    .....

    .....

    Leistet die Klägerin I das Handgelübde nicht, so wird die Klage
abgewiesen."

    Dieses Urteil wurde den Parteien am 13. April 1959 eröffnet. Am
12. Juni 1959 legte die Klägerin I das Handgelübde ab.

    Werner D. reichte am 13. Juli 1959 staatsrechtliche Beschwerde
wegen Verletzung des Art. 4 BV ein mit dem Antrag, es sei das Urteil
des Appellationsgerichts aufzuheben. Er wendet ein, dieses habe
in aktenwidriger Weise angenommen, die Klägerin I sei eideswürdig;
entgegen der Rechtssprechung des Bundesgerichts habe es den Ausschluss des
Mehrverkehrs in das Handgelübde aufgenommen; es hätte die Klage überdies
auch auf Grund von Art. 314 Abs. 2 und Art. 315 ZGB abzuweisen gehabt.

    Margrit R. und ihr Kind Karin schliessen auf Abweisung der
Beschwerde. Das Appellationsgericht des Kantons Basel-Stadt hat sich im
nämlichen Sinn vernehmen lassen.

Auszug aus den Erwägungen:

              Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Gemäss Art. 89 OG ist die staatsrechtliche Beschwerde binnen
dreissig Tagen, von der nach dem kantonalen Recht massgebenden
Eröffnung oder Mitteilung des angefochtenen Entscheids an gerechnet,
dem Bundesgericht einzureichen. Das angefochtene Urteil des
Appellationsgerichts wurde am 27. Februar 1959 gefällt; es wurde den
Parteien am 13. April 1959 eröffnet, worin die nach dem kantonalen Recht
massgebende Mitteilung zu erblicken ist (§ 240 Abs. 1 in Verbindung
mit §§ 163-165 des baselstädtischen ZPO). Das im Urteil vorbehaltene
Handgelübde an Eidesstatt legte die Beschwerdegegnerin Margrit R. am
12. Juni 1959 ab. Die staatsrechtliche Beschwerde wurde am 13. Juli 1959
erhoben. Da der 12. Juli 1959 ein Sonntag war (Art. 32 Abs. 2 OG), ist
die staatsrechtliche Beschwerde rechtzeitig eingereicht worden, wenn die
dreissigtägige Beschwerdefrist erst von der Leistung des Handgelübdes an zu
laufen begann. Lief die Frist dagegen von der am 13. April 1959 erfolgten
Eröffnung des angefochtenen Urteils an, so ist die Beschwerde verspätet.

Erwägung 2

    2.- Nach § 160 Abs. 1 der baselstädtischen ZPO kann ein Urteil
bedingt gefällt werden in der Weise, "dass eine Partei abgewiesen oder
verurteilt wird, falls sie nicht binnen einer ihr festzusetzenden Frist
einen im Urteil anzugebenden Beweis beibringe oder antrete". Der Beweis
kann namentlich in der Eidesleistung oder der Ablegung des Handgelübdes
bestehen. "Wenn eine Partei für ihre Behauptungen zwar etwelchen, aber nach
des Richters Ermessen nicht hinlänglichen Beweis beigebracht hat, oder
wenn sonst Wahrscheinlichkeitsgründe ihrem Vorbringen zur Seite stehen",
kann nach § 139 Abs. 1 ZPO "je nach Gestalt der Umstände und dem Leumden
der betreffenden Person der beweispflichtigen Partei der Ergänzungseid
... auferlegt werden, dessen Inhalt genau im Urteil anzugeben ist". An
Stelle des förmlichen Eids tritt in minder wichtigen und nicht besonders
zweifelhaften Fällen das Handgelübde an Eidesstatt (§ 139 Abs. 2 ZPO). In
appellablen Fällen ist der auferlegte Eid oder das Handgelübde erst zu
leisten, wenn das bedingte Urteil in Rechtskraft erwachsen ist (§§ 140
und 223 Abs. 2 ZPO). Die kantonalrechtliche Appellation ist demgemäss auch
gegen bedingte Urteile zulässig (§ 220 Abs. 1 ZPO); die Appellationsfrist
läuft auch dann, wenn in einem bedingten Urteil noch zur Vornahme einer
Handlung eine Frist gesetzt ist, schon vom Tage der Urteilseröffnung an
(§ 223 Abs. 1 ZPO).

    Das bedingte Urteil im Sinne des § 160 ZPO schliesst demnach zwei
verschiedene Bestandteile in sich: einen Beweisbescheid auf Abnahme
des Eides bzw. Handgelübdes einerseits, ein Sachurteil anderseits. Der
Beweisbescheid als solcher wird unbedingt ausgesprochen. Das Sachurteil
dagegen wird bedingt erlassen: für den Fall, dass die beweispflichtige
Partei den Eid oder das Handgelübde leistet, wird die Klage grundsätzlich
gutgeheissen, für den gegenteiligen Fall wird sie abgewiesen. Welche der
beiden alternativ getroffenen Entscheidungen Gültigkeit erlangen wird,
hangt vom Eintritt einer Bedingung ab, deren Verwirklichung ganz in
die Hand einer Partei gelegt wird. Eines weiteren Zutuns des Gerichts
bedarf es nicht, da der Eid und das Handgelübde gemäss §§ 139 ff. der
baselstädtischen ZPO formale Beweismittel sind, denen von Gesetzes wegen
volle Beweiskraft zukommt, und die der freien Beweiswürdigung des Richters
entzogen sind (BGE 85 II 175/76). Dass der Eid und das Handgelübde vor
dem Gericht abzulegen sind (§§ 142 und 143 ZPO), ändert daran nichts:
Das Gericht hat dem bereits gefällten Urteil nichts beizufügen; es
enthält sich auch einer autoritativen Feststellung darüber, ob der im
Urteil vorbehaltene Beweis erbracht worden sei. Das bedingte Urteil ist
demzufolge ein Endentscheid, das heisst ein Entscheid, der das Verfahren
abschliesst (BGE 76 I 393 Erw. 3, 80 I 308 Erw. 2, 82 I 147).

Erwägung 3

    3.- Gegenstand der staatsrechtlichen Beschwerde kann nur der Hoheitsakt
einer kantonalen Behörde sein (Art. 84 Abs. 1 OG; BIRCHMEIER, Handbuch, S.
310; GIACOMETTI, Die Verfassungsgerichtsbarkeit des Schweizerischen
Bundesgerichts, S. 95). Das bedingte Urteil im Sinne des § 160 der
baselstädtischen ZPO stellt einen solchen Hoheitsakt dar, während die
Ablegung des darin vorbehaltenen Eides oder Handgelübdes ungeachtet
der Folgen, die sich daran knüpfen, lediglich Prozesshandlung eines
Privaten ist. Die vorliegende staatsrechtliche Beschwerde richtet
sich zutreffenderweise gegen das Urteil des Appellationsgerichts vom
27. Februar 1959 und nicht gegen die Leistung desHandgelübdes durch
dieBeschwerdegegnerin Margrit R. am 12. Juni 1959.

Erwägung 4

    4.- Wie in Erw. 1 dargelegt, ist die staatsrechtliche Beschwerde
gemäss Art. 89 OG binnen dreissig Tagen, von der nach dem kantonalen
Recht massgebenden Mitteilung oder Eröffnung des angefochtenen Entscheids
an gerechnet, dem Bundesgericht einzureichen. Diese Regel kann indes
nur Platz greifen, wenn im Zeitpunkt der Mitteilung oder Eröffnung
des Entscheids feststeht, was die kantonale Instanz zu Recht erkannt
hat. Das trifft nicht zu, wenn diese für den Fall der Erbringung eines
vorbehaltenen Beweises die Gutheissung, für den Fall der Nichterbringung
dagegen die Abweisung der Klage ausspricht. Welche der beiden alternativ
getroffenen Entscheidungen Gültigkeit erlangt, ergibt sich erst, wenn der
nachzubringende Beweis geleistet oder innert der hierzu angesetzten Frist
nicht angetreten wird. Unter diesen Umständen kann die Beschwerdefrist
nicht vor dem Eintritt der genannten Bedingung zu laufen beginnen, da
bis dahin offen bleibt, welche Partei durch das Urteil beschwert und
somit zur staatsrechtlichen Beschwerde legitimiert ist (Art. 88 OG),
und gegen welche der alternativ getroffenen Entscheidungen sich dieses
Rechtsmittel wenden muss (Art. 90 Abs. 1 OG).

    Liegt ein bedingtes Urteil im Sinne des § 160 der baselstädtischen
ZPO vor, so läuft die dreissigtägige Beschwerdefrist des Art. 89 OG für
die staatsrechtliche Beschwerde gegen das darin enthaltene Sachurteil
mithin von dem Tage an, da der im Entscheid vorbehaltene Eid oder das
Handgelübde abgelegt worden ist bzw. abzulegen gewesen wäre. Es besteht
insofern Übereinstimmung mit der Ordnung, die für die gleichfalls gegen
das Sachurteil gerichtete Berufung an das Bundesgericht gilt. Weil dieses
Rechtsmittel nur gegen einen Endentscheid gegeben ist, der den materiellen
Rechtsstreit unbedingt erledigt (BGE 68 II 327 mit Verweisung), ist die
Berufungsfrist erst von dem Zeitpunkt an zu berechnen, da der vorbehaltene
Beweis geleistet oder nicht erbracht worden ist und damit eine der im
Sachurteil alternativ getroffenen Entscheidungen unbedingte Gültigkeit
erlangt hat.

    Anders verhält es sich, wenn sich die staatsrechtliche Beschwerde
gegen den im bedingten Urteil enthaltenen Beweisbescheid auf Abnahme
des Eides oder Handgelübdes richtet. Dieser Bescheid wird unbedingt
erlassen. Die darin ausgesprochene Zulassung zum Eid oder zum Handgelübde
schliesst wegen der formellen Natur dieser Beweismittel (BGE 85 II 175/76)
für die zugelassene Partei einen beweisrechtlichen Vorteil in sich, dem
ein entsprechender Nachteil für die Gegenpartei gegenübersteht. Dieser
Nachteil wird durch den behördlichen Bescheid begründet. Das Bundesgericht
ist deshalb in ständiger Rechtsprechung davon ausgegangen, dass die
Partei, gegen deren Antrag die Abnahme des Eides oder Handgelübdes
angeordnet worden ist, schon durch diese Anordnung und nicht erst durch
die Abnahme des Beweises rechtlich beschwert wird (nicht veröffentlichte
Urteile vom 20. Juli 1927 i.S. Uster, vom 8. Februar 1930 i.S. Bonani,
vom 19. Februar 1937 i.S. Meyer, vom 9. Juli 1952 i.S. Soldati und vom
10. Juni 1953 i.S. Bossart). Ist dem aber so, dann steht der unmittelbaren
Anwendung des Art. 89 OG nichts im Wege; die Frist für die Einreichung
der staatsrechtlichen Beschwerde gegen den Beweisbescheid läuft somit
von der Eröffnung des bedingten Urteils an.

Erwägung 5

    5.- Im vorliegenden Falle richtet sich die Haupteinwendung des
Beschwerdeführers gegen die im Urteil des Appellationsgerichts angeordnete
Abnahme des Handgelübdes. Die Beschwerde wäre in diesem Punkte nach
dem Gesagten innert dreissig Tagen von der am 13. April 1959 erfolgten
Eröffnung des Urteils an einzureichen gewesen. Da sie erst am 13. Juli
1959 erhoben wurde, kann sie insoweit, weil verspätet, nicht an Hand
genommen werden.

    In seinen weiteren Ausführungen beklagt sich der Beschwerdeführer
über eine Verletzung der Art. 314 Abs. 2 und Art. 315 ZGB. Es wendet sich
hierbei gegen das Sachurteil. Die Frist für die Anfechtung dieses Teils
des bedingten Urteils ist von der Abnahme des Handgelübdes am 12. Juni
1959 an zu berechnen. Die Beschwerde erweist sich darum in diesem Punkte
als rechtzeitig. Es ist jedoch aus andern Gründen nicht darauf einzutreten.
Sollten die Art. 314 Abs. 2 und Art. 315 ZGB missachtet worden sein, so war
das als Verletzung von Bundesrecht mit der Berufung an das Bundesgericht
geltend zu machen (Art. 43 OG). Die staatsrechtliche Beschwerde, die
subsidiärer Natur ist, steht dafür nicht offen (Art. 84 Abs. 2 OG). Wohl
könnte der Beschwerdeführer mit diese m Rechtsmittelbeanstanden, das
Appellationsgericht habe mit Bezug auf die Einwendungen des Mehrverkehrs
und des unzüchtigen Lebesswandels kantonale Verfahrungsvorschriften in
einer gegen Art. 4 BV verstossenden Weise verletzt; er hat das indes nicht
behauptet. Der blosse Hinweis auf die "Scheidungsakten" ist unzulässig und
vermag die in der Beschwerdeschrift fehlende Begründung nicht zu ersetzen
(BGE 81 I 56 Erw. 1, 83 I 272 Erw. 2).

Entscheid:

               Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Auf die Beschwerde wird nicht eingetreten.