Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 85 I 217



85 I 217

35. Urteil vom 21. Oktober 1959 i.S. X. und Y. gegen Basel-Landschaft,
Kanton und Steuerrekurskommission. Regeste

    Kantonales Steuerrecht. Willkür.

    Besteuerung des auf Wertschriften des Privatvermögens erzielten
Kapitalgewinnes. Bestimmung des Gestehungswertes der bei einer Erbteilung
übernommenen Wertpapiere (Erwerbspreis des Erblassers oder Anrechnungswert
bei der Erbteilung).

Sachverhalt

    A.- Das Steuergesetz des Kantons Basel-Landschaft vom 7.  Juli 1952
(StG) enthält u.a. folgende Bestimmungen:

    a) im Abschnitt über die Einkommenssteuer: § 20.

    1Der Einkommenssteuer unterliegt das gesamte Einkommen, soweit es
davon nicht durch dieses Gesetz ausdrücklich ausgenommen ist.

    2Was eine Person als Erbschaft, Schenkung und dgl. ...  empfängt,
gilt nicht als Einkommen.

    3Soweit Grundstückgewinne durch die Grundstückgewinnsteuer erfasst
werden, unterliegen sie der Einkommenssteuer nicht. § 21.

    Zum Einkommen gehören insbesondere

    .....

    5. Gewinne, die aus beweglichem Vermögen entstehen, mit Einschluss
der Liquidationsgewinne. § 22.

    IAIs Vermögensgewinne gemäss § 21 Ziffer 5 gilt bei buchführenden
Unternehmungen .....

    2Bei nicht buchführenden natürlichen und juristischen Personen
entspricht die Höhe des Vermögensgewinnes der Differenz zwischen
Gestehungswert und Erlös. Lässt sich der Gestehungswert nicht
nachweisen, so gilt der durchschnittliche Marktwert des Erwerbsjahres
oder eine entsprechende Schätzung als Grundlage. Im übrigen sind für die
Bestimmung des Gestehungswertes und des Erlöses die Vorschriften über
die Grundstückgewinnst euer (§ 58) sinngemäss anwendbar.

    b) im Abschnitt über die Grundstückgewinnsteuer: § 56.

    1Wird ein Grundstück mit Gewinn veräussert, so hat der Veräusserer
eine Grundstückgewinnsteuer zu bezahlen.

    2Die Grundstückgewinnsteuer ist auch von Erbengemeinschaften im
Zeitpunkt der Erbteilung zu entrichten. § 58.

    1Als steuerbarer Gewinn gilt der den Gestehungswert übersteigende
Erlös.

    2Als Gestehungswert gilt allgemein der Preis, der für das Grundstück
bei der letzten entgeltlichen Handänderung vergütet werden musste, unter
Hinzurechnung der seitherigen wertvermehrenden Aufwendungen sowie der
Erwerbs- und der Verkaufsunkosten.

    .....

    4Ist ein Grundstück bei einer Erbteilung übernommen worden oder
an den Steuerpflichtigen durch Schenkung übergegangen, die Gegenstand
einer Ausgleichung bildet, so gilt als letzte entgeltliche Handänderung
die Erbteilung.

    B.- Der im Jahre 1956 im Kanton Baselland verstorbene X.  hinterliess
seinen Erben neben andern Wertpapieren auch Aktien Royal Dutch, die er
zum Durchschnittspreis von Fr. 67.60 je Stück erworben hatte. Von diesen
Aktien, die im amtlichen Nachlassinventar mit dem Kurswert des Todestages
von Fr. 183.-- eingesetzt sind, wurden bei der Erbteilung eine Anzahl von
der Witwe und von der Tochter Frau Y., beide im Kanton Baselland wohnhaft,
und der Rest von den übrigen, ausserhalb dieses Kantons wohnenden Erben
zum Inventarwert von Fr. 183.-- übernommen.

    Im Dezember 1956 verkaufte Witwe X. und im Jahre 1957 auch
Frau Y. einen Teil der übernommenen Aktien zum Preise von Fr. 180.39
bzw. Fr. 184.17 je Stück. Die Steuerverwaltung Baselland stellte diese
Erlöse dem vom Erblasser bezahlten Erwerbspreis von Fr. 67.60 gegenüber
und rechnete die Mehrbeträge als steuerbare Kapitalgewinne zum übrigen
Einkommen von Frau X. für 1956 bzw. des Ehemanns der Frau Y. für 1957
hinzu. Die Steuerpflichtigen erhoben hiegegen Einsprachen und nach
deren Abweisung Beschwerden, mit denen sie geltend machten, dass der
Übernahmewert von Fr. 183.-- als Gestehungswert zu betrachten sei und
demgemäss Frau X. keinen Kapitalgewinn und Frau Y. nur einen solchen von
Fr. ..... erzielt habe.

    Die Steuerrekurskommission Baselland wies beide Beschwerden am
24. Juni 1959 ab. Zur Begründung führte sie aus: Nach § 22 Abs. 2 StG
habe als steuerbarer Kapitalgewinn die Differenz zwischen Gestehungswert
und Erlös zu gelten. In einer Weisung zu dieser Vorschrift habe die
Finanzdirektion ausgeführt, dass bei der Erbteilung beweglichen Vermögens
(im Gegensatz zum unbeweglichen) keine Gewinnberechnung vorgenommen werde
und dass daher bei der späteren Veräusserung solchen Vermögens für die
Gewinnberechnung nicht der bei der Erbteilung angerechnete Wert, sondern
der vom Rechtsvorgänger bezahlte Preis als Gestehungswert zugrundezulegen
sei. Die angefochtenen Veranlagungen entsprächen dieser Weisung und dem §
22 StG. Die dort vorgeschriebene "sinngemässe" Anwendung von § 58 erheische
vorab die Verwirklichung des Grundsatzes, dass als Gestehungswert der
Preis der letzten entgeltlichen Handänderung gelte (§ 58 Abs. 2). Erbgang
und Erbteilung seien an sich keine entgeltlichen Handänderungen, wiewohl
§ 58 Abs. 4 die Erbteilung durch Sondervorschrift zur entgeltlichen
Handänderung erkläre. Dies sei aber nur so, weil die Erbteilung nach §
56 Abs. 2 die Grundstückgewinnsteuer auslöse. § 58 Abs. 4 könne somit
nur für Grundstückgewinne gelten. Eine sinngemässe Anwendung von § 58
auf Wertschriften könne nur darin bestehen, dass steuerbar die Differenz
zwischen dem Gestehungswert der letzten entgeltlichen Handänderung und dem
Verkaufserlös sei. Die Besteuerung des gesamten, unter dem Erblasser und
nach der Erbteilung entstandenen Gewinnes beim Veräusserer entspreche auch
der Grundkonzeption des StG, das ohne Zweifel eine lückenlose Besteuerung
der Vermögensgewinne anstrebe, wie ja auch der Einkommensbegriff in §
20 und 21 äusserst weit gefasst sei. § 22 Abs. 2 spreche ausdrücklich
von der Besteuerung der Differenz zwischen Gestehungswert und Erlös,
woraus folge, dass es keine steuerfreie Quote gebe, sondern der gesamte
Vermögensgewinn zu versteuern sei. Da das StG beim beweglichen Vermögen
die Erbteilung nicht als Realisierungsvorgang ansehe - eine entsprechende
Bestimmung in der Vollziehungsverordnung sei vom Landrat abgelehnt worden
-, müsse auf die letzte entgeltliche Handänderung zurückgegangen werden,
um der Grundkonzeption des StG zu entsprechen. Die Richtigkeit dieses
Vorgehens erweise sich auch am Beispiel des Alleinerben. Da dieser mangels
einer Erbteilung die gesamte Differenz zwischen dem Gestehungswert des
Erblassers und dem Erlös zu versteuern habe, müsse auch bei mehreren
Erben auf diesen Gestehungswert zurückgegangen werden. Diese Regelung sei
nicht willkürlich; willkürlich wäre vielmehr die gegenteilige Lösung,
weil sie den Alleinerben ohne Grund benachteiligen würde. § 22 Abs. 2
StG sei derart eindeutig, dass die Konstruktionen der Beschwerdeführer
dagegen nicht aufzukommen vermöchten. Einzig die Lösung, wonach der
Veräusserer den unter dem Erblasser angewachsenen Gewinn zu versteuern
habe, sei unter dem Gesichtspunkt des Gesetzes sinnvoll.

    C.- Gegen diesen Entscheid der Steuerrekurskommission Baselland
haben Witwe X. und der Ehemann der Frau Y. staatsrechtliche
Beschwerde erhoben. Sie berufen sich auf Art. 4 BV und werfen der
Steuerrekurskommissìon vor, sie habe den klaren und unmissverständlichen
Wortlaut des Gesetzes nicht beachtet und eine Regelung getroffen, die
mit dem Sinn und Zweck des Gesetzes schlechterdings nicht vereinbar sei.

    D.- Die Steuerrekurskommission Baselland beantragt, auch im Namen
des Regierungsrates, die Abweisung der Beschwerde.

    Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut.

Auszug aus den Erwägungen:

                           Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- .....

Erwägung 2

    2.- Nach § 21 Ziff. 5 StG gehören zum steuerbaren Einkommen auch
"Gewinne, die aus beweglichem Vermögen entstehen". Was darunter zu
verstehen ist und als steuerbarer Vermögensgewinn im Sinne § 21 Ziff. 5 StG
zu gelten hat, wird in § 22 für buchführende Unternehmungen einerseits
und für andere Steuerpflichtige anderseits näher ausgeführt. Die
Beschwerdeführer sind nichtbuchführende Steuerpflichtige. Bei
solchen gilt nach § 22 Abs. 2 StG als steuerbarer Vermögensgewinn die
"Differenz zwischen Gestehungswert und Erlös". Ferner enthält § 22
Abs. 2 eine Vorschrift für den Fall, dass sich der Gestehungswert nicht
nachweisen lässt. Dagegen ist § 22 Abs. 2 StG selber nicht zu entnehmen,
ob in dem hier vorliegenden Fall der Veräusserung von Vermögenswerten,
die bei einer Erbteilung übernommen worden sind, der dabei vereinbarte
Anrechnungswert oder der seinerzeit vom Erblasser erlegte Erwerbspreis den
massgebenden Gestehungswert bildet. § 22 Abs. 2 StG enthält indessen keine
abschliessende Regelung, sondern schreibt in Satz 3 vor, dass "im übrigen
für die Bestimmung des Gestehungswertes und des Erlöses die Vorschriften
über die Grundstückgewinnsteuer (§ 58) sinngemäss anwendbar" sind. Das
kann nichts anderes heissen, als dass alle in § 58 Abs. 1-8 enthaltenen
Vorschriften anzuwenden sind, soweit sie sich ihrem Inhalt nach auf Gewinne
aus beweglichem Vermögen (nachfolgend kurz Wertschriftengewinne genannt)
anwenden lassen und diese Anwendung zu einem vernünftigen, mit den übrigen
Bestimmungen des StG vereinbaren Ergebnis führt.

Erwägung 3

    3.- § 58 StG bezeichnet in Abs. 2 den bei der letzten entgeltlichen
Handänderung entrichteten Preis als Gestehungswert und bestimmt in Abs. 4,
dass dann, wenn ein Grundstück bei einer Erbteilung übernommen worden
ist, die Erbteilung als letzte entgeltliche Handänderung gelte. Diese
Vorschriften sind klar und eindeutig und lassen sich nach ihrem Inhalt
zwanglos auf Wertschriftengewinne anwenden. Ihre Anwendung auf diese
führt auch zu einem durchaus vernünftigen Ergebnis. Die Übernahme eines
Vermögensgegenstandes bei der Erbteilung ist insofern entgeltlich, als
dafür ein bestimmter Anrechnungswert festgesetzt wird und der übernehmende
Erbe bis zu diesem Betrage auf die Zuteilung anderer Nachlassgegenstände
zu verzichten hat. Diese Funktion des Anrechnungswertes lässt es als
gerechtfertigt erscheinen, ihn im Falle einer späteren Veräusserung
des Vermögensgegenstandes durch den Erben als den für die Berechnung
des steuerbaren Vermögensgewinnes massgebenden Gestehungswert zu
betrachten. Entspricht demnach die Anwendung von § 58 Abs. 4 StG auf
Wertschriftengewinne dem klaren Wortlaut von § 22 Abs. 2 StG und ist sie
auch vernünftig, so würde der Standpunkt der Steuerrekurskommission,
die Anwendung verbiete sich gleichwohl, dem Vorwurfe der Willkür nur
standhalten, wenn sie mit andern Vorschriften des StG unvereinbar wäre,
wie im angefochtenen Entscheid behauptet wird.

    a) Die Steuerrekurskommission lehnt die Anwendung von § 58 Abs. 4
StG auf Wertschriftengewinne vor allem deshalb ab, weil das StG für
diese Gewinne keine dem § 56 Abs. 2 StG entsprechende Regel enthalte,
durch welche die vom StG zweifellos angestrebte lückenlose Besteuerung
auch dieser Gewinne seit dem Erwerb durch den Erblasser sichergestellt
würde. Dieser Betrachtungsweise kann indessen nicht gefolgt werden.

    § 56 Abs. 2 StG, wonach die Grundstückgewinnsteuer auch von
Erbengemeinschaften im Zeitpunkt der Erbteilung zu entrichten ist,
hat in Verbindung mit § 58 Abs. 4 StG zur Folge, dass der gesamte,
zwischen dem Erwerb durch den Erblasser und der Veräusserung durch
den übernehmenden Erben eingetretene Wertzuwachs auf Liegenschaften
besteuert werden kann. Dass der Gesetzgeber auch eine solche lückenlose
Erfassung der Wertschriftengewinne angestrebt und angeordnet habe, ist
jedoch nicht dargetan. § 22 Abs. 2 StG erklärt nur § 58, nicht auch §
56 Abs. 2 StG als sinngemäss anwendbar, und der Landrat hat es, wie
im angefochtenen Entscheid erwähnt wird, ausdrücklich abgelehnt, für
Wertschriftengewinne eine dem § 56 Abs. 2 StG entsprechende Bestimmung
in die Vollziehungsverordnung aufzunehmen. Die Steuerrekurskommission
schliesst daraus nicht nur, dass § 56 Abs. 2 StG auf Wertschriftengewinne
nicht analog anwendbar sei, sondern überdies, dass § 58 Abs. 4 StG für
solche Gewinne nicht gelte. Diese weitere Folgerung ist indessen unhaltbar
und verletzt klares Recht, denn § 22 Abs. 2 StG verweist ausdrücklich
auf § 58 StG und verlangt damit die sinngemässe Anwendung aller dort
enthaltenen Vorschriften, also namentlich auch des Abs. 4, der sich,
wie bereits ausgeführt, zwanglos und mit einem vernünftigen Ergebnis
auf Wertschriftengewinne anwenden lässt und daher nicht einfach als
unbeachtlich beiseite gestellt werden darf.

    Das dem StG angeblich zugrundeliegende Prinzip der lückenlosen
Besteuerung aller Vermögensgewinne ist, wie die in der Beschwerde
angeführten Regelungen anderer Kantone zeigen, keineswegs
selbstverständlich. Es lässt sich insbesondere weder aus der weiten
Fassung des Einkommensbegriffs in den §§ 20 und 21 StG noch aus der
für die Grundstückgewinnsteuer geltenden Regelung ableiten, zumal die
Grundstückgewinne nicht wie die Wertschriftengewinne durch die allgemeine
Einkommenssteuer, sondern durch eine besondere Steuer erfasst werden. Davon
abgesehen enthält das StG für den vorliegenden Fall eine Regel, der
gegenüber die Berufung auf ein dem StG angeblich zugrundeliegendes
allgemeines Prinzip nicht aufzukommen vermag. Hat der Gesetzgeber (was
die kantonalen Behörden annehmen und das Bundesgericht nicht zu prüfen
hat) die analoge Anwendung von § 56 Abs. 2 StG auf Wertschriftengewinne
ausgeschlossen, so hat er eben dadurch jenes Prinzip durchbrochen und
eine Ausnahme im Sinne von § 20 Abs. 1 StG geschaffen.

    b) Die Steuerrekurskommission lehnt die Anwendung von § 58 Abs. 4
StG auf Wertschriftengewinne auch im Hinblick auf die Besteuerung
des Alleinerben ab; da dieser - mangels einer Erbteilung - wie bei
Grundstücken, so auch bei Wertschriften die volle Differenz zwischen
dem Gestehungswert des Erblassers und dem Erlös als Gewinn zu versteuern
habe, müsse auch bei mehreren Erben auf den Gestehungswert des Erblassers
zurückgegangen werden, ansonst der Alleinerbe ohne Grund schlechter als
eine Mehrzahl von Erben und damit in unzulässiger Weise rechtsungleich
behandelt werde.

    Auch dieser Schluss ist verfehlt. Die Steuerrekurskommission ist
zwar mit Recht der Meinung, dass zur Vermeidung einer rechtsungleichen
Behandlung eine Ordnung zu suchen sei, die den Alleinerben nicht anders
und stärker belastet als eine Mehrzahl von Erben. Dagegen schliesst sie zu
Unrecht von der Regel, die sie im Falle des Alleinerben für richtig hält,
auf die Unanwendbarkeit von § 58 Abs. 4 StG beim Vorhandensein mehrerer
Erben. Wenn das StG für den Fall, dass mehrere Erben vorhanden sind und
eine Erbteilung stattzufinden hat, eine ausdrückliche Vorschrift aufstellt,
den Fall des Alleinerben aber nicht ordnet, so haben die Steuerbehörden
diese Vorschrift in Fällen mit mehreren Erben anzuwenden und in Fällen,
wo nur ein einziger Erbe vorhanden ist, eine Lösung zu treffen, die mit
derjenigen, die das StG für den Fall einer Mehrzahl von Erben enthält,
im Einklang steht. Das gegenteilige Verfahren verstösst gegen klares Recht.

    c) Sofern die nach dem StG bestehende Lücke in der Erfassung
der Wertschriftengewinne als unbillig und unbefriedigend empfunden
werden sollte, wäre es Sache des Gesetzgebers, sie durch Ergänzung der
gesetzlichen Ordnung zu schliessen; sie auf dem Wege der Auslegung im
Sinne des angefochtenen Entscheids auszufüllen, geht nicht an, sondern
ist willkürlich und verletzt Art. 4 BV.