Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 85 I 137



85 I 137

22. Urteil vom 21. Oktober 1959 i. S. J. gegen Appellationshof des
Kantons Bern. Regeste

    Armenrecht. Art. 4 BV.

    Für das Rechtsöffnungsverfahren kann die unentgeltliche Prozessführung
weder unmittelbar auf Grund von Art. 4 BV noch, wie ohne Willkür angenommen
werden darf, auf Grund der Bestimmungen der ZPO über das Armenrecht
beansprucht werden.

Sachverhalt

    A.- In einer Betreibung gegen J. erteilte der Gerichtspräsident II
von Bern der Gläubigerin die definitive Rechtsöffnung für den Betrag
von Fr. 4107.-- nebst Zinsen. J. appellierte gegen diesen Entscheid
und ersuchte gleichzeitig um Erteilung des Rechts auf unentgeltliche
Prozessführung. Der Appellationshof des Kantons Bern wies dieses Gesuch
durch Verfügung vom 22. September 1959 ab und forderte J. unter Hinweis auf
die in Art. 286 und 353 bern. ZPO für den Unterlassungsfall angedrohten
Folgen auf, binnen vier Tagen einen Kostenvorschuss von Fr. 50.- zu
leisten. Zur Begründung führte er aus: Für das Rechtsöffnungsverfahren
gelte der Gebührentarif zum SchKG vom 6. September 1957 (Art. 71 ff. und
betr. Kostenvorschuss Art. 76). Die Erteilung der unentgeltlichen
Prozessführung für das Vollstreckungsverfahren sei nicht vorgesehen
(vgl. auch LEUCH N. 2 zu Art. 77 ZPO).

    B.- Gegen diese Verfügung führt J. staatsrechtliche Beschwerde. Er
macht Verletzung von Art. 4 BV geltend und bringt zur Begründung vor:
Art. 77 bern. ZPO, der die unentgeltliche Prozessführung vorsehe, mache für
Rechtsöffnungen keine Ausnahme. Es sei lediglich die Auffassung von Leuch,
dass sie für Rechtsöffnungen nicht zu bewilligen sei. Aus was für Gründen
dies der Fall sein solle, werde nicht angegeben und sei nicht einzusehen,
besonders da auch im Rechtsöffnungsverfahren sich schwierige Rechtsfragen
stellen könnten und jeder Schweizerbürger ein Recht darauf habe, vor
Gericht seine Rechte wahren zu können. Die angefochtene Verfügung sei
daher willkürlich.

Auszug aus den Erwägungen:

              Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

    Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts hat die bedürftige
Partei einen unmittelbar aus Art. 4 BV folgenden Anspruch darauf dass
der Richter in einem für sie nicht aussichtslosen Zivilprozess ohne
vorhergehende Hinterlegung oder Sicherstellung von Kosten für sie
tätig und dass ihr unter gewissen Voraussetzungen ein unentgeltlicher
Rechtsbeistand beigegeben werde (BGE 78 I 195 Erw. 2 mit Verweisungen). Der
Beschwerdeführer macht mit Recht keine Verletzung dieses bundesrechtlichen
Armenrechtsanspruchs geltend; denn dieser Anspruch besteht nur
für Zivilprozesse und gilt, wie das Bundesgericht bereits im nicht
veröffentlichten Urteil vom 14. Juli 1954 i.S. Foletti entschieden hat,
nicht für das summarische Rechtsöffnungsverfahren, dessen Kosten zu den
Betreibungskosten im Sinne von Art. 68 SchKG gehören (BGE 71 III 145/6,
80 III 83/4). Dagegen behauptet der Beschwerdeführer, auf Grund von Art. 77
bern. ZPO einen Anspruch auf unentgeltliche Prozessführung zu haben.

    Die Auslegung und Anwendung dieser Bestimmung durch die kantonalen
Gerichte kann das Bundesgericht nur auf Willkür hin prüfen (BGE 67 I
68). Der Beschwerdeführer macht solche auch geltend und behauptet, es
sei nicht einzusehen und werde auch nicht angegeben, aus welchen Gründen
die unentgeltliche Prozessführung für das Rechtsöffnungsverfahren nicht
zu bewilligen sei. Indessen wird sowohl im angefochtenen Entscheid als
auch in dem dort zitierten Kommentar LEUCH ausgeführt, dass für das
Rechtsöffnungsverfahren die Kostenbestimmungen (nicht der bern. ZPO,
sondern) des eidgenössischen Gebührentarifs zum SchKG gelten und dort das
Recht auf unentgeltliche Prozessführung für das Vollstreckungsverfahren
nicht vorgesehen sei. Diese Auffassung erscheint als zutreffend und kann
jedenfalls nicht als willkürlich bezeichnet werden. Der Gebührentarif setzt
in Art. 72 die Gebühren für Entscheide über Rechtsöffnung fest und bestimmt
in Art. 76, dass diese Gebühren von der Partei vorzuschiessen sind, die
den Richter angerufen oder den Entscheid weitergezogen hat. Wie bereits in
BGE 55 I 365 und im erwähnten Urteil i.S. Foletti ausgeführt worden ist,
kennt weder das SchKG noch der Gebührentarif die Befreiung des bedürftigen
Gläubigers oder Schuldners von den Betreibungskosten und lassen sich die
kantonalen Vorschriften über das Armenrecht im Zivilprozess nicht ohne
weiteres analog auf das Betreibungsverfahren anwenden. Entsprechendes
gilt für die Kosten des Rechtsöffnungsverfahrens, weshalb denn auch
die Auffassung, dass die Bestimmungen der ZPO über die Prozesskosten
und über das Armenrecht für dieses Verfahren nicht gelten, nicht nur im
Kanton Bern (LEUCH N. 2 zu Art. 77 ZPO), sondern auch in andern Kantonen
vertreten wird (STRÄULI/HAUSER zu Art. 286 zürch. ZPO und Urteil des
zürch. Obergerichts in ZR 1941 S. 26; Urteil des aarg. Obergerichts in
Vierteljahresschrift für aarg. Rechtsprechung 1941 S. 128; vgl. auch BGE 83
III 30 Erw. 2, wo die Bestellung eines Armenanwalts für den Rekurs an die
Schuldbetreibungs- und Konkurskammer des Bundesgerichts abgelehnt wurde).

    Im Hinblick auf die Regelung der Betreibungskosten im
eidg. Gebührentarif hat es das Bundesgericht in BGE 55 I 366 sogar
als zweifelhaft bezeichnet, ob die Kantone überhaupt befugt seien,
die Armenrechtserteilung für Betreibungskosten einzuführen. Selbst wenn
sie diese Befugnis hätten (wie JAEGER N. 7 zu Art. 2 und N. 2 zu Art. 16
SchKG sowie FRITZSCHE, Schuldbetreibung I S. 100 annehmen), so bedürfte es
hiefür einer besondern, der Ordnung des Betreibungsverfahrens angepassten
Regelung und könnte die Erteilung des Armenrechts, insbesondere auch was
seine Voraussetzungen betrifft, nicht einfach aus den Bestimmungen über
das Armenrecht im Zivilprozess abgeleitet werden.

Entscheid:

               Demnach erkennt das Bundesgericht:

    Die Beschwerde wird abgewiesen.