Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 85 IV 95



85 IV 95

25. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 26. Mai 1959
i.S. Meynadier & Cie. A.-G. gegen Justiz- und Polizei- departement des
Kantons Wallis. Regeste

    1.  Art. 21 FischG, Art. 4 GSchG. Verhältnis dieser Bestimmungen
zueinander (Erw. 1).

    2.  Deliktsfähigkeit der juristischen Personen.

    a)  Die Strafdrohung des Art. 15 Abs. 1 GSchG richtet sich nur gegen
natürliche Personen; juristische Personen können wegen Widerhandlungen
gegen das GSchG nicht bestraft werden (Erw. 2).

    b)  Die allgemeinen Bestimmungen des StGB schliessen in ihrem
Anwendungsbereich die strafrechtliche Verurteilung juristischer Personen
aus (Erw. 2 Abs. 4).

Sachverhalt

    A.- Im Mai 1957 waren Arbeiter des Bauunternehmens Meynadier &
Cie. A.-G. damit beschäftigt, den Erd- und Steinwall des Ausgleichsbeckens
Fionnay durch Einspritzen von Zementmilch abzudichten. Dabei floss
ein Teil des Abdichtungsmittels in die Dranse, wo es zur Vergiftung von
Fischen führte.

    B.- Mit Strafbefehl vom 7. Februar 1958 verurteilte das Justiz-
und Polizeidepartement des Kantons Wallis die Firma Meynadier & Cie.
A.-G. wegen Widerhandlung gegen Art. 21 des BG betreffend die Fischerei
vom 21. Dezember 1888 (FischG) zu einer Busse von Fr. 200.--.

    Der Staatsrat des Kantons Wallis bestätigte als Rekursinstanz am 7.
Februar 1959 den Entscheid des Justiz- und Polizeidepartementes.

    C.- Die Gebüsste führt Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrage, der
Entscheid des Staatsrates sei aufzuheben. Zur Begründung wird vor allem
geltend gemacht, die Deliktsfähigkeit der juristischen Personen sei auch
auf dem Gebiete des Polizei- und Verwaltungsstrafrechtes nicht allgemein
anerkannt und bestehe nur insoweit, als sie durch Gesetzesvorschriften
ausdrücklich bejaht werde; eine solche Bestimmung bestehe mit Bezug auf
die Straftatbestände des Fischereigesetzes jedoch nicht.

Auszug aus den Erwägungen:

              Der Kassationshof zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Die in der angefochtenen Entscheidung beurteilte Tat ist im
Mai 1957 begangen worden. Damals galt Art. 21 FischG, auf den sich die
Verurteilung der Beschwerdeführerin stützt, jedoch nicht mehr, da er
durch Art. 16 des BG vom 16. März 1955 über den Schutz der Gewässer gegen
Verunreinigung (GSchG), das am 1. Januar 1957 in Kraft trat (vgl. Beschluss
des Bundesrates vom 28. Dezember 1956, AS 1956 S. 1538) aufgehoben worden
ist. Die Verurteilung der Beschwerdeführerin wegen Widerhandlung gegen Art.
21 FischG ist daher schon aus diesem Grunde nicht haltbar. Es ist jedoch zu
prüfen, ob nicht die Gebüsste wegen Übertretung von Art. 4 GSchG strafbar
ist, der in weiterer Fassung als Art. 21 FischG u.a. untersagt, in Gewässer
feste Stoffe aller Art einzuwerfen oder abzulagern, die geeignet sind, das
Wasser zu verunreinigen, oder die in anderer Weise dem Schutze der Gewässer
gegen Verunreinigung und andere schädliche Beeinträchtigung zuwiderlaufen.

Erwägung 2

    2.- Vorsätzliche Widerhandlungen gegen das GSchG werden nach Art. 15
Abs. 1 dieses Gesetzes mit Busse bis zu Fr. 20'000.--, fahrlässige
Widerhandlungen mit Busse bis zu Fr. 5000.-- bestraft. Eine Vorschrift,
wonach auf Grund dieser Bestimmung auch juristische Personen gebüsst werden
können, enthält das Gesetz nicht. Die Frage ist daher gemäss Art. 15
Abs. 3 GSchG, wonach die allgemeinen Bestimmungen des schweizerischen
Strafgesetzbuches Anwendung finden, soweit das GSchG nicht selbst
Vorschriften aufstellt, auf Grund jener Bestimmungen zu entscheiden,
es sei denn, die strafrechtliche Haftung der juristischen Personen für
Widerhandlungen gegen das GSchG werde in diesem Erlass implicite bejaht
(vgl. BGE 72 IV 190 Erw. 2; 74 IV 26; 83 IV 125, 177).

    Dafür spricht höchstens die in den Botschaften des Bundesrates vom 28.
April 1953 über die Aufnahme eines Art. 24quater in die Bundesverfassung
und vom 9. Februar 1954 zum Entwurf eines Bundesgesetzes über den Schutz
der Gewässer gegen Verunreinigung enthaltene Feststellung, dass die in
Art. 31 Ziff. 2 FischG angedrohte Strafe (Busse von 50-400 Franken) sich
als ungenügend erwiesen habe, da sie wohl Einzelpersonen abzuschrecken
vermöge, nicht aber grössere Unternehmungen, die es vorzögen, diese
verhältnismässig bescheidene Busse zu entrichten, statt mit erheblichem
Geldaufwand Reinigungsanlagen erstellen zu lassen und zu unterhalten (BBl
1953 II S. 14 lit. e; 1954 I S. 343 ad Art. 13). Diese Äusserungen haben
jedoch nicht nur dann einen vernünftigen Sinn, wenn man davon ausgeht, sie
setzten die Deliktsfähigkeit der juristischen Personen voraus. Sie können
auch als Hinweis auf den Umstand aufgefasst werden, dass Unternehmungen
erfahrungsgemäss häufig die gegen ihre Organe oder Bediensteten
ausgefällten Bussen wegen Widerhandlungen, die sie im Geschäftsbetriebe
begangen haben, übernehmen. Jedenfalls sind jene Äusserungen, die sich
vor allem mit dem Strafrahmen und höchstens mittelbar mit dem Kreis der
mit Strafe Bedrohten befassen und die juristischen Personen überhaupt
nicht erwähnen, zu unbestimmt, als dass eindeutig daraus abgeleitet
werden könnte, die in Lehre und Rechtsprechung umstrittene Frage der
Deliktsfähigkeit der juristischen Personen habe dadurch mit Bezug auf
die Widerhandlungen gegen das Gewässerschutzgesetz entschieden, nämlich
bejaht werden wollen. Dieser Schluss drängt sich umso weniger auf, als
der Bundesgesetzgeber, entsprechend der überwiegenden Lehrmeinung, eher
dazu neigt, die Delikts- und Straffähigkeit der juristischen Personen
auch für das Gebiet des Polizei- und Verwaltungsstrafrechts zu verneinen.

    So hat er beispielsweise ausdrücklich mit der Begründung, in der
modernen Strafrechtswissenschaft würden die juristischen Personen und
Gesellschaften nicht als deliktsfähig anerkannt (BBl 1918 IV 453/4), für
Widerhandlungen gegen die Art. 38 - 42 LG, die im Geschäftsbetriebe einer
juristischen Person oder Gesellschaft begangen werden, ausschliesslich
die handelnden Organe oder Gesellschafter als strafbar erklärt (Art. 45
LG). Eine entsprechende Regelung enthält Art. 8 des BG vom 5. Oktober 1929
über die Spielbanken. Von der Voraussetzung, dass juristische Personen
nicht deliktsfähig seien, geht ferner die in zahlreichen, neueren Erlassen
enthaltene Regelung aus, wonach die Gesellschaft oder juristische Person
solidarisch für die Bussen haften, die gegen ihre Gesellschafter bzw.
Organe wegen Straftaten ausgefällt werden, die die Gebüssten in Ausübung
der geschäftlichen Verrichtungen begehen (vgl. beispielsweise Art. 100
Abs. 1 ZG, Art. 55 StG, Art. 56 Abs. 2 und 3 AlkG, Art. 49 des BG vom
8. November 1934 über die Banken und Sparkassen, Art. 15 UWG, Art. 60 des
BG vom 22. Juni 1951 über die Arbeitslosenversicherung, Art. 9 Abs. 3 des
BG vom 25. März 1954 betreffend den Schutz des Zeichens und des Namens
des Roten Kreuzes, Art. 16 Abs. 4 des BG vom 26. September 1958 über die
Export-Risikogarantie). Freilich sehen daneben einige Erlasse auch vor,
dass bei Widerhandlungen im Geschäftsbetriebe einer juristischen Person
oder Handelsgesellschaft ohne juristische Persönlichkeit die einschlägigen
Strafbestimmungen auf die juristische Person oder Handelsgesellschaft
Anwendung finden. Doch handelt es sich bei diesen Erlassen vor allem um
ältere Gesetze, die zudem blosse Ordnungsstrafe androhen (vgl. Art. 10 des
BG vom 25. Juni 1885 betreffend Beaufsichtigung von Privatunternehmungen
im Gebiete des Versicherungswesens, Art. 19 des BG vom 4. Februar 1919
über die Kautionen der Versicherungsgesellschaften, Art. 31 des BG über
die Sicherstellung von Ansprüchen aus Lebensversicherungen inländischer
Lebensversicherungsgesellschaften), oder um reine Fiskalgesetze (vgl. Art.
130 Abs. 4 WStB, Art. 40 WUStB).

    Ist demnach davon auszugehen, dass die strafrechtliche Haftung der
juristischen Personen für Widerhandlungen gegen das GSchG in diesem Erlass
weder ausdrücklich noch implicite bejaht wird, so ist gemäss Art. 15
Abs. 3 GSchG die Frage, ob sich die Strafdrohung des Art. 15 Abs. 1 GSchG
auch gegen juristische Personen richte, nach den allgemeinen Bestimmungen
des StGB zu entscheiden. Diese schliessen aber in ihrem Anwendungsbereich
die strafrechtliche Verurteilung einer juristischen Person aus (HAFTER,
Allg. Teil S. 72 f.; THORMANN/OVERBECK, N. 4 zu Art. 6; SCHWANDER, Das
schweiz. Strafgesetzbuch, S. 56; LOGOZ, Allg. Teil S. 31). Das ergibt sich
schon daraus, dass nach den allgemeinen Bestimmungen des Strafgesetzbuches
wegen Verbrechen, Vergehen oder Übertretungen (Art. 102 StGB) nur strafbar
ist, wer schuldhaft handelt. Zwar kommt dieser Grundsatz im Gesetz nicht
unmittelbar zum Ausdruck; es sieht nur vor, dass das Gesetz es ausdrücklich
bestimme, wenn ein Täter, der nicht vorsätzlich handelt, strafbar sein soll
(Art. 18 Abs. 1 StGB). In allen diesen Fällen verlangt es jedoch wenigstens
Fahrlässigkeit. Schuldfähig ist jedoch nur der einzelne Mensch, nicht eine
juristische Person, da dieser naturgemäss die psychischen Eigenschaften,
die Voraussetzung der Zurechnungsfähigkeit und damit der Schuldfähigkeit
sind (Einsicht in das Unrecht der Tat und Fähigkeit gemäss dieser Einsicht
zu handeln), fehlen.