Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 85 IV 59



85 IV 59

16. Urteil des Kassationshofes vom 7. Januar 1959 i.S. Statthalteramt des
Bezlrkes Zürich gegen Diggelmann. Regeste

    Mietzinskontrolle.

    Art. 2 Abs. 1, 15 BB vom 10. Juni 1953 über die Durchführung einer
beschränkten Preiskontrolle; Art. 2 Abs. 1, 16 BB vom 28. September 1956
über die Durchführung einer beschränkten Preiskontrolle; Art. 4 Abs. 1,
42 VO vom 30. Dezember 1953 über die Mietzinskontrolle; Art. 4 Abs. 1,
43 VO vom 28. Dezember 1956 über die Mietzinskontrolle.

    a)  Auch der Mieter kann im preiskontrollrechtlichen Sinne den Mietzins
erhöhen (Erw. 2).

    b)  Macht er sich dadurch strafbar? (Erw. 1, 3-5).

Sachverhalt

    A.- Erich Diggelmann wusste, dass die zuständige Behörde den Höchstzins
für die von ihm auf den 1. Mai 1956 gemietete Wohnung auf Fr. 85.- pro
Monat festgesetzt hatte, vereinbarte mit der Vermieterin aber dennoch
einen Monatszins von Fr. 120.-- und entrichtete diesen auch für die Zeit
vom 1. Mai 1956 bis 31. März 1957.

    B.- Am 31. Januar 1958 büsste das Statthalteramt des Bezirkes Zürich
Diggelmann wegen Übertretung des Art. 4 Abs. 1 der VO des Bundesrates
vom 30. Dezember 1953 über die Mietzinskontrolle und die Beschränkung
des Kündigungsrechtes sowie Art. 4 der gleichnamigen Verordnung vom
28. Dezember 1956 mit Fr. 10.-.

    Der Gebüsste verlangte gerichtliche Beurteilung.

    Am 23. September 1958 sprach ihn der Einzelrichter in Strafsachen
des Bezirkes Zürich frei. Zur Begründung führte er, gestützt auf ein
Gutachten der Preiskontrollstelle vom 27. Februar 1958, aus, Mieter
könnten lediglich zu Widerhandlungen gegen das Verbot, Mietzinse ohne
behördliche Bewilligung zu erhöhen, anstiften, diesen Straftatbestand
aber nicht selbständig erfüllen.

    C.- Das Statthalteramt des Bezirkes Zürich führt Nichtigkeitsbeschwerde
mit den Anträgen, das Urteil sei aufzuheben und die Sache zu neuer
Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Es macht geltend, auch
Mieter könnten das Erhöhungsverbot für Mietzinse übertreten und dafür
nach den angeführten Bestimmungen bestraft werden.

    D.- Diggelmann beantragt, die Beschwerde sei abzuweisen.

Auszug aus den Erwägungen:

              Der Kassationshof zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Das dem Beschwerdegegner zur Last gelegte Verhalten fällt:

    a) teilweise in die Zeit der Geltung des Bundesbeschlusses vom 10. Juni
1953 über die Durchführung einer beschränkten Preiskontrolle (PKB 1953;
AS 1953 S. 891), der am 1. Januar 1954 in Kraft trat,

    b) teilweise in die Zeit der Geltung des gleichnamigen
Bundesbeschlusses vom 28. September 1956 (PKB 1956; AS 1956 S. 1618),
der den unter lit. a angeführten Erlass ersetzte und am 1. Januar 1957
in Kraft getreten ist.

    Beide Erlasse erklären in Art. 2 Abs. 1 Erhöhungen der im Zeitpunkte
ihres Inkrafttretens geltenden Mietzinse bewilligungspflichtig, bedrohen
in Art. 15 bzw. Art. 16 mit Strafe, "wer vorsätzlich oder fahrlässig
den Bestimmungen des Beschlusses oder den Ausführungsbestimmungen
zuwiderhandelt", und weisen in Art. 14 Abs. 1 bzw. Art. 15 Abs. 1 den
Bundesrat an, die erforderlichen Ausführungsvorschriften zu erlassen.

    Diesen Bestimmungen nachkommend, hat der Bundesrat in der Verordnung
vom 30. Dezember 1953 über die Mietzinskontrolle und die Beschränkung des
Kündigungsrechtes (VMK 1953; AS 1953 S. 1286) und in der gleichnamigen
Verordnung vom 28. Dezember 1956 (VMK 1956; AS 1956 S. 1625), die am 1.
Januar 1957 in Kraft getreten ist und die VMK 1953 ersetzte, untersagt,
die Mietzinse ohne Bewilligung der von den Kantonsregierungen bezeichneten
Amtsstellen oder der Rekursinstanzen über den am 31. Dezember 1953 bzw. am
31. Dezember 1956 höchstzulässigen Stand zu erhöhen (Art. 4 Abs. 1). In
beiden Erlassen wird weiter bestimmt, dass mit Busse bis zu zweitausend
Franken bestraft wird, "wer vorsätzlich oder fahrlässig den Bestimmungen
der Verordnung zuwiderhandelt" (Art. 42 Abs. 1 VMK 1953, Art. 43 Abs. 1
VMK 1956).

Erwägung 2

    2.- Unter das in den angeführten Erlassen umschriebene Verbot
einer Mietzinserhöhung fällt vor allem der Abschluss einer Vereinbarung,
durch die ein Mietzins festgesetzt wird, der über dem von der zuständigen
Behörde bewilligten Betrage liegt. Beim Abschluss eines solchen Vertrages
wirrken beide Parteien in gleicher Weise mit, nämlich dadurch, dass sie
übereinstimmende gegenseitige Willenserklärungen abgeben. Durch eine
solche Vereinbarung setzen sich daher auch beide Parteien in gleicher
Weise über das erwähnte Verbot hinweg (BGE 81 IV 262). Entsprechendes
gilt mit Bezug auf den Antrag, eine solche Vereinbarung abzuschliessen,
der nach der Rechtsprechung, gleichgültig ob er vom Vermieter oder
vom Mieter bzw. Mietreflektanten gestellt wird, ebenfalls unter das
Verbot der Mietzinserhöhung fällt (Entscheide der strafrechtlichen
Kommissionen des EVD, III S. 23 f.; nicht veröffentlichte Entscheidung
des Kassationshofes vom 23. September 1955 i.S. Ledermann; ferner SJZ
1942/43 S. 509 Nr. 256). Und schliesslich liegt aus den gleichen Gründen
wie in der Annahme auch in der Leistung eines über dem höchstzulässigen
Stand liegenden Mietzinses im preiskontrollrechtlichen Sinne eine verbotene
Mietzinserhöhung (nicht veröffentlichte Entscheidungen des Kassationshofes
vom 23. September 1955 i.S. Ledermann und vom 27. Januar 1956 i.S. Rom).

Erwägung 3

    3.- Der Wortlaut der Strafbestimmungen der PKB 1953 und 1956 sowie der
VMK 1953 und 1956 enthält keinen Anhaltspunkt dafür, dass die Übertretung
des in diesen Erlassen umschriebenen Verbots der Mietzinserhöhung ohne
behördliche Bewilligung nur dann Strafe nach sich ziehe, wenn sie von
einem Vermieter begangen wird. Die in den angeführten Beschlüssen und
Verordnungen übereinstimmend verwendete Formel, dass bestraft werde,
"wer vorsätzlich oder fahrlässig" den Vorschriften dieser Erlasse
"zuwiderhandelt", weist den Richter vielmehr ohne jeden Vorbehalt an,
jeden zu bestrafen, der dieses Verbot übertritt. Strafbar machen kann sich
daher nach diesen Vorschriften ebensowohl der Mieter wie der Vermieter.

Erwägung 4

    4.- Ebensowenig wie aus dem Wortlaut lässt sich - entgegen der
Auffassung des Beschwerdegegners und der Vorinstanz - durch Auslegung
als Sinn jener Strafbestimmungen ableiten, dass sie eine Verurteilung
des Mieters nur erlauben, wenn er zu einer verbotenen Mietzinserhöhung
anstiftet, hingegen seine Bestrafung als Täter nicht zulassen. Die
ratio der in Erw. 1 erwähnten Beschlüsse und Verordnungen und die
Entstehungsgeschichte der darin enthaltenen Strafbestimmungen schliessen
eine solche Auslegung vielmehr aus.

    a) Wohl bezweckt das Verbot der Mietzinserhöhung in dem Sinne
einen Schutz der Mieter, als es verhindern soll, dass Vermieter die
Wohnungsnot ausnützen, um die Mietzinse in die Höhe zu treiben. Vor
allem aber soll durch die Vorschriften über die Mietzinskontrolle
ein Ansteigen der Lebenshaltungskosten überhaupt verhindert werden
(Botschaften des Bundesrates zu den PKB 1953 und 1956, BBl 1952 II S. 83
und 91, 1956 I S. 1031, 1039 und 1042). Mieter, die sich über das Verbot,
die Mietzinse ohne Genehmigung der zuständigen Amtsstelle zu erhöhen,
hinwegsetzen, stellen die Erreichung dieses Zweckes nicht weniger in
Frage als Vermieter, die eigenmächtig die Mietzinse erhöhen, und sind
daher grundsätzlich ebenso strafwürdig wie diese. Daran ändert nichts,
dass Mieter in den meisten Fällen sich einzig deshalb über das Verbot der
Mietzinserhöhung hinwegsetzen, weil sie sich zufolge der Wohnungsnot in
einer gewissen Bedrängnis befinden. Dieser Umstand wird allenfalls bei
der Strafzumessung zu berücksichtigen sein, kann die Strafbarkeit jedoch
nicht ausschliessen, es sei denn, dass - was indessen kaum je der Fall
sein wird - die Voraussetzungen des Art. 34 StGB zutreffen.

    b) Dementsprechend haben die strafrechtlichen Kommissionen des
eidgenössischen Volkswirtschaftsdepartementes - nach anfänglicher
Unsicherheit - schon unter der Herrschaft des Bundesratsbeschlusses
vom 1. September 1939 betreffend die Kosten der Lebenshaltung und den
Schutz der regulären Marktversorgung (PKB 1939) sowie der gestützt auf
diesen erlassenen gleichnamigen Verfügung Nr. 1 des eidgenössischen
Volkswirtschaftsdepartementes vom 2. September 1939 in ständiger
Rechtsprechung angenommen, dass auch der (Käufer, Pächter oder) Mieter als
Täter strafbar sei, wenn er sich über das in diesen Erlassen aufgestellte
Verbot der (Preis-, Pachtzins oder) Mietzinserhöhung hinwegsetze, und zwar
war nach den Angaben der Sektion für Rechtswesen des Generalsekretariates
des EVD diese Praxis schon im Zeitpunkte des Erlasses der Verfügung Nr. 5
des EVD vom 14. November 1950 über die Kosten der Lebenshaltung (Verfügung
Nr. 5) eine konstante (Sammlung der Entscheide der strafrechtlichen
Kommissionen des EVD 1941-1943, 2. Jahrgang Heft 10 S. 361 lit. c
Abs. 2 und ad lit. b). Diese Verfügung, die in Art. 1 bestimmte, dass
bei vorsätzlich oder fahrlässig begangenen Widerhandlungen gegen die
Vorschriften über Warenpreise, Miet- und Pachtzinse ... nicht nur der
Verkäufer, Vermieter bzw. Verpächter, sondern auch der Käufer, Mieter bzw.
Pächter strafbar sei, änderte somit an der durch den Preiskontrollbeschluss
1939 und die Verfügung Nr. 1 geschaffenen Rechtslage nichts, sondern
bestätigte nur, was ohnehin schon galt (Sammlung der Entscheide der
strafrechtlichen Kommissionen des EVD 1941-1943, 2. Jahrgang Heft 10 S. 361
ad lit. b). Infolgedessen entfiel die Möglichkeit, Mieter, Pächter und
Käufer als Täter wegen Widerhandlungen gegen die Vorschriften über Miet-
und Pachtzinse bzw. Warenpreise zu bestrafen, auch nicht dadurch, dass
die Verfügung Nr. 5 gemäss Art. 3 des am 23. November 1952 angenommenen
Zusatzes zur Bundesverfassung (AS 1952 S. 1055) am 31. Dezember 1953
dahingefallen ist.

    Anstelle der Strafbestimmungen des Preiskontrollbeschlusses
1939 und der auf diese verweisenden Strafandrohung der Verfügung
Nr. 1, die bis zum 31. Dezember 1953 galten (Art. 3 Abs. 2 des
Verfassungszusatzes vom 23. November 1952), traten auf den 1. Januar 1954
der Preiskontrollbeschluss 1953 und die dazu gehörende VMK 1953 in Kraft
(Art. 17 Abs. 2 PKB 1953; Art. 44 und 49 VMK 1953), die ihrerseits auf
den 1. Januar 1957 durch den Preiskontrollbeschluss 1956 und die VMK 1956
ersetzt wurden (Art. 21 Abs. 2 PKB 1956; Art. 46 und 50 VMK 1956). In
diesen vier Erlassen wird der Kreis der wegen unerlaubter Mietzinserhöhung
strafbaren Personen wörtlich gleich wie in Art. 4 des durch diese Erlasse
ersetzten Preiskontrollbeschlusses 1939 dahin umschrieben, dass bestraft
wird, "wer" den einschlägigen Bestimmungen "zuwiderhandelt". Da dem
Gesetzgeber nicht entgangen sein konnte, dass auf Grund von Art. 4 PKB
1939 auch Mieter, die sich über das Erhöhungsverbot hinwegsetzten, als
Täter bestraft wurden, muss aus der unveränderten Übernahme des Wortlautes
dieser Strafbestimmung in die neuen Erlasse geschlossen werden, dass an
der Strafbarkeit des Mieters nichts geändert werden wollte. Hätte der
Gesetzgeber die Möglichkeit der Bestrafung als Täter ausschliessen wollen,
so hätte er nicht einfach die schon vor dem Erlass der Verfügung Nr. 5 in
ständiger Rechtsprechung als Grundlage für die Verurteilung des Mieters
als Täter dienende Formulierung des Art. 4 PKB 1939 übernommen, sondern
eine andere Fassung gewählt, die unmissverständlich zum Ausdruck gebracht
hätte, dass nach der neuen Regelung eine Bestrafung des Mieters nur als
Anstifter möglich sei. Einen dahingehenden Vorbehalt hat der Gesetzgeber
aber in den Strafbestimmungen der PKB 1953/56 und der VMK 1953/56 nicht
angebracht, und es kann ein solcher auch den Botschaften des Bundesrates
zu diesen Erlassen nicht entnommen werden.

    Freilich wird in den Botschaften zu den Preiskontrollbeschlüssen
von 1953 und 1956 ausgeführt, unter dem Begriff der Mietzinserhöhung sei
"jede gegenüber einem Mieter oder Mietreflektanten in irgendeiner Form
zum Ausdruck gebrachte Aufforderung zur Vereinbarung oder Bezahlung
eines höheren Mietzinses" zu verstehen (BBl 1953 I S. 295, 1956 I
S. 1048). Dadurch wollte aber, zumal diese Ausführungen nicht im Abschnitt
"Strafbestimmungen", sondern unter dem Stichwort "Mietzinse" angebracht
wurden, offensichtlich nicht der Kreis der strafbaren Personen umschrieben,
sondern lediglich darauf hingewiesen werden, dass unter das Verbot,
die Mietzinse ohne Genehmigung der zuständigen Amtsstelle zu erhöhen,
nicht nur die Vereinbarung und die Annahme, sondern auch das Fordern
nicht bewilligter erhöhter Mietzinse falle.

    Ebensowenig kann daraus, dass durch die Preiskontrollbeschlüsse 1953
und 1956 eine schrittweise Lockerung der Mietzinskontrolle eingeleitet
wurde, geschlossen werden, dass zugleich die Möglichkeit, den Mieter bei
Missachtung jener Beschränkungen, deren Beibehaltung dem Gesetzgeber
unerlässlich erschien, als Täter zu bestrafen, ausgeschlossen werden
wollte. Soweit die Beschränkungen aufrecht erhalten wurden, war die
Öffentlichkeit nach wie vor daran interessiert, dass sie durch niemanden,
auch nicht durch Mieter, durchbrochen werden. Die uneingeschränkte
Anwendung der Strafbestimmungen auf die Mieter ist daher unter der
neuen Ordnung nicht weniger gerechtfertigt als unter der Herrschaft des
Preiskontrollbeschlusses 1939.

Erwägung 5

    5.- Das im vorinstanzlichen Verfahren beigezogene Gutachten der
Preiskontrollstelle vom 27. Februar 1958, die es für ausgeschlossen
hält, dass auf Grund der Strafbestimmungen der PKB 1953/56 und der VMK
1953/56 Mieter als Täter verurteilt werden können, führt zu keinem anderen
Ergebnis. Als authentische Interpretation jener Bestimmungen kann diese
Meinungsäusserung nicht in Betracht fallen, weil diese Bestimmungen nicht
von der Preiskontrollstelle, sondern von der Bundesversammlung bzw. vom
Bundesrat erlassen worden sind. Zudem geht die Preiskontrollstelle in
ihrem Gutachten insofern von einer unzutreffenden Voraussetzung aus, als
sie annimmt, die Möglichkeit, bei Widerhandlungen gegen die Vorschriften
über die Mietzinskontrolle auch Mieter als Täter zu bestrafen, sei erst
durch die Verfügung Nr. 5 geschaffen worden, während in Wirklichkeit -
wie oben in Erw. 4 lit. b ausgeführt wurde - weder durch den Erlass noch
durch das Dahinfallen dieser Verfügung am damals geltenden Rechtszustand
etwas geändert worden ist. Zudem ist, entgegen der Auffassung der
Preiskontrollstelle, nicht einzusehen, inwiefern es mit dem Sprachgebrauch
unvereinbar sein soll, ausser im Fordern und Annehmen auch im Anbieten
und Leisten eines den zulässigen Betrag übersteigenden Mietzinses ein
"Erhöhen" im preiskontrollrechtlichen Sinne zu erblicken.

Entscheid:

               Demnach erkennt der Kassationshof:

    Die Nichtigkeitsbeschwerde wird gutgeheissen, das Urteil des
Einzelrichters in Strafsachen des Bezirkes Zürich vom 23. September 1958
aufgehoben und die Sache zu neuer Entscheidung im Sinne der Erwägungen
an die Vorinstanz zurückgewiesen.