Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 85 IV 4



85 IV 4

2. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 25. März 1959 i.S. Keller
gegen Koch und Staatsanwaltschaft des Kantons Luzern. Regeste

    Art. 32 StGB. Rechtfertigungsgrund im Sinne dieser Bestimmung
ist die Selbsthilfe zur Wahrung des Besitzesstandes nur, wenn sie den
Voraussetzungen des Art. 926 ZGB entspricht.

Sachverhalt

    A.- Koch stellte in seiner Wiese eine sog.  Rollenreuteranlage auf, um
auf den vier in gleichmässigem Abstand übereinander ausgezogenen Drähten
dieser Einrichtung das gemähte Gras zum Austrocknen aufzustapeln. Drei
Verstrebungspfosten schlug er dabei auf dem Grundstück des Nachbarn Keller
ein, ohne diesen zuvor um Erlaubnis gefragt zu haben. In der Nacht vom
21./22. Juni 1958 zog Keller die in sein Land eingelassenen Pfosten mit
der Hydraulik seines Traktors heraus, wobei die vier Drähte der Anlage
rissen. Das aufgehängte Heu kam dadurch auf den Boden zu liegen und nahm,
da es in der Folge regnete, Schaden.

    B.- Auf Antrag von Koch verurteilte das Amtsgericht Hochdorf Keller
am 18. Dezember 1958 wegen Sachbeschädigung zu Fr. 100.-- Busse.

    C.- Keller führt Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Begehren, das Urteil
des Amtsgerichtes sei aufzuheben und die Sache zu seiner Freisprechung
an die Vorinstanz zurückzuweisen.

    D.- Koch und die Staatsanwaltschaft des Kantons Luzern beantragen
Abweisung der Beschwerde.

Auszug aus den Erwägungen:

              Der Kassationshof zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- .....

Erwägung 2

    2.- Gegenüber seiner Verurteilung wegen Sachbeschädigung wendet
der Beschwerdeführer ein, er sei nach Art. 926 ZGB zur Tat berechtigt
gewesen. Da Koch, wie auch die Vorinstanz annimmt, bei der Errichtung der
Rollenreuteranlage eigenmächtig und widerrechtlich vorgegangen war, indem
er, ohne zuvor die Erlaubnis Kellers einzuholen, Verstrebungspfosten in
dessen Grundstück eingeschlagen hatte, stellt sich in der Tat die Frage,
ob eine Bestrafung des Beschwerdeführers nicht nach Art. 32 StGB in
Verbindung mit Art. 926 ZGB entfalle. Denn als "Gesetz", aus dem sich
gemäss Art. 32 StGB der Grund der Rechtfertigung oder Straflosigkeit
ergeben kann, ist - was das Amtsgericht offenbar übersehen hat -
nicht nur das Strafgesetz, sondern auch jeder andere gesetzliche
Erlass, insbesondere auch das Zivilgesetz zu verstehen. Indessen
beruft sich der Beschwerdeführer vergeblich auf Art. 926 ZGB. Diese
Bestimmung gewährt dem Besitzer kein allgemeines Gewaltrecht, sondern
gestattet ihm die Gewaltanwendung nur soweit, als sie erforderlich
ist zur Wahrung des ungestörten Besitzesstandes (Art. 926 Abs. 3 ZGB;
HOMBERGER, Kommentar, N. 22 und 26 zu Art. 926; OSTERTAG, Kommentar
N. 2 und 25 ff. zu Art. 926). Das will zwar nicht heissen, dass im
vorliegenden Fall der Beschwerdeführer zunächst obrigkeitliche Hilfe
hätte anrufen müssen. Dagegen wäre er verpflichtet gewesen, bevor er
zur Selbsthilfe schritt, Koch zur Entfernung der auf seinem Grund und
Boden eingelassenen Pfosten aufzufordern. Ein solches Vorgehen, das
auch im Interesse guter nachbarlicher Beziehungen gelegen hätte, wäre
Keller zuzumuten gewesen, nachdem für ihn keine Gefahr im Verzuge lag,
das Heu des Beschwerdegegners aber selbst bei sachgemässer Entfernung der
Verstrebungspfosten infolge der dadurch bewirkten Entspannung der Drähte
auf den Boden fallen und bei Regen Schaden nehmen konnte. Indem Keller
ohne vorhergehende gütliche Aufforderung unvermittelt zur Selbsthilfe
schritt, legte er ein Verhalten an den Tag, das durch die Umstände nicht
gerechtfertigt war. Ja, der Vorwurf, widerrechtlich gehandelt zu haben,
bliebe dem Beschwerdeführer selbst dann nicht erspart, wenn er unmittelbar
zur eigenhändigen Abwendung der Besitzesstörung befugt gewesen wäre. Da,
wie bereits erwähnt, die in Betätigung der Selbsthilfe angewendete Gewalt
nicht weiter gehen darf, als zur Abwehr der Störung erforderlich ist,
hat der beeinträchtigte Besitzer jede unnötige Schädigung des Störers
zu vermeiden. Keller hätte daher bei Entfernung der Verstrebungspfosten
mit der Sorgfalt verfahren müssen, die der Eigentümer der Anlage dabei
selber aufgewendet hätte. Das aber hat er ohne Zweifel nicht getan,
ansonst die Drähte nicht zerrissen worden wären. Er hat demnach seinem
Nachbarn unnötigerweise Schaden zugefügt und damit in jedem Fall das nach
Art. 926 ZGB zulässige Mass der Gewaltanwendung überschritten.