Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 85 IV 204



85 IV 204

53. Entscheid der Angeklagekammer vom 19. Dezember 1959
i. S. Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Stadt gegen Staatsanwaltschaft
des Kantons Zürich. Regeste

    Art. 346 Abs. 2 StGB, Art. 262 und 263 BStP.

    1.  Gerichtsstand der Prävention bei Dauerdelikt (Erw. 1).

    2.  Von der gesetzlichen Norm abweichende Bestimmung des
Gerichtsstandes aus Gründen der Zweckmässigkeit; Berücksichtigung der
konkreten Umstände nach ihrer tatsächlichen wie rechtlichen Seite hin
(Erw. 2-5).

Sachverhalt

    A.- Der in Zürich wohnhafte X. wird beschuldigt, seiner Geliebten Y.,
die sich zumindest seit April 1959 vorwiegend in Zürich, bisweilen aber
auch an andern Orten, so in Basel, regelmässig als Dirne betätigte, aus
Eigennutz bei Ausübung ihres Gewerbes Schutz gewährt und seinen Unterhalt
zum Teil aus deren Dirnenlohn bestritten zu haben.

    Am 13. November 1959 wurden X. und Y. in Basel auf Anzeige eines
Freiers hin polizeilich angehalten.

    B.- Die Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Stadt ersucht mit
Eingabe vom 11. Dezember 1959 die Anklagekammer des Bundesgerichtes, für
die Verfolgung und Beurteilung der dem Beschuldigten zur Last gelegten
strafbaren Handlungen die Behörden des Kantons Zürich, in dessen Gebiet
das Schwergewicht der strafbaren Tätigkeit liege, zuständig zu erklären.

    Die Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich beantragt demgegenüber
unter Berufung auf Art. 346 Abs. 2 StGB, es sei der Kanton Basel-Stadt
mit der Sache zu befassen.

Auszug aus den Erwägungen:

              Die Anklagekammer zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Das Verbrechen der Zuhälterei (Art. 201 StGB) scheint nach den
Umständen des vorliegenden Falles den Tatbestand eines Dauerdeliktes zu
erfüllen. Der dieser Straftat beschuldigte X. hat an verschiedenen Orten,
namentlich im Kanton Zürich, bisweilen auch in Basel gehandelt. Da die
Untersuchung zuerst in Basel angehoben wurde, wären nach Art. 346 Abs. 2
StGB die Basler Behörden zuständig.

Erwägung 2

    2.- Indessen rechtfertigt es sich hier, von der gesetzlichen Norm
abzuweichen. Art. 262 und 263 BStP sehen zwar nur Ausnahmen von den
Gerichtsständen der Art. 349 und 350 StGB vor. Die Anklagekammer hat sich
jedoch von jeher für befugt erachtet, aus Gründen der Zweckmässigkeit
auch vom Gerichtsstand des Art. 346 StGB abzugehen (BGE 79 IV 57 und dort
angeführte Entscheidungen). Dazu kann insbesondere begründeter Anlass
bestehen, wenn dem Beschuldigten ein Dauerdelikt vorgeworfen wird, das
mehrere getrennte Handlungen in sich schliesst.

    Die Rechtsprechung hat je nach den Umständen des Einzelfalles
bei Zusammentreffen mehrerer Straftaten schon wiederholt die Behörden
desjenigen Kantons für zuständig erklärt, in dem das Schwergewicht oder
das Zentrum der strafbaren Tätigkeit lag (vgl. statt vieler BGE 72 IV
96). Was aber bei einer Mehrheit von strafbaren Handlungen möglich ist,
muss es auch sein, wenn nur eine Straftat, jedoch ein Dauerdelikt in Frage
steht, das sich aus einer Mehrzahl an verschiedenen Orten ausgeführter
Handlungen zusammensetzt (vgl. BGE 69 IV 43).

    Im allgemeinen ist jedoch Begehren um eine von den gesetzlichen
Vorschriften abweichende Bestimmung des Gerichtsstandes, die damit
begründet werden, dass der Schwerpunkt der strafbaren Tätigkeit in
einem andern Kanton liege, nicht leichthin zu entsprechen. Die Tatsache
beispielsweise, dass die hauptsächlichste Ausführungshandlung des in
Frage stehenden Delikts in einem andern als dem ersuchenden Kantons verübt
wurde, rechtfertigt für sich allein sowenig ein Abweichen vom gesetzlichen
Gerichtsstand (BGE 71 IV 59) wie der Umstand, dass die rein zahlenmässige
Mehrheit der einem Beschuldigten zur Last gelegten Straftaten in ein
anderes Kantonsgebiet fällt.

    Die Umstände des vorliegenden Falles sind jedoch nach ihrer
tatsächlichen wie rechtlichen Seite hin derart, dass man ohne Bedenken
von einem Schwergewicht der strafbaren Tätigkeit des Beschuldigten im
Kanton Zürich sprechen kann.

Erwägung 3

    3.- In tatsächlicher Beziehung haben die bisherigen Erhebungen
ergeben, dass Frau Y. in Zürich wohnt und dass sie dort zumindest seit
April 1959 regelmässig der gewerbsmässigen Unzucht nachgegangen ist. Aus
den Untersuchungsakten geht überdies hervor, dass X. ebenfalls in Zürich
lebt, dass er seit ungefähr zwei Jahren mit Frau Y. ein Liebesverhältnis
unterhält und dass seine Beziehungen zu dieser Frau ernstlich auf
Zuhälterei schliessen lassen. X. hat zudem im Kanton Zürich nicht nur
seinen Wohnsitz, sondern ist dort auch heimatberechtigt.

    Die Erhebungen der Basler Behörden haben ferner zur Feststellung
geführt, dass Frau Y. und X. nur gelegentlich, etwa zwei bis vier Male
nach Basel gefahren sind. Nach der vorläufigen Aktenlage hat demnach der
Beschuldigte, was auch die Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich nicht
bestreitet, die ihm zur Last gelegten Handlungen als Zuhälter vorwiegend
in Zürich begangen.

Erwägung 4

    4.- Dazu fällt in rechtlicher Beziehung entscheidend in Betracht,
dass das Verbrechen der Zuhälterei hier als Dauerdelikt erscheint. Die
Beurteilung einer solchen Straftat verlangt vom Richter eine Kenntnis
der tatsächlichen Gegebenheiten, die das Verhalten des Beschuldigten in
seiner Gesamtheit, jedenfalls in grösstmöglichem Rahmen erfasst. Dass der
Richter am Ort, wo die strafbare Tätigkeit zur Hauptsache ausgeübt wurde,
zu einer so umfassenden Beurteilung in der Regel am besten in der Lage ist,
versteht sich von selbst.

    Da das Verbrechen der Zuhälterei in hohem Masse die öffentliche
Sittlichkeit berührt, liegt es auch in der Natur der Sache, dass der Täter
an dem Orte abgeurteilt werde, an dem er vorwiegend gehandelt hat. Der
Auffassung der Staatsanwaltschaft von Basel-Stadt, dass es gerade der
Verfolgung der Zuhälterei abträglich wäre, wenn diejenige Behörde zur
Durchführung des Verfahrens verpflichtet würde, in deren Gebiet der Täter
zufällig, anlässlich eines sporadischen Auftauchens, festgestellt und
angehalten werde, ist daher in vollem Umfang beizupflichten.

Erwägung 5

    5.- Schliesslich sei noch darauf hingewiesen, dass die Beziehungen
des Beschuldigten zu weiteren Dirnen in Zürich einer näheren Abklärung
bedürfen. Es sprechen daher auch prozessuale Gründe dafür, die Zürcher
Behörden mit der weiteren Verfolgung des X. zu betrauen.

Entscheid:

               Demnach erkennt die Anklagekammer:

    Die Behörden des Kantons Zürich werden berechtigt und verpflichtet
erklärt, X. für alle ihm zur Last gelegten strafbaren Handlungen zu
verfolgen und zu beurteilen.